Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.03.2011, Az. X B 12/10

10. Senat | REWIS RS 2011, 8109

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Gegenstand

Prozessvollmacht bei Beiordnung - Anscheinsvollmacht im Rahmen einer Prozessvollmacht


Leitsatz

NV: Allein die Beiordnung eines vom Betroffenen nicht ausgewählten Rechtsanwalts oder Steuerberaters im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 121 ZPO i.V.m. § 142 FGO) hat nicht zur Folge, dass der Beigeordnete hierdurch in der Lage ist, den Betroffenen wirksam im Prozess zu vertreten .

Tatbestand

1

I. [X.]er Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob im Jahr 2001 beim Finanzgericht ([X.]) Klagen wegen mehrerer Steuerbescheide, die im [X.] an eine Außen- und Fahndungsprüfung ergangen waren. In den gerichtlichen Verfahren war er zunächst durch einen Rechtsanwalt vertreten. [X.]ieser teilte dem [X.] im [X.] an einen Erörterungstermin im Jahr 2004 mit, eine außergerichtliche Erledigung sei nicht möglich, der Kläger begehre eine gerichtliche Entscheidung. Im weiteren Verlauf des Verfahrens legte die Anwaltskanzlei das Mandat nieder. Auf seinen Antrag bewilligte das [X.] dem Kläger mit Beschluss vom 10. März 2005 Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete ihm zu seiner Vertretung die Steuerberaterin [X.] bei.

2

In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vom 26. Juni 2006, zu der der Kläger nicht persönlich geladen worden und auch nicht erschienen war, folgten Steuerberaterin [X.] und die Vertreterin des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) dem Vorschlag des [X.] zur Beilegung des Rechtsstreits. Hierbei hob die Vertreterin des [X.] einen der streitigen Steuerbescheide auf und verpflichtete sich im Übrigen, die anderen Steuerbescheide entsprechend dem Vorschlag zu ändern. [X.]ie Vertreterin des [X.] und die Steuerberaterin erklärten daraufhin in dieser mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit jeweils in der Hauptsache für erledigt.

3

Im Rahmen der Anfechtung der in der Folgezeit ergangenen [X.] machte der Kläger geltend, die Steuerberaterin habe ohne sein Einverständnis einen "Vergleich" geschlossen. [X.]em [X.] sei bekannt gewesen, dass er einen solchen nicht gewollt habe. [X.]ie Steuerberaterin habe er nicht als seine Prozessbevollmächtigte, sondern mehr als Sachverständige wahrgenommen. [X.]as [X.] legte das Vorbringen des [X.] als Erklärung aus, wirksame Erledigungserklärungen des [X.] lägen nicht vor, so dass die gerichtlichen Verfahren fortzusetzen seien. [X.]urch Urteil vom 26. November 2009 stellte das [X.] fest, dass der Rechtsstreit (jeweils) in der Hauptsache erledigt ist. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe Steuerberaterin [X.] durch konkludentes Verhalten Vollmacht zu seiner Prozessvertretung erteilt. Zumindest habe aber eine [X.]uldungs- oder Anscheinsvollmacht vorgelegen.

4

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision.

Entscheidungsgründe

5

II. [X.]ie Beschwerde hat keinen Erfolg. [X.]ie vom Kläger geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) sind nicht gegeben.

6

1. [X.]ie Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O).

7

[X.]er Kläger macht geltend, es bedürfe der grundsätzlichen Klärung, ob ein vom Gericht beigeordneter, nicht von dem Prozessbeteiligten benannter Vertreter rechtlich auch ohne Vollmachtsvorlage wirksam eine im Widerspruch zu dem Verhalten des Prozessbeteiligten stehende Prozesserklärung abgeben könne. Ferner sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob im Hinblick auf § 62 Abs. 6 [X.]O in der derzeit geltenden Fassung, wonach die Vollmacht schriftlich zu den Akten zu reichen sei, wie nach § 62 [X.]O in der bisherigen Fassung die Schriftform der Vollmacht von konstitutiver Bedeutung sei. Auch bedürfe es der Klärung, ob eine [X.] oder Anscheinsvollmacht ausreiche.

8

a) Eine Rechtsfrage hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie im konkreten Streitfall klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Wie eine Rechtsnorm auszulegen ist, ist dann nicht klärungsfähig, wenn sie im konkreten Streitfall (noch) nicht anwendbar ist. [X.]ies ist vorliegend der Fall, soweit durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. [X.]ezember 2007 ([X.], 2840) § 62 [X.]O geändert worden ist. [X.]enn diese gesetzliche Neuregelung trat nach Art. 20 Satz 3 dieses Gesetzes erst ab dem 1. Juli 2008 in [X.]. Im Streitfall ist hingegen die Frage zu beurteilen, ob Steuerberaterin [X.] den Kläger am 26. Juni 2006 wirksam vertreten konnte. Hierfür spielt die gesetzliche Neuregelung von § 62 [X.]O keine Rolle.

9

b) [X.]ies vorausgeschickt, sind die vom Kläger aufgeworfenen Fragen nicht grundsätzlich bedeutsam:

aa) Es ist höchstrichterlich geklärt, dass die Beiordnung eines von dem Betroffenen nicht ausgewählten Rechtsanwalts im Rahmen der Bewilligung von [X.] gemäß § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 142 [X.]O durch das Prozessgericht nicht zur Folge hat, dass der beigeordnete Rechtsanwalt hierdurch in der Lage ist, den Betroffenen in dem Prozess wirksam zu vertreten (Entscheidungen des [X.] --BGH-- vom 22. Juni 1959 [X.], Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1959, 1732, und vom 1. März 1973 [X.]/71, NJW 1973, 757; vgl. auch [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 121 Rz 29). Vertretungsmacht erlangt der beigeordnete Anwalt erst dadurch, dass ihm der Betroffene eine Vollmacht i.S. des § 167 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erteilt.

Nichts anderes gilt, soweit das Prozessgericht wie im Streitfall gemäß § 142 Abs. 2 [X.]O einen Steuerberater beiordnet. [X.]enn diese Vorschrift knüpft an § 121 ZPO an und erweitert lediglich den dort bestimmten Personenkreis.

bb) Ebenfalls höchstrichterlich geklärt ist, dass die Erteilung einer wirksamen Prozessvollmacht im Finanzgerichtsprozess nach § 62 [X.]O in der vom 1. Januar 2001 bis zum 30. Juni 2008 und damit auch im Streitfall geltenden Fassung auch in schlüssiger Weise erteilt werden kann und zur Wirksamkeit keiner Schriftform bedarf. Vielmehr hat die Schriftform nach § 62 Abs. 3 Satz 1 [X.]O nur Nachweisfunktion (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 20. [X.]ezember 2006 [X.], nicht veröffentlicht --n.v.--; vgl. auch Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 62 Rz 42).

cc) Ferner ist geklärt, dass im Falle des Auftretens einer Person i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 des [X.] (§ 62 Abs. 3 Satz 6 [X.]O; jetzt § 62 Abs. 6 Satz 4 [X.]O) das Bestehen einer Prozessvollmacht vom [X.] nur zu überprüfen ist, wenn begründete Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen (BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 [X.], [X.], 409, [X.] 2003, 606). Ob solche Zweifel gegeben sind, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Fragen, die nur anhand einer Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls beurteilt werden können, sind nicht von grundsätzlicher Bedeutung (Senatsbeschluss vom 28. Februar 1989 [X.]/87, [X.] 1989, 709). [X.]ementsprechend ist in diesem Zusammenhang nicht zu überprüfen, ob das [X.] zu Recht vom Bestehen einer stillschweigend erteilten Prozessvollmacht ausgegangen ist (zum Erfordernis der Gutgläubigkeit für die Annahme einer Anscheinsvollmacht vgl. unten bei 3.a).

2. [X.]as angefochtene Urteil weicht nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O von den vom Kläger benannten BFH-Entscheidungen ab.

a) Eine zur Revisionszulassung führende Abweichung vom Senatsbeschluss vom 18. Januar 1988 [X.] (n.v.) sowie von dem BFH-Urteil vom 28. November 1995 [X.] ([X.], 5, [X.] 1996, 105) ist nicht gegeben. Zwar wird in beiden Entscheidungen ausgeführt, eine Prozessvollmacht sei schriftlich zu erteilen. [X.]iese Auffassung betrifft indessen die vor dem 1. Januar 2001 geltende Fassung des § 62 [X.]O. Im Streitfall bestand eine andere Rechtslage (siehe oben bei 1.b bb).

b) [X.]as angefochtene Urteil des [X.] weicht auch nicht von dem tragenden Rechtssatz im [X.] vom 12. November 2009 [X.]/09 (Zeitschrift für Steuern und Recht 2010, [X.]) ab, wonach die Anforderung einer Prozessvollmacht für eine für die Kläger auftretende Person i.S. des § 62 Abs. 3 Satz 6 [X.]O dann geboten ist, wenn begründete Zweifel an seiner Bevollmächtigung bestehen. [X.]enn das [X.] ist ebenfalls von diesem Rechtssatz ausgegangen (vgl. [X.]-Urteil Seite 7, Abs. 5, Satz 2).

3. [X.]as angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

a) [X.]as [X.] hat nicht dadurch den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, dass es zu der mündlichen Verhandlung vom 26. Juni 2006 lediglich die Steuerberaterin [X.], nicht aber den Kläger persönlich geladen hat. [X.]er Anspruch auf rechtliches Gehör ist gewahrt, wenn allein der Bevollmächtigte, nicht aber der Kläger geladen wird. [X.]as gilt auch dann, wenn eine Vollmacht lediglich mündlich erteilt worden ist oder eine bloße [X.] oder Anscheinsvollmacht besteht (Beschluss des [X.] vom 15. Februar 1985  1 BvR 338/84, [X.] 1986, 259 zur Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Bevollmächtigte).

Im Streitfall kann dahinstehen, ob das [X.] zu Recht angenommen hat, das Verhalten des [X.] könne in dem Sinne verstanden werden, dass er Steuerberaterin [X.] schlüssig eine Prozessvollmacht erteilt hat. Jedenfalls hat das [X.] zutreffend (hilfsweise) angenommen, dass im Streitfall eine Anscheinsvollmacht bestanden hat.

Auch eine Prozessvollmacht kann mittels einer Anscheinsvollmacht begründet werden. [X.]anach kann sich der Vertretene auf den Mangel der Vollmacht seines angeblichen Vertreters dann nicht berufen, wenn er dessen Verhalten bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen und verhindern können, und wenn der andere Teil annehmen durfte, der Vertretene billige das Handeln des Vertreters (vgl. [X.] vom 12. März 1981 [X.], NJW 1981, 1727). [X.]ies ist in aller Regel nur dann der Fall, wenn das Verhalten des Vertreters eine gewisse [X.]auer und Häufigkeit aufweist ([X.] vom 13. Juli 1977 [X.], [X.]/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1977, 1169).

[X.]ass diese Voraussetzungen vorgelegen haben, hat das [X.] zutreffend dargetan. Auf diese Ausführungen nimmt der beschließende Senat Bezug. [X.]as [X.] hat dargestellt, dass Steuerberaterin [X.] ungefähr ein Jahr lang für den Kläger im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens aufgetreten ist, was für diesen erkennbar war. Insofern ist ein Vertrauenstatbestand gerechtfertigt.

[X.]em Vorliegen einer Anscheinsvollmacht steht auch nicht entgegen, dass Steuerberaterin [X.] irrigerweise angenommen hat, sie bedürfe zur Vertretung des [X.] im Hinblick auf ihre gerichtliche Bestellung keiner vom Kläger erteilten Vollmacht. [X.]enn entscheidend ist allein, ob das [X.] und das [X.] als jeweilige Empfänger der im Jahr 2006 abgegebenen Prozesserklärung betreffend die Erledigung der Hauptsache annehmen durften, eine Vollmacht sei gegeben. [X.]ies hat das [X.] zutreffend bejaht. [X.]em Umstand, dass der Kläger im Jahr 2004 eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits abgelehnt hatte, hat das [X.] im Hinblick auf den Zeitablauf zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen.

b) Soweit der Kläger rügt, das [X.] habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 [X.]O) verletzt, fehlt es an der schlüssigen Rüge eines solchen Verfahrensmangels. [X.]er Kläger hat bereits nicht dargetan, welche zusätzlichen  Aufklärungsmaßnahmen das [X.] ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt hätte ergreifen sollen.

c) Auch das erstmalige Vorbringen des [X.] im Schriftsatz vom 7. Mai 2010, das [X.] habe das rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass er im [X.] an die Vernehmung der Steuerberaterin [X.] als Zeugin am 29. November 2009 (gemeint: 26. November 2009) nicht angehört worden sei, führt nicht zur Zulassung der Revision.

[X.]abei kann dahinstehen, ob dieses nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist (§ 116 Abs. 3 [X.]O) erfolgte Vorbringen überhaupt berücksichtigt werden darf. Jedenfalls liegt der gerügte Verfahrensfehler bereits deshalb nicht vor, weil ausweislich der Niederschrift vom 26. November 2009 die mündliche Verhandlung erst zehn Minuten nach der Entlassung der genannten Zeugin geschlossen wurde. [X.]er Kläger hatte mithin Gelegenheit sich zu der Zeugenaussage noch zu äußern.

Meta

X B 12/10

30.03.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 26. November 2009, Az: 1 K 242/08, Urteil

§ 62 FGO, § 142 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 121 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.03.2011, Az. X B 12/10 (REWIS RS 2011, 8109)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8109

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Wird zitiert von

B 14 AS 270/20 B

3 Sa 764/16

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