Bundespatentgericht, Urteil vom 17.02.2010, Az. 4 Ni 14/09 (EU)

4. Senat | REWIS RS 2010, 9267

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsverfahren - "schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen" - zur Feststellungslast


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 771 048

( DE 596 06 276 )

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2010 durch [X.], [X.] Dr.-Ing. [X.], [X.], [X.] und Dipl.-Ing. J. Müller

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] erteilten [X.] Patents 0 771 048 ([X.]), das am 21. Oktober 1996 unter Inanspruchnahme der Prioritäten zweier [X.] Patentanmeldungen angemeldet worden ist.

2

Das in [X.] [X.] veröffentlichte [X.], das vom [X.] unter der Nummer [X.] geführt wird, ist in einem Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem [X.] beschränkt aufrechterhalten worden. Das [X.] betrifft eine schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen und umfasst gemäß der geänderten Patentschrift [X.] - ([X.]schrift) vier Patentansprüche.

3

Patentanspruch 1 hat danach folgenden Wortlaut:

Abbildung

4

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 wird auf die [X.]schrift verwiesen.

5

Die Klägerin behauptet, das [X.] offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Es sei zum einen nicht klar, wie nach der patentgemäßen Lehre scharfe Kanten an den Endbereichen der schlauchförmigen Hülle vermieden werden könnten. Auch stelle sich die Frage, wie bei zwei herausgeführten Leitern eine hinreichende Isolation der beiden Leiter zu erreichen sei.

6

Ferner sei der Gegenstand des [X.]s nicht patentfähig. Eine schlauchförmige Hülle gemäß dem [X.] sei gegenüber der [X.] Offenlegungsschrift

7

NK 10 DE 41 10 455 [X.]

8

nicht neu

9

[X.] beruhe zudem nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Hierzu beruft sich die Klägerin auf folgende Druckschriften:

NK7 DE 34 39 699 [X.]

NK 8 GB 1 604 986

NK 9 US 3 908 267

NK 11 US 3 385 922

NK 12 US 2 997 411

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 0 771 048 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und trägt vor, die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe seien nicht gegeben.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Im Hinblick auf den zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents bekannten Stand der Technik ist nicht zu erkennen, dass der Gegenstand des Streitpatents für den hier angesprochenen Fachmann - einen Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Elektrotechnik, der auch über Kenntnisse aus dem Bereich der Kunststoff- und Verfahrenstechnik verfügt - nahe gelegen hat (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1, 4 [X.]).

Mit dem Patentanspruch 1 haben auch die angegriffenen und auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 Bestand.

II.

1. Das Streitpatent betrifft eine schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen. Solche Hüllen werden von der [X.] als im Stand der Technik bekannt vorausgesetzt, etwa durch die Druckschrift [X.] 10 455 [X.] ([X.]) (vgl. Abs. [0004] der [X.]), wobei eine bekannte Ausführung aber den Nachteil haben soll, dass an beiden Enden der Hülle beim Flachpressen sichelförmige Flächen entstünden. Diese stünden nach außen scharfkantig vor und könnten im Verlauf des Einbaus in eine Schaltung oder ein Gerät zu Verletzungen benachbarter Komponenten oder Leitungen führen (vgl. Abs. [0002] und [0003] der [X.]).

2. Vor diesem Hintergrund soll es Aufgabe der streitpatentgemäßen Erfindung sein, eine isolierende Hülle für elektrische Bauteile zu schaffen, bei der die Verletzungsgefahr benachbarter Komponenten durch ein derart isoliertes Bauteil auf ein Minimum reduziert ist (Abs. [0005] der [X.]).

3. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 (mit einer von der Patentinhaberin eingeführten Merkmalsgliederung) eine Hülle mit folgenden Merkmalen vor:

„1. Schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen,

1.1 deren überstehende [X.] unter Einhaltung der elektrisch notwendigen Abstände durch Flachpressen verschlossen sind,

 dadurch gekennzeichnet, dass

1.2 der zu verschließende Endbereich (2, 2a und 7, 7a) der Hülle (1 bzw. 7) vor dem Verpressen an gegenüberliegenden Seiten faltenförmig (Falten 3, 4 und 8, 9) eingeschlagen ist, und

1.3 die Falten (3, 4 und 8, 9) so tief sind, dass die verschlossenen [X.] (2, 2a und 7, 7a) gegenüber dem übrigen [X.] keilförmig verjüngt sind.“

4. Der Patentanspruch 1 unterliegt folgendem Verständnis des Fachmanns:

a) Die elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelemente sind zwar im [X.] lediglich als Verwendungsangabe genannt, jedoch wird dadurch eindeutig angegeben, dass die erfindungsgemäße Hülle in ihrem verschlossenen Endzustand ein elektrisches Bauelement umgeben muss (Merkmal 1).

b) Auch Verbindungsstellen zweier elektrischer Leiter fallen unter den Sammelbegriff „elektromechanische Bauelemente“, da über die Struktur oder Funktion der Bauelemente im Patentanspruch 1 - d. h. etwas über ein elektrisches Bauelement in seiner allgemeinsten Fassung [X.] - im Einzelnen nichts ausgeführt ist (Merkmal 1).

c) Durch die Angabe in Merkmal 1.1 „unter Einhaltung der elektrisch notwendigen Abstände“ ist festgelegt, dass mit der in Merkmal 1 genannten „Isolation“ eine elektrische Isolation gemeint ist.

d) Die Angabe, dass die verschlossenen [X.] gegenüber dem übrigen [X.] „keilförmig verjüngt“ sind, bezieht sich auf [X.], die durch die flachgepressten [X.] definiert ist (Merkmal 1.3).

e) [X.] 1.2 „vor dem Verpressen …. eingeschlagen“ ist insofern Gegenstand der Lehre des Patentanspruchs 1, als dadurch die erfindungsgemäße Hülle in ihrem Endzustand in der Weise gekennzeichnet wird, dass ihre Beschaffenheit für einen Fachmann eindeutig identifizierbar ist und vom Stand der Technik unterschieden werden kann. Dies gilt ungeachtet der Möglichkeit, dass - wie die Klägerin vorgetragen hat - vorher gebildete Falten nahezu bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen sein können, so dass ihr Vorhandensein ggf. nur unter Zuhilfenahme technischer Mittel (z. B. eines Elektronenmikroskops) feststellbar ist.

III.

1. Die schlauchförmige Hülle gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents ist gegenüber dem Stand der Technik, wie er in der Verhandlung diskutiert wurde, neu:

[X.]) in der Ausführung gemäß der obigen Figuren 1 und 2 als auch aus der Druckschrift [X.] 2 997 411 ([X.]) (in der Ausführung gemäß der dortigen Figur 7) ist eine schlauchförmige Hülle zur Isolation eines elektromechanischen und/oder elektronischen [X.] (dort eines Verbinders) bekannt, wobei anders, als erfindungsgemäß vorgesehen, nicht beide [X.] unter Einhaltung der elektrisch notwendigen Abstände durch Flachpressen verschlossen sind, sondern nur ein einzelner Endbereich.

Außerdem sind anders als im Merkmal 1.3 angegeben, die verschlossenen [X.] weder in [X.] 10 455 [X.] ([X.]) noch in [X.] 2 997 411 ([X.]) gegenüber dem übrigen [X.] keilförmig verjüngt. Vielmehr verlängert gemäß der in den Figuren 1 und 2 der [X.] 10 455 [X.] ([X.]) dargestellten Ausführungsform der Endbereich 20 die Kontur des übrigen [X.]s 10 geradlinig. Gemäß Figur 7 der [X.] 2 997 411 ([X.]) ergibt sich sogar eine Verbreiterung des [X.]s gegenüber dem übrigen [X.]. Selbst wenn man die in den Figuren 8 bis 10 der [X.] 2 997 411 gezeigten Stempel zum Verpressen des [X.]s verwendete, ergäbe sich eine Ausgestaltung, die nicht über die Lehre der [X.] 10 455 [X.] ([X.]) hinausginge, also keine Verjüngung.

In einer alternativen Ausführungsform der Lehre der [X.] 2 997 411 ([X.]) ist in den Figuren 1 bis 6 zwar ein Herstellungsprozess dargestellt, bei der eine schlauchförmige Hülle 12 vor dem Verpressen entsprechend Merkmal 1.2 faltenförmig eingeschlagen wird, jedoch wird der Endbereich der Hülle dabei nicht flachgepresst, sondern bildet eine Sternform, die sich außerdem gegenüber dem übrigen [X.] nicht verjüngt, sondern verbreitert.

[X.]) , die eine Einlage für Schrumpfmuffen zum Gegenstand hat, sind zwar keilförmig verjüngte [X.] bekannt. Diese mit Metallfolie beschichtete Einlage dient aber weder der elektrischen Isolation des eingeschlossenen Bauelements noch sind die [X.] flachgepresst faltenförmig eingeschlagen.

[X.]) zeigt keine schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen, sondern eine feuchtigkeitsdichte schlauchförmige Hülle als Verpackung 28 eines elektrischen Bauelements, die vor dem Verwenden des Bauteils entfernt wird ([X.]. 1 / Abstract). Deren überstehende [X.] sind durch Flachpressen verschlossen, und der zu verschließende Endbereich der Hülle ist vor dem Verpressen an gegenüberliegenden Seiten faltenförmig eingeschlagen. Da die Hülle gemäß [X.] 3 385 922 jedoch nicht zur elektrischen Isolation dient, sondern vordergründig feuchtigkeitsdicht sein soll, sind elektrisch notwendige Abstände in dieser Druckschrift nicht thematisiert. Außerdem ist weder der zeichnerischen Darstellung noch der Beschreibung zu entnehmen, dass die Falten so tief sind, dass die verschlossenen [X.] gegenüber dem übrigen Hüllenkörper keilförmig verjüngt sind.

2. Die schlauchförmige Hülle gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents beruht gegenüber dem Stand der Technik, der in der Verhandlung diskutiert wurde, auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Ausgehend von schlauchförmigen Hüllen, wie sie aus den Druckschriften [X.]10 455 [X.] ([X.]) oder [X.] 2 997 411 ([X.]) bekannt sind, mag der Fachmann zwar beide [X.] im Bedarfsfallflachpressen, aber weder durch diese Druckschriften selbst, noch durch den anderen im Verfahren befindlichen Stand der Technik, bekommt er einen Hinweis darauf, zur elektrischen Isolation eines elektrischen Bauelements den zu verschließende Endbereich der Hülle vor dem Verpressen an gegenüberliegenden Seiten faltenförmig einzuschlagen, derart, dass die Falten so tief sind, dass die verschlossenen [X.] gegenüber dem übrigen [X.] keilförmig verjüngt sind (Merkmale 1.2, 1.3).

Wenn auch in der Ausführung gemäß den Figuren 1 bis 6 der [X.] 2 997 411 ([X.]) ein faltenförmiges Einschlagen gezeigt ist, fehlt in dieser Druckschrift schon ein Hinweis darauf, diese Maßnahme auch bei der Ausführungsform gemäß Figur 7 oder gar bei der Ausführungsform gemäß den Figuren 8 bis 10 vor dem Flachpressen anzuwenden. Selbst wenn der Fachmann diese Überlegung entgegen der Lehre der [X.] 2 997 411 überhaupt in Erwägung ziehen würde, gäbe die [X.] 2 997 411 keinen Anlass, dies so zu tun, dass die verschlossenen [X.] gegenüber dem übrigen [X.] keilförmig verjüngt sind.

Die Verpackung, wie sie in der [X.] 3 385 922 ([X.]) gezeigt ist, gibt dem Fachmann keinen Hinweis, diese in gleicher Weise als elektrische Isolierung eines elektrischen Bauteils zu verwenden.

Den weiteren, von der Klägerin schriftsätzlich zitierten Druckschriften, ist noch weniger ein Hinweis zu entnehmen, die den Fachmann ausgehend von der [X.] 10 455 [X.] ([X.]) oder [X.] 2 997 411 ([X.]) zu einer erfindungsgemäßen schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen führen könnte.

Die Klägerin konnte daher den Senat nicht davon überzeugen, dass der Fachmann die in Patentanspruch 1 beanspruchte Lehre in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik unter Einsatz seiner fachlichen Fähigkeiten auffinden konnte, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen. Dies geht zu ihren Lasten ([X.], [X.], 522 f. - [X.] - m. w. N.).

3. Soweit die Klägerin geltend macht, die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, stellt sie damit nicht die Ausführbarkeit der erfindungsgemäßen Lehre in Frage, sondern deren Brauchbarkeit. Fehlende Brauchbarkeit einer Erfindung gehört jedoch nicht zu den in § 22 [X.] abschließend aufgezählten Nichtigkeitsgründen.

III.

[X.] beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 ZPO.

Meta

4 Ni 14/09 (EU)

17.02.2010

Bundespatentgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 17.02.2010, Az. 4 Ni 14/09 (EU) (REWIS RS 2010, 9267)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9267


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 62/10

Bundesgerichtshof, X ZR 62/10, 13.09.2011.


Az. 4 Ni 14/09 (EU)

Bundespatentgericht, 4 Ni 14/09 (EU), 17.02.2010.


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