Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.11.2015, Az. B 12 KR 14/15 B

12. Senat | REWIS RS 2015, 2516

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Verletzung rechtlichen Gehörs wegen nicht erfolgter Anhörung nach § 153 Abs 4 SGG)


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 3. Februar 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Feststellung der Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1.

2

Die Beklagte stellte fest, der Beigeladene zu 1. sei bei der Klägerin in seiner Tätigkeit als Handwerker im Tiefbau im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig und es bestehe Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung (Bescheid vom 7.7.2009 und Widerspruchsbescheid vom [X.] sowie Bescheid vom 14.10.2010).

3

Das [X.] hat die dagegen gerichtete Anfechtungsklage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Berichterstatterin den Beteiligten mit Schreiben vom [X.] mitgeteilt, der Senat könne durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Der Senat ziehe diese Möglichkeit in Erwägung. Einen ersten Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 15.5.2014 hat die Berichterstatterin auf Bitte des Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgehoben. Ein weiterer Termin zur Erörterung des Sachverhalts ist wegen einer Erkrankung des Prozessvertreters am 7.8.2014 abgesetzt worden. Mit Datum vom 2.9.2014 hat die Berichterstatterin erneut an die Beteiligten geschrieben, auf das frühere Hinweisschreiben vom [X.] Bezug genommen und mitgeteilt, der Senat beabsichtige, über die Berufung gemäß § 153 Abs 4 [X.]G mit Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Dieses Schreiben sollte - wie schon das Schreiben vom [X.] - auch an den Prozessbevollmächtigen der Klägerin gegen [X.] zugestellt werden. Die Verfahrensakten des L[X.] enthalten weder zum gerichtlichen Schreiben vom [X.] noch zum Schreiben vom 2.9.2014 ein vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterschriebenes [X.]. Mit Beschluss vom [X.] hat das L[X.] die Berufung zurückgewiesen.

4

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin das Vorliegen eines [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Sie macht eine Verletzung von § 153 Abs 4 [X.] [X.]G und zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf [X.] nach Art 101 Abs 1 [X.] GG geltend. Das L[X.] habe sie (die Klägerin) vor seiner Entscheidung durch Beschluss vom [X.] nicht angehört. Ihr sei so die Möglichkeit genommen worden, ihren Standpunkt auch unter Berücksichtigung des [X.] im Berufungsverfahren, insbesondere zu den Darlegungen des Beigeladenen zu 1. darzustellen und Beweisanträge zu stellen. Mit der Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.] [X.]G habe das Gericht in nicht vorschriftsmäßiger Besetzung entschieden. Dies stelle einen absoluten Revisionsgrund nach § 202 [X.]G iVm § 547 [X.] ZPO dar.

5

II. [X.] ist zulässig und begründet.

6

1. Die Klägerin macht unter Einhaltung der Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 [X.] [X.]G zu Recht einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) geltend. Sie trägt mit Erfolg vor, dass das L[X.] verfahrensfehlerhaft über ihre Berufung entschieden hat, ohne sie nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G vor der Beschlussfassung gemäß Satz 1 dieser Vorschrift ordnungsgemäß angehört zu haben.

7

Gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann das L[X.] die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach Satz 2 der Vorschrift sind die Beteiligten vorher zu hören. Das Gericht muss dem Beteiligten bzw seinem Prozessbevollmächtigten unmissverständlich mitteilen, dass es erwägt, im Beschlussverfahren zu seinen Ungunsten zu entscheiden (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 153 Rd[X.]9).

8

Der Zugang des [X.]s muss nachweisbar sein, sonst liegt regelmäßig ein Verfahrensfehler (Verstoß gegen rechtliches Gehör) vor, wenn der Beteiligte behauptet, er habe die Mitteilung nicht erhalten (so [X.] aaO, § 153 RdNr 21 mwN). Ist nach der Aktenlage unklar, ob die Anhörungsmitteilung zugegangen ist, muss sich das L[X.] vor Erlass der ohne mündliche Verhandlung ergehenden Entscheidung Gewissheit darüber verschaffen, dass das [X.] allen Beteiligten zugegangen ist (vgl bereits B[X.] SozR 3-1500 § 153 [X.]1 [X.]2 f). Der Nachweis, dass rechtliches Gehör gewährt wurde, obliegt allein dem Gericht. Kann ein solcher Nachweis nicht geführt werden, liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor (vgl B[X.] SozR 3-1500 § 153 [X.]1 [X.]3; B[X.] SozR 3-1500 § 62 [X.]).

9

So verhält es sich hier, da der Bevollmächtigte des [X.] sich darauf beruft, "mitnichten (…) angehört" worden zu sein. In den Akten des L[X.] sind Nachweise über den Zugang der [X.] vom [X.] und vom 2.9.2014 beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht enthalten. Zwar befinden sich in den Akten Durchschriften dieser Schreiben. Auch wurde jeweils die Zustellung an den Prozessbevollmächtigen der Klägerin gegen [X.] verfügt und vermerkt, dass die Schreiben abgesandt wurden. Jedoch fehlt der Nachweis des Rücklaufs der unterschriebenen [X.]se.

Dabei kann offen bleiben, ob eine nach § 153 Abs 4 [X.] [X.]G nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung regelmäßig auch eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Richterbank ohne [X.] zur Folge hat, die als absoluter Revisionsgrund nach § 202 [X.]G iVm § 547 [X.] ZPO zu behandeln ist mit der unwiderleglichen Vermutung, dass die Entscheidung auf dem [X.] beruht (für eine solche Gleichstellung von Verstößen gegen § 153 Abs 4 [X.] [X.]G mit solchen gegen § 153 Abs 4 S 1 [X.]G vgl zB B[X.] SozR 4-1500 § 153 [X.]1 Rd[X.]7; aA zB B[X.] SozR 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]9).

Jedenfalls ist aufgrund der besonderen Umstände in dem hier vorliegenden Fall auch bei bloßer Annahme einer Gehörsverletzung (Art 103 Abs 1 GG) davon auszugehen, dass die Entscheidung des L[X.] auf dem Verfahrensfehler der nicht nachgewiesenen Anhörung nach § 153 Abs 4 [X.] [X.]G beruht. Haben die [X.] des L[X.] den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht nachweisbar erreicht, war diesem die bevorstehende Entscheidung nicht bekannt und damit weiterer Vortrag nicht möglich. Dabei fällt hier ins Gewicht, dass das L[X.] zuvor zwei Termine zur Erörterung des Sachverhalts anberaumt und - wenn auch auf Bitte des Prozessbevollmächtigen der Klägerin - wieder abgesetzt hatte. Damit hat das L[X.] zumindest selbst den Anschein erweckt, es bestehe noch Erörterungsbedarf mit der damit verbundenen Möglichkeit der Klägerin, sich weiter zu äußern. Die Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] [X.]G erscheint dadurch vergleichbar mit Fällen einer unterlassenen Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder einem fehlenden Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, bei denen ein Einfluss auf die Entscheidung ähnlich wie bei einem absoluten Revisionsgrund regelmäßig unterstellt wird (vgl bereits B[X.] SozR 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]9 mwN).

2. Nach § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde im Falle des Vorliegens der - hier nach alledem gegebenen - Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen. Hiervon macht der Senat zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen Gebrauch.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das L[X.].

Meta

B 12 KR 14/15 B

11.11.2015

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Frankfurt, 23. Oktober 2012, Az: S 25 KR 216/10

§ 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.11.2015, Az. B 12 KR 14/15 B (REWIS RS 2015, 2516)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2516

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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