Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.06.2023, Az. II ZB 21/22

2. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4407

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Tenor

Die Gegenvorstellung der [X.] gegen den Senatsbeschluss vom 1. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die [X.] zu 1 ist eine [X.] Aktiengesellschaft und die Muttergesellschaft des [X.]. Die [X.] zu 2 ist die Muttergesellschaft des [X.]-Konzerns.

2

Die Kläger der Ausgangsverfahren verlangen Ersatz der Schäden aus Transaktionen mit Aktien der [X.]n zu 2 wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation. Sie machen im [X.] geltend, die [X.] zu 1 habe zunächst ihre Absicht, die [X.] zu 2 übernehmen zu wollen, fehlerhaft dementiert. Nachdem eine Übernahme aufgrund der Finanzkrise nicht mehr zu realisieren gewesen sei, habe sie falsch ihre Übernahmeabsicht veröffentlicht, um mit der aufgrund dieser Mitteilung erwarteten Explosion der Aktienkurse der [X.]n zu 2 Gewinne zu erzielen.

3

Das [X.] hat gemäß § 6 [X.] einen Vorlagebeschluss erlassen und die Sache dem [X.] zur Herbeiführung eines [X.] vorgelegt. Das [X.] ([X.], Beschluss vom 30. September 2022 - 13 Kap 1/16, juris, auszugsweise abgedruckt in [X.] 2022, 290) hat die [X.] überwiegend zurückgewiesen und im Übrigen als gegenstandslos behandelt. Dagegen richten sich die Rechtsbeschwerde der Beigeladenen und die auf das Prozessrechtsverhältnis zur [X.]n zu 1 beschränkte Rechtsbeschwerde der [X.].

4

Mit Beschluss vom 1. Februar 2023 hat der Senat die [X.] zu 1 gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 [X.] zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt und ausgeführt, dass im Hinblick auf die von der [X.] eingelegte Rechtsbeschwerde die Rechtsbeschwerde der Beigeladenen als solche nicht mehr zu berücksichtigen und in einen Beitritt gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 [X.] umzudeuten ist. Gegen diesen Senatsbeschluss richtet sich die Gegenvorstellung der [X.], soweit die [X.] darin als alleinige [X.]in aufgeführt und entsprechend seinem Inhalt auch als alleinige [X.]in angesehen wird.

II.

5

1. Die Gegenvorstellung hat schon deswegen keinen Erfolg, weil die [X.] durch den Beschluss des Senats vom 1. Februar 2023, mit der die [X.] zu 1 zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt wurde, nicht beschwert ist.

6

2. Es besteht im Übrigen kein Anlass, die Beigeladene als weitere [X.]in anzusehen. Legt der [X.] Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid ein, so führt er nach § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] das Musterverfahren als [X.] in der [X.] fort. Nach der Rechtsprechung des Senats spricht § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] dem [X.] die Stellung des [X.] ohne Rücksicht darauf zu, ob neben ihm Beigeladene Rechtsbeschwerde eingelegt haben, so dass stets nur ein Rechtsbeschwerdeverfahren mit nur einem [X.] in Gang gesetzt wird ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020 - [X.], [X.], 346 Rn. 32; aA [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2022 - [X.], juris). Das gilt auch, wenn der [X.] seine Rechtsbeschwerde auf das Prozessrechtsverhältnis zu einer [X.]n beschränkt, während ein Beigeladener eine Rechtsbeschwerde einlegt, die sich auf alle [X.] erstreckt.

7

a) Der Wortlaut von § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass im Fall einer beschränkt eingelegten Rechtsbeschwerde des [X.]s und einer unbeschränkt eingelegten Rechtsbeschwerde eines Beigeladenen mehrere [X.] das Verfahren fortführen. Der [X.] führt das Verfahren vielmehr als [X.] fort, wenn er Rechtsbeschwerde einlegt, ohne dass die Norm auf den Umfang des Rechtsmittels abstellt.

8

b) Den Gesetzesmaterialien lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für den rechtlichen Standpunkt der [X.] entnehmen. Vielmehr betont die Begründung zu § 21 [X.], dass der [X.], "sofern" er Rechtsbeschwerde einlegt, seine Rolle als Vertreter der übrigen Kläger der Ausgangsverfahren auch im Rechtsbeschwerdeverfahren fortsetzen soll ([X.] eines Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, BT-Drucks. 17/8799, [X.]; [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020- [X.], [X.], 346 Rn. 36).

9

c) Auch die Systematik des Gesetzes spricht dafür, dass die [X.] auch dann als alleinige Rechtsbeschwerdeführerin anzusehen ist, wenn neben ihrem beschränkten Rechtsmittel ein unbeschränktes Rechtsmittel von einem Beigeladenen eingelegt wurde. Gemäß § 21 Abs. 2 [X.] wird ein Beigeladener nur dann vom Rechtsbeschwerdegericht zum [X.] bestimmt, wenn der [X.] ein Rechtsmittel nicht eingelegt hat.

Legen mehrere Beigeladene Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid ein, wird derjenige Beigeladene, welcher als erster das Rechtsmittel eingelegt hat, vom Rechtsbeschwerdegericht zum [X.] bestimmt (§ 21 Abs. 2 [X.]). Entsprechendes gilt nach § 21 Abs. 3 Satz 1 [X.], wenn mehrere [X.] Rechtsbeschwerde einlegen. Die dort jeweils angeordnete Konzentrationswirkung auf eine Person tritt unabhängig davon ein, in welchem Umfang der Musterentscheid angefochten wurde (vgl. KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 21 Rn. 22; [X.] in [X.]/[X.], Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 21 [X.] Rn. 10). Dem entspricht auch § 9 Abs. 2 Satz 1 [X.], nach dem das [X.] aus dem Kreis der Kläger den [X.] zu bestimmen hat, ohne dass es darauf ankommt, ob diese dieselben [X.] verfolgen (KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 21 Rn. 10). Die darin zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des Gesetzgebers, nach der das Musterverfahren schlank gehalten und ein Bündelungseffekt erreicht werden soll ([X.] eines Gesetzes zur Einführung von Kapitalanlage-Musterverfahren, [X.] [zu § 8 [X.] aF]), setzt sich im Rechtsbeschwerdeverfahren fort ([X.] in [X.]/[X.], Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 9 [X.] Rn. 18; [X.], Festschrift [X.], 2007, [X.], 344).

d) Der Sinn und Zweck der Bündelung der Rechtsmittel nach § 21 [X.] spricht ebenfalls für das Fortwirken nur eines Rechtsmittels. Die mit der Bündelung angestrebte Vereinfachung des [X.] würde nicht erreicht, wenn letztlich über sämtliche Rechtsmittel nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen zu entscheiden wäre, zumal das Rechtsbeschwerdegericht eine einheitliche Entscheidung über die Rechtsbeschwerde des [X.] und der auf seiner Seite Beigeladenen herbeiführen muss ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020 - [X.], [X.], 346 Rn. 37).

e) Anders als die Gegenvorstellung meint, ist die Beigeladene nicht gehindert, im Rechtsbeschwerdeverfahren [X.] im Hinblick auf die [X.] zu 2 zu verfolgen.

aa) Das Gesetz kennt die Rolle des "rechtsbeschwerdeführenden Beigeladenen" neben dem nach § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 [X.] zu bestimmenden [X.] nicht. Daher kann derjenige Rechtsbeschwerdeführer, der nicht in die Rolle des [X.] gelangt, nur als Beigetretener am Rechtsbeschwerdeverfahren (weiter) teilnehmen, weswegen seine Rechtsbeschwerde in einen Beitritt gemäß § 20 Abs. 3 [X.] umzudeuten ist ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020- [X.], [X.], 346 Rn. 35, 42). Das gilt auch, wenn die Rechtsbeschwerde des Beigeladenen über diejenige des [X.] hinausgeht.

bb) Für das Verhältnis zwischen dem [X.] und den auf seiner Seite [X.] sieht § 20 Abs. 4 Satz 2, § 14 [X.] die Anwendung der für die Rechtsstellung des Beigeladenen geltenden Grundsätze vor. Nach diesem Regelungskonzept soll der [X.] das Rechtsbeschwerdeverfahren als Vertreter der auf seiner Seite Beteiligten durchführen, die nach Maßgabe von § 22 Abs. 3 [X.] an die Ergebnisse der Prozessführung gebunden sind ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020- [X.], [X.], 346 Rn. 35).

cc) Beschränkt der [X.] seine Rechtsbeschwerde auf die Überprüfung des [X.] im Hinblick auf einzelne [X.] nach § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Oktober 2020 - [X.], [X.], 1336 Rn. 21; KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 20 Rn. 122; [X.] in [X.]/[X.], Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 20 [X.] Rn. 78), ist der Beigetretene im Rahmen der ihm durch § 20 Abs. 4 Satz 2, § 14 [X.] zugewiesenen Rechtsstellung nicht gehindert, Rechtsverletzungen zu rügen, die über die Anträge des [X.] hinausgehende [X.] betreffen (KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 21 Rn. 10; [X.] in [X.]/[X.], Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 20 [X.] Rn. 34; weitergehend [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 20 Rn. 39).

Ob die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf das Prozessrechtsverhältnis zu einer [X.]n im vorliegenden Fall zulässig ist (vgl. für eine Anschlussrechtsbeschwerde [X.], Beschluss vom 20. September 2022- [X.], [X.], 2381 Rn. 11, 42; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 20 Rn. 16 f.; aA wohl [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 20 [X.] Rn. 9), bedarf hier keiner Entscheidung. Selbst wenn dies der Fall wäre, stünde dies weitergehenden Angriffen im Rahmen des Beitritts eines Beigeladenen nicht im Wege. Ein Widerspruch zu den Erklärungen und Handlungen des [X.]s nach § 20 Abs. 4 Satz 2, § 14 [X.] bestünde nicht allein deswegen, weil dieser den Musterentscheid insoweit hingenommen hat.

f) Dem Interesse der [X.], im Hinblick auf ihre auf das Prozessrechtsverhältnis zur [X.]n zu 1 beschränkte Rechtsbeschwerde nicht mit Kosten belastet zu werden, die durch die Beteiligung der [X.]n zu 2 veranlasst werden, wäre gegebenenfalls im Hinblick auf einen unterschiedlichen Grad der Beteiligung am Rechtsbeschwerdeverfahren (§ 26 Abs. 1 [X.]) Rechnung zu tragen; das gilt auch bei Anwendung von § 26 Abs. 3 und 4 [X.] ([X.], Beschluss vom 22. April 2009- 20 [X.], juris Rn. 170 [zu § 19 Abs. 4 [X.] aF]; KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 26 Rn. 11, 16; [X.] in [X.]/[X.], Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 26 [X.] Rn. 10, 13).

Born     

  

B. Grüneberg     

  

V. Sander

  

von Selle     

  

Adams     

  

Meta

II ZB 21/22

27.06.2023

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BGH, 1. Februar 2023, Az: II ZB 21/22, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.06.2023, Az. II ZB 21/22 (REWIS RS 2023, 4407)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4407

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