Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2011, Az. V ZB 94/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1716

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 94/11
vom

7. November 2011

in der Abschiebungshaftsache

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 7. November 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Krüger, die Richter Dr.
Lemke und Prof. Dr.
Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr.
Stresemann und [X.]
Czub
beschlossen:Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] -
Zivilkammer
29
-
vom 21.
April 2011 und der Beschluss des [X.] vom 31.
März 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:

I.
Der Betroffene, ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, reiste am 13.
Mai 2008 aus [X.] kommend in die [X.] ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt; zugleich wurde
er zum Verlassen der [X.] aufgefordert. Der entsprechende Bescheid ist seit dem 25.
Mai 2009 bestandkräftig. Für die Beteiligte zu
2 war der Betroffene seit diesem 1
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3
-
[X.]punkt nicht erreichbar. Sie beantragte deshalb Anfang Januar 2010 die Ausschreibung einer Personenfahndung.

Am 30.
März 2011 wurde der Betroffene in
Hamburg vorläufig festgenommen. Die Beteiligte zu
2 beantragte am 31.
März 2011 bei dem [X.] die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 30.
Juni 2011. Sie kündigte an, dass die [X.] für sie im Rahmen der Amtshilfe tätig werde. Das Amtsgericht hat, gestützt auf §
62 Abs.
2 [X.], an demselben Tag nach Anhörung des Betroffenen, bei welcher der Vertreter der [X.] erklärt hat, die Haftdauer könne auf sechs Wochen beschränkt werden, die Abschiebungshaft bis zum 12.
Mai 2011 angeordnet;
es habe der begründete Verdacht bestanden, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wolle. Die Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass der Beschluss des Amtsgerichts und der Beschluss des [X.]s ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Haftanordnung sei rechtmäßig gewe-sen. Der Haftantrag genüge den in §
417 Abs.
2 FamFG enthaltenen [X.]. Selbst wenn man unterstelle, dass die in dem Haftantrag beantragte Haftdauer nicht hinreichend konkret begründet worden sei, sei ein solcher et-waiger Mangel jedenfalls durch die zu Protokoll des [X.] erklärte Ergän-zung der Begründung, für die Beschaffung der [X.] sei eine Frist von sechs Wochen ausreichend, geheilt worden. Die Haftanordnung sei auch materiell rechtmäßig. Es habe der in §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 [X.] ge-nannte Haftgrund vorgelegen.

2
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-

III.

1. Die Rechtsbeschwerde ist -
nachdem sich die Hauptsache erledigt hat
-
mit dem Feststellungantrag analog §
62 FamFG nach §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
2 FamFG ohne Zulassung statthaft (siehe nur Senat, Beschlüsse vom 29.
April 2010 -
V
ZB
218/09, InfAuslR
2010, 359, 360 und vom 21.
Oktober 2010 -
V
ZB 96/10 Rn.
10, juris) und nach §
71 FamFG form-
und fristgerecht eingelegt.

2. Das Rechtsmittel ist in der Sache begründet, weil
sowohl die Be-schwerdeentscheidung als auch die Haftanordnung, die im Fall der Erledigung ebenfalls Gegenstand der Überprüfung ist (Senat, Beschluss vom 4.
März 2010 -
V
ZB 184/09, FGPrax
2010, 152 Rn.
14; Beschluss vom 18.
August 2010 -
V
ZB 119/10 Rn.
6,
juris), einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.

a) Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.

aa) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nach §
417 Abs.
1 FamFG nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Der Antrag ist nach Maßgabe des §
417 Abs.
2 FamFG zu begründen. Die Begründung ist zwingend; ein Verstoß gegen den [X.] führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Senat, Beschluss vom 18.
August 2010 -
V
ZB 119/10, Rn.
10, juris). Für [X.] werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführung der Abschiebung und der not-wendigen Haftdauer verlangt (§
417 Abs.
2 Satz
1 Nr.
5 FamFG). Durch diese Angaben soll dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung und gegebenenfalls für weitere Ermittlungen zugänglich gemacht 4
5
6
7
-
5
-
werden (Senat, Beschluss vom 29.
April 2010 -
V
ZB 218/09, FGPrax
2010, 210, 211 Rn.
14).

bb) Zuständige Verwaltungsbehörde war die Beteiligte zu
2. Sie hat den schriftlichen Haftantrag gestellt. Der für sie bei der Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht aufgetretene Vertreter der [X.] war nicht befugt, den Haftantrag und seine Begründung zu ändern, indem er anstelle der von der Beteiligten zu
2 beantragten Haftdauer von drei Monaten wegen der kürzeren notwendigen [X.] für die Beschaffung der Passersatzpa-piere eine Haftdauer von sechs Wochen beantragte.

(1) Dies ging über die Voraussetzungen für ein Tätigwerden in Amtshilfe hinaus. Sie umfasst nur eine auf Ersuchen einer anderen Behörde geleistete ergänzende Hilfe und ist deshalb notwendig auf bestimmte Teilakte eines [X.] begrenzt und darf nicht mit der vollständigen Übernahme von Verwaltungsaufgaben einhergehen ([X.], Beschluss vom 13.
Juli 2011 -
2
BvR
742/10 Rn.
23, juris). Demnach handelte es sich bei der Änderung des [X.] nicht um eine Amtshilfehandlung. Dies ergibt sich bereits aus dem Amtshilfeersuchen vom 31.
März 2011, welches sich nicht darauf beschränkt, die [X.] um eine einzelne Unterstützungshandlung zu ersuchen. Vielmehr wird darin um "Amtshilfe zur Abschiebung" ersucht, das Vorliegen der Abschiebungsvoraussetzungen wird dargelegt,
und es wird gebe-ten, nach erfolgter Abschiebung die bei der [X.] ent-standenen Vorgänge einschließlich der Ausreisebestätigung an die Beteiligte zu
2 zu übersenden. Auch aus dem Hinweis in dem schriftlichen Haftantrag, dass
die Ausländerbehörde für die Beteiligte zu
2 im Rahmen der Amtshilfe tätig werde, wird nicht ersichtlich, dass die [X.] um eine einzelne Unterstützungshandlung wie z.B. die Vertretung in dem Termin zur Anhörung des Betroffenen ersucht worden wäre. Damit gab die Beteiligte zu
2 das weitere Verfahren der Abschiebung aus der Hand und legte es in die 8
9
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6
-
Verantwortung der [X.]. Eigene weitere Maßnahmen zum Zweck der angestrebten Abschiebung des Betroffenen waren offenbar nicht vorgesehen; Kontroll-
und Einflussmöglichkeiten auf künftige [X.] behielt sich die Beteiligte zu
2 nicht vor. Dieses Vorgehen übersteigt die Grenzen eines Amtshilfeersuchens (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Juli 2011 -
2
BvR
742/10 Rn.
24, juris).

(2) Eine dementsprechende Übernahmeabsicht kommt in den Aktivitäten der [X.] zum Ausdruck. Sie hat -
jeweils ohne Hinweis auf ein Tätigwerden in Amtshilfe
-
nach einem Vermerk des Amtsgerichts [X.] vom 31.
März 2011 telefonisch um die Bestimmung eines Termins zur [X.] gebeten, sie hat in dem Anhörungstermin eine kürzere Haftdauer als die Beteiligte zu
2 beantragt und diese Antragsänderung mit der für sie notwendigen kürzeren [X.] für die Beschaffung von [X.]n begründet,
und sie hat in dem Beschwerdeverfahren die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt und diesen Antrag begründet. Damit hat sie zum Aus-druck gebracht, dass sie die Verantwortung für die gesamte weitere [X.] zumindest des [X.] bei sich gesehen hat. Davon sind offensichtlich auch das Amtsgericht und das Beschwerdegericht ausge-gangen. Anders ist es nicht zu erklären, weshalb sie in ihren Beschlüssen je-weils die [X.] und nicht die zuständige [X.] als Beteiligte an dem Verfahren aufgeführt haben.

cc) Damit liegt, was in der Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend gel-tend gemacht wird, kein von der zuständigen Behörde gestellter Haftantrag (§
417 Abs.
1 FamFG) vor; die
Haftanordnung ist deshalb rechtswidrig. Darauf, ob die Haft zu Recht angeordnet worden ist, kommt es nicht an; denn nach Art.
104 Abs.
1 Satz
1 GG darf die in Art.
2 Abs.
2 Satz
2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Be-10
11
-
7
-
achtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden (Senat, [X.] vom 28.
April 2011 -
V
ZB 239/10 Rn.
6, juris).

b) Die Entscheidung des [X.] erweist sich somit als rechtsfehlerhaft. Darüber hinaus hat sie den Betroffenen deshalb in seinen Rechten verletzt, weil das Beschwerdegericht nicht von der Anhörung des Be-troffenen absehen durfte.

aa) Eine solche Anhörung ist auch im Rechtsmittelverfahren grundsätz-lich erforderlich. Davon kann nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG nur abgesehen werden, wenn eine persönliche Anhörung des Betroffenen in erster Instanz er-folgt ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute
Anhörung nicht zu erwarten sind (siehe nur Senat, Beschluss vom 4.
März
2010 -
V
ZB 222/09, BGHZ
184, 323, 329 Rn.
13).

bb) So lag es hier nicht. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung ausschließlich auf den in §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 [X.] genannten Haft-grund gestützt. Demgegenüber hat das Amtsgericht mit der Formulierung in dem [X.], es bestehe der begründete Verdacht, dass sich der Be-troffene der geplanten Abschiebung entziehen wolle, zu erkennen gegeben, dass es von dem Vorliegen des in §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
5 [X.] genann-ten Haftgrundes ausgegangen ist. Bei dieser Sachlage durfte das Beschwerde-gericht die Fortdauer der Haft nicht auf einen anderen Haftgrund stützen, ohne zuvor dem Betroffenen die Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als der in §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 [X.] genannte Haftgrund nur unter besonderen Voraussetzungen angenommen werden darf. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und er seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter welcher er erreichbar ist; der nicht angezeigte [X.] begründet in 12
13
14
-
8
-
diesem Fall die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme er-schwert oder vereitelt wird. Wegen dieser einschneidenden Folge muss die Ausländerbehörde in der Regel auf die Anzeigepflicht nach §
50 Abs.
5 [X.] und die mit einem Unterlassen der Anzeige des [X.]s verbundenen Folgen hinweisen. Bei der Anwendung der Vorschrift ist zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der in Ausnahmefällen dazu führt, dass die Vermutung widerlegt werden kann (siehe zu allem Senat, Beschluss vom 19.
Mai 2011 -
V
ZB 36/11 Rn.
10, juris mwN).

IV.

1. [X.] beruht auf §
81 Abs.
1 Satz
1 und
2, §
83 Abs.
2 FamFG, §
128c Abs.
3 Satz
2 [X.]. Unter Berücksichtigung der Rege-lung in Art.
5 Abs.
5
EMRK entspricht es billigem Ermessen, das Land Schles-wig-Holstein
als der Körperschaft, der
die Beteiligte zu
2 angehört, zur [X.] der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. §
430 FamFG).
2. Die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs.
2 [X.] in Verbindung mit §
30 Abs.
2 [X.].

Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

Stresemann

Czub

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 31.03.2011 -
219i [X.] -

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9
-
LG Hamburg, Entscheidung vom 21.04.2011 -
329 [X.] -

Meta

V ZB 94/11

07.11.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2011, Az. V ZB 94/11 (REWIS RS 2011, 1716)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1716

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