Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.04.2023, Az. IV ZB 11/22

4. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 3101

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Gegenstand

Erbscheinsverfahren: Bindungswirkung eines in einem Erbunwürdigkeitsklageverfahren ergangenen rechtskräftigen Versäumnisurteils


Leitsatz

Ein die Erbunwürdigkeit aussprechendes Urteil gemäß §§ 2342, 2344 BGB hat auch dann Bindungswirkung für ein Erbscheinsverfahren, wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 27. April 2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 250.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Nachlassgericht im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens an die durch rechtskräftiges Versäumnisurteil ausgesprochene [X.] der Beteiligten zu 2 gebunden ist.

2

Die Beteiligte zu 1 ist das einzige Kind des am 9. November 2018 verstorbenen Erblassers, die Beteiligte zu 2 seine Ehefrau. Das Nachlassgericht eröffnete ein von der Beteiligten zu 2 handschriftlich verfasstes gemeinschaftliches Testament, das eine wechselseitige Einsetzung der Beteiligten zu 2 und des Erblassers als Alleinerben enthielt. Die Beteiligte zu 1 erhob im Juli 2020 gegen die Beteiligte zu 2 Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit. Zur Begründung trug sie vor, sie vermute, dass die Beteiligte zu 2 einen vom Erblasser unterzeichneten Blankopapierbogen zur Erstellung des [X.] nach dessen Tod verwendet habe. Das Verfahren endete mit einem rechtskräftig gewordenen Versäumnisurteil des [X.] vom 28. Januar 2021, durch das die Beteiligte zu 2 hinsichtlich des Nachlasses des Erblassers für erbunwürdig erklärt wurde. Die Beteiligte zu 2 hatte im Erbscheinsverfahren angeführt, dass sie wegen des plötzlichen Unfalltods des Erblassers auch eineinhalb Jahre danach und weiterhin (Ende September 2021) stark traumatisiert gewesen sei. Wegen eines seelischen Zusammenbruchs, infolgedessen sie sich mit geschäftlichen und gerichtlichen Dingen nicht habe auseinan[X.]etzen können, habe sie diverse Gerichtspost erst am 4. Juni 2021 geöffnet.

3

Die Beteiligte zu 1 hat unter Berufung auf das Versäumnisurteil einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist. Das Amtsgericht hat die dafür erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich ihre vom [X.] zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts und die Zurückweisung des Antrags der Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines Erbscheins, hilfsweise die Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht begehrt.

4

II. Die gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in [X.] 2022, 600 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, aufgrund des rechtskräftigen Versäumnisurteils stehe für das Erbscheinsverfahren bindend fest, dass die Beteiligte zu 2 wegen Erbunwürdigkeit von der Erbfolge ausgeschlossen sei. Dies folge bereits daraus, dass es sich bei dem stattgebenden Urteil um ein Gestaltungsurteil handele, welches mit dem Eintritt der Rechtskraft die Unwürdigkeit herbeiführe. Soweit dem Urteil nur deklaratorische Wirkung beigemessen werde, komme die Gestaltungswirkung der klageweise geltend gemachten Anfechtungserklärung zu. Ungeachtet einer Gestaltungswirkung sei das Nachlassgericht in den Grenzen der Rechtskraft an ein rechtskräftiges Urteil über die Feststellung des Erbrechts - bzw. die negative Feststellung in Form der Erbunwürdigkeit - gebunden. Die Bindungswirkung des prozessgerichtlichen Urteils sei formaler Natur und nicht nach der Art des Urteils zu relativieren. Ob eine Durchbrechung der Bindungswirkung nach § 826 [X.] in Betracht komme, könne offenbleiben, da hier jedenfalls dessen Voraussetzungen nicht vorlägen.

6

2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.

7

Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Beteiligte zu 1 nach § 1924 Abs. 1 [X.] als einziges Kind des Erblassers seine gesetzliche Alleinerbin geworden ist, da die Beteiligte zu 2 als Erbin aufgrund ihrer durch rechtskräftiges Versäumnisurteil des [X.] erklärten Erbunwürdigkeit ausscheidet (§§ 2342 Abs. 2, 2344 Abs. 1 [X.]). Das Nachlassgericht ist im Erbscheinsverfahren an diese sich aus dem Versäumnisurteil im Rechtsstreit über die Erbunwürdigkeit ergebende Rechtsfolge gebunden.

8

a) Für die Frage der Bindung ist nicht entscheidend, ob das in diesem Verfahren ergehende Urteil als Gestaltungsurteil ([X.]surteil vom 11. März 2015 - [X.], [X.], 258 Rn. 7; [X.] vom 12. September 2012 - [X.], [X.] 2013, 34 Rn. 7 m.w.[X.]; [X.]/[X.], § 2342 Rn. 8 [Stand: 1. November 2022]; [X.]/[X.]/[X.], Erbrecht 4. Aufl. § 2342 Rn. 15; [X.]/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. [X.] f.; [X.], [X.], 2007, Rn. 254, 262; [X.], [X.] 2008, 465), das die Rechtslage hinsichtlich der Erbenstellung des Erbunwürdigen selbst verändert und damit bereits wegen dieser ihm innewohnenden rechts-gestaltenden Wirkung zu berücksichtigen ist, oder - wie die Rechts-beschwerde geltend macht - als Feststellungsurteil, das die Wirkung einer der Klage innewohnenden, materiell-rechtlichen Anfechtungserklärung feststellt ([X.], [X.] 2009, 101, 105; im [X.] hieran [X.]/Weidlich, [X.]. § 2342 Rn. 3; vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band V, 1888, 521 f. zu § 2047 [X.]), anzusehen ist (vgl. [X.], Urteil vom 20. Oktober 1969 - [X.], NJW 1970, 197 unter 1 [juris Rn. 27]). Das aufgrund einer Anfechtungsklage auf Erklärung der Erbunwürdigkeit ergehende Urteil beansprucht jedenfalls aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 2344 Abs. 1 [X.], wonach der Anfall an den für erbunwürdig erklärten Erben als nicht erfolgt gilt, Wirkung gegenüber jedermann und ist daher auch vom Nachlassgericht zu berücksichtigen.

9

b) Das gilt auch für den Fall, dass es sich um ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten im Sinne von § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO handelt.

aa) Hierbei besteht Einigkeit darüber, dass das Nachlassgericht in den objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft an ein rechtskräftiges, in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten ergangenes streitiges Endurteil über die Feststellung des Erbrechts gebunden ist (vgl. [X.]surteil vom 14. April 2010 - [X.], [X.] 2010, 468 Rn. 9 f.; [X.] [X.] 2020, 354, 356 [juris Rn. 71]; OLG Frankfurt [X.] 2019, 589 [juris Rn. 16]; OLG München [X.] 2017, 76 Rn. 17; OLG Frankfurt [X.] 2016, 275 Rn. 19 f.; [X.] [X.] 2010, 143 f. [juris Rn. 26 f.]; BayObLG FamRZ 1999, 334 unter [X.] [BeckRS 998, 4656 Rn. 10]; [X.] 1969, 184, 186; [X.] [X.] 2016, 283, 285 [juris Rn. 27]; jurisPK-[X.]/[X.], 7. Aufl. § 2359 Rn. 7; [X.]/[X.], 9. Aufl. § 1922 Rn. 236; Prütting/[X.]/Zorn, FamFG 6. Aufl. § 352e Rn. 17; [X.]/[X.], [X.] (2016) § 2353 Rn. 386 m.w.[X.]; [X.] in [X.]/Horn/[X.], [X.]. § 256 Rn. 32 unter e), 39; [X.]/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 1019 f.; [X.], Vertragliches Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen, 2002, [X.]; [X.], [X.] 2016, 233, 234 f.; [X.], [X.]Z 2017, 78; [X.], [X.] 2019, 450, 451).

bb) (1) Dabei wird überwiegend die Bindung auch dann bejaht, wenn es sich bei dem Urteil um ein Versäumnisurteil handelt ([X.] [X.] 2020, 354, 357 [juris Rn. 72]; OLG Frankfurt [X.] 2019, 589 [juris Rn. 16]; OLG Frankfurt [X.] 2016, 275 Rn. 25; [X.] [X.] 2016, 283, 285 [juris Rn. 28]; [X.]/[X.]/[X.], § 2359 Rn. 2 [Stand: 1. November 2013]; jurisPK-[X.]/[X.], 7. Aufl. § 2359 [a.F.] Rn. 7; [X.]/[X.], 9. Aufl. § 1922 Rn. 236 m. [X.]. 578; Prütting/[X.]/Zorn, FamFG 6. Aufl. § 352e Rn. 17; [X.]/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. S. 1019 f.; [X.], [X.] 2016, 233, 235; [X.], [X.]Z 2017, 78 f.; in diese Richtung auch [X.]/[X.], [X.] (2016) § 2353 Rn. 389a; vgl. zu einem Anerkenntnisurteil nach § 307 S. 1 ZPO KG [X.] 2015, 52, 53 [juris Rn. 17]).

Nach anderer Auffassung wird eine Bindung des Nachlassgerichts an ein Versäumnisurteil gemäß § 331 ZPO aus einem Feststellungsrechtsstreit teilweise verneint ([X.]/[X.], 6. Aufl. § 2359 Rn. 38 zu Klagen nach § 256 ZPO und § 2342 Abs. 2 [X.]; a.A. jetzt aber MünchKomm-FamFG/[X.], 3. Aufl. § 352e Rn. 83; vgl. auch [X.], Vertragliches Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen, 2002, [X.], der dem Erbscheinsrichter eine Evidenzkontrolle eines rechtskräftigen Feststellungsurteils zubilligt) oder zumindest bezweifelt ([X.], [X.] [X.]. 1 unter D.; [X.], [X.] 2010, 457, 461), da eine solche der im Erbscheinsverfahren geltenden Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG wi[X.]preche und dem Nachlassgericht nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen könne (vgl. [X.], Erbschein - Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis 4. Aufl. E. Rn. 168; [X.]., [X.] 2010, 457, 461, noch zu § 2359 [X.] und hinsichtlich einer Klage auf Feststellung des Erbrechts).

(2) Auf letztgenannte Ansicht kommt es indessen jedenfalls für ein Urteil gemäß §§ 2342, 2344 [X.] über die Erbunwürdigkeit von vornherein nicht an. Diese Auffassung geht lediglich davon aus, dass ein Feststellungsurteil mangels Gestaltungswirkung und damit mangels Änderung des Erbrechts selbst dem Nachlassgericht die erforderliche Überzeugung der Tatsachen nicht zu verschaffen vermöge (vgl. [X.], [X.] 2010, 457, 461; [X.]., Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis, 4. Aufl. E. Rn. 168). Um ein solches bloßes Feststellungsurteil, welches auf eine Klage nach § 256 Abs. 1 ZPO hin ergeht und dessen Rechtskraftwirkungen sich auf die Prozessparteien und ihre Rechtsnachfolger (§ 325 ZPO) beschränken, handelt es sich bei der [X.], sei es aufgrund ihrer Gestaltungswirkung, sei es aufgrund ihrer gesetzlich angeordneten Wirkung gegenüber jedermann, jedoch nicht.

Die Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden Urteils ergibt sich aus dem materiellen Recht. Die Erbunwürdigkeit kann ausschließlich durch Anfechtungsklage gemäß § 2342 Abs. 1 [X.], nicht aber im Erbscheinsverfahren geltend gemacht werden und nur durch Urteil gemäß § 2342 Abs. 2 [X.] eintreten (vgl. nur [X.] [X.] 2008, 479, 480 [juris Rn. 15]; BayObLG [X.] 2000, 446, 447 [juris Rn. 29]; [X.] 1973, 257 [juris Rn. 35]; [X.]/[X.], § 2342 Rn. 1 [Stand: 1. November 2022]; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 2342 Rn. 1; [X.]/[X.], [X.] (2021) § 2342 Rn. 1; [X.]/[X.]/[X.], Erbrecht 4. Aufl. § 2342 Rn. 2; [X.]/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. [X.]; [X.], Erbschein - Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis 4. Aufl. E. Rn. 219; [X.], [X.] 2004, 13, 14 f.). Das Nachlassgericht darf wegen dieses Urteilsvorbehalts ein rechtskräftiges Urteil über die Erbunwürdigkeit auch nicht selbst inhaltlich überprüfen.

Dies gilt auch für ein im [X.] ergangenes Versäumnisurteil. [X.] man eine Bindung des Nachlassgerichts an ein solches, könnte dies zu dem Ergebnis führen, dass ein gemäß § 2339 [X.] materiell erbunwürdiger Erbe durch seine Säumnis im Rechtsstreit über seine Erbunwürdigkeit dauerhaft verhindern könnte, dass diese im Erbscheinsverfahren berücksichtigt wird (vgl. [X.] [X.] 2016, 283, 285 [juris Rn. 28]; [X.] in [X.]/Horn/[X.], [X.]. § 256 ZPO Rn. 39 unter b); [X.], [X.] 2017, 78, zu Urteilen ohne Gestaltungswirkung). Das Nachlassgericht dürfte die Voraussetzungen einer Erbunwürdigkeit nicht selbst prüfen. Einer erneuten Klage [X.]elben Klagepartei auf [X.] stünde wiederum die Rechtskraft des Versäumnisurteils entgegen. Das Nachlassgericht könnte sich in diesem Fall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dazu verpflichtet sehen, dem erbunwürdigen ([X.] auf seinen Antrag hin einen Erbschein zu erteilen.

(3) Unerheblich für die Bindungswirkung ist dabei auch, ob das ordentliche Gericht im [X.] - wie hier - in Form eines Versäumnisurteils entscheiden durfte. Das wird teilweise mit dem Argument, die Erbenstellung bzw. Erbunwürdigkeit stehe nach der Annahme der Erbschaft oder dem Fristablauf zur Ausschlagung nicht mehr zur Disposition des Erben, sodass Einschränkungen der [X.]en Dispositions- und Verhandlungsgrundsätze gelten sollen, verneint (so [X.], 263 f. [juris Rn. 14 ff.] zur Zulässigkeit eines [X.] nach § 307 Satz 1 ZPO; [X.], [X.] 2008, 465 f. m. [X.]. 11). Der [X.] hat die Frage der Geltung von Untersuchungsgrundsatz oder Verhandlungs- und Dispositionsgrundsatz bisher offengelassen (vgl. [X.]sbeschluss vom 12. September 2012 - [X.], [X.] 2013, 34 Rn. 7 f.). Ein - wie hier - diesen Rechtsstreit beendendes Versäumnisurteil ist jedenfalls nicht wegen seiner Urteilsart nichtig und damit unbeachtlich. Die Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen kommt nur in extremen Ausnahmefällen bei Vorliegen eines beson[X.] schweren, offenkundigen Mangels in Betracht (vgl. [X.], Urteile vom 4. April 2014 - [X.], NJW-RR 2014, 903 Rn. 7 m.w.[X.]; vom 23. November 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 767 Rn. 10). Ein offenkundiger schwerer Rechtsmangel liegt mit einer Entscheidung in Form eines Versäumnisurteils gemäß § 331 Abs. 1 ZPO in einem nach der Zivilprozessordnung vor den ordentlichen Gerichten zu behandelnden Rechtsstreit über die Erbunwürdigkeit schon deshalb nicht vor, weil das Gesetz jedenfalls ausdrücklich eine Versäumnisentscheidung nicht verbietet (vgl. etwa § 130 Abs. 2 FamFG) und überwiegend in der Rechtsprechung und Literatur der Erlass eines Versäumnisurteils für zulässig erachtet wird (z.B. [X.], 455 f. [juris Rn. 14]; [X.]/[X.], [X.] (2021) § 2342 Rn. 6 m.w.[X.]; [X.], Der [X.], 2007, Rn. 281 ff., 288; [X.], [X.] 2009, 101, 105; [X.], [X.] 1995, 459; vgl. auch [X.] [X.] 2020, 354, 356 f. [juris Rn. 73], das die Bindung des Nachlassgerichts an ein Versäumnisurteil aus einem [X.] ohne die Erwägung einer Urteilsnichtigkeit bejaht). Da die Zulässigkeit eines Versäumnisurteils zumindest vertretbar ist, kann es nicht als solches nichtig sein (vgl. [X.], Urteil vom 23. November 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 767 Rn. 11 zur Wirksamkeit einer Teilzurückweisung der Berufung).

c) Das Beschwerdegericht hat weiter ausgeführt, es sei zweifelhaft, ob im Verhältnis von Prozess- zu Erbscheinsverfahren eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Erbenfeststellungsurteils nach § 826 [X.] überhaupt Anwendung finden könne. Sie scheide vorliegend jedenfalls deshalb aus, weil bereits die materielle Unrichtigkeit des Versäumnisurteils nicht auf der Hand liege. Auch fehlten besondere, eine Sittenwidrigkeit begründende Umstände.

Auch diese Bewertung des [X.] hält rechtlicher Überprüfung stand. Die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit einer Rechtskraftdurchbrechung nach § 826 [X.] (grundlegend dazu [X.], Urteile vom 24. September 1987 - [X.], [X.]Z 101, 380, 383 ff. unter II.3. [juris Rn. 19 ff.]; vom 21. Juni 1951 - [X.], NJW 1951, 759 [juris Rn. 43 ff.]) im Verhältnis vom Zivilprozess zum Erbscheinsverfahren bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Die Voraussetzungen einer Rechtskraftdurchbrechung nach den Grundsätzen des § 826 [X.] liegen jedenfalls nicht vor.

§ 826 [X.] bietet dem Schuldner unter besonderen Umständen die Möglichkeit, sich gegen die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel zu schützen. Die Rechtskraft muss zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Eine solche Anwendung des § 826 [X.] muss jedoch auf beson[X.] schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil jede Ausdehnung das [X.] aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde ([X.], Urteil vom 24. September 1987 - [X.], [X.]Z 101, 380, 383 f. unter II.3. [juris Rn. 19], m. zahlr. [X.]). Die Anwendung des § 826 [X.] in derartigen Fällen setzt nicht nur die materielle Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und die Kenntnis des Gläubigers hiervon voraus; hinzutreten müssen vielmehr besondere Umstände, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und die das Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig prägen ([X.], Urteil vom 9. Februar 1999 - [X.], NJW 1999, 1257, 1258 [juris Rn. 15]).

Derartige Umstände sind nicht ersichtlich. Zwar ist das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren verpflichtet, die erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen und sämtliche zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu erheben (§§ 26 bis 29 FamFG; [X.]/[X.]/[X.], FamFG 4. Aufl. § 352e Rn. 61). Das bedeutet aber nicht, dass allen denkbaren Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen nachgegangen werden müsste. Eine Aufklärungspflicht besteht nur insoweit, als bei sorgfältiger Überlegung greifbare Anhaltspunkte zu weiteren Ermittlungen Anlass bieten (vgl. [X.]sbeschluss vom 5. Juli 2017 - [X.], [X.] 2017, 611 Rn. 16; [X.], Beschlüsse vom 11. Juli 2018 - [X.] 615/17, [X.], 1605 Rn. 10; vom 5. Juli 1963 - [X.], [X.]Z 40, 54, 57 unter 2. [juris Rn. 12]). Über Art und Umfang der Ermittlungen entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat lediglich nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist ([X.]sbeschluss vom 10. Juli 2019 - [X.], [X.]Z 222, 365 Rn. 18 m.w.[X.]). Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nicht gegeben.

Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das Versäumnisurteil sei materiell unrichtig, so hat das Beschwerdegericht dies zugunsten der Beteiligten zu 2 unterstellt. Aus den Ausführungen des [X.] zur fehlenden sittenwidrigen Erschleichung des Titels, da die Beteiligte zu 1 in ihrer Erbunwürdigkeitsklage ihre Ausführungen ausdrücklich als Vermutung gekennzeichnet habe und nicht mit den Voraussetzungen für ein Versäumnisurteil habe rechnen können, ergibt sich zugleich, dass das Beschwerdegericht sich mit einer etwaigen Kenntnis der Beteiligten zu 1 von der Unrichtigkeit des Versäumnisurteils auseinandergesetzt hat und - ohne Ermessensfehler - insoweit keinen weiteren Ermittlungsbedarf gesehen hat. Die Rechtsbeschwerde sieht zudem besondere Umstände, die die Ausnutzung des Versäumnisurteils sittenwidrig erscheinen lassen, darin, dass die Beteiligte zu 1 verschwiegen habe, bei den Gesprächen zwischen ihr und der Beteiligten zu 2 habe eine weitere Zeugin teilgenommen. Die unterbliebene Benennung eines (zusätzlichen) Zeugen ist [X.] zulässig und enthält zudem keinen hinsichtlich des [X.] zwischen den Beteiligten relevanten Tatsachenvortrag. Anhaltspunkte, die aus Rechtsgründen Anlass zu weiteren Ermittlungen des [X.] zu einer Sittenwidrigkeit des Ausnutzens des Versäumnisurteils gegeben hätten, sind darin nicht zu sehen. Auf die zusätzliche Begründung des [X.], die Rechtskraft des Urteils sei auf das prozessuale Verhalten der Beteiligten zu 2 zurückzuführen, und die dazu erhobene Rüge der Rechtsbeschwerde kommt es daher nicht mehr an.

III. [X.] beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des [X.] auf § 61 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG.

Prof. Dr. Karczewski     

      

Dr. Brockmöller     

      

Dr. Bußmann

      

Dr. Bommel     

      

[X.]     

      

Meta

IV ZB 11/22

26.04.2023

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Köln, 27. April 2022, Az: I-2 Wx 72/22, Beschluss

§ 2342 BGB, § 2344 BGB, § 331 Abs 1 S 1 ZPO, § 331 Abs 2 Halbs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.04.2023, Az. IV ZB 11/22 (REWIS RS 2023, 3101)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3101


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZB 11/22

Bundesgerichtshof, IV ZB 11/22, 26.04.2023.


Az. 2 Wx 72/22

Oberlandesgericht Köln, 2 Wx 72/22, 27.04.2022.


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