Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.04.2017, Az. 2 ARs 348/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 12277

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Gegenstand

Vollstreckung gegen Jugendliche: Zurücknahme der jugendrichterlichen Leitung


Tenor

Die Vollstreckung der Restjugendstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 19. April 2012 obliegt dem Jugendrichter beim [X.].

Gründe

1

1. Der am 31. Dezember 1991 geborene Verurteilte wurde durch Urteil des [X.] vom 24. Februar 2011 wegen eigenmächtiger Abwesenheit in zwei tatmehrheitlichen Fällen verwarnt, die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Am 12. Juli 2011 verurteilte das [X.] den Verurteilten wegen Misshandlung von [X.] zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten, wobei es von der Einbeziehung des Urteils des [X.] vom 24. Februar 2011 absah. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils verbüßte der Verurteilte die Jugendstrafe seit dem 14. Oktober 2011 in der [X.]; am 14. November 2011 wurde er in die [X.] verlegt.

2

Durch Urteil des [X.] vom 19. April 2012 wurde der Verurteilte wegen der im Urteil vom 24. Februar 2011 festgestellten eigenmächtigen Abwesenheit in zwei Fällen unter Einbeziehung des Urteils des [X.] vom 12. Juli 2011 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die er weiterhin in der [X.] verbüßte. Der Jugendrichter beim [X.] beschloss am 24. Oktober 2012, den Rest der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen und übertrug im Hinblick auf die Auflage, den Wohnsitz in [X.] zu nehmen, die [X.] an das dortige Amtsgericht. Am 2. November 2012 wurde der Verurteilte aus der Haft entlassen und verzog in der Folge nach [X.]. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2014 übernahm das [X.] wieder die „nachträglichen Entscheidungen, die sich auf die Strafaussetzung zur Bewährung [...] beziehen“, und die „weitere Vollstreckung“ und übertrug sie zugleich dem Amtsgericht [X.], das die Bewährungsaufsicht mit Beschluss vom 12. Dezember 2014 übernahm. Der vom Amtsgericht [X.] bestellte Bewährungshelfer versuchte mehrfach erfolglos, den Verurteilten zu erreichen; an diesen gerichtete Schreiben kamen als unzustellbar zurück. Die Staatsanwaltschaft [X.] beantragte mit Verfügung vom 6. August 2015, die Bewährung zu widerrufen und den Bewährungsbeschluss öffentlich zuzustellen. In der Folge wurde eine Meldeanschrift des Verurteilten in [X.] ermittelt. Daraufhin übersandte das Amtsgericht [X.] mit Verfügung vom 26. August 2015 die Akten dem [X.] mit der Bitte um Rückübernahme und Abgabe an das Amtsgericht [X.]. Mit Beschluss vom 8. September 2015 übertrug das [X.] „die weiteren, die Strafaussetzung zur Bewährung betreffenden Entscheidungen gemäß §§ 462a Abs. 2 Satz 2, 453 Abs. 1 StPO“ an das Amtsgericht [X.]. Dieses übernahm „die Bewährungsaufsicht“ mit Verfügung vom 15. September 2015. Nachdem Versuche des vom Amtsgericht [X.] bestellten Bewährungshelfers, mit dem Verurteilten Kontakt aufzunehmen, erfolglos geblieben waren, wurde festgestellt, dass dieser sich vier Wochen lang bei seinem Bruder in [X.] aufgehalten hatte und dann in das ebenfalls zum Bezirk des Amtsgerichts [X.] gehörende [X.] umgezogen war. In [X.] meldete sich der Verurteilte aber zu keinem Zeitpunkt an. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 14. Dezember 2015 widerrief das Amtsgericht [X.] die Strafaussetzung zur Bewährung.

3

Das [X.] lud den Verurteilten mit Verfügung vom 23. Februar 2016 zum [X.]. Das Schreiben konnte jedoch nicht zugestellt werden. Ermittlungen der Polizei in [X.] ergaben, dass der Verurteilte sich seit Dezember 2015 dort nicht mehr aufhielt, sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt.

4

Die Staatsanwaltschaft [X.] und das [X.] halten das [X.] für zuständig, das [X.] hingegen das Amtsgericht [X.]. Mit Verfügung vom 25. August 2016 hat das Amtsgericht [X.] die Sache dem [X.] zur Bestimmung des für die weitere Vollstreckung zuständigen Gerichts vorgelegt.

5

2. Der [X.] ist als gemeinschaftliches oberes Gericht nach § 14 StPO, § 2 Abs. 2 [X.] zur Entscheidung des [X.] berufen, weil die Amtsgerichte [X.], [X.] und [X.] im Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Oberlandesgerichte ([X.], [X.] und [X.]) liegen.

6

3. Der Jugendrichter beim [X.] als [X.] nach § 85 Abs. 2 [X.] ist verpflichtet, die [X.] zurückzunehmen.

7

a) Mit der Aufnahme des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt [X.] ging die zunächst gemäß §§ 82 Abs. 1, 84 Abs. 1 [X.] beim [X.] als Gericht des ersten Rechtszugs liegende [X.] nach § 85 Abs. 2 [X.] kraft Gesetzes auf den Jugendrichter beim [X.] über. Trotz der weiteren Übertragungen der Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 5 [X.] blieb der [X.] nach § 85 Abs. 2 [X.] „Herr des Verfahrens“, denn die Abgabe nach § 85 Abs. 5 [X.] ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung stets widerruflich (Senat, Beschluss vom 23. März 2005 - 2 [X.], [X.], 644 mwN). Daraus folgt, dass der [X.] gemäß § 85 Abs. 2 [X.] das Recht, aber auch die Pflicht behält, bei Änderung der Verhältnisse seine Entscheidung nachzuprüfen und, wenn erforderlich, die Übertragung rückgängig zu machen und ein anderes Gericht mit den weiteren Aufgaben zu betrauen. Die Verpflichtung des [X.]s nach § 85 Abs. 2 [X.], bei einer Änderung der Umstände tätig zu werden, ist auch deshalb sachgerecht, weil der gemäß § 85 Abs. 5 [X.] mit der [X.] beauftragte Jugendrichter die Sache nicht weitergeben darf (Senat aaO). Diese durch § 85 Abs. 2 [X.] begründete Zuständigkeit bleibt daher auch dann bestehen, wenn - wie hier mit dem Amtsgericht [X.] - ein örtlich unzuständiges Gericht zwischenzeitlich eine die Strafvollstreckung betreffende Entscheidung getroffen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Dezember 1977 - 2 [X.] 415/77, BGHSt 27, 329, 332).

8

b) Für eine Verpflichtung des [X.] beim [X.], die [X.] zurückzunehmen, sprechen im konkreten Fall praktische Gesichtspunkte. Die Übertragung der [X.] an das Amtsgericht [X.] durch Beschluss vom 8. September 2015 war zwar zum damaligen Zeitpunkt nach § 85 Abs. 5 [X.] unter dem Gesichtspunkt der Wohnortnähe gerechtfertigt und sachlich geboten. Dadurch, dass sich der Verurteilte seit Dezember 2015 nicht mehr im Bezirk des Amtsgerichts [X.] aufhält und unbekannten Aufenthalts ist, ist jedoch der wichtige Grund für die Übertragung der [X.] wieder entfallen. Im Falle der Verhaftung des Verurteilten wäre unter dem Gesichtspunkt der [X.] eine Übertragung der [X.] an das Amtsgericht geboten, in dessen Bezirk die aufnehmende Justizvollzugsanstalt liegt. Diese könnte nur der Jugendrichter beim [X.] vornehmen, dem Jugendrichter beim Amtsgericht [X.] wäre sie im Hinblick auf die ihm nur über § 85 Abs. 5 [X.] begründete Zuständigkeit untersagt (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 2 [X.] 259/02, [X.], 29). Auch zu einer Übertragung der Vollstreckung auf die Staatsanwaltschaft nach § 85 Abs. 6 [X.] wäre der Jugendrichter beim Amtsgericht [X.] nicht befugt.

Appl     

       

Krehl     

       

Eschelbach

       

Zeng     

       

Grube     

       

Meta

2 ARs 348/16

20.04.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 85 Abs 2 JGG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.04.2017, Az. 2 ARs 348/16 (REWIS RS 2017, 12277)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12277

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Referenzen
Wird zitiert von

2 ARs 446/23

2 ARs 348/16

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