Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.11.2012, Az. III B 138/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 1575

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Gegenstand

Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Kindergeldberechtigung von Ausländern - Maßgeblichkeit des tatsächlichen "Besitzes" aufenthaltsrechtlicher Titel - Geltendmachung verfassungsrechtlicher Bedenken


Leitsatz

1. NV: Die Rechtsfrage, ob ein Ausländer, der möglicherweise für den Streitzeitraum einen Anspruch auf einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Titel nach § 62 Abs. 2 EStG hat, diesen Titel aber nicht "besitzt", kindergeldberechtigt ist, ist nicht klärungsbedürftig. Nach der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass es allein auf den tatsächlichen "Besitz" aufenthaltsrechtlicher Titel ankommt .

2. NV: Wird die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam erachtet, ob die Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 EStG verfassungsgemäß seien, ist die Rüge dann nicht ordnungsgemäß erhoben, wenn sich der Beschwerdeführer nicht mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH auseinandersetzt .

3. NV: Mit dem Vortrag, die Kindergeldberechtigung des Ausländers ergebe sich aus verschiedenen --vom FG nicht geprüften-- (zwischenstaatlichen oder überstaatlichen) Abkommen, wird keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage, sondern ein materieller Mangel dargelegt, der grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision rechtfertigt .

Gründe

1

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

2

1. Der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) liegt, soweit die Beschwerdebegründung überhaupt den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genügt, nicht vor.

3

Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingehen, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (z.B. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 16. Mai 2008 VII B 118/07, [X.], 1440). Eine Rechtsfrage, die der [X.] bereits geklärt hat, bedarf im Regelfall keiner erneuten Klärung im Revisionsverfahren ([X.]-Beschluss vom 7. Juni 2006 II B 129/05, [X.]/NV 2006, 1616). Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend, so ist darüber hinaus eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) und des [X.] orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2010 III B 82/10, [X.]/NV 2011, 38, m.w.N.).

4

a) Die Rechtsfrage, ob ein Ausländer, der nur über einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes ([X.]) verfüge, kindergeldberechtigt sei, wenn ihm wegen eines [X.] Kindes aus familiären Gründen ein Daueraufenthaltsrecht zustehe, ist nicht klärungsbedürftig. Gleiches gilt für die Rechtsfrage, welche Folgen für die Kindergeldberechtigung daraus zu ziehen seien, dass der Klägerin ab Geburt ihrer Tochter im Januar 2004 keine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 des Ausländergesetzes 1990 ([X.]) bzw. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.], sondern erst im Dezember 2004 fälschlicherweise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 3 [X.] bzw. § 25 Abs. 5 [X.] erteilt worden sei. Diese Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt.

5

Das Finanzgericht ([X.]) hat im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, dass ein Ausländer gemäß § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (EStG n.F.) nur und erst dann eine für den Kindergeldanspruch erforderliche Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis "besitzt", wenn er einen dieser Aufenthaltstitel tatsächlich in den Händen hält. Diese zu § 62 Abs. 2 EStG a.F. ergangene Rechtsprechung ([X.]-Beschluss vom 1. Dezember 1997 VI B 147/97, [X.]/NV 1998, 696) gilt gleichermaßen für den mit Wirkung zum 1. Januar 2006 in [X.] getretenen und nach § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG auf den Streitfall anwendbaren § 62 Abs. 2 EStG n.F. Es ist daher unerheblich, ob ein Ausländer bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Anspruch auf einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Titel hatte (Senatsurteil vom 28. April 2010 III R 1/08, [X.]E 229, 262, [X.], 980, m.w.N.). Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargelegt, ob und ggf. welche gewichtigen neuen rechtlichen Gesichtspunkte gegen die Rechtsprechung des [X.] vorgetragen werden.

6

b) Soweit die Klägerin die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam erachtet, ob die Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b und c sowie Nr. 3 EStG n.F. verfassungsgemäß seien, ist die Rüge bereits nicht ordnungsgemäß erhoben.

7

Die Klägerin trägt nicht vor, weshalb die genannten Regelungen verfassungswidrig sein sollen. Hierzu hätte mit Blick auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats, nach der § 62 Abs. 2 EStG n.F. verfassungsrechtlich unbedenklich, insbesondere nicht gleichheitswidrig ist, Anlass bestanden (z.B. Senatsbeschluss in [X.]/NV 2011, 38; Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 72/09, [X.]/NV 2011, 1134, m.w.N.). Die Klägerin nimmt zwar auf eine gegen den Senatsbeschluss vom 14. September 2009 III B 54/08 ([X.]/NV 2010, 32) eingelegte Verfassungsbeschwerde Bezug, die nach wie vor anhängig sei. Damit legt sie aber nicht dar, welche der von ihr genannten Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b und c sowie Nr. 3 EStG aus welchen Gründen gegen die Verfassung verstoßen soll.

8

Eine Auseinandersetzung mit der Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. [X.]. Nr. 3 EStG n.F. war auch nicht deshalb entbehrlich, weil das [X.] mit dem auf mehrere Vorlagen des [X.] (z.B. [X.] des [X.] vom 3. Dezember 2009 B 10 [X.] 5/08 R, B 10 [X.] 6/08 R sowie B 10 [X.] 7/08 R, jeweils juris) ergangenen Beschluss vom 10. Juli 2012  1 BvL 2-4/10, 3/11 ([X.], 1898) den mit § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG n.F. wortgleichen § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. b des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärt hat. Der Senat ist in seinen bisherigen Entscheidungen davon ausgegangen, dass die vom [X.] im Rahmen seiner Vorlagen gegen § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. b BErzGG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken bei Gewährung des steuerrechtlichen Kindergeldes nicht zum Tragen kommen, weil das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf die Sozialleistungen angerechnet (z.B. § 11 Abs. 1 Satz 3 des [X.] [X.]) oder an den Sozialleistungsträger erstattet (s. § 74 Abs. 2 EStG) oder an diesen abgezweigt (§ 74 Abs. 1 Satz 4 EStG) wird. Danach brächte eine Ausweitung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die ihren Unterhalt mit Sozialleistungen bestreiten, für diese in der Regel keine finanziellen Vorteile (Senatsurteil in [X.]/NV 2011, 1134, m.w.N.).

9

So sind auch der Klägerin nach den Feststellungen des [X.] ab dem 11. Januar 2005 dem Grunde nach Sozialleistungen nach dem [X.] ([X.]) gewährt worden. Es hätte daher erwartet werden dürfen, dass sich die Klägerin --zumindest in einer knappgehaltenen Darlegung-- mit der Frage auseinandergesetzt hätte, warum § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG n.F. trotz der Ausführungen des beschließenden Senats verfassungswidrig sei.

c) Soweit in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, die Rechtssache habe deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil sich die Klägerin auf Art. 65 Abs. 1 des [X.] vom 26. Februar 1996 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem [X.] andererseits ([X.] 1998, 1810), auf Art. 41 des Kooperationsabkommens vom 27. April 1976 zwischen der [X.] und dem [X.] ([X.] 1978, 690), auf die Vereinbarung zwischen der Regierung der [X.] und der Regierung des [X.] über die vorübergehende Beschäftigung [X.] Arbeitnehmer in der [X.] in der Fassung vom 2. Juli 1971 ([X.] 1971, 1366) und auf das Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes ([X.] 1992, 990), insbesondere dessen Art. 26 und 27 berufen könne, formuliert sie hiermit weder eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage von allgemeinem Interesse noch zeigt sie hierdurch die Klärungsbedürftigkeit und die Klärungsfähigkeit einer solchen Rechtsfrage auf. Vielmehr rügt sie die fehlende Prüfung vorstehend genannter Bestimmungen durch das [X.]. Dies begründet jedoch allenfalls einen materiellen Mangel. Mit der Rüge einer vermeintlich fehlerhaften Rechtsanwendung lässt sich jedoch die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (z.B. Senatsbeschluss vom 2. September 2011 III B 9/10, [X.]/NV 2012, 65, m.w.N.).

2. Aus den gleichen Gründen scheidet eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 [X.]O) aus. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O dar und setzt daher ebenfalls die Darlegung und das Vorliegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom 30. Januar 2012 III B 153/11, [X.]/NV 2012, 705, m.w.N.).

3. Die ausdrücklich oder sinngemäß gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) liegen jedenfalls nicht vor.

a) Das [X.] hat nicht gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen, indem es das Klageverfahren nicht bis zum Ergehen einer Entscheidung durch die Ausländerbehörde nach § 74 [X.]O ausgesetzt hat.

Eine Aussetzung ist nur dann möglich, wenn das andere Verfahren zumindest in bestimmter Weise rechtlich vorgreiflich für das anhängige Verfahren ist (z.B. [X.]-Beschluss vom 16. Juli 2008 VI B 25/08, [X.], 1845). Dies hat das [X.] im Ergebnis zutreffend verneint, weil es nach der Rechtsprechung des [X.] unerheblich ist, ob ein Ausländer bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Anspruch auf einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Titel hatte (dazu 1.a).

b) Ebenso hat das [X.] den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 [X.]O, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht deshalb verletzt, weil es bei seiner Entscheidung unerwähnt gelassen hat, dass die Klägerin nach § 8 Abs. 2 [X.] erwerbsfähig gewesen sei. Auf diesen Gesichtspunkt kam es nach der maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des [X.] (s. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 79, m.w.N.) nicht an. Aus dem gleichen Grund musste das [X.] auch nicht ermitteln (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O), ob die Klägerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt Anspruch auf einen den Bezug von Kindergeld berechtigenden Aufenthaltstitel hatte.

Meta

III B 138/11

09.11.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. Juni 2011, Az: 4 K 4364/07, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 62 Abs 2 EStG 2002, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.11.2012, Az. III B 138/11 (REWIS RS 2012, 1575)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1575

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