Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.02.2022, Az. 3 StR 329/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 1347

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Gegenstand

Strafbare Untreue: Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 19. März 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der Untreue aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer vom [X.] vertretenen Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte war Vorstand der [X.]. Diese hielt 43,1 Prozent der Anteile der [X.]. Der Angeklagte wollte die Anteile veräußern, was er als schwierig einschätzte. Er unterzeichnete am 16. März 2010 für die [X.] einen Vertrag mit der [X.] ([X.]), bei der es sich um einen leeren Firmenmantel mit Börsennotierung handelte. Dadurch beauftragte die [X.] die [X.] mit der Veräußerung des Aktienpaketes. Hierfür sollte die [X.] beim Zustandekommen einer Transaktion unter ihrer direkten oder indirekten Beteiligung ein Erfolgshonorar erhalten. Am 24. April 2010 unterzeichnete der Angeklagte für die [X.] einen weiteren Vertrag mit der  [X.]GmbH ( [X.]), der ebenfalls die - hier exklusive - Beratung sowie Unterstützung bei der Veräußerung der Anteile zum Gegenstand hatte und neben einem festen Beratungshonorar ein Erfolgshonorar vorsah. Die  [X.]entfaltete im Folgenden verschiedene Tätigkeiten, wie etwa die Ansprache potentieller Investoren und die Erstellung einer umfangreichen Dokumentation.

4

Parallel dazu suchte der Vorstand der [X.] in Abstimmung mit der  [X.]Investoren aus deren [X.]. Am 14. September 2010 schloss die [X.], vertreten durch den Angeklagten, einen Treuhand- und Garantievertrag mit einem Verkaufsangebot für die von der [X.] gehaltenen Stückaktien der [X.] zu einem Preis von insgesamt 11.520.000 €. Im Januar 2011 nahm eine Käuferin das Angebot an, deren Identität der Angeklagte erst am Tag der Pflichtmitteilung nach § 15 WpHG, dem 18. Januar 2011, erfuhr. Das Aktienpaket wurde übertragen und der Kaufpreis überwiesen. Am 28. Januar 2011 stellte die [X.], die nicht weiter tätig geworden war, der [X.] eine Rechnung über 1.228.080 €. Die  [X.]stellte am 7. Februar 2011 dem Angeklagten abschließend 83.335,38 € und - auf dessen Veranlassung - der [X.] ein Erfolgshonorar von 300.000 € nebst Auslagen sowie Umsatzsteuer in Rechnung. Auf Anweisung des Angeklagten zahlte die [X.] am 10. Februar 2011 an die [X.] 1.228.080 €, nachdem ihm bei Nichtzahlung mit rechtlichen Schritten gedroht worden war.

5

Die Veräußerung der Anteile stand nicht in Zusammenhang mit einer Tätigkeit der  [X.]oder der [X.]. Dies hielt der Angeklagte seit Veröffentlichung der Pflichtmitteilung für möglich und nahm es billigend in Kauf. Auf sein Geheiß wurde seitens der [X.] das Erfolgshonorar der  [X.]in Höhe von 357.480,76 € an diese überwiesen. Im Dezember 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] eröffnet.

6

2. Das [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte durch Abschluss der Verträge mit der [X.] und der  [X.]bereits in objektiver Hinsicht den Missbrauchstatbestand der Untreue nicht verwirklicht habe. In Bezug auf die Zahlungsanweisung scheide dieser "mangels rechtsgeschäftlichen Handelns" aus. Die objektiven Voraussetzungen des Treubruchtatbestandes seien zwar durch die Anweisung auf die Rechnung der [X.] erfüllt, da es sich um eine Zahlung auf eine tatsächlich nicht entstandene Verbindlichkeit handele. Allerdings fehle es insoweit am subjektiven Tatbestand; denn der Angeklagte habe sich Umstände vorgestellt, auf deren Basis sein Verhalten nicht als pflichtwidrig zu werten sei. Weil er nicht sicher gewusst habe, dass das Tätigwerden von [X.] und  [X.]in keinem Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung gestanden habe, habe ein unternehmerischer Ermessensspielraum bestanden. Angesichts eines drohenden Rechtsstreits bei Zahlungsverweigerung sei die Entscheidung zu zahlen nicht evident wirtschaftlich unvertretbar gewesen und habe im Interesse des Unternehmens gelegen.

II.

7

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch vom Vorwurf der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand; denn das [X.] hat hierzu aufgrund eines rechtsfehlerhaften [X.] nur unzureichende Feststellungen getroffen.

8

1. Die in den Urteilsgründen niedergelegten Feststellungen tragen nicht die Wertung, der Angeklagte habe in Bezug auf die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht ohne Vorsatz gehandelt.

9

a) In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass dem Vorstand einer Aktiengesellschaft bei der Leitung der Geschäfte eines Unternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Inkaufnahme der Gefahr, bei der wirtschaftlichen Betätigung Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zu unterliegen. Eine Pflichtverletzung liegt erst dann vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am [X.] orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss. Diese zum Aktienrecht entwickelten, mittlerweile als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten Grundsätze sind auch Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB (s. [X.], Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, [X.]St 61, 48 Rn. 57 mwN; Urteile vom 21. Dezember 2005 - 3 [X.], [X.]St 50, 331, 336; vom 27. Januar 2021 - 3 [X.], NStZ 2021, 738 Rn. 15; kritisch dagegen [X.]/[X.], [X.] 2021, 685). Eine Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage kann eine solche Pflichtverletzung indizieren. Diese ist letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der [X.] muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020 - 3 StR 403/19, [X.], 324 Rn. 24 mwN).

In subjektiver Hinsicht reicht grundsätzlich bedingter Vorsatz in Bezug auf die objektiven Tatbestandsmerkmale aus (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, [X.]E 126, 170, 207 f.; [X.], Urteile vom 6. April 2000 - 1 StR 280/99, [X.]St 46, 30, 34 f.; vom 11. Oktober 2000 - 3 StR 336/00, [X.], 155).

b) Nach diesen Maßstäben ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass es an einer Pflichtverletzung oder an dem entsprechenden - vom [X.] verneinten - subjektiven Tatbestand fehlt.

aa) Es erscheint bereits widersprüchlich, dass die [X.] einerseits die Zahlungsanweisung mangels einer zugrundeliegenden Honorarforderung als objektiv pflichtwidrig angesehen, andererseits einen Vorsatz des dies in Kauf nehmenden Angeklagten verneint hat. Wenn das Verhalten des Angeklagten pflichtwidrig war und er die dafür maßgeblichen Umstände für möglich hielt sowie hinnahm, erschließt sich nicht, wieso ein entsprechender bedingter Vorsatz nicht gegeben war. [X.] dagegen die Zahlung noch innerhalb des unternehmerischen [X.], wäre sie nicht pflichtwidrig.

bb) Ungeachtet dessen rechtfertigen die festgestellten Tatsachen für sich gesehen nicht die im Rahmen des subjektiven Tatbestands dargelegte Schlussfolgerung der [X.], der Angeklagte habe keine evident unvertretbare wirtschaftliche Entscheidung getroffen. Die Urteilsgründe erweisen sich insoweit als lückenhaft. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, aufgrund welcher Informationslage er die Überweisung veranlasste. Ob er insoweit den zu beachtenden Anforderungen gerecht wurde und pflichtgemäß handelte, lässt sich daher nicht prüfen.

Zu Informationspflichten von Vorstandsmitgliedern ist anerkannt, dass sie grundsätzlich in der konkreten Entscheidungssituation die Ausschöpfung aller verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art verlangen, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen. Die konkrete Entscheidungssituation ist danach der Bezugsrahmen des Ausmaßes der Informationspflichten. Dementsprechend ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des [X.] und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung "angemessene" Tatsachenbasis verschafft; je nach Bedeutung der Entscheidung ist eine breitere Informationsbasis rechtlich zu fordern. Dem Vorstand steht danach letztlich ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zu, den Informationsbedarf zur Vorbereitung seiner unternehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen. Ausschlaggebend ist dabei nicht, ob die Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Informationen getroffen wurde und dem Wohle der Gesellschaft diente, sondern es reicht aus, dass der Vorstand dies vernünftigerweise annehmen durfte. Die Beurteilung des Vorstands im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung muss aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters vertretbar erscheinen (s. insgesamt [X.], Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 [X.], NJW 2017, 578 Rn. 34 mwN).

Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es bleibt offen, ob und gegebenenfalls wie sich der Angeklagte etwa über die Berechtigung der gegen die [X.] erhobenen Forderungen und das Risiko eines angedrohten Rechtsstreits informierte beziehungsweise in der konkreten Situation hätte informieren müssen. Nach den getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass die Zahlung allein auf Anforderung der Vertragspartner und Drohung mit einem Rechtsstreit unternehmerisch vertretbar war. Dabei ist unter anderem von Belang, dass die Käuferin aus dem Kreis der Aktionäre der [X.] stammte, es sich bei der [X.] um einen leeren Firmenmantel handelte und die Höhe der Forderung Anlass für eine sorgfältige Prüfung hätte geben können.

2. Die Sache ist mithin bereits wegen des zuvor [X.] zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen; denn eine vorsätzliche Pflichtverletzung ist nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt worden, und eine Strafbarkeit des Angeklagten scheidet nicht aus sonstigen Gründen von vornherein aus. Eine Auseinandersetzung mit weiteren von der [X.] angeführten Erwägungen, etwa zum Ausschluss des [X.] (vgl. dagegen beispielsweise [X.], Urteil vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, [X.], 92 Rn. 52 ff.), ist danach entbehrlich.

Die bisherigen Feststellungen sind insgesamt aufzuheben, da der Angeklagte sie angesichts des Freispruchs mangels Beschwer nicht hat angreifen können (vgl. [X.], Urteil vom 11. März 2021 - 3 [X.], juris Rn. 17). Daher bedarf keiner weiteren Erörterung, ob sie durch eine fehlerfreie Beweiswürdigung belegt sind.

In der neuen Hauptverhandlung wird näher in den Blick zu nehmen sein, ob eine objektive Pflichtverletzung vorliegt (s. oben unter II. 1. b). Dafür können insbesondere die zivilrechtliche Lage und der - tatsächliche sowie zu verlangende - Informationsstand des Angeklagten eingehender zu beleuchten sein.

Berg     

      

[X.]     

      

Paul   

      

Anstötz     

      

[X.]     

      

Meta

3 StR 329/21

10.02.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Düsseldorf, 19. März 2021, Az: 14 KLs 2/18

§ 266 Abs 1 StGB, § 93 Abs 1 S 2 AktG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.02.2022, Az. 3 StR 329/21 (REWIS RS 2022, 1347)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1347

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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