Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2020, Az. I ZR 20/20

1. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 6460

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Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des [X.] - 6. Zivilsenat - vom 16. Januar 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin hinsichtlich der Verzinsung der Klageforderung für einen vor dem 30. Juni 2019 liegenden Zeitraum zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Die Gerichtskosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Der Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.279.304,25 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin ist ein Zusammenschluss [X.] Verwertungsgesellschaften und dazu berechtigt, Ansprüche aus § 54 [X.] geltend zu machen. Die Beklagte stellt TV-Geräte und TV-Receiver her. Sie vertrieb in den Jahren 2008 bis 2011 TV-Receiver mit und ohne eingebauter Festplatte und im [X.] TV-Geräte mit eingebauter Festplatte.

2

Die Klägerin hat die Beklagte nach Durchführung des in § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 16 [X.] vorgesehenen Verfahrens vor der Schiedsstelle mit Klage vom 14. März 2014 auf Zahlung von insgesamt 13.327.052 € zuzüglich Zinsen in Anspruch genommen. Dabei hat sie den im [X.] im [X.] veröffentlichten Tarif für die streitgegenständlichen Produkte zugrunde gelegt.

3

[X.] schlossen die Klägerin und andere Verwertungsgesellschaften mit dem [X.] e.V. und dem [X.] jeweils einen inhaltsgleichen Gesamtvertrag zur Regelung der Vergütungspflicht nach §§ 54 ff. [X.] ab dem [X.], der auch die streitgegenständlichen Geräte erfasst (nachfolgend: Gesamtvertrag). In § 3 Abs. 1 Gesamtvertrag ist die gemäß § 54 Abs. 1 [X.] von den dem [X.] zu leistende Vergütung für dort im Einzelnen aufgeführten Geräte geregelt. In § 3 Abs. 2 Gesamtvertrag heißt es:

Auf die Vergütungssätze gemäß Absatz 1 gewähren die Verwertungsgesellschaften den [X.]ern einen Nachlass von 20 %, ...

4

In § 10 Gesamtvertrag findet sich folgende Regelung:

Tritt ein [X.] gemäß § 2 Abs. 2 diesem Gesamtvertrag rückwirkend zum 01.01.2008 bei, gilt für die vom [X.] nach seinem Beitritt im Zeitraum vom 01.01.2008 bis 30.06.2016 erstmals fakturierten Vertragsprodukte folgendes Auskunfts- und Zahlungsverfahren:

...

(8) Für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis zum 30.06.2019 werden mögliche Zinsansprüche für Forderungen der Verwertungsgesellschaften auf Vergütungen für Vertragsprodukte nicht geltend gemacht, soweit dieser Gesamtvertrag nicht ausdrückliche Regelungen zur Verzinsung vorsieht. ...

5

Nach Abschluss des [X.] stellte die Klägerin zusammen mit den anderen Verwertungsgesellschaften einen neuen Tarif auf, der im [X.] veröffentlicht wurde. Auf Grundlage des neuen Tarifs begehrte die Klägerin im laufenden Verfahren nur noch 2.279.304,25 € nebst Verzugszinsen und erklärte den Antrag im Übrigen für erledigt.

6

Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2019 erklärte die Beklagte ihren Beitritt zum Gesamtvertrag unter Verwendung des im Gesamtvertrag vorgesehenen Mustertextes, wobei sie die dort vorgesehene Möglichkeit der Erhebung der [X.] nutzte. Die Klägerin wies diesen Beitritt als insgesamt unwirksam zurück. Die Beklagte hat der Erledigterklärung der Klägerin widersprochen und Klageabweisung beantragt. Unter Hinweis auf die Regelung des [X.] hat sie außerdem mit dem Hilfsantrag zu 2a beantragt, das Urteil mit der Maßgabe zu erlassen,

dass sich mit Eintritt der Rechtskraft der Betrag der Verurteilung in der Hauptsache um 20 % reduziert und Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz erst ab dem 30. Juni 2019 und nur auf Basis des entsprechend reduzierten Betrages geschuldet seien.

7

Das [X.] hat die Beklagte zur Zahlung des [X.] nebst [X.] seit dem 2. April 2014 mit der Maßgabe verurteilt, dass sich der [X.] mit Rechtskraft des Urteils um 20 % reduziert. Im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der [X.]. Mit der Revision will sie ihren Klageabweisungsantrag und die Hilfsanträge weiterverfolgen.

8

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, soweit darin hinsichtlich der Verzinsung der Hauptforderung vor dem 30. September 2019 zum Nachteil der [X.] entschieden worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.].

9

1. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass die Beklagte dem Gesamtvertrag beigetreten sei. Zwischen den [X.]en sei deshalb ein Einzelvertrag auf der Grundlage des [X.] zustande gekommen. Der Beitritt stehe allerdings unter der Bedingung, dass das Nichteingreifen der von der [X.] in der Beitrittserklärung vorbehaltenen [X.] durch die vorliegende Leistungsklage inzident festgestellt werde. Demnach stehe der Klägerin die geltend gemachten Zahlungsansprüche nach Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren und dem darin liegenden Bedingungseintritt gemäß § 158 Abs. 1 BGB für das Wirksamwerden des Einzelvertrags auf der Grundlage des [X.] zu. Dies führe zu einer Reduzierung des geltend gemachten Betrags (2.279.304,25 €) um 20 % entsprechend dem [X.]nachlass, so dass die Klägerin lediglich 1.823.443,40 € beanspruchen könne. Insofern sei dem Hilfsantrag der [X.] gemäß Ziffer 2a stattzugeben.

Zinsen könne die Klägerin erst seit Rechtshängigkeit verlangen (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB), da ein Verzugseintritt zu den im Klageantrag genannten Zeitpunkten nicht dargetan sei. Auf den Hilfsantrag 2a der [X.], die Hauptforderung mit Rechtskraft des Urteils erst ab dem 30. September 2019 zu verzinsen, ist das Berufungsgericht nicht eingegangen.

2. Damit hat das [X.] den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör verletzt.

a) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht dagegen, der von den Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen. Die Verfahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene [X.] zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kommt deshalb erst in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf [X.] des [X.] zu einer Frage nicht eingeht, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist (vgl. [X.], NJW 2009, 1584 [juris Rn. 14] mwN; [X.], 1953 Rn. 14). Ein Übergehen von Prozessvortrag in diesem Sinne liegt auch dann vor, wenn das Gericht einen Klageantrag unberücksichtigt lässt und dadurch unter offenkundiger Missachtung des einschlägigen Prozessrechts die [X.] mit ihrem Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt nicht hört ([X.], Beschluss vom 5. März 2019 - [X.], NJW 2019, 1950 Rn. 11). Es verstößt außerdem gegen den Anspruch einer [X.] auf rechtliches Gehör, wenn das Gericht einen in zulässiger Weise eingereichten Schriftsatz nicht berücksichtigt; auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an (vgl. [X.]E 11, 218, 220 [juris Rn. 5]; 62, 347, 352 [juris Rn. 19] mwN). Da sich die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG auch auf Äußerungen zur Rechtslage bezieht ([X.], NJW 2009, 1584 [juris Rn. 14]; [X.], 1953 Rn. 14) und § 296a ZPO für Rechtsausführungen in Schriftsätzen nicht gilt, ist das Gericht in streitigen Verfahren verpflichtet, nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene, nicht nachgelassene Schriftsätze zur Kenntnis zu nehmen und jedenfalls daraufhin zu überprüfen, ob darin enthaltene rechtliche Ausführungen Anlass für eine Wiedereröffnung des Verfahrens gemäß § 156 ZPO geben ([X.], Urteil vom 16. September 2016 - [X.], [X.], 107 Rn. 13 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der [X.] vor.

aa) Das [X.] hat im Hinblick auf die Begründetheit und Höhe der Klageforderung angenommen, dass die Beklagte dem Gesamtvertrag beigetreten ist. Es hat entsprechend dem Hilfsantrag zu 2a der [X.] dem [X.] nur mit der Maßgabe stattgegeben, dass der Klägerin mit Rechtskraft des Urteils des [X.]s Zahlungsansprüche lediglich abzüglich des im Gesamtvertrag geregelten [X.]nachlasses in Höhe von 20 % zustehen. Dagegen hat es keine Ausführungen zu dem ebenfalls im Hilfsantrag zu 2a der [X.] zum Ausdruck kommenden Begehren gemacht, dass Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz erst ab dem 30. Juni 2019 und nur auf Basis des durch den [X.]nachlass reduzierten Betrags geschuldet seien. Der Umstand, dass das [X.] in seiner Entscheidung ausführlich erörtert, ob Verzugszinsen oder [X.] geschuldet sind, ohne die Bestimmung zum [X.] gemäß § 10 Abs. 8 des [X.] auch nur anzusprechen, lässt allein den Schluss zu, dass es übersehen hat, dass die Beklagte nach verständiger Würdigung ihres Verteidigungsvorbringens auch insoweit den [X.]nachlass in Anspruch nehmen wollte.

bb) Der Annahme eines Gehörsverstoßes steht nicht entgegen, dass die Beklagte erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 29. November 2019 ausdrücklich auf die Bestimmung in § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag hingewiesen hat.

Es kann auf sich beruhen, ob sich bereits aus dem vor Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen Vorbringen der [X.], namentlich aus der Stellung des eine zeitliche Begrenzung des [X.] beanspruchenden Hilfsantrags zu 2a und aus dem insgesamt zu diesem Hilfsantrag gehaltenen Vortrag der [X.], hilfsweise den [X.]nachlass für sich beanspruchen zu wollen, ein hinreichend konkreter Sachvortrag der [X.] auch zum [X.] gemäß § 10 Abs. 8 des [X.] ergibt. Außerdem kann offenbleiben, ob das [X.] aufgrund dieser Umstände jedenfalls gehalten war, gemäß § 139 Abs. 2 ZPO auf konkretisierenden Vortrag der [X.] hinzuwirken. Jedenfalls war das [X.] verpflichtet, den ausdrücklichen Hinweis der [X.] auf die Bestimmung des § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 29. November 2019 zur Kenntnis zu nehmen und zumindest daraufhin zu überprüfen, ob darin enthaltene rechtliche Ausführungen Anlass für eine Wiedereröffnung des Verfahrens gemäß § 156 ZPO gaben. Dass das [X.] dies getan hat, lässt sich seinen Urteilsgründen nicht entnehmen. Es hat zwar geprüft, ob die mündliche Verhandlung wegen der Ausführungen der [X.] im Schriftsatz vom 29. November 2019 wiederzueröffnen ist. Ausführungen zu der im Hilfsantrag zu 2a beantragten Zinsregelung und der in diesem Schriftsatz angesprochenen Bestimmung gemäß § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag hat das [X.] jedoch nicht gemacht. Dies lässt bei einer Würdigung der Entscheidungsgründe im Gesamtzusammenhang nur den Schluss zu, dass es diesen Gesichtspunkt bei seiner Prüfung einer eventuellen Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung übergangen hat.

cc) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht anders entschieden hätte, wenn es das Vorbringen der [X.] zu der Regelung zum Zinsanspruch gemäß § 10 Abs. 8 Gesamtvertrag berücksichtigt hätte.

III. Die weitergehende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die übrigen auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten [X.] nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] auch im Übrigen nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Schaffert     

        

Löffler     

        

Schwonke

        

Feddersen      

        

Schmaltz      

        

Meta

I ZR 20/20

19.11.2020

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 16. Januar 2020, Az: 6 Sch 11/14 WG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2020, Az. I ZR 20/20 (REWIS RS 2020, 6460)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 6460

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