Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.05.2013, Az. V ZB 44/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 5693

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V [X.]

vom

16. Mai
2013

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.]RL 115/2008 Art. 6 Abs. 1; [X.] § 59
Die Androhung der Abschiebung enthält die nach der Richtlinie 2008/115/[X.] (Rück-führungsrichtlinie) erforderliche Rückkehrentscheidung.

[X.] § 59, § 62 Abs. 3; FamFG § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5
a)
Eine nach §
59 [X.] erforderliche Abschiebungsandrohung muss im [X.]-punkt der [X.]anordnung vorliegen. Die Absicht der Ausländerbehörde, sie demnächst zu erlassen, reicht nicht aus.
b)
Zu den in einem Antrag auf Anordnung von [X.] gehört die Androhung der Abschiebung oder die [X.], dass eine solche ausnahmsweise entbehrlich ist (z.B. nach §
59 Abs. 1 Satz 3 [X.] oder nach §
34a Abs.
1 Satz 3 AsylVfG).

[X.], Beschluss vom 16. Mai 2013 -
V [X.] -
LG [X.]

AG [X.]
-
2
-

-
3
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 16. Mai 2013
durch die
Vorsit-zende Richterin [X.], [X.], Dr.
Czub
und Dr. [X.] und die Richterin Dr. Brückner

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss
des Amtsgerichts [X.] vom 18. Januar 2012 ihn in seinen Rechten verletzt hat. Die weitergehende Rechtsbe-schwerde wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen
in allen Instanzen
werden der Stadtgemeinde
[X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, hatte 2009 in [X.] und später auch in der [X.] und in [X.] Asylanträge gestellt. Nach eigenen Angaben reiste er am 1. Januar 2012 ohne die erforderlichen Papiere in das [X.] ein. Am 17. Januar 2012 wurde er
in [X.] vor-läufig festgenommen.

1
-
4
-
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 18. Januar 2012 hat das Amtsgericht am selben Tag
[X.] gegen den Betroffenen bis
zum 31. März 2012 angeordnet. Einen von dem Betroffenen am Folgetag gestellten Asylantrag hat das [X.] mit Bescheid vom 6. Februar 2012 als unzulässig abgelehnt, nachdem [X.] seine Zuständigkeit für die [X.] erklärt hatte.
Das [X.] hat die gegen die Haftanordnung gerichtete [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde
möchte der am 28. Februar 2012 an [X.] überstellte Betroffene die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung
und der Beschwerdeentscheidung
festgestellt wissen.

II.
Das Beschwerdegericht
hat
die Haftgründe des §
62 Abs. 3 Satz 1 Nr.
1 und Nr.
5 [X.] für gegeben und das Beschleunigungsgebot für gewahrt
erachtet. Eine schriftliche Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 6 der Richt-linie
2008/115/[X.] müsse im [X.]punkt der Anordnung von [X.] noch nicht vorliegen; im konkreten Fall sei sie zudem nach Art.
6 Abs. 3 der [X.] entbehrlich gewesen.

III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft, soweit der Betroffene geltend macht, er sei dem Haftrichter nicht unverzüglich im Sinne von Art.
104 Abs. 2 Satz 2 GG vorgeführt worden. Denn die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Inge-wahrsamnahme, die hierdurch in Zweifel gezogen wird, kann mit der Rechtsbe-schwerde nicht überprüft werden; insoweit ist der Rechtsweg mit der Be-schwerdeentscheidung erschöpft (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Mai 2011
2
3
4
5
-
5
-

V
ZB 135/10, [X.] 2011, 253; Beschluss vom 23. Mai 2011 -
V
ZA 29/10, juris).
2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit der Be-troffene festgestellt wissen will, dass die Entscheidung des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat. Die Haftanordnung vom 18. Januar 2012 war rechtswidrig, weil es an
einem zulässigen Haftantrag nach §
417 FamFG fehlte.
a)
Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung ([X.], [X.] vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, [X.] 2010,
210, 211, Rn.
12; [X.] vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn.
7). Der Haftantrag muss nach §
417 Abs. 2 Satz
1 FamFG begründet werden. Erforder-lich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den [X.], zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbar-keit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§
417 Abs.
2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzu-lässigkeit des [X.] ([X.], Beschluss vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22.
Juli 2010 -
V
ZB 28/10, aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 -
V
ZB 133/10, juris Rn. 7).
b)
Den
genannten Anforderungen genügt
der Haftantrag der Beteiligten zu
2 nicht.
aa) Zu den
gemäß
§
417 Abs. 2 Satz 2 Nr.
5 FamFG darzulegenden [X.] gehört die nach §
59 [X.] erforderliche Ab-schiebungsandrohung. Fehlt es an einer für die Vollstreckung der Abschiebung notwendigen
Voraussetzung, darf auch eine [X.] Gesetzes (§
58 Abs. 2 Satz
1 [X.]) vollziehbare Ausreisepflicht nämlich nicht ohne weiteres durchge-setzt werden. Das hat der [X.] bereits für §
59 [X.] aF entschieden (Be-6
7
8
9
-
6
-
schluss vom 30. Juli 2012 -
V [X.], juris Rn. 9). Für die am 26. November 2011 in [X.] getretene und hier einschlägige Neufassung der Vorschrift gilt nichts anderes ([X.], Beschluss vom 14. März 2013 -
V ZB
135/12, juris Rn.
7). Zu der Neuregelung hat sich der Gesetzgeber mit Blick auf die Richtlinie 2008/115/[X.] (im Folgenden: [X.]) veranlasst gesehen, die in Art. 6 eine Rückkehrentscheidung

verlangt. Dass diese in Fällen, in denen die Ausreisepflicht nicht bereits durch Verwaltungsakt statuiert worden ist, durch die Androhung der Abschiebung begründet werden
soll, geht aus den Gesetzesma-terialien klar hervor (BT-Drucks. 17/5470, S. 24; vgl. auch [X.],
[X.] 2013, 98, 99; VGH
München, Beschluss vom 8. November 2012

10
CE 12.2401, juris Rn. 7; [X.], Ausländerrecht, Stand August 2012,
§
59 [X.] Rn. 2a).
Ausführungen zu einer Abschiebungsandrohung oder dazu, dass es einer
solchen ausnahmsweise nicht bedurfte (z.B. nach §
59 Abs.
1 Satz 3 [X.] oder nach §
34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG), enthält der Haftantrag nicht.

Entsprechende
Angaben im Haftantrag waren unverzichtbar. Sie
wären auch dann nicht entbehrlich gewesen, wenn die Auffassung des Beschwerde-gerichts zuträfe, dass die [X.] im konkreten Fall keine Rück-kehrentscheidung
verlangte. Eine unmittelbare Anwendung der Rückführungs-richtlinie kommt nämlich nicht mehr in Betracht, nachdem diese in nationales Recht umgesetzt worden ist. Wann von einer nach §
59 [X.] an sich erfor-derlichen Abschiebungsandrohung im Ermessenswege abgesehen werden kann, ist in §
59 Abs. 1 Satz 3 [X.] abschließend geregelt
(vgl. GK-[X.]/[X.], Stand Dezember 2012, §
59 Rn. 143 u. 151 [X.]).

Die -
hier angenommene
-
Fluchtgefahr berechtigt die Behörde zwar da-zu, von einer Fristsetzung für die freiwillige Ausreise abzusehen

59 Abs.
1 Satz 2 [X.]), macht eine Abschiebungsandrohung aber nicht entbehrlich
10
11
-
7
-
(vgl. [X.], Ausländerrecht, Stand März 2012, §
59 [X.] Rn. 80). Ebenso wenig reicht die Absicht der Ausländerbehörde aus, eine solche [X.] -
und damit eine
Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtli-nie -
demnächst zu erlassen (a.[X.], Beschluss vom 21. März 2011
-
5 T 41/11, juris Rn. 33 ff.). Liegen die [X.] bei Beantragung der [X.] noch nicht vor, muss sich die Behörde darauf beschränken, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß §
427 FamFG zu [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Mai 2012 -
V
ZB 167/11, [X.], 2448 Rn. 10 [X.] für das nach §
72 Abs. 4 Satz 1 [X.] notwendige Einver-nehmen der
Staatsanwaltschaft).

[X.]) Ferner enthielt der Haftantrag keine ausreichenden Angaben zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer. Notwendig sind auf das Land bezo-gene Ausführungen, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. [X.] ist, ob und innerhalb welchen [X.]raums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ab-lauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem [X.]raum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2011 -
V [X.], [X.] 2012, 82, 83).

Diese Angaben waren hier nicht deshalb entbehrlich, weil bei Rücküber-nahmen nach der [X.] II-Verordnung (Verordnung [[X.]] Nr. 343/2003 des [X.] vom 18. Februar 2003, [X.] L 50/1 vom 25. Februar 2003) grundsätzlich davon auszugehen
ist, dass die Abschiebung in einen Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten seit der Haftanordnung wird erfolgen können. Denn das gilt nur, wenn sich aus dem Haftantrag ergibt, dass der Mitgliedsstaat zu der Rück-übernahme des Betroffenen verpflichtet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Sep-tember 2010 -
V [X.], juris Rn. 13 [insoweit nicht abgedruckt in [X.] 2011, 320]; Beschluss vom 14. Juni 2012 -
V [X.], juris Rn. 10; Beschluss 12
13
-
8
-
vom 8. November 2012 -
V [X.], juris Rn. 5).
Angaben zu der Rücküber-nahmeverpflichtung [X.]s enthält der Haftantrag jedoch nicht.
Ebenso wenig findet sich darin eine auf Tatsachen gestützte, für den Haftrichter nachvollziehbare Prognose, innerhalb welchen [X.]raums mit einer Abschiebung des Betroffenen nach [X.] gerechnet werden konnte. [X.], welche konkreten Schritte im Fall des Betroffenen geplant waren, um des-sen Abschiebung nach [X.] vorzubereiten, und wie viel [X.] diese [X.] in Anspruch nehmen, fehlen. Die Angabe, dieses werde einige [X.] in Anspruch nehmen, jedoch nicht länger als drei Monate

ist eine universell ein-setzbare Leerformel und damit unzureichend (vgl. [X.], Beschluss vom 27.
Oktober 2011 -
V
[X.], [X.] 2012, 82, 83 Rn. 13 f.; Beschluss vom 15.
September 2011 -
V [X.], juris Rn.
9). Entsprechendes gilt für die Formulierung, die beantragte Haftdauer sei zur Sicherung der Abschiebung notwendig und ausreichend

und die Abschiebung sei innerhalb von drei Mona-ten

möglich.
3. Unbegründet ist die Rechtsbeschwerde, soweit der Betroffene [X.] wissen will, dass auch die Entscheidung des [X.]s ihn in seinen Rechten verletzt hat. Dies ist nicht der Fall, da die Mängel des [X.] im Beschwerdeverfahren -
mit Wirkung für die Zukunft
-
geheilt worden
sind (zu dieser Möglichkeit vgl. [X.],
Beschluss vom 3. Mai 2012 -
V [X.]/11,
[X.] 2012, 419, 420 Rn. 12
f.).
Die beteiligte Behörde hat mit der Be-schwerdeerwiderung den Bescheid des [X.] und Flücht-linge vom 6.
Februar 2012 vorgelegt, durch den der Asylantrag des Betroffenen für unzulässig erklärt worden ist. Der Bescheid enthält die Anordnung der Ab-schiebung (§
34a Abs.
1 Satz 1 AsylVfG); diese stellt eine Rückkehrentschei-dung im Sinne der [X.] dar (vgl. [X.], [X.] 2013, 98, 99; [X.], Beschluss vom 8. November 2012
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-
9
-
-
10
CE 12.2401, juris Rn.
7)
und macht eine Abschiebungsandrohung entbehr-lich (§
34a Abs. 1 Satz
3 AsylVfG).
Ferner hat die
Behörde
mitgeteilt, dass die Abschiebung für den 28. Februar 2012 organisiert sei,
und damit die Angaben zur Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer präzisiert. Der Betroffene, dem die ergänzenden Angaben über seinen Bevollmächtigten zur Kenntnis gebracht worden sind, hat in seiner persönlichen Anhörung vor dem Beschwerdegericht zudem Gelegenheit erhalten, hierzu Stellung zu nehmen.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
81 Abs.
1 Satz 1 u. 2, §
83 Abs. 2, §
430
FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Trotz der teilweisen Zurückweisung der Rechtsbeschwerde entspricht es billigem Ermessen, der beteiligten [X.] die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen insgesamt aufzuerlegen; denn dieser befand sich, weil
die Anhörung des [X.] nur einen

16
-
10
-
Tag vor seiner Abschiebung erfolgte, ganz überwiegend auf der Grundlage [X.] rechtswidrigen Anordnung in [X.]. Die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs. 2 KostO i.V.m. §
30 Abs. 2 KostO.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Czub

[X.]
Brückner

Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 18.01.2012 -
91a [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 27.02.2012 -
10 [X.]/12a -

Meta

V ZB 44/12

16.05.2013

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.05.2013, Az. V ZB 44/12 (REWIS RS 2013, 5693)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5693

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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