Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.02.2015, Az. III R 19/14

3. Senat | REWIS RS 2015, 15945

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Gegenstand

Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer - Maßgeblichkeit des tatsächlichen "Besitzes" eines aufenthaltsrechtlichen Titels - Aussetzung des Klageverfahrens wegen vor dem BVerfG anhängiger Musterverfahren


Leitsatz

Erteilt die Ausländerbehörde rückwirkend einen Aufenthaltstitel, der nach § 62 Abs. 2 EStG zur Inanspruchnahme von Kindergeld berechtigt, so hat dies kindergeldrechtlich keine Rückwirkung. Für den Anspruch auf Kindergeld ist vielmehr der "Besitz" eines solchen Aufenthaltstitels erforderlich. Dies setzt voraus, dass der Kindergeldberechtigte den Titel im maßgeblichen Anspruchszeitraum tatsächlich in den Händen hält.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Mai 2014  14 K 2405/13 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Es ist streitig, ob der Klägerin und [X.] (Klägerin) für ihre am 31. August 2012 geborene Tochter Kindergeld für die [X.] ab der Geburt bis Juni 2013 zusteht.

2

Die Klägerin ist [X.], die Tochter [X.] Staatsangehörige. Die Klägerin reiste mit einem vom 5. November 2011 bis 19. November 2011 gültigen Besuchsvisum in die [X.] ([X.]) ein. Am 27. Juni 2012 beantragte sie unter Hinweis auf ihre Schwangerschaft eine Duldung. Dem Antrag war eine notarielle [X.]rkunde beigefügt, in der [X.], [X.]r Staatsangehöriger, die Vaterschaft für das zu erwartende Kind anerkannte.

3

Ab dem 2. Juli 2012 gewährte die [X.] ... ihr daraufhin eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes ([X.]). Nach der Geburt des Kindes beantragte die Klägerin am 24. September 2012 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Da die [X.] ... die biologische Vaterschaft des [X.] anzweifelte, wurde ein Verfahren zur Überprüfung der Vaterschaft bei der [X.] ... eingeleitet. Am 28. Juni 2013 übersandte die Klägerin der [X.] ... ein Vaterschaftsgutachten vom 15. April 2013, in dem die Vaterschaft des Herrn [X.] bestätigt wurde. Die [X.] ... erteilte der Klägerin daraufhin am 24. Juli 2013 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 [X.], die zur Ausübung der Erwerbstätigkeit berechtigte.

4

Im Oktober 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) Kindergeld. Dies lehnte die Familienkasse am 22. Oktober 2012 mit der Begründung ab, dass kein nach § 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgesehener Aufenthaltstitel vorliege. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2013 zurück.

5

Während des sich anschließenden Klageverfahrens teilte die Ausländerbehörde der [X.] ... auf Nachfrage des Finanzgerichts ([X.]) diesem zunächst mit, dass die Aufenthaltserlaubnis ab der Ersterteilung gelte. Mit einem weiteren Schreiben vom 9. April 2014 erklärte die Ausländerbehörde, dass der Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis bereits seit der Geburt des Kindes bestanden habe.

6

Das [X.] gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2014, 1416 veröffentlichten Gründen statt.

7

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung macht sie geltend, das Gesetz knüpfe explizit an den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis an.

8

Die Familienkasse beantragt (sinngemäß),
das [X.]rteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O-- [X.]. § 121 [X.]O).

Entscheidungsgründe

[X.] Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Das [X.] hat zu Unrecht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG bejaht.

1. Gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer --wie die [X.] für Kinder i.S. des § 63 EStG Kindergeld nur, wenn sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, sofern es sich nicht um einen der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG genannten Aufenthaltstitel handelt.

§ 62 Abs. 2 EStG knüpft nach seinem eindeutigen Wortlaut an den "Besitz" einer Aufenthaltserlaubnis an. Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) nur und erst dann erfüllt, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung der gesetzlich vorgeschriebenen Art tatsächlich in Händen hält, ihm also das Aufenthaltsrecht in [X.] durch entsprechenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Bezugszeit des Kindergeldes zugebilligt worden ist ([X.]-Beschluss vom 1. Dezember 1997 VI B 147/97, [X.]/NV 1998, 696, unter [X.]). Nicht entscheidend ist, ob ein Anspruch auf einen entsprechenden Titel bestand ([X.]-Urteil vom 28. April 2010 III R 1/08, [X.]E 229, 262, [X.], 980, Rz 13, m.w.N.; [X.]-Beschlüsse vom 23. Dezember 2013 III B 88/13, [X.]/NV 2014, 517, Rz 16, und vom 31. Juli 2009 III B 152/08, [X.]/NV 2009, 1811, unter [X.]2., m.w.N.). Der Kindergeldanspruch setzt vielmehr voraus, dass der Kindergeldberechtigte im maßgeblichen Streitzeitraum einen Aufenthaltstitel tatsächlich (körperlich) in den Händen hält ([X.]sbeschluss vom 9. November 2012 III B 138/11, [X.]/NV 2013, 372, Rz 5; [X.] Hamburg, Urteil vom 23. April 2014  6 K 277/13, E[X.] 2014, 1597).

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin im Streitzeitraum zunächst keinen der in § 62 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 EStG aufgeführten Aufenthaltstitel. Erst während des Klageverfahrens erhielt sie die Aufenthaltserlaubnis. Die Erklärung der Ausländerbehörde, dass die aufenthaltsrechtliche Wirkung der Aufenthaltserlaubnis ab dem [X.]punkt der Geburt gelte, ändert nichts an dem Umstand, dass die Klägerin in den Monaten August 2012 bis Juni 2013 keinen Aufenthaltstitel besessen hat.

2. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels der zum Bezug von Kindergeld berechtigt, führt nicht rückwirkend zu einem Anspruch auf Kindergeld ([X.] in [X.]/[X.], § 62 EStG Rz 14; [X.]/Treiber, § 62 EStG Rz 40; a.A. [X.] [X.], Beschluss vom 22. März 2005  8 S 1/05, E[X.] 2005, 980; [X.], E[X.] 2014, 1418). Dabei lässt der [X.] dahinstehen, ob ein solcher Aufenthaltstitel mit rückwirkendem Geltungsbeginn im vorliegenden Fall überhaupt durch die außerhalb des Titels abgegebene nachträgliche Erklärung der [X.] ..., der Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sei bereits ab "Geburt des Kindes ... entstanden", vorliegt. Das Tatbestandsmerkmal "im Besitz" steht einem rückwirkenden Bezug von Kindergeld auch dann entgegen, wenn ein Aufenthaltstitel rückwirkend erteilt wird.

a) Der Kindergeldanspruch richtet sich --dem [X.] nach § 66 Abs. 2 EStG folgend-- danach, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld im jeweiligen Monat vorliegen ([X.]-Urteil vom 24. Oktober 2012 V R 43/11, [X.]E 239, 327, [X.], 491, Rz 13). Entscheidend ist daher, ob zumindest an einem Tag des jeweils monatlichen [X.] die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch tatsächlich vorliegen ([X.]-Urteil vom 5. September 2013 XI R 7/12, [X.]E 242, 399, [X.], 37, Rz 15).

§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG bringt deutlich zum Ausdruck, dass nur derjenige einen Anspruch auf Kindergeld haben soll, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die selbst zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat. Nicht entscheidend ist zwar, ob er tatsächlich erwerbstätig ist. Das Gesetz stellt aber auf die mögliche Integration von Ausländern in den [X.] Arbeitsmarkt ab. Damit ist der Gesetzgeber den Vorgaben des [X.] ([X.]) in seinem Beschluss vom 6. Juli 2004  1 BvL 4/97 ([X.]E 111, 160) nachgekommen, das beanstandet hatte, dass die frühere Regelung nur ausländische Eltern benachteiligte, die legal in [X.] lebten und bereits in den Arbeitsmarkt integriert waren. Bei Ausländern, denen keine Erwerbstätigkeit erlaubt ist, ging der Gesetzgeber wie das [X.] davon aus, dass das Existenzminimum ihrer Kinder durch staatliche Fürsorgeleistungen in ausreichendem Maße gesichert ist (BTDrucks 16/1368, S. 9, [X.]-Beschluss in [X.]E 111, 160).

Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der nicht im Besitz einer zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltserlaubnis ist, kann eine legale Erwerbstätigkeit nicht aufnehmen und somit nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden. Denn der Arbeitgeber ist gemäß § 4 Abs. 3 Satz 4 [X.] verpflichtet zu überprüfen, ob ein entsprechender Aufenthaltstitel vorliegt, aus dem sich erkennbar die Erlaubnis einer Beschäftigung ergeben muss (§ 4 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Daher kann regelmäßig --von den Ausnahmen in § 4 Abs. 2 Satz 3 [X.] (Zustimmung der [X.]) [X.] eine rechtmäßige Beschäftigung nur erfolgen, wenn der Arbeitnehmer einen entsprechenden Titel zu Beginn der Beschäftigung tatsächlich in den Händen hält. Daran ändert auch eine mögliche rückwirkende Erteilung nichts. Sofern die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit [X.] als zulässig angesehen wird, gilt dies nur, soweit der Ausländer die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden [X.]raum beansprucht, weil er ein schutzwürdiges Interesse daran hat. Ein schutzwürdiges Interesse wird dann angenommen, wenn es für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem [X.]punkt an der Ausländer den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (Urteil des [X.] vom 9. Juni 2009  1 [X.] 7/08, Neue [X.]schrift für Verwaltungsrecht 2009, 1431, unter 3.; [X.], Urteil vom 11. September 2013  19 K 365.12, nicht veröffentlicht --n.v.--, Rz 26 f.). Die aus aufenthaltsrechtlichen Gründen erteilte rückwirkende [X.] ändert nichts daran, dass in der [X.] bis zur Erteilung des Aufenthaltstitels keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden konnte.

b) Indem § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis mit dem weiteren Merkmal der Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit verknüpft, bringt die Vorschrift damit deutlich zum Ausdruck, dass die betreffende Aufenthaltserlaubnis zumindest an einem Tag des monatlichen [X.] tatsächlich vorgelegen haben muss.

Diese Auslegung knüpft an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu vergleichbaren Vorschriften an. Soweit § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes ([X.]), § 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes, § 1 des [X.] für die entsprechenden Leistungen eines nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländers den Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels voraussetzt, liegt ein solcher nur vor, wenn die Ausländerbehörde bereits zu Beginn des [X.] ein entsprechendes Aufenthaltsrecht förmlich festgestellt hat ([X.] vom 10. Juli 2014 B 10 [X.] 5/14 R, [X.] 31398; [X.] vom 30. September 2010 B 10 [X.] 9/09 R, [X.], 1, Rz 29; [X.]e vom 2. Oktober 1997  14 [X.] 1/97, NVwZ 1998, 1110; vom 30. September 1996  10 [X.] 24/95, [X.] 1997, 216; vom 9. Februar 1994  14/14b [X.] 9/93, [X.] 1994, 320; vgl. [X.], Urteil vom 29. Januar 2014 L 12 [X.] 66/12, n.v.; [X.] --LSG-- [X.], Urteil vom 24. Juni 2014 L 11 [X.] 3136/13, n.v., Rz 35; [X.], Urteil vom 19. Dezember 2012 L 2 [X.] 2/10, n.v., Rz 34). Ausdrücklich stellt das BSG fest, dass für den Anspruch auf Bundeserziehungsgeld die Erteilung eines Aufenthaltstitels, in dem die Geltungsdauer auf einen [X.]punkt vor seiner tatsächlichen Erteilung zurückreicht, [X.] entfaltet ([X.] in [X.], 1, unter 2., und [X.] in NVwZ 1998, 1110, Rz 13; vgl. LSG [X.], Urteil vom 24. Juni 2014 L 11 [X.] 3136/13, n.v., Rz 35). Selbst wenn daher die hier vorliegende nachträgliche Erklärung der [X.] ... als Anordnung der Rückwirkung des Aufenthaltstitels anzusehen sein sollte, lässt die Erteilung des Titels den Anspruch auf Kindergeld erst für die Zukunft entstehen.

c) Nach Auffassung des [X.]s kommt auch mangels einer planwidrigen Regelungslücke eine analoge Anwendung von § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht in Betracht, wenn nach Ablauf des [X.] eine Aufenthaltserlaubnis mit einer rückwirkenden Geltungsdauer erteilt wird. Der Fall, dass eine Aufenthaltserlaubnis eine bestimmte Überprüfungszeit in Anspruch nimmt, kommt in der Praxis regelmäßig vor. Es kann daher nicht angenommen werden, dass dieser Umstand im Gesetzgebungsverfahren außer [X.] geblieben ist. Auch aus den Gesetzesmaterialien (zum Entwurf eines Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss, BTDrucks 16/1368, S. 1 ff.) wird deutlich, dass der Gesetzgeber nicht den Familienkassen die Prüfung eines Aufenthaltstitels mit [X.] auferlegen wollte. Die Gewährung von Kindergeld sollte dem Aufenthaltsrecht folgen (BTDrucks 16/1368, S. 9, zu § 1 Abs. 3 [X.]). Dabei war dem Gesetzgeber auch bewusst, dass die Dauer der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit [X.] von Zufälligkeiten des [X.] abhängen kann. Hierauf hatte zum einen das BSG vor der Gesetzesänderung im [X.] schon mehrfach hingewiesen ([X.]e vom 9. September 1992  14b/4 [X.] 16/91, [X.] 3-7833 § 1 [X.]; in [X.] 1994, 320). Zum anderen hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu Vorschlägen des Bundesrates (BTDrucks 16/368, S. 14) ausgeführt, dass der Gesetzentwurf darauf abstelle, "dass nicht allein an die Möglichkeit der Berechtigung zu einer Erwerbstätigkeit angeknüpft werden soll, sondern dass nur diejenigen Anspruch auf Familienleistungen haben sollen, die tatsächlich in Besitz dieser Berechtigung sind oder schon einmal waren".

d) Die Auslegung des [X.]s, dass der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG genannte Aufenthaltstitel, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt haben muss, im Leistungszeitraum tatsächlich vorgelegen haben muss, steht nicht in Widerspruch zum [X.]surteil vom 15. März 2012 III R 87/03 ([X.]/NV 2012, 1603), wonach ein rückwirkend entzogener Aufenthaltstitel zwangsläufig zur rückwirkenden Aufhebung von Kindergeld führen muss. Die dortige Klägerin war zunächst im Besitz einer nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG erteilten Aufenthaltserlaubnis, die ihr rückwirkend entzogen wurde. Der [X.] stellte bei der Frage der Anspruchsvoraussetzungen nicht entscheidend auf den rückwirkenden Entzug ab, sondern auf die fehlende zusätzliche Voraussetzung nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG (Arbeitsmarktintegration, [X.]-Urteil in [X.]/NV 2012, 1603, Rz 14).

e) Die Kindergeldberechtigung eines nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländers von der tatsächlichen Erteilung eines entsprechenden Aufenthaltstitels zu Beginn des [X.] abhängig zu machen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Das [X.] hat sich zwar in keiner seiner Entscheidungen zum Elterngeld (Beschluss vom 10. Juli 2012  1 [X.] und 3/11, [X.]E 132, 72), zum Erziehungsgeld (Beschluss vom 7. Februar 2012  1 BvL 14/07, [X.]E 130, 240) oder zum Kindergeld (Beschluss in [X.]E 111, 160) dazu geäußert, dass von [X.] wegen nicht auf den Besitz einer entsprechenden Erlaubnis abgestellt werden dürfe. Es hat aber die jahrelange Praxis, dass bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern die Gewährung von Familienleistungen den Entscheidungen zum Ausländerrecht folgt, nicht beanstandet, obwohl ihm die Verfahrensdauer der Erteilung eines entsprechenden Aufenthaltstitels bewusst gewesen sein müsste (vgl. [X.] in [X.], 1, Rz 36). Mit Rücksicht auf die [X.] und die Verwaltungspraktikabilität des auf die Beurteilung von [X.] zugeschnittenen Kindergeldrechts bei Ausländern ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die sachnähere Ausländerbehörde den maßgebenden [X.] feststellt und die Familienkassen hieran gebunden sind ([X.]).

bb) Die Regelung der [X.] verstößt auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes); sie ist insbesondere nicht unverhältnismäßig. Zwar macht sie den Anspruch auf Kindergeld von Zufälligkeiten des [X.] abhängig. Es ist jedoch zulässig und auch nicht ungewöhnlich, dass ein Anspruch von der [X.] einer anderweitig getroffenen Entscheidung abhängt, solange keine willkürliche rechtsmissbräuchliche Verzögerung vorliegt (vgl. [X.] vom 9. September 1992  14b/4 Reg 10/91, [X.] 20624). Welche Rechtsfolgen eine solche Verzögerung hätte, kann der [X.] dahinstehen lassen. Denn die vorliegende [X.]spanne bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Überprüfung der Vaterschaft des Kindes war nicht rechtsmissbräuchlich, da die Vaterschaftsfeststellung nach § 28 [X.] entscheidungserheblich war.

3. Der Rechtsstreit war auch nicht wegen der Vorlagen des Niedersächsischen [X.] vom 19. August und vom 21. August 2013  7 K 9/10, 7 K 111/13, 7 K 112/13, 7 K 113/13, 7 K 114/13, 7 K 116/13 (teilweise abgedruckt in E[X.] 2014, 932 ff.) an das [X.] gemäß § 74 [X.]O auszusetzen.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] kann eine Aussetzung des Verfahrens entsprechend der Vorschrift des § 74 [X.]O geboten sein, wenn vor dem [X.] bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die [X.]mäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim [X.] anhängigen Verfahrens hat (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 6. Oktober 2004 II R 10/03, [X.]/NV 2005, 238; Schoenfeld in [X.], [X.]O § 74 Rz 23 "[X.]"). Dabei ist nach der [X.]srechtsprechung eine Aussetzung des Klageverfahrens wegen vor dem [X.] anhängiger Musterverfahren nur dann gerechtfertigt, wenn die Musterverfahren und das Klageverfahren hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Streitfrage im Wesentlichen gleichgelagert sind ([X.]sbeschluss vom 27. November 1992 III B 133/91, [X.]E 169, 498, [X.] 1993, 240, unter 3.).

b) Hier fehlt es an einer solchen Vergleichbarkeit der Verfahren.

aa) In verfassungsrechtlicher Hinsicht kommt dem vom [X.] in dem Beschluss in [X.]E 111, 160 nicht beanstandeten Ziel des Gesetzgebers, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten war, dass sie auf Dauer in [X.] bleiben würden, maßgebliche Bedeutung zu (vgl. dazu [X.]surteil vom 22. November 2007 III R 54/02, [X.]E 220, 45, [X.] 2009, 913, unter [X.]2.a). Der [X.] hat für (reine) Duldungsfälle --ohne innerhalb dieser Fallgruppe weiter zu differenzieren (z.B. nach der Dauer der erteilten [X.] allgemein die Auffassung vertreten, dass die fehlende Kindergeldberechtigung geduldeter Ausländer nicht gegen die Verfassung verstößt, da sich aus einer Duldung kein (rechtmäßiger) Daueraufenthalt ableiten lässt (z.B. [X.]sbeschlüsse vom 26. März 2013 III B 158/12, [X.]/NV 2013, 968, Rz 13, m.w.N., und vom 14. Juni 2013 III B 119/12, [X.]/NV 2013, 1417, Rz 13).

bb) Soweit ersichtlich betrifft allein der Vorlagebeschluss des [X.] Niedersachsen vom 19. August 2013 im Verfahren 7 K 113/13 (E[X.] 2014, 932) ein Klageverfahren, in dem der Kläger --vergleichbar mit dem [X.] während des [X.] (nur) geduldet war. In den anderen --den [X.] zugrundeliegenden-- Klageverfahren hatten die Kläger im Streitzeitraum einen Aufenthaltstitel. Der dem [X.] 7 K 113/13 zugrundeliegende Fall ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass bei dem Kläger eine langjährige "[X.]" vorlag.

cc) Im Streitfall ist hingegen keine langjährige "[X.]" gegeben. Vielmehr wurde nur einmal eine Duldung für ein Jahr erteilt, weil noch nicht feststand, ob das Kind durch Geburt [X.] Staatsangehöriger ist (vgl. § 4 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes) und dementsprechend der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] zu erteilen war. Bis zu einem geeigneten Nachweis war daher völlig offen, ob die Klägerin in [X.] bleiben darf. Es fehlte mithin im Streitzeitraum an einer geeigneten Grundlage für die Prognose eines dauerhaften rechtmäßigen Aufenthalts in [X.].

4. [X.] folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

III R 19/14

05.02.2015

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 7. Mai 2014, Az: 14 K 2405/13, Urteil

§ 62 Abs 2 EStG 2009, § 66 EStG 2009, § 28 AufenthG, § 4 AufenthG, § 74 FGO, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.02.2015, Az. III R 19/14 (REWIS RS 2015, 15945)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15945

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