Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 13.07.2011, Az. 2 BvR 742/10

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 4866

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Haftantrag gem § 62 Abs 2 AufenthG 2004 verletzt bei fehlender örtlicher Zuständigkeit der antragstellenden Behörde den Betroffenen in Grundrechten aus Art 2 Abs 2 S 2 GG iVm Art 104 Abs 1 S 1 GG - vollständige Übernahme eines Verwaltungsverfahrens überschreitet Grenzen der Amtshilfe 4 Abs 1, 5 Abs 1 Nr 5  VwVfG HA>


Tenor

1. Die Beschlüsse des [X.] vom 14. August 2009 - 219j [X.] 41031/09 -, des [X.] vom 22. September 2009 - 329 T 52/09 - und des [X.] vom 24. Februar 2010 - 2 [X.] - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit sie die Haftantragstellung durch die [X.] betreffen.

2. Der Beschluss des [X.] wird aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Die [X.] hat dem Beschwerdeführer drei Viertel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

5. [X.] wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Reichweite des in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] verankerten Gebots zur Beachtung der Formvorschriften in Freiheitsentziehungsverfahren.

2

1. Der Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Nach einem erfolglosen Asylantrag und einer Zurückschiebung nach [X.] im Jahre 2002 reiste er 2009 erneut nach [X.] ein. Am 27. Juli 2009 wurde er in [X.] vorläufig festgenommen. Wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts wurde gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in welchem am 28. Juli 2009 Haftbefehl erging.

3

2. Die aufgrund des früheren Asylantrages des Beschwerdeführers zuständige Ausländerbehörde des [X.] bat die [X.]er Ausländerbehörde mit Schreiben vom 3. August 2009, "die Abschiebung des Betroffenen in Amtshilfe zu organisieren, ggf. die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu beantragen und wenn notwendig die Passersatzpapierbeschaffung einzuleiten". Auf Antrag der [X.]er Ausländerbehörde ordnete das Amtsgericht [X.] gegen den Beschwerdeführer daraufhin mit Beschluss vom 14. August 2009 die [X.] nach § 62 Abs. 2 [X.] an.

4

3. Gegen die Anordnung der [X.] legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein, in welcher er unter anderem die Zuständigkeit der [X.]er Ausländerbehörde für die Stellung des [X.] in Frage stellte und eine an Verfahrensmängeln leidende Anhörung durch das Amtsgericht bemängelte. Auch rügte er, das Amtsgericht habe die [X.] nicht beigezogen und daher den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Die sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das [X.] hielt die [X.]er Ausländerbehörde aufgrund des Amtshilfeersuchens für die Antragstellung für zuständig, ohne dazu Näheres auszuführen. Die [X.] lagen dem [X.] bei seiner Entscheidung vor.

5

4. Die sofortige weitere Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Feststellung der Rechtswidrigkeit der am 18. Dezember 2009 erledigten Freiheitsentziehung begehrte, wies das [X.] mit Beschluss vom 24. Februar 2010 zurück. Die Stellung des [X.] durch die [X.]er Ausländerbehörde im Wege der Amtshilfe begegne keinen rechtlichen Bedenken. [ref=cafc676d-54f7-4b5a-9080-abb20c615fce]Art. 35 Abs. 1 [X.]] hebe die Verpflichtung zur Amtshilfe hervor; die nähere gesetzliche Ausgestaltung der Amtshilfe in §§ 4 ff. des [X.]ischen Verwaltungsverfahrensgesetzes ergebe keine Unzulässigkeit der Amtshilfe. Diese sei unter anderem dann möglich, wenn die ersuchende Behörde die Handlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt gewesen, weil sich der Beschwerdeführer in [X.] in Haft befunden habe. Die [X.] in [X.] einschließlich einer Verlegung des Beschwerdeführers dorthin hätte das Verfahren mit großer Wahrscheinlichkeit verzögert. Umgekehrt hätte die zuständige Ausländerbehörde in U. eine Abschiebung über den Flughafen [X.] nur mit unvertretbarem organisatorischen, personellen und ökonomischen Aufwand durchführen können, weil ein Beamter nach [X.] hätte anreisen müssen, um dort die erforderlichen Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Das Verfahren vor dem Amtsgericht leide auch nicht an formellen Fehlern. Die unterlassene Beiziehung der Ausländerakte durch das Amtsgericht sei nur dann beachtlich, wenn sich aus den Akten Tatsachen oder Anhaltspunkte ergäben, die gegen das Vorliegen der Voraussetzungen der beantragten Haft sprechen; dies sei hier nicht der Fall gewesen. Im Übrigen sei ein Verstoß jedenfalls geheilt, nachdem das [X.] die Akten vor seiner Entscheidung beigezogen habe. Bei der Beiziehung von Verfahrensakten handele es sich anders als bei der Anhörung des Betroffenen nicht um einen nicht mehr heilbaren [X.].

6

Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, Zuständigkeitsnormen komme bei freiheitsentziehenden Maßnahmen eine grundrechtssichernde Funktion zu; Art. 104 Abs. 1 [X.] erhebe die in einem freiheitsbeschränkenden Gesetz enthaltenen Formvorschriften zum Verfassungsgebot. Der Haftantrag sei durch die örtlich unzuständige Behörde gestellt worden, und die Voraussetzungen für eine Amtshilfe hätten in formeller und materieller Hinsicht nicht vorgelegen. Es sei zweifelhaft, ob der [X.] ein hinreichend bestimmtes Amtshilfeersuchen gestellt habe, weil er die Entscheidung über die Stellung eines [X.] der [X.]er Ausländerbehörde überlassen habe. Die Amtshilfe dürfe sich außerdem nur auf Hilfstätigkeiten erstrecken und könne nicht, wie hier, die gänzliche Übernahme eines Falles betreffen. Darüber hinaus wäre die Antragstellung der Ausländerbehörde U. ohne zusätzlichen Aufwand selbst möglich gewesen, indem sie den Haftantrag und die zugehörigen Unterlagen übersandt hätte. Auf die Erwägungen des [X.]s bezüglich anderer Verfahrenshandlungen als der Antragstellung komme es insoweit nicht an.

7

Ferner rügt der Beschwerdeführer die unterlassene Beiziehung der Ausländerakte durch das Amtsgericht. Es gehöre zur unverzichtbaren Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen über den Entzug der persönlichen Freiheit sich auf eine zureichende Sachverhaltsgrundlage stützen; zur gebotenen Sachverhaltsaufklärung sei dabei regelmäßig die Ausländerakte beizuziehen. Die relevanten Unterlagen seien dem Amtsgericht auch nicht unabhängig von der Ausländerakte bekannt gewesen.

8

Zur Verfassungsbeschwerde sind folgende Stellungnahmen eingegangen: Die Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt [X.] hat sich der Rechtsauffassung des Hanseatischen [X.]s angeschlossen. Der [X.] hat im Wesentlichen ausgeführt, eine Zuständigkeit der [X.]er Ausländerbehörde sei nach Nr. 71.1.4.2 der [X.]zum [X.] ([X.]-VwV) begründet, weil der Beschwerdeführer in [X.] aufgegriffen worden sei; des [X.]habe es daher nicht bedurft. Der Präsident des [X.] hat eine Äußerung des Vorsitzenden des [X.] übermittelt. Dieser hält es bereits für zweifelhaft, ob es sich bei dem Schreiben des [X.] vom 3. August 2009 um ein Amtshilfeersuchen handele, weil Amtshilfe begrifflich die auf ein Ersuchen geleistete ergänzende Hilfe zwischen Behörden sei, während das Ersuchen hier mehrere Teilakte umfasse. Zudem seien jedenfalls die Voraussetzungen für eine Amtshilfe nicht erfüllt, insbesondere weil die Haftantragstellung, auf die es hier allein ankomme, für den [X.] nicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden gewesen wäre (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 [X.]). Eine originäre Zuständigkeit der [X.]er Ausländerbehörde sei nach den insoweit einschlägigen Vorschriften des [X.]ischen Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht gegeben.

9

Die Ausländerakte sowie die Akte des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.], soweit sie die Haftantragstellung durch die [X.]er Ausländerbehörde rügt. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde insoweit zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93b Satz 1 [X.]).

Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Amtsgericht habe die [X.] nicht beigezogen, sind die Annahmevoraussetzungen nicht erfüllt. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht hinreichend substantiiert ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]).

1. Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 [X.] setzt auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen ([X.] 70, 297 <308>). Um den Anforderungen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 [X.] zu genügen, sind bei einer Entscheidung über eine Haftanordnung regelmäßig die Akten der Ausländerbehörde beizuziehen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06 -, NVwZ 2008, [X.]). Angesichts des hohen Ranges des [X.]gilt dies in gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht ([X.]K 7, 87 <100>).

2. Inwiefern diese Maßstäbe hier dadurch verletzt worden sein können, dass das Amtsgericht die [X.] nicht beigezogen hat, ist nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere ist nicht dargetan, welche Informationen in der Ausländerakte enthalten waren, aufgrund derer das Amtsgericht zu einer abweichenden Beurteilung der Haftfrage hätte gelangen müssen. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]).

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 [X.].

1. a) [X.] (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 [X.]) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. [X.] 10, 302 <322>; 29, 312 <316>). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor Eingriffen wie Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. [X.] 22, 21 <26>; 94, 166 <198>; 96, 10 <21>). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 [X.] gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 [X.] stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 [X.] in unlösbarem Zusammenhang (vgl. [X.] 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 [X.] nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 [X.] enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. [X.] 10, 302 <323>; 29, 183 <195 f.>; 58, 208 <220>).

b) Inhalt und Reichweite der Formvorschriften, deren Beachtung über Art. 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] zum Verfassungsgebot erhoben ist, sind von den Fachgerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten können. Jenseits der Grenze der Aushöhlung und Entwertung des Grundrechts über das Verfahrensrecht verbleibt den Fachgerichten aber Raum, sich zwischen mehreren möglichen Deutungen des Gesetzes zu entscheiden. Es bleibt in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte, den Sinn des Gesetzesrechts mit Hilfe der anerkannten Methoden der Rechtsfindung zu ergründen. Das [X.] greift erst dann korrigierend ein, wenn das fachgerichtliche Auslegungsergebnis über die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen hinausgreift, insbesondere wenn es mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf persönliche Freiheit nicht zu vereinbaren ist oder wenn es sachlich schlechthin unhaltbar und somit willkürlich ist ([X.] 65, 317 <322 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 25. Februar 2009 - 2 BvR 1537/08 -, juris, Rn. 14).

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen nicht im Einklang.

a) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtete sich zu dem maßgeblichen Zeitpunkt gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 [X.] in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei [X.]([X.]). Nach dessen § 3 Satz 1 konnte die Freiheitsentziehung nur das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. § 3 Satz 1 [X.] gehörte mit seiner Bestimmung, dass ein Haftantrag von der zuständigen Behörde zu stellen ist, zu den Formvorschriften, deren Beachtung durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] zum Verfassungsgebot erhoben ist ([X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 25. Februar 2009 - 2 BvR 1537/08 -, juris, Rn. 16, und vom 4. Oktober 2010 - 2 BvR 1825/08 -, juris, Rn. 36).

b) Die Gerichte haben, indem sie eine Zuständigkeit der [X.]er Ausländerbehörde für die Stellung des [X.] angenommen haben, § 3 Satz 1 [X.] in einer Weise angewendet, die unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist.

aa) Das Amtsgericht hat sich mit der Frage der Zuständigkeit der Ausländerbehörde nicht auseinandergesetzt. Das [X.] hat ohne weitere Begründung eine zulässige Antragstellung im Wege der Amtshilfe angenommen. Das [X.] ist ebenfalls der Auffassung, die Ausländerbehörde in [X.] sei nach den Vorschriften des [X.]ischen Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Amtshilfe zur Stellung des Antrages befugt gewesen. Diese Rechtsauffassung verfehlt den Gehalt der herangezogenen Bestimmungen in verfassungsrechtlich erheblicher Weise.

(1) Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschriften über die Amtshilfe in [X.] überhaupt eine von der ersuchenden Behörde abgeleitete Zuständigkeit der ersuchten Behörde begründen können (umstr.; verneinend [X.], Beschluss vom 13. November 1998 - 20 W 442/98 -; ebenso [X.], Beschluss vom 28. September 2006 - 34 [X.]/06 -; jeweils zitiert nach [X.], [X.], Freiheitsentziehungs- und Haftrecht, S. 35 <38> bzw. S. 9 <13>; offen gelassen in [X.], Beschluss vom 15. Mai 2008 - 14 Wx 10/08 -; [X.], Beschluss vom 15. Oktober 2008 - 16 [X.]; KG, Beschluss vom 25. August 2006 - 25 W 70/05 -; jeweils zitiert nach [X.], a.a.[X.], S. 21 <24 f.>, S. 17 <19> bzw. S. 30 <34>).

(2) Jedenfalls sind die Voraussetzungen einer Amtshilfe hier in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt.

(a) Die Amtshilfe umfasst, was der Vorsitzende des [X.] des [X.] in seiner Stellungnahme zutreffend hervorhebt, nur eine auf Ersuchen einer anderen Behörde geleistete ergänzende Hilfe (vgl. die Legaldefinition des § 4 Abs. 1 des [X.]ischen Verwaltungsverfahrensgesetzes in der bis zum 27. Dezember 2009 gültigen Fassung - [X.] 2009). Daraus ergibt sich, dass Amtshilfe notwendig auf bestimmte Teilakte eines Verwaltungsverfahrens begrenzt ist und nicht mit einer vollständigen Übernahme von Verwaltungsaufgaben einhergehen darf. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht geht die dem Grundsatz nach in Art. 35 Abs. 1 [X.] normierte Amtshilfe nicht über eine Aushilfe im Einzelfall hinaus (vgl. [X.] 63, 1 <32>). Amtshilfe besteht demnach in dem lediglich ergänzenden Beistand, den eine Behörde einer anderen leistet, um dieser die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. Bauer, in: Dreier, [X.], [X.], 1998, Art. 35 Rn. 11). Sie beschränkt sich auf ein punktuelles Zusammenwirken mit Ausnahmecharakter (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.] für die Bundesrepublik [X.], 10. Aufl. 2009, Art. 35 Rn. 4).

(b) Demnach handelte es sich - ungeachtet der Verwendung der Bezeichnung "Amtshilfe" durch beide beteiligten Behörden - bei dem Haftantrag der [X.]er Ausländerbehörde nicht um eine von § 4 Abs. 1 [X.] 2009 erfasste [X.]. Dies ergibt sich bereits aus dem Schreiben des [X.] vom 3. August 2009, welches sich nicht darauf beschränkt, die [X.]er Ausländerbehörde um eine einzelne Unterstützungshandlung zu ersuchen. Vielmehr beinhaltet das Schreiben die Bitte, "die Abschiebung des Betroffenen in Amtshilfe zu organisieren, ggf. die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu beantragen und wenn notwendig die Passersatzpapierbeschaffung einzuleiten". Der [X.] gab damit das weitere Verfahren der Abschiebung aus der Hand und legte es in die Verantwortung der [X.]er Ausländerbehörde. Eigene weitere Maßnahmen seitens des [X.] zum Zwecke der erstrebten Abschiebung waren nicht vorgesehen und wären angesichts der gewählten Vorgehensweise auch nicht mehr möglich gewesen, zumal sich der [X.] offensichtlich keine Kontroll- oder Einflussmöglichkeiten auf künftige Verfahrensschritte vorbehalten hatte. Dieses Vorgehen übersteigt die Grenzen eines Amtshilfeersuchens und kommt einer Abgabe des Verfahrens gleich.

Eine dem entsprechende Übernahmeabsicht offenbart sich in dem Haftantrag der [X.]er Ausländerbehörde vom 12. August 2009, worin diese erklärt, den Beschwerdeführer im [X.] an das gegen ihn geführte Strafverfahren aus der Haft heraus in die Türkei abschieben zu wollen. Hierhin liegt ersichtlich eine über eine Hilfeleistung bei einzelnen Verfahrenshandlungen hinausgehende Übernahme des Verfahrens in Bezug auf alle für die erstrebte Abschiebung erforderlichen Verfahrenshandlungen. Die [X.]er Ausländerbehörde brachte in dem Haftantrag zum Ausdruck, dass sie die Verantwortung für die gesamte weitere Durchführung des Abschiebungsverfahrens und der damit verbundenen Schritte bei sich sieht.

(c) Darüber hinaus wären auch die Voraussetzungen für ein Tätigwerden in Amtshilfe offensichtlich nicht erfüllt. Das [X.] legt seiner Entscheidung - ohne die Vorschrift zu nennen - § 5 Abs. 1 Nr. 5 [X.] 2009 zu Grunde, wonach eine Behörde insbesondere dann um Amtshilfe ersuchen kann, wenn sie die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde. Dieses Erfordernis sieht das [X.] als erfüllt an und stellt unter anderem darauf ab, dass der Beschwerdeführer in [X.] aufgegriffen worden war und sich dort in Untersuchungshaft befand. Daher sei es zweckmäßig gewesen, die Abschiebung einschließlich der Stellung eines [X.] durch die [X.]er Ausländerbehörde zu organisieren. Eine Überstellung des Beschwerdeführers in den Zuständigkeitsbereich des [X.] sei demgegenüber ebenso untunlich wie eine Durchführung der Abschiebung von [X.] aus durch die Ausländerbehörde U..

Diese Erwägungen sind nicht geeignet, eine zur Amtshilfe berechtigende und verpflichtende Situation im Sinne des [[X.]-4b2a-9a61-6c629c88725b]§ 5 Abs. 1 Nr. 5 [X.][/ref] 2009 zu begründen. Ausgehend von der Qualifizierung der Amtshilfe als ergänzende Unterstützung wäre im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 5 [X.] 2009 für die Ermittlung des Aufwandes nicht auf das gesamte Verwaltungsverfahren, sondern nur auf den Teilakt abzustellen gewesen, für den die Erforderlichkeit einer Amtshilfe festgestellt werden soll. Dies betraf hier allein die Stellung des [X.]. Auf die Frage, ob die zuständige Behörde auch für weitere Verfahrensschritte Amtshilfe in Anspruch nehmen kann, kommt es demgegenüber nicht an (vgl. nur [X.], Beschluss vom 15. Oktober 2008 - 16 [X.] -, juris, Rn. 8 f.).

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es für die Ausländerbehörde des [X.] einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet hätte, selbst den Haftantrag zu stellen. Die Übermittlung des schriftlichen [X.] an das Amtsgericht [X.] - etwa per Telefax - wäre für sie nicht mit größerem Aufwand verbunden gewesen als für die [X.]er Ausländerbehörde. Davon getrennt zu beantworten wäre die Frage gewesen, ob etwa für die Wahrnehmung des [X.] vor dem Amtsgericht oder andere Verfahrensschritte eine Amtshilfe zulässig gewesen wäre.

bb) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Gerichte im Ergebnis aus anderen, ohne weiteres erkennbaren Gründen zu Recht die Zuständigkeit der [X.]er Ausländerbehörde angenommen haben (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>). Das [X.] und das [X.] sind vielmehr zu Recht von einer originären örtlichen Zuständigkeit nur des [X.] ausgegangen. Eine originäre örtliche Zuständigkeit der [X.]er Ausländerbehörde ergibt sich aus der mangels Regelung im [X.] einschlägigen landesrechtlichen Bestimmung des § 3 [X.] 2009 nicht. Insbesondere fehlen für einen die Zuständigkeit begründenden gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 3a [X.] 2009 zum Zeitpunkt der Haftantragstellung zureichende Anhaltspunkte dafür, dass der erst kurz zuvor in das [X.] eingereiste Beschwerdeführer bereits zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigte, sich nicht nur vorübergehend in [X.] aufzuhalten (vgl. die Legaldefinition des gewöhnlichen Aufenthalts in [[X.]-7198-4d83-bd98-68fa89d24a6f]§ 30 Abs. 3 Satz 2 [X.]]). Die gegen den Beschwerdeführer angeordnete Untersuchungshaft ist angesichts deren vorläufigen Charakters ebenfalls nicht geeignet, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Für eine Eilzuständigkeit der [X.]er Ausländerbehörde nach § 3 Abs. 5 Satz 1 [X.] 2009 wegen Gefahr im Verzug besteht bereits angesichts des zwischen der Kenntniserlangung der [X.]von der Festnahme des Beschwerdeführers und der Stellung des [X.] liegenden Zeitraumes von über einer Woche kein Anhaltspunkt.

Soweit der [X.] in seiner Stellungnahme auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum [X.] ([X.]-VwV) Bezug nimmt - hier in Betracht zu ziehen wäre allenfalls eine Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt der Haftantragstellung geltenden Vorläufigen Anwendungshinweise des [X.] zum [X.] und zum Freizügigkeitsgesetz/[X.] vom 22. Dezember 2004 -, ist daran zu erinnern, dass Art. 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] bei Freiheitsbeschränkungen auch [X.]in den Vorbehalt des Gesetzes einbezieht (vgl. [X.] 105, 239 <247>) und Verwaltungsvorschriften insoweit eine Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung nicht rechtfertigen können (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2010, a.a.[X.], Rn. 43).

Die Kammer hebt nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.] den Beschluss des Hanseatischen [X.]s vom 24. Februar 2010 auf und verweist die Sache an das Hanseatische [X.] zurück.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, Abs. 3 [X.].

Meta

2 BvR 742/10

13.07.2011

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 24. Februar 2010, Az: 2 Wx 111/09, Beschluss

Art 104 Abs 1 S 1 GG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 35 Abs 1 GG, § 106 Abs 2 S 1 AufenthG 2004 vom 25.02.2008, § 62 Abs 2 AufenthG 2004, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 3 Abs 1 FrhEntzG, § 3 Abs 2 Nr 3a VwVfG HA, § 3 Abs 5 S 1 VwVfG HA, § 4 Abs 1 VwVfG HA, § 5 Abs 1 Nr 5 VwVfG HA

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 13.07.2011, Az. 2 BvR 742/10 (REWIS RS 2011, 4866)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4866

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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