Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.05.2012, Az. I S 5/12

1. Senat | REWIS RS 2012, 6053

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anhörungsrüge - Überraschungsentscheidung - Nichtzulassungsverfahren


Leitsatz

1. NV: Es bleibt offen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision auf den Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung gestützt werden kann.

2. NV: An Letzterem fehlt es jedenfalls, wenn der Beschwerdebeschluss die aufgeworfene Rechtsfrage mit Rücksicht auf die bereits vorliegende Rechtsprechung als nicht klärungsfähig angesehen hat.

Tatbestand

1

Die wegen Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde der Klägerin, Beschwerdeführerin und Rügeführerin (Klägerin), einer GmbH, hat der [X.] mit Beschluss vom 15. Februar 2012 [X.]/11 ([X.], 882, [X.], 458) als unbegründet zurückgewiesen. Nach dem Beschluss kommt der Frage, ob Zinsen auf erstattete Körperschaftsteuerzahlungen (sog. Erstattungszinsen) das Einkommen der Kapitalgesellschaften erhöhen, keine grundsätzliche Bedeutung zu.

2

Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. März 2012 die Anhörungsrüge nach § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben und hierbei vor allem geltend gemacht, dass der [X.]sbeschluss in [X.], 882 deshalb ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1  des Grundgesetzes --GG--) verletze, weil sie im Beschwerdeverfahren lediglich zu den Gründen für die Zulassung der Revision vorgetragen, der [X.] hingegen --weiter gehend-- materiell-rechtlich zu der Frage der Steuerbarkeit von Erstattungszinsen Stellung genommen habe. Da die Klägerin hiermit nicht habe rechnen können, sei sie durch die Beschwerdeentscheidung nicht nur überrascht worden; vielmehr hätte der [X.] zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass es für seine Entscheidung --abweichend von § 115 FGO-- auf die materielle Rechtslage ankomme.

Entscheidungsgründe

3

Die Rüge ist nicht in zulässiger Form erhoben und deshalb zu verwerfen (§ 133a Abs. 4 Satz 1 FGO).

4

Nach § 133a Abs. 2 Satz 5 FGO muss die Rüge die in Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift genannten Voraussetzungen und damit darlegen, dass der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Letzteres betrifft vor allem die Rüge, dass in der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen worden ist (vgl. z.B. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 28. November 2011 [X.], [X.], 433). Ob und unter welchen Voraussetzungen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision auch auf den Gesichtspunkt der Überraschungsentscheidung gestützt werden kann (vgl. --zurückhaltend-- [X.] vom 19. Juli 2011 [X.]/10 [X.] 2011, 1902), bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Klägerin es jedenfalls versäumt hat, einen solchen Rechtsverstoß schlüssig darzulegen (s. dazu Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 133a Rz 12, m.w.N.).

5

Kennzeichen einer verfassungswidrigen Überraschungsentscheidung ist, dass das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte stützt, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis nicht zu rechnen brauchte ([X.] in [X.] 2011, 1902, m.w.N.). Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe nicht damit rechnen können, dass der Senat eine materielle Entscheidung zur Steuerbarkeit der Erstattungszinsen treffen und deshalb die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisen werde, ist dieser Vortrag erkennbar nicht geeignet, eine Überraschungsentscheidung im vorbezeichneten Sinne darzulegen. Die Klägerin hat insoweit außer [X.] gelassen, dass einer Rechtssache u.a. dann --mangels [X.] keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommt, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage eindeutig in dem von der Vorinstanz vertretenen Sinne zu beantworten ist oder die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Befassung des [X.] mit der Frage erfordern (Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 28, mit umfangreichen Nachweisen). Demgemäß hätte auch die Klägerin bereits im Rahmen ihres [X.] damit rechnen müssen, dass der beschließende Senat --wie geschehen-- von seiner bisherigen Auffassung, nach der Erstattungszinsen das Einkommen von Kapitalgesellschaften erhöhen, ausgeht und --wie gleichfalls geschehen-- die hiergegen aus dem BFH-Urteil vom 15. Juni 2010 [X.] ([X.], 109, [X.], 503 betreffend die einkommensteuerliche Behandlung von Erstattungszinsen) abgeleiteten Einwände einschließlich der hiermit verbundenen verfassungsrechtlichen Aspekte zumindest anhand der vorliegenden Rechtsprechung einer materiellen Prüfung unterzieht. Hiernach hätte es, was die Klägerin ebenfalls nicht hinreichend beachtet hat, zudem der substantiierten Darlegung bedurft, in welchem Umfang die angegriffene Beschwerdeentscheidung auf neuen, die Klägerin überraschenden, rechtlichen Gesichtspunkten beruht.

6

Die Kostenpflicht für das Rügeverfahren ergibt sich aus Nr. 6400 des [X.] zum Gerichtskostengesetz --GKG-- (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG i.d.[X.] über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör --Anhörungsrügegesetz-- vom 9. Dezember 2004, [X.], 3220). Es fällt eine Festgebühr von 50 € an.

Meta

I S 5/12

24.05.2012

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend BFH, 15. Februar 2012, Az: I B 97/11, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 133a FGO, § 115 FGO, § 116 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.05.2012, Az. I S 5/12 (REWIS RS 2012, 6053)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6053


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 1407/12, 2 BvR 1608/12

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1407/12, 2 BvR 1608/12, 12.05.2015.


Az. I S 5/12

Bundesfinanzhof, I S 5/12, 24.05.2012.


Az. I B 97/11

Bundesfinanzhof, I B 97/11, 15.02.2012.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII B 88/20 (Bundesfinanzhof)

(Prozesszinsen nach § 236 AO als Kapitaleinkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG)


III S 41/10 (Bundesfinanzhof)

Anhörungsrüge wegen Überraschungsentscheidung über Nichtzulassungsbeschwerde


I S 8/14 (Bundesfinanzhof)

Anhörungsrüge: Keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Verzicht auf Begründung der Entscheidung über …


III B 97/11 (Bundesfinanzhof)

Beurteilung der Kindergeldberechtigung für ein auswärts studierendes Kind - Einzelfallwürdigung - Überraschungsentscheidung


VI B 109/09 (Bundesfinanzhof)

Steuerliche Qualifikation der Zahlung einer Gesellschaft an ihren Vorstand für eine zugesagte, aber nicht vollzogene …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.