Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.10.2012, Az. X ZB 10/11

10. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2295

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Gegenstand

Patentbeschwerdeverfahren: Zeichnung in Patentschrift als schematische Darstellung; Hinweispflicht des Gerichts - Steckverbindung


Leitsatz

Steckverbindung

1. Schematische Darstellungen, wie sie üblicherweise in Patentschriften zu finden sind, offenbaren in der Regel nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung, nicht aber exakte Abmessungen.

2. Ein Gericht ist grundsätzlich nicht gehalten, einen Beteiligten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es eine in einer Patentschrift wiedergegebene Zeichnung nur als schematische Darstellung und nicht als maßstabsgerechte Konstruktionszeichnung ansieht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den am 19. Oktober 2011 verkündeten Beschluss des 19. Senats ([X.]) des [X.] wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.

Der [X.] wird auf 50.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des [X.] 039 619 (Streitpatents), das am 19. August 2005 angemeldet worden ist und eine Steckverbindung betrifft. Patentanspruch 1, auf den sechs weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der erteilten Fassung:

"Steckverbindung mit wenigstens drei vielpoligen Kontaktreihen, vorzugsweise aus Messer- und [X.]n bestehende Steckverbindungen, wobei die Messerleisten (100) mindestens ein erstes Kontaktelement (120) und die [X.]n (200) mindestens ein zweites, zum ersten Kontaktelement korrespondierendes Kontaktelement (220) aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass [X.] (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') wenigstens einer Kontaktreihe so angeordnet sind, dass die Abstände zwischen den [X.]n (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') dieser wenigstens einen Kontaktreihe und den [X.]n (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') der restlichen Kontaktreihen größer sind als die Abstände zwischen den [X.]n (128, 228; 128', 228') der Kontaktelemente (120, 220; 120', 220') innerhalb der restlichen Kontaktreihen."

2

Die Rechtsbeschwerdegegnerin hat gegen das Streitpatent Einspruch erhoben und geltend gemacht, dessen Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Patentinhaberin hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in geänderter Fassung verteidigt.

3

Das Patentamt hat das Streitpatent widerrufen. Die Beschwerde der Patentinhaberin, mit der sie das Patent in geänderten Fassungen verteidigt hat, ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Patentinhaberin mit der Rechtsbeschwerde, der die Einsprechende entgegentritt.

4

II. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist statthaft, weil die Patentinhaberin einen Zulassungsgrund im Sinne von § 100 Abs. 3 Nr. 3 [X.] geltend macht. Es ist jedoch unbegründet. Das Patentgericht hat den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

5

1. Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 [X.] trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (vgl. nur [X.], Beschluss vom 27. Juni 2007 - [X.], [X.]Z 173, 47 = GRUR 2007, 862 Rn. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II).

6

Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs schließt keine allgemeine Pflicht zu Hinweisen an die Parteien ein. Ein Hinweis kann jedoch geboten sein, wenn für die Beteiligten auch bei sorgfältiger Prozessführung nicht vorhersehbar ist, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung stützen wird ([X.], Beschluss vom 16. September 2008 - [X.], [X.], 91 Rn. 9 - Antennenhalter; Beschluss vom 25. Januar 2000 - [X.], [X.], 792, 793 - Spiralbohrer). Diese Voraussetzung kann zum Beispiel gegeben sein, wenn das Gericht den Antrag eines Beteiligten in einer Weise auslegt, die in erkennbarem Widerspruch zu dessen Bestreben liegt ([X.], Beschluss vom 22. September 2009 - [X.], [X.], 87 Rn. 15 - Schwingungsdämpfer), wenn das Gericht seine Beurteilung auf eine Entgegenhaltung stützt, die von den Beteiligten nur beiläufig angeführt worden ist ([X.], Beschluss vom 12. April 2011 - [X.], [X.], 656 Rn. 7 - Modularer Fernseher I; Beschluss vom 8. September 2009 - [X.], [X.], 1192 Rn. 16 - Polyolefinfolie), oder wenn ein Beteiligter erkennbar einem Missverständnis oder einem Rechtsirrtum erlegen ist ([X.], Beschluss vom 22. September 2009 - [X.], [X.], 87 Rn. 17 - Schwingungsdämpfer).

7

2. Im Streitfall war das Patentgericht nicht verpflichtet, die Patentinhaberin zur Wahrung des rechtlichen Gehörs darauf hinzuweisen, dass es die Zeichnungen in den Figuren 1 bis 6 der Streitpatentschrift als nicht maßstabsgetreue perspektivische Darstellungen ansieht.

8

Das Patentgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, das in allen verteidigten Fassungen von Patentanspruch 1 vorgesehene Merkmal, wonach für die Kontaktelemente der Messerleiste und die Kontaktelemente der [X.] jeweils (nur) ein Kontaktelement (eines einzigen Typs) vorgesehen ist, sei in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Dieses Merkmal werde weder in der ursprünglichen Fassung der Patentansprüche noch in der Beschreibung explizit genannt. Es sei auch keiner der Figuren eindeutig zu entnehmen. Bei perspektivischen Darstellungen der in den Figuren 1 bis 6 wiedergegebenen Art würden Einzelheiten regelmäßig nicht maßstäblich, sondern verzerrt wiedergegeben. Der Fachmann habe daher keinen Anlass gehabt, aufgrund dieser Figuren zu mutmaßen, in der Art der Darstellung der Kontakte könnte eine Erfindung offenbart sein, zumal die Patentansprüche und die Beschreibung einen anderen Schwerpunkt gesetzt hätten, nämlich die Gestaltung der [X.]. Die Figuren 7 und 8, die den Anschein einer Konstruktionszeichnung erweckten, zeigten Steckverbinder, bei denen die [X.] unterschiedlicher Reihen eindeutig nicht miteinander übereinstimmend ausgeführt worden seien.

9

Diese Beurteilung beruht nicht auf Erwägungen, die für die Patentinhaberin unvorhersehbar gewesen sind. Es entspricht einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass schematische Darstellungen, wie sie üblicherweise in Patentschriften zu finden sind, regelmäßig nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung offenbaren, nicht aber exakte Abmessungen (Benkard/Melullis, [X.], 10. Auflage, § 3 [X.] Rn. 27; Benkard/Scharen, § 14 [X.] Rn. 29; Busse/Keukenschrijver, [X.], 6. Auflage, § 14 [X.] Rn. 70; [X.]/[X.], [X.], 8. Auflage, § 34 [X.] Rn. 320; B[X.], Beschluss vom 17. Oktober 2007 - 7 W (pat) 367/04, juris Rn. 42; Urteil vom 14. Juni 2007 - 2 Ni 32/05 ([X.]), juris Rn. 53; Urteil vom 13. März 2001 - 4 Ni 12/00 ([X.]), juris Rn. 55). Angesichts dessen konnte und durfte die Patentinhaberin nicht darauf vertrauen, dass das Patentgericht die Figuren 1 bis 6 der Streitpatentschrift als maßstabsgerechte Konstruktionszeichnungen ansehen würde. Vielmehr lag es an der Patentinhaberin, spätestens in der Beschwerdeinstanz vorzutragen, dass die Figuren 1 bis 6 nach ihrer Auffassung isometrische Darstellungen enthalten. Besondere Umstände, aus denen sich eine abweichende Beurteilung ergeben könnte, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

III. [X.] beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.], die Festsetzung des [X.] auf § 51 Abs. 1 GKG.

IV. Eine mündliche Verhandlung hat der [X.] nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 [X.]).

Meier-Beck                                             [X.]

                               [X.]                                                   Schuster

Meta

X ZB 10/11

16.10.2012

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BPatG München, 19. Oktober 2011, Az: 19 W (pat) 92/09

§ 3 Abs 1 PatG, § 21 Abs 1 Nr 4 PatG, § 100 Abs 3 Nr 3 PatG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.10.2012, Az. X ZB 10/11 (REWIS RS 2012, 2295)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2295


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZB 10/11

Bundesgerichtshof, X ZB 10/11, 16.10.2012.


Az. 19 W (pat) 92/09

Bundespatentgericht, 19 W (pat) 92/09, 19.10.2011.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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