OLG München, Urteil vom 25.10.2018, Az. 29 U 2030/18

29. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 16198

UNLAUTERER WETTBEWERB VERGABERECHT

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Gegenstand

Rechtsschutzbedürfnis für lauterkeitsrechtliche Unterlassungsbegehren in einem Vergabeverfahren: Hier bejaht.


Tenor

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des [X.] vom 18. April 2018 aufgehoben.

[X.] Der Antragsgegnerin wird unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, die Ordnungshaft zu vollstrecken am Geschäftsführer, verboten,

im geschäftlichen Verkehr zu behaupten oder behaupten zu lassen, die Klassifizierung „[X.], d0“ sei mit [X.] im aufgeklebten Zustand nicht möglich, wie gesche-hen in der in der Anlage [X.] wiedergegebenen Bieterfrage:

[Abbildung AS5 entfernt]

I[X.] Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe

I.

1

Von einem Tatbestand wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

2

Die zulässige Berufung ist begründet.

3

1.

4

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere fehlt ihm nicht das Rechtsschutzbedürfnis.

5

a)

6

Einer Klage auf Unterlassung von Äußerungen, die der Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, fehlt regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass auf den Ablauf eines rechtsstaatlich geregelten Verfahrens nicht dadurch Einfluss genommen werden und seinem Ergebnis nicht dadurch vorgegriffen werden soll, dass ein an diesem Verfahren Beteiligter durch Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche in seiner Äußerungsfreiheit eingeengt wird. Die Relevanz des Vorbringens soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geklärt werden (vgl. [X.], 647 - Rechtsmissbräuchlicher Zuschlagsbeschluss Rn. 12; GRUR 2013, 305 - Honorarkürzung Rn. 14; [X.], 253 - Fischdosendeckel Rn. 14; [X.], 587 [589] - Bilanzanalyse Pro 7; jeweils m. w. N.).

7

Für die Privilegierung von Äußerungen in einem behördlichen Verfahren ist allerdings erforderlich, dass die Interessenlage derjenigen in einem gerichtlichen Verfahren entspricht (vgl. [X.], a. a. [X.], - Bilanzanalyse Pro 7). Entsprechend sind Angaben in einer Patentschrift als privilegiert angesehen worden, weil es sich ausschließlich nach den für die Patenterteilung geltenden Rechtsvorschriften des [X.]es richtet, welche Angaben in eine Patentschrift aufzunehmen sind, Rechtsstreitigkeiten darüber in den dafür nach dem [X.] vorgesehenen Verfahren auszutragen sind und eine davon gesonderte Rechtsverfolgung vor den ordentlichen Gerichten mit den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens des im [X.] mit einer eigenen Ordnung geregelten Verfahrens der Erteilung von Patenten unvereinbar wäre (vgl. [X.], a. a. [X.], - Fischdosendeckel Rn. 13). Die Vergleichbarkeit mit einem gerichtlichen Verfahren ist auch bejaht worden für Hinweise an Landesmedienanstalten auf vermeintliche Missstände zur Herbeiführung eines Verwaltungsverfahrens, das auf Maßnahmen zur Sicherung der Meinungsvielfalt gerichtet ist (vgl. [X.], a. a. [X.], - Bilanzanalyse Pro 7). Dagegen sind Äußerungen eines Konkursverwalters in seinem Erstbericht vor der Gläubigerversammlung nicht als privilegiert angesehen worden, weil diese weder von der Gläubigerversammlung noch vom Konkursgericht in einer einem gerichtlichen Verfahren mit Erkenntnischarakter vergleichbaren Art auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden konnten (vgl. [X.] GRUR 1995, 66 [67] - Konkursverwalter).

8

b)

9

Nach diesen Grundsätzen ist die beanstandete, im Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren abgegebene Äußerung nicht mit der Folge privilegiert, dass für ein gerichtliches Vorgehen gegen sie das Rechtsschutzbedürfnis fehlte.

10

Das Vergabeverfahren wird zwar von öffentlichen Auftraggebern [X.] § 99 GWB (und Sektorenauftraggebern [X.] § 100 GWB) durchgeführt. Es dient aber nicht der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben dieser Auftraggeber, sondern lediglich der transparenten Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen unter Wahrung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit (vgl. § 97 Abs. 1 GWB). Das Vergaberecht enthält - anders als das Patentrecht - kein in sich geschlossenes Rechtsschutzsystem, das eine Verfolgung von Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht ausschlösse; es regelt vielmehr nicht einmal die zivilrechtlichen Ansprüche gegen den öffentlichen Auftraggeber abschließend, die im [X.] geltend gemacht werden können (vgl. [X.] GRUR 2008, 810 - Kommunalversicherer Rn. 11 m. w. N.).

11

Insbesondere erlaubt das Vergabeverfahren nicht die Überprüfung des [X.] von Angaben eines Bieters zum Gegenstand des öffentlichen Auftrags, denn es dient nicht der Bestimmung des Auftragsgegenstandes, sondern setzt diesen voraus. Eine Äußerung, durch die - wie im Streitfall - ein Auftraggeber dazu bewegt werden soll, den Auftragsgegenstand zu modifizieren, kann zwar anlässlich eines Vergabeverfahrens erfolgen, ist aber nicht integraler Bestandteil dieses Verfahrens, sondern betrifft einen diesem vorgelagerten Umstand. Es besteht kein wesentlicher Unterschied zu einer entsprechenden Äußerung gegenüber einem privaten - nicht an das Vergaberecht gebundenen - Auftraggeber, um diesen zu einer Änderung der Leistung zu veranlassen, die er nachfragt. Das vom öffentlichen Auftraggeber durchzuführende Vergabeverfahren wird mithin durch die gesonderte Rechtsverfolgung vor den ordentlichen Gerichten wegen einer solchen Äußerung nicht beeinträchtigt, so dass für eine Privilegierung [X.] Veranlassung besteht.

12

2.

13

Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 UWG zu.

14

a)

15

Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerin [X.] § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert.

16

b)

17

Die beanstandete Aussage der Antragsgegnerin stellt auch eine geschäftliche Handlung [X.] § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar.

18

c)

19

Die beanstandete Aussage ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG irreführend, weil sie eine zur Täuschung geeignete Angabe über die Verfügbarkeit der vom [X.] nachgefragten Ware enthält.

20

Die Antragsgegnerin behauptet darin, der im Leistungsverzeichnis geforderte Baustoffklasse [X.] d0 gemäß [X.] sei mit Wandschutz im aufgeklebten Zustand nicht möglich.

21

Die Antragstellerin hat indes durch die Vorlage jedenfalls der Klassifizierung durch BM-TRADA ([X.]. [X.]) und des Berichts des [X.] ([X.]. [X.]) glaubhaft gemacht, dass die Klassifizierung [X.] d0 gemäß [X.] für einen Kunst-stofframmschutz in der im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Stärke von 1,5 mm im aufgeklebten Zustand möglich ist; ob insoweit auch der Klassifizierungsbericht der [X.] ([X.]. [X.]) geeignet sein kann, der ein Wandschutzsystem mit einer Stärke von 1,0 mm betrifft, kann deshalb dahinstehen.

22

Dem tritt die Antragsgegnerin auch nicht entgegen. Sie beruft sich vielmehr darauf, dass eine Verklebung mit nur 85 g/m2 PU-Kleber, wie sie den in den [X.]agen [X.] und [X.] dokumentierten Prüfungen zugrunde lag, nicht praxistauglich sei, weil für eine fachgerechte, insbesondere dauerhafte Verklebung 250 - 405 g/m2 PU-Kleber erforderlich seien. Damit bringt sie darüber hinaus zum Ausdruck, dass unter Verwendung dieser Klebermengen die Anforderungen für eine Klassifizierung [X.] d0 nicht eingehalten werden könnten.

23

Die Einschränkung, dass die im Leistungsverzeichnis geforderte Klassifizierung nur unter bestimmten Umständen nicht erreicht werde, ist jedoch der pauschal gehaltenen, die Möglichkeit der Einhaltung dieser Anforderung schlechthin abstreitenden Äußerung nicht zu entnehmen.

24

Diese ist deshalb unzutreffend und damit irreführend.

25

d)

26

Die Äußerung ist auch geeignet, einen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (§ 5 Abs. 1 Satz 1 UWG), da sie den entsprechende Waren [X.] dazu veranlassen kann, auf eine andere Ware auszuweichen, wie schon der Umstand zeigt, dass der [X.] so vorgegangen ist.

27

e)

28

Der Antrag ist auch zu Recht nicht auf Äußerungen im Rahmen von Vergabeverfahren beschränkt.

29

Eine Verletzungshandlung begründet die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern für alle im [X.] gleichartigen Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (st. Rspr., vgl. [X.] GRUR 2016, 395 - [X.] Rn. 38 m. w. N.).

30

Der Umstand, dass die beanstandete Äußerung anlässlich eines Vergabeverfahrens erfolgte, stellt sich nicht als charakteristisch für die konkrete Verletzungsform dar. Insoweit ist das Charakteristische vielmehr darin zu sehen, dass einem potentiellen Auftraggeber eine unzutreffende Information über die Verfügbarkeit von [X.] mit der hier geforderten Klassifizierung gegeben wurde.

III.

31

Zu den Nebenentscheidungen:

32

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

33

Für die Zulassung der Revision ist im Streitfall, dem ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, kein Raum (vgl. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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Meta

29 U 2030/18

25.10.2018

OLG München 29. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

§ 99 GWB, § 100 GWB, § 8 UWG

Zitier­vorschlag: OLG München, Urteil vom 25.10.2018, Az. 29 U 2030/18 (REWIS RS 2018, 16198)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 16198

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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