Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.08.2012, Az. V ZB 45/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3529

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[X.]UNDESGERICHTSHOF

[X.]ESCHLUSS
[X.] 45/12

vom

30. August
2012

in der Abschiebungshaftsache

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 30.
August
2012
durch [X.]
Dr.
Krüger, [X.], die Richterin [X.], [X.]
Czub
und die Richterin Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des [X.]etroffenen wird der [X.]eschluss
der 4. Zivilkammer des [X.] vom
22. Februar
2012 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der [X.]eschluss des [X.] vom 13. Oktober 2011 den [X.]etroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des [X.]etroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:
I.
Der [X.]etroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, wurde am 12.
Oktober 2011 in einem Nagelstudio festgenommen, in welchem er ohne Erlaubnis arbeitete. Er besitzt keine Aufenthaltsberechtigung
für das [X.].
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3
-
Auf Antrag der [X.]eteiligten zu 2 ([X.]ehörde) hat das Amtsgericht am 13.
Oktober 2011 [X.] für die Dauer von drei Monaten angeordnet. An diesem Tag hat der [X.]etroffene einen Asylantrag gestellt. Die [X.]eschwerde, die der [X.]etroffene nach seiner Haftentlassung im Dezember
2011 auf die Fest-stellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung über den 15. November 2011 hinaus gerichtet hat, ist von dem [X.] zurückgewiesen worden. Hierge-gen wendet sich der [X.]etroffene mit der Rechtsbeschwerde; die [X.]eteiligte zu 2
beantragt deren Zurückweisung.

II.
Das [X.]eschwerdegericht
meint, die ausstehende Entscheidung über den Asylantrag des [X.]etroffenen habe der Fortdauer der Haft über den 15.
November 2011 hinaus nicht entgegengestanden. Die Vorschrift des §
14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG aF
wäre nur zum Tragen gekommen, wenn allein der Haftgrund des §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] aF vorgelegen hätte. Das Amtsgericht habe die Haftanordnung aber auch auf §
62 Abs.
2 Satz
1
Nr.
5 [X.] aF gestützt.

III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. a) Die über den 15. November 2011 hinausgehende Inhaftierung des [X.]etroffenen war schon deshalb rechtswidrig, weil es an einem zulässigen Haftantrag nach §
417 FamFG fehlte. Das Vorliegen eines zulässigen Haftan-trags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende [X.] (Senat, [X.]eschluss vom 29. April 2010

[X.], 2
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4
-
[X.] 2010, 210, 211, Rn.
12; [X.]eschluss vom 22. Juli 2010

V
Z[X.] 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn.
7). Der Haftantrag muss nach §
417
Abs. 2 Satz
1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der [X.] Ausreisepflicht, zu den [X.], zu der [X.], zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der not-wendigen Haftdauer (§
417 Abs.
2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß ge-gen den [X.] führt zur Unzulässigkeit des [X.] (Senat, [X.]eschluss vom 29. April 2010

V
Z[X.] 218/09, aaO, Rn. 14; [X.]eschluss vom 22.
Juli 2010

V
Z[X.] 28/10, aaO, Rn. 8; [X.]eschluss vom 7. April 2011

V
Z[X.] 133/10, Rn. 7, juris).
Die nach §
417 Abs. 2 Satz 1 FamFG erforderlichen Darlegungen müs-sen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; sie dürfen sich nicht in [X.] und Textbausteinen erschöpfen (vgl. Senat, [X.]eschluss vom 27. Oktober 2011

[X.], [X.] 2012, 82, 83 Rn. 13 f.; [X.]eschluss vom 15.
September 2011

[X.], [X.]
2011, 317, Rn.
9). Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der [X.]etroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen [X.]raums Abschiebungen in das betreffende Land übli-cherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem [X.]raum die einzelnen Schritte unter normalen [X.]edingungen durchlaufen werden können (vgl. Senat, [X.] vom 27. Oktober 2011

[X.], aaO).
b) Diesen Anforderungen genügte der Haftantrag der [X.]eteiligten zu
2 nicht.
aa) Er enthält keine auf Tatsachen gestützte, für
den Haftrichter nach-vollziehbare Prognose, innerhalb welchen [X.]raums mit einer Abschiebung des 6
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-
[X.]etroffenen gerechnet werden kann. Darlegungen, welche konkreten Schritte im Fall des [X.]etroffenen geplant waren, um dessen Abschiebung nach [X.] vorzubereiten, und wie viel [X.] diese erfahrungsgemäß in Anspruch nehmen, enthält er nicht. Die Angabe im Haftantrag, die beantragte Haftdauer sei erfor-der Abschiebung vorzubereiten (z.[X.]. [X.]eschaffung eines Passes oder Passer-r-formel und damit unzureichend.
Entsprechende Ausführungen waren nicht deshalb entbehrlich, weil der [X.]etroffene nach den Feststellungen des [X.] seine Identität verschleierte. Zum einen enthebt dies die [X.]ehörde nicht von der Verpflichtung, die beantragte Dauer der Haft zu begründen. Zum anderen ist die Haft auch in einem solchen Fall nur zulässig, wenn die Abschiebung innerhalb von drei [X.], gerechnet ab dem [X.]punkt der Haftanordnung, überhaupt, also ohne [X.]erücksichtigung der von dem Ausländer zurechenbar veranlassten [X.], möglich erscheint (§
62 Abs. 2 Satz 4 [X.] aF; vgl., Senat, [X.] vom 30. Juni 2011

[X.], Rn. 5, juris). Auch dies ist in dem Haftantrag darzulegen. Andernfalls kommt eine Haftanordnung ungeachtet [X.] oder fehlender Angaben des [X.]etroffenen nicht in [X.]etracht; denn die [X.] ist nur zur Sicherung der Abschiebung zulässig; sie darf nicht als [X.]eugehaft angeordnet oder aufrechterhalten werden (vgl. Senat, [X.]eschluss vom 10. Juni 2010

[X.], NVwZ 2010, 1172, 1173,
Rn. 22).
Kann die [X.]ehörde die notwendigen Angaben unmittelbar nach der [X.] des [X.]etroffenen noch nicht machen, muss sie sich darauf beschrän-ken,
eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß §
427 FamFG zu beantragen.
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bb) Da zu den [X.] das nach §
72 Abs.
4 Satz
1 [X.] notwendige Einvernehmen der Staatsanwaltschaft gehört, muss der Haftantrag auch hierzu nachvollziehbare Angaben enthalten, wenn für den Haftrichter erkennbar
ist, dass gegen den [X.]etroffenen ein strafrechtli-ches Ermittlungsverfahren anhängig ist
(vgl. Senat, [X.]eschluss vom 31.
Mai 2012

[X.] 167/11, NJW
2012, 2448, Rn. 8;
[X.]eschluss vom 20. Januar 2011

V
Z[X.] 226/10, [X.] 2011, 144,
Rn.
9; [X.]eschluss vom 22.
Juli 2010

[X.] 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512,
Rn. 12). Solche Angaben fehlten
hier, obwohl sich aus den dem Haftantrag beigefügten Unterlagen ergab, dass der [X.] wegen des Verdachts des illegalen Aufenthalts im [X.] und wegen [X.] vorläufig festgenommen und als [X.]eschuldigter vernom-men worden war.
c) Die Mängel des [X.] wären
zwar -
mit Wirkung für die Zukunft -
geheilt worden, wenn die [X.]eteiligte zu
2 die fehlenden Angaben nachgeholt und der [X.]etroffene Gelegenheit erhalten hätte, dazu in einer persönlichen Anhörung Stellung zu nehmen (vgl. Senat, [X.]eschluss vom 29. September 2011

V
Z[X.] 61/11, Rn. 8, juris; [X.]eschluss vom 6.
Oktober 2011

[X.] 188/11, Rn. 12
f., juris). Hierzu ist es aber nicht gekommen.
2. Rechtswidrig war die Haftanordnung für die [X.] nach dem 15. No-vember 2011 auch deshalb, weil der Asylantrag des [X.]etroffenen ein Hafthin-dernis darstellte, nachdem
der Antrag nicht innerhalb von vier Wochen nach Eingang bei dem [X.] als unbeachtlich
oder offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war.
Zu Unrecht meint das [X.]eschwerdegericht, §
14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG (hier in der bis zum 26. November 2011 gültigen Fassung)
komme nur zum Tragen, wenn die Haftanordnung allein auf den Haftgrund des §
62 Abs. 2 12
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Satz
1 Nr.
1 [X.] aF gestützt worden sei. Die Vorschrift des §
14 Abs. 3 AsylVfG regelt die Folgen eines aus der [X.] heraus gestellten Asyl-antrags. Zwischen den [X.] des §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] aF (unerlaubte Einreise) einerseits und des §
62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a bis 4 [X.] aF andererseits differenziert sie nur hinsichtlich der Fortdauer der Haft. Hat der Asylsuchende sich vor seiner Antragstellung nach der unerlaubten [X.] noch nicht länger als einen Monat im [X.] aufgehalten, ist er unmittelbar nach Stellung des Asylantrags aus der Haft zu entlassen ([X.] aus §
14 Abs.
3
Satz 1 Nr.
4 u. 5 AsylVfG; vgl. HK-AuslR/[X.], §
14 AsylVfG Rn. 7). Andernfalls bleibt der Asylantrag zunächst ohne Folgen für die [X.].
Gemäß §
14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG endet die Abschiebungshaft jedoch spätestens vier Wochen nach Eingang
des Asylantrags bei dem [X.], es sei denn, es wurde ein bestimmtes Auf-
oder Wiederaufnahmeersuchen an einen anderen Staat gerichtet oder der Asylantrag wurde als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt. Eine Differenzierung nach [X.] enthält dieser Teil der Vorschrift nicht. Eine solche entspräche auch nicht ihrem Sinn und Zweck. Ein laufendes Asylverfahren steht der Abschiebung des [X.] entgegen (vgl. §
55 Abs. 1 AsylVfG). Es hindert damit grundsätzlich die Anordnung und den Fortbestand von
Abschiebungshaft. Hiervon macht das Gesetz
in §
14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG eine Ausnahme, um der missbräuchli-chen Stellung offenkundig aussichtsloser Asylanträge aus der [X.] heraus zu begegnen (vgl. [X.]T-Drucks. 13/4948
S.
10
f.). Dabei begrenzt es die Ausnahme auf Fälle, in denen das
[X.]
innerhalb von vier Wochen seit Eingang des Asylantrags zu der Entscheidung gelangt, dass der Asylantrag unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet ist.
Ist dies nicht der Fall
und fehlt es auch an einem Auf-
oder Wiederaufnahmeersuchen im Sinne der Vorschrift, ist der Asylsuchende, unabhängig davon, auf welchem Haftgrund die gegen ihn 15
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8
-
angeordnete [X.] beruht, unverzüglich freizulassen
(vgl. [X.]T-Drucks. 13/4948 S. 11
sowie [X.], Ausländerrecht, 8.
Aufl., §
14 AsylVfG
Rn. 21).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
81 Abs.
1 Satz 1 und
2, §
83 Abs.
2, §
430
FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs. 2 KostO i.V.m. §
30 Abs. 2 KostO.

Krüger

Schmidt-Räntsch

Stresemann

Czub

Weinland

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.10.2011 -
3 [X.] ([X.]) -

LG Schweinfurt, Entscheidung vom 22.02.2012 -
41 [X.]/11 -

16

Meta

V ZB 45/12

30.08.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.08.2012, Az. V ZB 45/12 (REWIS RS 2012, 3529)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3529

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