Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.09.2017, Az. XI R 9/16

11. Senat | REWIS RS 2017, 4713

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Gegenstand

Haftungsbescheid; Einwendungsausschluss des Geschäftsführers einer GmbH bei unterlassenem Widerspruch gegen die Forderungsanmeldung des FA


Leitsatz

Wird eine Steuerforderung gegenüber einer GmbH widerspruchslos zur Insolvenztabelle festgestellt, ist der Geschäftsführer der GmbH im Verfahren wegen Haftung gemäß § 166 AO mit Einwendungen gegen die Höhe der Steuerforderung ausgeschlossen, wenn er der Forderungsanmeldung hätte widersprechen können, dies aber nicht getan hat .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 10. März 2016  14 K 2710/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war seit Gründung der [X.] (GmbH) im Jahr 2000 deren Geschäftsführerin.

2

Die GmbH gab für die Jahre 2003 bis 2005 weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch Umsatzsteuer-Jahreserklärungen oder Körperschaftsteuererklärungen ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) setzte deshalb die Umsatzsteuer, die Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen (§ 162 der Abgabenordnung --[X.]--) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 [X.]) fest. Hiergegen legte die GmbH, vertreten durch ihren Steuerberater, den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Einsprüche ein.

3

Am 31. März 2006 beantragte das [X.] (und am 12. Oktober 2006 die GmbH) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Mit Beschluss vom ... November 2006  ... eröffnete das [X.] ([X.]) das Insolvenzverfahren. In dem Beschluss ist der Prüfungstermin genannt.

4

Im Laufe des Insolvenzverfahrens reichte der Insolvenzverwalter im November 2007 Steuererklärungen der GmbH ein. Das [X.] berechnete die Steuer jeweils neu, wich teilweise von den Erklärungen ab und meldete die Umsatzsteuer, die Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag für die Jahre 2003 bis 2005 sowie Säumniszuschläge, Zinsen und [X.] zur Insolvenztabelle an. Anfangs bestritt der Insolvenzverwalter die Forderungen. Mit Schreiben vom 2. Juli 2008 erklärte der Insolvenzverwalter, er sei bereit, für Zwecke der Forderungsanmeldung die [X.] in Höhe von ... Mio. € bei den Erlösen und damit eine Körperschaftsteuerschuld von ca. ... € und eine Umsatzsteuerschuld von ca. ... € zu akzeptieren. Einer Forderungsanmeldung auf Grundlage vorstehender Zahlen werde er, der Insolvenzverwalter, nicht widersprechen. Ein Zugeständnis von Umsätzen sei damit nicht verbunden. Die Anmeldungen wurden anschließend vom [X.] dementsprechend ermäßigt und in diesem Umfang am 24. September 2008 festgestellt (§§ 174, 175, 178 der Insolvenzordnung --InsO--).

5

Auch die GmbH widersprach den Forderungen nicht. Die Klägerin war während des Insolvenzverfahrens weiterhin Geschäftsführerin der GmbH.

6

Das [X.] hob das Insolvenzverfahren nach Vollzug der Schlussverteilung am 1. April 2009 auf. Die GmbH wurde wegen Vermögenslosigkeit am 4. Juni 2009 von Amts wegen gelöscht.

7

Nach Anhörung der Klägerin (Schreiben vom 20. August 2008) erließ das [X.] am 2. Dezember 2008 einen an sie gerichteten Haftungsbescheid in Höhe von ... €. Alle im Haftungsbescheid aufgeführten Steuern und steuerliche Nebenleistungen seien im Insolvenzverfahren ohne Widerspruch zur Insolvenztabelle festgestellt worden. Die Klägerin werde gemäß § 69 [X.] in Haftung genommen. Zahlungen der GmbH seien aufgrund des Insolvenzverfahrens nicht mehr zu erwarten.

8

Auf den Einspruch der Klägerin verringerte das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 14. August 2013 den [X.] geringfügig auf ... €. Es berücksichtigte Zinsen und Säumniszuschläge nicht mehr bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern nur noch bis zur Stellung des Insolvenzantrags (31. März 2006). Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.

9

Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die im Haftungsbescheid angesetzte Höhe der Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer der GmbH.

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab. Es entschied, die Einwendungen der Klägerin gegen die Höhe der Steuer und der steuerlichen Nebenleistungen blieben gemäß § 166 [X.] erfolglos. Die Klägerin könne sich im Haftungsverfahren nicht darauf berufen, dass die Steuerschulden nicht in der vom [X.] geltend gemachten Höhe bestünden, weil sie insoweit an die in der Insolvenztabelle widerspruchslos festgestellten Forderungen des [X.] nach § 166 [X.] gebunden sei.

Auch die weiteren Haftungsvoraussetzungen lägen vor. Die Haftungsquote betrage 100 %. Ermessensfehler lägen nicht vor.

Das Urteil des [X.] ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2016, 1931 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 166 [X.]. Sie macht im Wesentlichen geltend, ihr sei es nicht möglich gewesen, im Rahmen des Insolvenzverfahrens gegen ergangene Bescheide Rechtsbehelfe einzulegen, weil keine Bescheide erlassen worden, sondern lediglich Mitteilungen an den Insolvenzverwalter versandt worden seien. Die von dem Steuerberater der GmbH eingelegten Einsprüche gegen die vor dem Insolvenzverfahren ergangenen Bescheide seien nicht zurückgenommen worden. Der fehlende Widerspruch gegen die angemeldeten Forderungen könne nicht als ihr Einverständnis herangezogen werden, da sie damals die Grundlage für die Höhe der Steuerschuld noch nicht gekannt habe; hiervon habe sie erst im Laufe des [X.] gegen den Haftungsbescheid erfahren.

Im Übrigen sei die Anmeldung zur Insolvenztabelle nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) nicht als unanfechtbare Steuerfestsetzung anzusehen, weil sie nicht der Regelung über die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden (§§ 172 ff. [X.]), sondern den Regelungen über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 130 [X.]) unterliege. Der Widerspruch erfordere nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ein Feststellungsinteresse, dessen Voraussetzungen nur die Gesellschafter der GmbH schaffen könnten (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG--). Es sei mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes unvereinbar, den Rechtsschutz des Geschäftsführers der GmbH vom Willen der Gesellschafter der GmbH abhängig zu machen. Außerdem könne der Geschäftsführer durch den Widerspruch zur Insolvenztabelle nicht die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung sachlich prüfen lassen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben sowie den Haftungsbescheid vom 2. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. August 2013 dahingehend abzuändern, dass die Haftungssumme auf ... € herabgesetzt wird.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es verteidigt die angefochtene Vorentscheidung.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Zuständigkeit des erkennenden Senats für das vorliegende Verfahren ergibt sich aus Teil [X.]. Senat Nr. 1 i.V.m. I.4. der Ergänzenden Regelungen des [X.] ([X.]) des [X.]. Die Zuständigkeit des [X.]. Senats des [X.] gemäß Teil A [X.]. Senat Nr. 5 Buchst. b [X.] für Haftungssachen ist nicht begründet, da die Höhe der Steuer streitig ist.

2. Der erkennende Senat ist gemäß [X.] bb der Ergänzenden Regelungen des [X.] für den gesamten Streitfall zuständig, weil über die im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob Einwendungen der Klägerin gemäß § 166 [X.] ausgeschlossen sind, nur einheitlich entschieden werden kann und die Umsatzsteuer den höchsten Streitwert hat; die Zuständigkeit erstreckt sich gemäß [X.] der Ergänzenden Regelungen des [X.] auch auf die die Steuern betreffenden Säumniszuschläge, Zinsen und [X.].

III.

Die Revision ist unbegründet; sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin aufgrund von § 166 [X.] gehindert ist, Einwendungen gegen die Höhe der Steuer und steuerlichen Nebenleistungen, für die sie haftet, zu erheben.

1. Zu Recht gehen beide Beteiligte mit dem [X.] davon aus, dass das [X.] die Klägerin durch Haftungsbescheid in Haftung nehmen durfte.

a) Nach § 191 Abs. 1 [X.] kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.

b) Nach § 69 i.V.m. § 34 [X.] haften die Geschäftsführer einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 [X.]) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

c) Als Geschäftsführerin der GmbH war die Klägerin deren gesetzliche Vertreterin (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG) und hat als solche ihre gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.] bestehende Pflicht, rechtzeitig Steuererklärungen abzugeben (§ 149 [X.], § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--) und die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 [X.], § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG) zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 [X.]), verletzt. Diese objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den gegenüber der Klägerin zu erhebenden Schuldvorwurf (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 11. November 2008 [X.] R 19/08, [X.]E 223, 303, [X.], 342; vom 22. April 2015 XI R 43/11, [X.]E 249, 315, [X.], 755, Rz 20; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 [X.] Rz 29; Nacke, Haftung für Steuerschulden, 4. Aufl. 2017, Rz 2.133); dies wird mit der Revision auch nicht mehr in Abrede gestellt.

2. Das [X.] hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin die wi[X.]pruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle gegen sich gelten lassen muss; sie ist aufgrund von § 166 [X.] gehindert, Einwendungen gegen die Höhe der zur Insolvenztabelle festgestellten Steuern zu erheben, die dem Haftungsbescheid zugrunde liegen.

a) Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies nach § 166 [X.] neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.

b) Soweit § 166 [X.] eingreift, soll das Haftungsverfahren von Fragen der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzungen befreit werden; die Vorschrift soll in dem in von § 166 [X.] erfassten Umfang verhindern, dass im Haftungsverfahren das Besteuerungsverfahren nochmals aufgerollt und dadurch das Haftungsverfahren unnötig verzögert wird, wenn der [X.] als Vertreter des Steuerpflichtigen bereits zur Anfechtung der Steuerfestsetzung befugt war oder diese bereits erfolglos angefochten hat (vgl. Urteil des [X.] vom 17. Januar 1939 I 345/38, [X.], 325; [X.]-Urteile vom 28. Juli 1966 V 64/64, [X.]E 86, 636, [X.]I 1966, 610, Rz 14, zu § 119 der Reichsabgabenordnung; vom 6. April 2016 I R 19/14, [X.]/NV 2016, 1491, Rz 15). Der Gesetzgeber verlangt von den in § 166 [X.] genannten Personengruppen, dass sie von einer ihnen eingeräumten uneingeschränkten Rechtsmittelbefugnis Gebrauch machen, wenn sie dies beabsichtigen, und selbst dafür sorgen, wie sie diese Rechtsmittelbefugnis sicherstellen wollen (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 86, 636, [X.]I 1966, 610, Rz 14; vom 16. Mai 2017 [X.] R 25/16, [X.]E 257, 515, [X.], 934).

c) Zu Recht ist das [X.] davon ausgegangen, dass die wi[X.]pruchslose Feststellung einer Steuerforderung im Insolvenzverfahren als unanfechtbare Steuerfestsetzung i.S. des § 166 [X.] anzusehen ist (gl.A. [X.] Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Februar 2014  3 K 1283/12, [X.]Entscheidungsdienst --[X.]-- 2015, 489, Rz 35 und 38 ff.; [X.] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3. September 2015  9 K 9271/10, [X.] 2016, 750, Rz 47; [X.] Köln, Urteil vom 18. Januar 2017  10 K 3671/14, E[X.] 2017, 625, Rz 34 ff.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 166 [X.] Rz 4b; [X.], Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2012, 329, 337 ff.; [X.]. in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 166 [X.] Rz 12 und 17; [X.]/Rüsken, [X.], 13. Aufl., § 166 Rz 10; Nacke, a.a.[X.], Rz 9.71; ebenso bei nicht eingelegtem Einspruch [X.]-Urteil in [X.]E 257, 515, [X.], 934, Rz 20; a.A. Beschluss des [X.] vom 21. Mai 2007  2 B 4958/06, juris, Rz 19; [X.] Köln, Beschluss vom 24. November 2014  13 V 2905/14, juris, Rz 44; [X.], [X.] --[X.]-- 2016, 409; [X.]., Entscheidungen für Wirtschaftsrecht 2017, 555; Oellerich in [X.], [X.] § 166 Rz 19, 36; Stadie in Rau/Dürrwächter, Anhang 1 – Haftung für Umsatzsteuer, Rz 270; [X.], Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht 2017, 85 f.).

aa) Im Bereich des Steuerrechts wirkt die wi[X.]pruchslose Eintragung in die Insolvenztabelle wie die bestandskräftige Festsetzung der Forderung (vgl. [X.]-Urteil vom 16. April 2013 [X.] R 44/12, [X.]E 241, 291, [X.], 778, Rz 21, m.w.N.; [X.]-Beschluss vom 22. Juni 2011 [X.] S 1/11, [X.]/NV 2011, 2014, Rz 24). Die Feststellung der Forderung in der Insolvenztabelle stellt das insolvenzrechtliche Äquivalent zur Steuerfestsetzung durch Verwaltungsakt dar ([X.]-Urteil vom 19. August 2008 [X.] R 36/07, [X.]E 222, 205, [X.], 90; vgl. auch [X.]-Urteil in [X.]E 241, 291, [X.], 778). Die unwi[X.]prochene Feststellung tritt auch für die Berechnung der Haftungsschuld an die Stelle der --von der GmbH mit dem Einspruch [X.] Steuerbescheide, die dadurch i.S. des § 124 Abs. 2 [X.] auf andere Weise erledigt sind (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 241, 291, [X.], 778, Rz 21; vom 21. November 2013 V R 21/12, [X.]E 244, 70, [X.], 74, Rz 18 ff., 23 und 34, m.w.N.).

bb) Eine Forderung gilt nach § 178 Abs. 1 Satz 1 [X.] als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin (§ 176 [X.]) oder im schriftlichen Verfahren (§ 177 [X.]) ein Wi[X.]pruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Wi[X.]pruch beseitigt ist; ein Wi[X.]pruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Das Insolvenzgericht trägt für jede angemeldete Forderung in die Insolvenztabelle ein, inwieweit die Forderung ihrem Betrag und ihrem Rang nach festgestellt ist oder wer der Feststellung wi[X.]prochen hat; auch ein Wi[X.]pruch des Schuldners ist einzutragen (§ 178 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.]).

cc) Die wi[X.]pruchslose Eintragung in die Insolvenztabelle wirkt gemäß § 178 Abs. 3 [X.] für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil zwar (nur) gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen [X.].

dd) Die wi[X.]pruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle hat aber Rechtswirkungen nicht nur gegenüber dem Insolvenzverwalter und den [X.], sondern auch gegenüber der GmbH als Insolvenzschuldnerin.

Denn die Insolvenzgläubiger können gemäß § 201 Abs. 1 [X.] nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen. Die Insolvenzgläubiger, deren Forderungen festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden sind, können aus der Eintragung in die Insolvenztabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben (§ 201 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Der Tabelleneintrag hat die Wirkung eines vollstreckbaren Titels ([X.] in [X.], Insolvenzordnung, 7. Aufl., § 201 Rz 9).

Dem Insolvenzschuldner stehen deshalb im Insolvenzverfahren Rechte zu. Er darf am Prüfungstermin (§ 176 [X.]) teilnehmen und die Forderungen bestreiten ([X.], Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 176 Rz 17, 20 f.). Der Prüfungstermin dient dem Insolvenzverwalter, den [X.] sowie dem Schuldner dazu, ihre Vorbehalte gegen eine Forderung kundzutun und dokumentieren zu lassen (MünchKomm[X.]/[X.], 3. Aufl., § 176 Rz 3). Dem Schuldner ist außerdem zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. MünchKomm[X.]/[X.], a.a.[X.], § 186 Rz 1) ggf. nach § 186 [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die [X.], dass die Feststellung wie eine rechtskräftige Verurteilung wirkt, eine ungerechtfertigte Härte wäre, wenn der Schuldner durch unabwendbare Ereignisse am Erscheinen gehindert worden ist ([X.] in Jaeger, Insolvenzordnung, § 186 Rz 2).

ee) Bleibt eine angemeldete Forderung im Prüfungstermin (§ 176 [X.]) unbestritten, ist ein vom Insolvenzschuldner eingeleitetes Einspruchsverfahren durch die wi[X.]pruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle in der Hauptsache erledigt (vgl. [X.]-Urteil vom 11. Dezember 2013 XI R 22/11, [X.]E 244, 209, [X.], 332, Rz 27; [X.]-Beschlüsse vom 10. November 2010 IV B 11/09, [X.]/NV 2011, 649, Rz 4; vom 10. November 2010 IV B 18/09, [X.]/NV 2011, 650, Rz 4; vom 14. Mai 2013 X B 134/12, [X.]E 240, 534, [X.], 585, Rz 20; vom 23. September 2015 V B 159/14, [X.]/NV 2016, 60, Rz 12; [X.] vom 30. Januar 1961 II ZR 98/59, Neue Juristische Wochenschrift 1961, 1066; MünchKomm[X.]/[X.], a.a.[X.], § 178 Rz 89; [X.] in Kübler/Prütting/Bork, [X.], § 87 Rz 4; [X.]/ [X.], ZPO, 31. Aufl., § 240 Rz 13a). Für die Befriedigung des Steueranspruchs ist die Feststellung in der Insolvenztabelle maßgebend, so dass sich die Fortsetzung eines bei Verfahrenseröffnung anhängigen Steuerrechtsstreits erübrigt (vgl. [X.]-Urteil vom 29. Juni 1965 VI 13/64 S, [X.]E 82, 678, [X.]I 1965, 491, Rz 14). Dies gilt wegen § 201 Abs. 2 [X.] auch gegenüber dem Insolvenzschuldner. Die Feststellung zur Insolvenztabelle, die als Steuerfestsetzung wirkt, ist dadurch unanfechtbar i.S. des § 166 [X.]; sie ist mit einem förmlichen Rechtsbehelf (Einspruch, Klage, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) nicht mehr anfechtbar (vgl. dazu [X.]-Urteil in [X.]E 249, 315, [X.], 755, Rz 25).

ff) Wi[X.]pricht hingegen der Insolvenzschuldner der Forderungsanmeldung des [X.] (§ 174 [X.]) gemäß § 178, § 184 [X.], musste nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage gemäß § 184 Satz 2 [X.] a.F. (vgl. Art. 103c Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung) das [X.] das unterbrochene Einspruchsverfahren gegenüber dem Insolvenzschuldner aufnehmen, um dessen Wi[X.]pruch zu beseitigen (vgl. [X.]-Urteile vom 7. März 2006 [X.] R 11/05, [X.]E 212, 11, [X.], 573; vom 13. November 2007 [X.] R 61/06, [X.]E 220, 289, [X.], 790; [X.], [X.]-Steuerberater 2007, 101, 102; ebenso zu § 184 Abs. 2 [X.] n.F. [X.]-Beschluss vom 15. März 2013 [X.] B 49/12, [X.]/NV 2013, 1451, Rz 7; [X.]-Urteil vom 16. September 2015 XI R 47/13, [X.]/NV 2016, 428, Rz 31; [X.], [X.] 2012, 103, 112). Im laufenden Einspruchsverfahren des Insolvenzschuldners wird dann die materielle Rechtmäßigkeit der angemeldeten Steuerforderungen geklärt und der Insolvenzschuldner kann seine Einwendungen vorbringen.

gg) Das --für eine Feststellung nach § 184 [X.] a.F. erforderliche-- Feststellungsinteresse des [X.] liegt --entgegen der Auffassung der Klägerin (ebenso wohl [X.], [X.] 2016, 409, 413)-- vor (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 220, 289, [X.], 790, unter II.2.c, Rz 16). Die von [X.] und der Klägerin zitierte Rechtsprechung des [X.] zu (dem im Streitfall noch nicht einschlägigen) § 184 Abs. 2 Satz 1 [X.] n.F. betont im Übrigen auch zum neuen Recht, dass das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden kann, solange nicht feststeht, dass eine Vollstreckung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr möglich ist. Besteht Unsicherheit darüber, ob eine Vollstreckung nach § 201 Abs. 2 [X.] möglich sein wird, ist das Rechtsschutzbedürfnis auch nach neuem Recht zu bejahen (vgl. [X.] vom 11. Juli 2013 IX ZR 286/12, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht --Z[X.]-- 2013, 1734, Rz 11). Solche Unsicherheit bestand innerhalb der Monatsfrist des § 184 Abs. 2 Satz 1 [X.] n.F.

hh) Ausgehend davon ist die Klägerin nunmehr im Haftungsverfahren gehindert, Einwendungen gegen die Höhe der seinerzeit angemeldeten und wi[X.]pruchslos festgestellten Forderungen zu erheben.

Sie hatte durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Befugnis, für die GmbH zu handeln, nicht verloren (vgl. [X.] vom 26. Januar 2006 IX ZR 282/03, Z[X.] 2006, 260, Rz 6 f.; [X.], [X.] 2005, 817 ff., 829, unter IX.2.). Als gesetzliche Vertreterin der GmbH (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) hat sie der Anmeldung nicht namens der GmbH wi[X.]prochen und damit das [X.] nicht gezwungen, das Einspruchsverfahren gegenüber der GmbH als wi[X.]prechender Insolvenzschuldnerin aufzunehmen; dadurch hat sie es zugelassen, dass sich der Einspruch der GmbH in der Hauptsache erledigte. Die Forderung wurde wi[X.]pruchslos in die Insolvenztabelle eingetragen und darum i.S. des § 166 [X.] unanfechtbar festgesetzt. Die materielle Rechtmäßigkeit der Steuerforderungen wurde aufgrund des unterlassenen Wi[X.]pruchs namens der GmbH nicht im zuvor laufenden Einspruchsverfahren der GmbH geklärt. Dass --wie die Klägerin geltend macht-- ein Wi[X.]pruch im eigenen Namen nicht möglich war bzw. keinen Erfolg versprochen hätte, ist unerheblich.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf ihre Unkenntnis hinsichtlich der Höhe der Steuerschulden der GmbH berufen, weil sie bereits im August 2008 --und damit vor der Feststellung der Forderungen am 24. September 2008-- vom [X.] im Haftungsverfahren angehört worden war.

d) Der Einwand der Klägerin, dass die Forderungsanmeldung nicht den Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. [X.] unterliege, führt zu keiner anderen Beurteilung.

Dass eine wi[X.]pruchslose Eintragung zur Insolvenztabelle gemäß § 130 [X.] ganz oder teilweise zurückgenommen werden kann --und nicht den für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden geltenden Vorschriften (§§ 172 ff. [X.]) unterliegt-- (vgl. [X.]-Urteile vom 24. November 2011 V R 13/11, [X.]E 235, 137, [X.], 298, Rz 41 ff.; vom 24. November 2011 V R 20/10, [X.]/NV 2012, 711, Rz 9; vom 6. Dezember 2012 V R 1/12, [X.]/NV 2013, 906, Rz 10; a.A. für den Insolvenzplan [X.]-Urteil vom 22. Oktober 2014 I R 39/13, [X.]E 247, 300, [X.], 577) hat für die hier zu entscheidende Frage des Anwendungsbereichs von § 166 [X.] keine Bedeutung.

e) Da die Klägerin die Möglichkeit hatte, mit ihren Einwendungen gegen ihre Haftung vor Gericht gehört zu werden, ist ihre Haftung verfassungsgemäß (vgl. dazu Beschluss des [X.] vom 29. November 1996  2 BvR 1157/93, [X.] 1997, 415, Rz 28, m.w.N.; [X.], [X.], 329, 331 ff., 333).

3. Sonstige Rechtsfehler der angefochtenen Vorentscheidung oder des Haftungsbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 9/16

27.09.2017

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 10. März 2016, Az: 14 K 2710/13, Urteil

§ 166 AO, § 174 InsO, § 175 InsO, § 176 InsO, § 178 InsO, § 184 Abs 2 S 1 InsO vom 13.04.2007, § 201 Abs 1 InsO, § 201 Abs 2 S 1 InsO, § 184 S 2 InsO vom 05.10.1994, § 69 AO, § 34 AO, § 124 Abs 2 AO, Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 191 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.09.2017, Az. XI R 9/16 (REWIS RS 2017, 4713)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4713


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XI R 9/16

Bundesfinanzhof, XI R 9/16, 27.09.2017.


Az. 14 K 2710/13

FG München, 14 K 2710/13, 10.03.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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14 K 2710/13 (FG München)


VII R 25/16 (Bundesfinanzhof)

Einwendungsausschluss im Haftungsverfahren durch unterlassenen Widerspruch im insolvenzrechtlichen Prüfungstermin


VII R 5/18 (Bundesfinanzhof)

(Tabelleneintrag im Insolvenzverfahren gemäß § 178 Abs. 3 InsO auch im Haftungsverfahren bindend)


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