Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2012, Az. V ZB 305/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9318

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 305/10

vom

9. Februar 2012

in der Abschiebungshaftsache

-
2 -
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 9. Februar 2012 durch [X.]
Dr.
[X.], die Richterin [X.],
den
Richter
Dr. Czub
und die Richterinnen
Dr. [X.] und Weinland
beschlossen:
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Ver-fahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Wasser-mann bewilligt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Aufhebung des Beschlusses der 8.
Zivilkammer des [X.] vom 18.
November 2010 festgestellt, dass die Beschlüsse des [X.] vom 31. Juli 2010 und des [X.] vom 8. September 2010, mit denen Vorbereitungs-
und Abschiebungs-haft für die [X.] vom 31. Juli 2010 bis zum 9. Dezember 2010 [X.] worden ist, den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der [X.] zu ¾ und dem [X.] zu ¼ auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

-
3 -
Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, wurde am 31.
Juli 2010 in einem Zug der Deutschen
Bahn AG ohne Fahrausweis, ohne Ausweis-papiere und ohne Aufenthaltstitel für das [X.] angetroffen und an-schließend durch Beamte der [X.] festgenommen. Am gleichen Tag hat das [X.] gegen den Betroffenen nach dessen persönlicher
Anhörung unter Bezugnahme auf einen Antrag der Beteiligten zu 3 (örtliche Po-lizeibehörde) Haft zur Vorbereitung der Abschiebung und die sofortige Wirk-samkeit der Entscheidung angeordnet.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) hat das [X.] mit Beschluss vom 8.
September 2010 nach persönlicher Anhörung des Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 9.
Dezember 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.
Der Betroffene hat gegen die
amtsgerichtlichen Entscheidungen zwei Be-schwerden
mit den Anträgen eingelegt, die Verletzung seiner Rechte durch die Anordnung der [X.] nach deren Ablauf festzustellen, und den [X.] über die Anordnung der [X.] aufzuheben. Das Landgericht hat
die Beschwerden zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich der am 22. Dezember 2010 nach [X.] ab-geschobene Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er unter Aufhebung der Entscheidung des [X.] die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Beschlüsse der Amtsgerichte
beantragt.

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4 -
II.
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass der die Anordnung der [X.] betreffende Feststellungsantrag zwar zulässig, aber
unbe-gründet
sei. Die Beteiligte zu 3 sei für die Beantragung von [X.] zuständig und ihr Haftantrag wirksam gewesen, weil dieser schriftlich gestellt worden sei und eine den Erfordernissen des §
417 Abs. 2 FamFG genügende Begründung enthalten habe. Auch die Voraussetzungen für die Anordnung von [X.] hätten vorgelegen.
Die zulässige Beschwerde gegen die Anordnung der Abschiebungshaft sei unbegründet. Es hätten Haftgründe vorgelegen, da der Betroffene unerlaubt in das [X.] eingereist sei und der begründete Verdacht bestanden habe, dass er sich
der Abschiebung entziehen werde. Die Anordnung einer [X.] für insgesamt vier Monate und eine Woche sei auch [X.], da [X.] bis zu sechs Monaten angeordnet werden dürfe.

III.
1. Die Rechtsbeschwerde
mit den
Feststellungsanträgen nach §
62
FamFG ist gemäß §
70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz
2 FamFG
statthaft (Senat, [X.] vom 4.
März 2010 -
V
ZB
222/09, [X.] 2010, 154, 155 Rn. 6 -
insoweit nicht in [X.], 323 abgedruckt) und auch im Übrigen zulässig.
2. Das
Rechtsmittel
hat in vollem Umfang Erfolg, weil alle in dem Antrag genannten Entscheidungen den Betroffenen in seinem Freiheitsgrundrecht (Art.
2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt
haben.
a) Die Anordnung von [X.]
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5 -
Diese Haftanordnung verletzte den Betroffenen schon deshalb in seinen Rechten, weil es an einer ordnungsgemäßen Antragstellung der zuständigen Verwaltungsbehörde fehlte. Die Antragstellung nach § 417 FamFG
stellt eine Verfahrensgarantie dar, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (vgl. Se-natsbeschluss vom 20. April 2010 -
V
ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509 Rn.
19).
aa) Hier kann schon nicht festgestellt werden, dass die Beteiligte zu 3 bei dem Amtsgericht überhaupt einen Haftantrag gestellt hat. Die
Antragstellung
der Behörde muss aktenkundig sein
(Senatsbeschluss vom 20. April 2010 -
V
ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509 Rn. 17). Das ist der Fall, wenn die Ver-fahrensakten
einen vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten oder die Antragstellung der Behörde sich aus dem Protokoll der Anhörung des [X.] ergibt. Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung durch den Haftrichter in den [X.] regelmäßig selbst
dann nicht möglich, wenn die Behörde in einem
Rechtsbehelfsverfahren vorbringt, einen
vollständigen Haftantrag gestellt zu haben
(vgl. Senatsbe-schluss vom 20. April 2010 -
V
ZB 218/09, aaO).
So ist es hier. Der in der Akte befindliche Haftantrag ist nicht unterschrie-ben worden; ihm fehlt die Schriftform nach §
126 Abs.
1 BGB. Dies stünde [X.] der Wirksamkeit eines Antrags nicht entgegen, weil
die Unterschrift unter den verfahrenseinleitenden Antrag in § 23 Abs. 1 Satz 4 FamFG als Soll-Vorschrift ausgestaltet worden ist (Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2010 -
V
ZB 210/10, [X.] 2011, 41, 42 Rn. 11). Es muss dann aber auf Grund anderer Umstände zweifelsfrei feststehen, dass es sich bei dem in der Akte [X.] Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Wollen der Behörde dem Haftrichter
zugeleitet worden ist. Daran fehlt es, wenn der in der Verfahrensakte befindliche Haftantrag weder einen Ausgangsstempel der Behörde noch einen Eingangsstempel des Gerichts trägt 10
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6 -
und auch nicht festgestellt werden kann, dass der Antrag mit dem Betroffenen im Beisein von Mitarbeitern der Behörde erörtert worden ist (zu einer solchen Übernahme der Urheberschaft und Verantwortung für einen nicht unterschrie-benen Haftantrag:
Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2010 -
V
ZB 210/10, [X.] 2011, 41, 42 Rn.
12), weil nach dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen kein Vertreter der antragstellenden Behörde anwesend war.
bb) Der Haftantrag genügte
auch nicht den in § 417 Abs. 2 Satz 2
FamFG gestellten inhaltlichen Anforderungen an die
Begründung, was eben-falls zur Unzulässigkeit der Antrags führt (Senatsbeschlüsse vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn.
8 und vom 15. September 2011 -
V
ZB 123/11, [X.] 2011, 317, 318 Rn.
11). Nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr.
3 FamFG ist die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung zu begründen. Die
Be-gründung
muss sich an den Voraussetzungen der Vorschrift orientieren, die nach Ansicht der Behörde für die Anordnung der Freiheitsentziehung herange-zogen werden soll ([X.], FamFG, 17. Aufl., § 417 Rn. 14). Diesen An-forderungen ist hier nicht genügt, da lediglich verschiedene Kästchen in einem eine Mehrfachauswahl anbietenden Vordruck
angekreuzt worden sind, mit dem sowohl [X.]
nach §
62 Abs. 1 [X.] aF (in der Fassung in der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008,
BGBl. [X.]) als auch von Siche-rungshaft nach § 62 Abs. 2 [X.] aF beantragt werden kann.
(1) Für eine [X.] nach § 62 Abs. 1 [X.]
aF fehlte es in dem Haftantrag an Ausführungen
dazu, dass
mit einer Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde, die mittels Abschiebung durchgesetzt werden soll, in einem [X.]raum von sechs Wochen zu rechnen war. Das ist deshalb notwendig, weil [X.] nach §
62 Abs.
1 [X.] aF nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen angeordnet werden darf
(vgl. [X.] 1993, 378, 379; 1998, 124, 125 und [X.], [X.], 205). Hier war mit einer [X.] der Ausländerbehörde angesichts des Umstands, dass der 13
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-
7 -
Betroffene
schon wegen unerlaubter
Einreise nach §
58 Abs.
2 Satz
1 Nr.
1 [X.] vollziehbar ausreisepflichtig war (vgl. Senat, Beschluss vom 16. [X.] -
V
ZB 148/09, [X.] 2010, 50), nicht zu rechnen.
(2) Für einen Antrag auf [X.] nach § 62 Abs. 2 [X.]
aF fehlte es an Darlegungen nach §
417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG zur Durchführ-barkeit der Abschiebung. Hierzu sind auf das Land, in das der [X.] werden soll, bezogene Ausführungen erforderlich. Anzugeben ist
ins-besondere, ob und innerhalb welchen [X.]raums Abschiebungen in das [X.] üblicherweise möglich sind (Senat, Beschlüsse vom 27.
Oktober 2011 -
V
ZB 311/10, Rn.
13, juris und vom 4. Januar 2012 -
V
ZB 284/11, Rn.
5, juris). Die Hinweise im Haftantrag über die Ausreisepflichtigkeit des Betroffenen auf Grund unerlaubter
Einreise und auf eine Fluchtgefahr genügten diesen An-forderungen nicht. War die Beteiligte zu 3 (Polizeibehörde) infolge der nicht ge-klärten Staatsangehörigkeit des Betroffenen, der beim Aufgreifen über keine Papiere verfügte, und mangels eigener Erkenntnisse über die Durchführbarkeit von Abschiebungen
zu den für einen Haftantrag erforderlichen Angaben nicht in der Lage, wäre allenfalls ein -
hier nicht gestellter
-
Antrag auf eine einstweilige Anordnung nach §
427 Abs. 1 FamFG in Betracht gekommen, wenn dringende Gründe für die Annahme
bestanden, dass die Voraussetzungen für die Anord-nung einer Freiheitsentziehung infolge Fluchtgefahr gegeben waren und ein dringendes Bedürfnis für eine sofortige Freiheitsentziehung vorlag.
b) Die Anordnung von Abschiebungshaft
Die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 8. September 2010 verletzte den Betroffenen ebenfalls in seinen Rechten, weil
es an einer den Anforderun-gen des §
62 Abs. 2 Satz 4 [X.] genügenden Prognose
fehlte.
aa) Für die Anordnung von [X.] ist grundsätzlich nur Raum, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergibt, dass entweder eine 15
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18

-
8 -
Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate prognostiziert oder eine zu-verlässige Prognose zunächst nicht getroffen werden kann (Senatsbeschlüsse vom 10. Juni 2010 -
V
ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn.
13 und vom 27.
Oktober 2011 -
V
ZB 311/10, Rn. 6, juris, mwN). Die Prognose muss sich auf alle in Betracht kommenden Gründe erstrecken, die der Abschiebung [X.] oder sie verzögern können ([X.], NJW 2009, 2659, 2660).
bb) Die Feststellung des Amtsgerichts, [X.] seien nicht ersichtlich, widerspricht
dem Antrag der Beteiligten zu 2, die darin ausge-führt hat, dass sowohl eine Passersatzpapierbeschaffung als auch eine Ab-schiebung in das von dem Betroffenen genannte Heimatland [X.] derzeit nicht möglich seien
und der Betroffene daher unverzüglich aus der Haft entlas-sen werden müsse, wenn es sich bei ihm um einen somalischen Staatsbürger handeln sollte. Haft zur Sicherung der Abschiebung hätte daher nur dann [X.] werden dürfen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, dass die Angaben
des Betroffenen zu seiner Nationalität
falsch waren und eine Abschiebung in sein Heimatland innerhalb der 3 Monats-Frist möglich gewesen wäre. Das
ist jedoch weder festgestellt noch ersichtlich.
cc) Die Anordnung von Abschiebungshaft kam mithin nur zur Sicherung einer Überstellung nach [X.] gemäß Art. 16 ff. [X.] II-Verordnung in [X.], weil
der Betroffene bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht angegeben hatte, bereits in [X.] einen Asylantrag gestellt zu haben. Die darauf bezogene Prognose des Amtsgerichts, der
Durchführbarkeit einer Rücküberstellung des Betroffenen innerhalb von drei Monaten stünden keine Bedenken entgegen, ist jedoch schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil für die Berechnung dieser Frist der [X.]punkt der ersten Haftanordnung maßgebend ist (Senatsbeschluss vom 30.
Juni 2011 -
V
ZB 139/11, Rn. 5, juris, mwN). Die nach §
62 Abs.
2 Satz
4 [X.]
aF für die Beurteilung der Durchführbarkeit der Abschiebung maßge-bende Frist lief daher bereits vom Beginn der gegen den Betroffenen verhäng-19
20

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9 -
ten [X.] und nicht erst von der Anordnung der [X.] an, was sich im Übrigen daraus ergibt, dass nach §
62 Abs.
3 Satz
3 [X.] aF eine [X.] auf die Gesamtdauer der [X.] anzurechnen ist.
Die Prognose des Amtsgerichts beruhte
zudem auf einer unzureichen-den Tatsachengrundlage. Erforderlich sind konkrete Feststellungen zu dem Verfahrensablauf und zu dem [X.]raum, in dem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden. Der Tatrichter darf sich dabei nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken. So-weit diese keine konkreten Tatsachen hierzu mitteilt, obliegt es ihm gemäß §
26 FamFG nachzufragen (Senatsbeschlüsse vom 9. Juni 2011 -
V
ZB 230/10, Rn.
6 und vom 27. Oktober 2011 -
V
ZB 311/10, Rn. 6, beide in juris). Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Amtsgerichts offensichtlich nicht, weil
er
zu dem konkreten Verfahrensablauf bei einer Überstellung des Betroffenen nach [X.] keine Feststellungen enthält. Eine Nachfrage seitens des Amtsge-richts, ob und welche Schritte die Beteiligte zu
2 insoweit bereits unternommen hatte
und welche [X.] ein Aufnahme-
oder Wiederaufnahmeverfahren nach [X.] gemäß Art. 16 ff. [X.] II-Verordnung üblicherweise in Anspruch nimmt, ist nicht erfolgt.
c) Die Entscheidungen des Beschwerdegerichts
Auch die Entscheidungen
des Beschwerdegerichts über die Rechtsmittel gegen die Anordnungen von
[X.] und von
Abschiebungshaft sind rechtsfehlerhaft und haben
den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
aa) Dem auf die Anordnung der [X.] bezogenen Feststel-lungsantrag
des Betroffenen
hätte das Beschwerdegericht schon deshalb statt-geben müssen, weil es insoweit (siehe oben unter a) an einem zulässigen Haftantrag der Beteiligten zu 3 fehlte.
21
22
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-
10 -
bb) Die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde gegen den die [X.] anordnenden
Beschluss des Amtsgerichts
hält rechtli-cher Prüfung ebenfalls nicht stand.
(1) Das Beschwerdegericht hat nicht erkannt, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts
auf einer fehlerhaften, weil nicht auf konkrete Tatsachen ge-stützten
Prognoseentscheidung nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.]
aF beruhte (siehe oben b). Der Fehler ist auch nicht durch eine
in der Beschwerdeinstanz mögliche Nachholung der Prognose (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 2010 -
V
ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 14) behoben worden; das Beschwerdege-richt hat keine auf den [X.]punkt der (ersten) Haftanordnung bezogene Feststel-lungen
dazu getroffen, dass
eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten ([X.] von der ersten Anordnung der Haft) möglich erschien (vgl. Senatsbe-schluss vom 27. Oktober 2010 -
V
ZB 311/10, Rn. 8, juris).
Dieser Mangel kann -
nachdem der Betroffene abgeschoben worden ist
-
auch nicht mehr behoben werden, weil dem Betroffenen nicht mehr das rechtliche Gehör gewährt werden kann.
(2) Die Anordnung von Abschiebungshaft für einen [X.]raum von vier Monaten und einer Woche war auch nicht -
wie das Beschwerdegericht meint
-
deshalb zulässig, weil nach §
62 Abs. 3 Satz 1 [X.] aF [X.] bis zu sechs Monaten angeordnet werden
kann. Das ist lediglich die für die
Haftan-ordnung höchstzulässige Frist
(vgl. [X.], 453, 454), deren Ausschöpfung aber nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden kann. §
62 Abs. 2 Satz 4 [X.] aF lässt vielmehr erkennen, dass [X.] in der Regel nicht länger als drei Monate dauern soll (Senat, [X.] vom 6.
Mai 2010 -
V
ZB
193/09, [X.] 2010, 361, 363; Beschluss vom 25.
März 2010 -
V
ZA
9/10, NVwZ 2010, 1175, 1176 Rn. 19). Eine über diesen [X.]raum hinausgehende Haftanordnung ist nur dann zulässig, wenn aus 25

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11 -
von dem Ausländer zu vertretenden Gründen die Abschiebung erst nach mehr als drei Monaten durchgeführt werden kann.
An solchen Gründen fehlt es hier.
Eine über drei Monate hinausgehende Haftanordnung war nicht deswe-gen gerechtfertigt, weil der Betroffene bei seiner Festnahme keine Ausweispa-piere besaß. Zwar ist eine über drei Monate hinausgehende Haftanordnung zu-lässig, wenn die Passersatzpapierbeschaffung regelmäßig mehr als drei Mona-te in Anspruch nimmt,
und der Ausländer, der über keine Ausweispapiere ver-fügt, bei der Passersatzpapierbeschaffung nicht mitwirkt. Der Ausländer hat dann diejenigen Verzögerungen zu vertreten, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaats um die Feststellung seiner Identität und um die Erteilung eines [X.] ersucht werden müssen (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 -
V
ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175, 1176 Rn.
20). Anders [X.] es sich jedoch, wenn
-
wie es die Beteiligte zu 2 in ihrem Haftantrag selbst ausgeführt hat
-
die Beschaffung von Passersatzpapieren und die Abschiebung des Ausländers in seinen Heimatstaat ([X.]) auf unabsehbare [X.] nicht möglich sind. [X.], die auf einen Bürgerkrieg und auf den Zusammenbruch der zentralen Regierungsgewalt in seinem Heimatland zu-rückzuführen
sind, hat der Ausländer nicht zu vertreten.
Dass die Verzögerungen bei der Rücküberstellung nach [X.] auf einem von dem Betroffenen zu vertretenden Umstand beruht hätten, ist weder [X.] noch ersichtlich. Das Fehlen von Ausweispapieren stand einer Überstel-lung nach [X.] gemäß Art. 16 ff. [X.] II-Verordnung nicht entgegen, da der Ausländer dafür kein gültiges Ausweispapier besitzen muss. Nach Art.
7 Abs.
2 der Durchführungsverordnung zur [X.] II-Verordnung (Verordnung ([X.]) Nr. 1560/2003 vom 2.
September 2003, [X.]. [X.] vom 5.
September 2003, S.
3) ist hierfür ein Passierschein (Laissezpasser
nach Anhang IV der Verordnung)
ausreichend.
Andere vom Betroffenen zu vertretende Umstände dafür, dass dieser erst nach fast fünf Monaten Abschiebungshaft nach [X.] überstellt 28
29

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12 -
worden ist, sind nicht zu erkennen. Die Beteiligte zu 2 hat keine Gründe dafür vorgetragen, warum sie erst über einen Monat nach der Inhaftierung des Be-troffenen eine Abfrage nach Art.
11
Abs. 1 Satz 2 [X.]-Verordnung ([X.] ([X.]) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11.
Dezember 2000 über die Er-richtung von "[X.]"
für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des [X.]er-Übereinkommens, [X.].
L
316 vom 15.
Dezember 2000, S.
1) veranlasst und auch danach mit der Durchführung eines Aufnahme-
oder Wiederaufnahmeverfahrens nach [X.] gemäß Art.
16 ff. [X.] II-Verordnung lange [X.] zugewartet hat, obwohl der Betroffene be-reits bei der Vernehmung anlässlich seiner Festnahme (wie
auch bei allen [X.] Anhörungen) angegeben hat, im November 2008 auf dem Seeweg über das [X.] in [X.] (auf der [X.]) angekommen zu sein. Dass der Betroffene im Rahmen seiner ersten Anhörung nicht angegeben hat, in [X.] auch einen Asylantrag gestellt zu haben, stand einer [X.]-Abfrage nicht entgegen, da diese gerade einer solchen Überprüfung dient (Art.
11 Abs.
1 Satz 1 [X.]-Verordnung).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
81, § 83 Abs. 2 FamFG, §
128c
Abs.
3 Satz 2 [X.]; die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs. 2, §
30 Abs. 2 Satz 1 [X.].
Unter Berücksichtigung der Regelung in Art.
5 Abs. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, dem [X.] und der [X.], als denjenigen Körperschaften, denen die beteiligten [X.] angehören (vgl. §
430 FamFG) zur Erstattung der zur zweckentspre-

30

-
13 -
chenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflich-ten.
[X.]
[X.]
Czub

[X.]
Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.]
-
409 [X.] 19/10.B -
AG [X.], Entscheidung vom 08.09.2010 -
10 [X.] 35/10.B -

LG [X.], Entscheidung vom 18.11.2010 -
8 [X.] -

Meta

V ZB 305/10

09.02.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2012, Az. V ZB 305/10 (REWIS RS 2012, 9318)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9318

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