Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.11.2014, Az. 1 StR 233/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 1675

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Gegenstand

Entziehung der Fahrerlaubnis bei Betäubungsmitteldelikt: Allgemeiner Erfahrungssatz über riskante Fahrweise von Rauschgifttransporteuren bei Verkehrskontrollen; Erstreckung des Wegfalls der Maßregel auf nicht revidierende Mitangeklagte


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2013, soweit es ihn betrifft, im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Anordnung der Maßregel entfällt.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von zwei Jahren für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis festgesetzt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat lediglich den aus dem Tenor ersichtlichen geringen Teilerfolg.

II.

2

1. Zum Schuld- und Strafausspruch enthält das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, so dass das Rechtsmittel insoweit unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO ist.

3

Die Angriffe der Revision gegen die Strafzumessung dringen nicht durch. Soweit eine - bezogen auf den Vergleich zu den als Täter mitangeklagten [X.]und [X.]    - zu hohe Bemessung der Gesamtstrafe geltend ge- macht wird, übersieht die Revision bereits das unterschiedliche [X.] verhalten, das bei den genannten Mitangeklagten zu Strafrahmenverschiebungen gemäß § 31 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB geführt hat. Dem Angeklagten ist eine solche Verschiebung rechtsfehlerfrei verwehrt worden, weil es bei ihm an einer im Sinne von § 46b Abs. 3 StGB i.V.m. § 31 Satz 2 BtMG rechtzeitigen Aufklärungshilfe fehlt.

4

Das Vorliegen von minder schweren Fällen hat das [X.] unter erkennbarer Berücksichtigung (siehe [X.] und 89) des zugunsten des Angeklagten eingreifenden vertypten [X.] aus § 27 Abs. 2 StGB ohne Rechtsfehler verneint. Bei den Mitangeklagten [X.], [X.]     und [X.], bei denen jeweils der vertypte [X.] gemäß § 31 Satz 1 BtMG eingreift, sind ebenfalls ungeachtet dessen minder schwere Fälle verneint und stattdessen Strafrahmenverschiebungen über § 49 Abs. 1 StGB wie bei dem Angeklagten auch vorgenommen worden. Für die Bemessung der Einzelstrafen standen daher dem [X.] für die genannten Mitangeklagten und den Angeklagten jeweils identische abstrakte Strafrahmen zur Verfügung. Bei der konkreten Bemessung der Einzelstrafen innerhalb dieser Strafrahmen sind keine Verstöße gegen den für den Fall der Mittäterschaft in der Rechtsprechung des [X.] aufgestellten Grundsatz ersichtlich, nach dem die gegen die Mittäter in einem Urteil verhängten Strafen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollen (dazu nur [X.], Beschluss vom 28. Juni 2011 - 1 StR 282/11, [X.]St 56, 262, 263 Rn. 4 und 6 mwN). Insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das [X.] zu Lasten des Angeklagten seine Beteiligung an den hier verfahrensgegenständlichen Taten trotz eines ihm bekannten laufenden Ermittlungsverfahrens gegen ihn wegen anderer Betäubungsmittelstraftaten und die Begehung der Tat vom 14./15. März 2013 ungeachtet der Zustellung der Anklageschrift in dem genannten anderen Strafverfahren gewertet hat.

5

Die Bildung der Gesamtstrafe weist ebenfalls keine Rechtsfehler auf.

6

2. Die Anordnung der Maßregel hat dagegen keinen Bestand. Die getroffenen Feststellungen tragen die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB nicht. Das [X.] ist von einem rechtlich unzutreffenden Verständnis der in § 69 StGB verlangten „Ungeeignetheit" des [X.] zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen.

7

a) Ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen bestanden die Tatbeiträge des Angeklagten darin, Teilmengen der von den nicht revidierenden Mitangeklagten gehandelten Betäubungsmittel von diesen zu übernehmen, die Drogen an die Endabnehmer der Betäubungsmittel persönlich auszuliefern, die dafür vereinbarten Entgelte zu vereinnahmen und später an die Mitangeklagten [X.] und [X.]     zu übergeben. Bei den vorgenannten Vorgängen benutzte der Angeklagte jeweils seinen PKW. Auf diese Nutzung des [X.] bei sämtlichen ihn betreffenden Taten hat das [X.] die für die Maßregel des § 69 Abs. 1 StGB erforderliche Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs gestützt.

8

b) Die vom Tatgericht herangezogene Nutzung des Fahrzeugs zur Begehung der Betäubungsmittelstraftaten allein begründet das Vorliegen der Voraussetzungen von § 69 Abs. 1 StGB nicht. Ungeeignetheit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn eine Würdigung der körperlichen, geistigen oder charakterlichen Voraussetzungen und der sie wesentlich bestimmenden objektiven und subjektiven Umstände ergibt, dass die Teilnahme des Tatbeteiligten am Kraftfahrzeugverkehr zu einer nicht hinnehmbaren Gefährdung der Verkehrssicherheit führen würde [X.], StGB, 61. Aufl., § 69 Rn. 14). Dabei muss sich die Ungeeignetheit gerade aus der verfahrensgegenständlichen Tat bzw. den Taten ergeben. Kommt - wie hier - ausschließlich eine charakterliche Ungeeignetheit in Betracht, muss die [X.] selbst tragfähige Rückschlüsse auf die Bereitschaft des [X.] zulassen, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Zielen unterzuordnen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. April 2005 - [X.], [X.]St 50, 93, 102 f.; vom 23. Mai 2012 - 5 [X.], [X.], 282 mwN; siehe auch [X.], Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378, 2380).

9

Feststellungen dazu enthält das angefochtene Urteil nicht. Das [X.] ist ersichtlich davon ausgegangen, die Durchführung der Drogenauslieferungen sowie der damit verbundenen Vorgänge mit einem Kraftfahrzeug als solche würde die Ungeeignetheit begründen. Dabei hat es jedoch in rechtlicher Hinsicht verkannt, dass die Belange der Verkehrssicherheit in [X.], in denen - wie auch vorliegend - der Tatbeteiligte in seinem Fahrzeug lediglich Rauschgift transportiert, gerade nicht ohne Weiteres beeinträchtigt sind ([X.] jeweils aaO). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass [X.] bei Verkehrskontrollen zu besonders riskanter Fahrweise entschlossen sind, besteht nicht ([X.], Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 4 StR 458/02, [X.], 311 sowie [X.] jeweils aaO).

Über die bloße Nutzung des Fahrzeugs als Transportmittel der Betäubungsmittel sowie bei dem Vereinnahmen der Entgelte hinausgehende Umstände, aus denen eine Ungeeignetheit abgeleitet werden könnte, weist das Urteil nicht aus. Anhaltspunkte für durch Drogenkonsum bedingte Beeinträchtigungen der Eignung des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs bei den der Verurteilung zugrunde liegenden Taten lassen sich dem angefochtenen Urteil ebenfalls nicht entnehmen. Im Gegenteil sprechen die zu den persönlichen Verhältnissen getroffenen Feststellungen über die geringe Häufigkeit des [X.]s von Kokain und die Anlässe für diesen [X.] dagegen, dass es bei dem Angeklagten zu einem den Auslieferungsfahrten vorausgegangenen Gebrauch von Kokain oder sonstigen Betäubungsmitteln gekommen sein könnte. Es fehlt damit an tragfähigen Feststellungen für das Vorliegen verkehrssicherheitsrelevanter Eignungsmängel bei dem Angeklagten. Solcher Mängel bedarf es aber für die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis.

c) Angesichts der festgestellten Modalitäten der Auslieferungsfahrten durch den Angeklagten und dessen lediglich sporadischen, nicht mit diesen Fahrten in Zusammenhang stehenden Drogenkonsums schließt der Senat die Möglichkeit weitergehender Feststellungen, die eine verkehrssicherheitsrelevante Ungeeignetheit im Sinne von § 69 Abs. 1 StGB begründen könnten, aus. Er lässt daher in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den [X.] entfallen.

3. Der Senat erstreckt den Wegfall der Maßregel nicht auf die nicht revidierenden Mitangeklagten [X.] und Sc.     , denen das [X.] ebenfalls jeweils die Fahrerlaubnis bei einer Sperrfrist von zwei Jahren entzogen hat. Zwar liegt den [X.] auch das rechtsfehlerhafte Verständnis der „Ungeeignetheit" gemäß § 69 Abs. 1 StGB zugrunde, so dass eine Erstreckung nach § 357 StPO rechtlich in Erwägung gezogen werden könnte (vgl. insoweit [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2009 - 2 [X.], [X.], 118). Da die Voraussetzungen der fehlenden Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Rahmen von § 69 Abs. 1 StGB als charakterliche Ungeeignetheit jedoch jeweils auf die höchst individuellen Verhältnisse des [X.] bzw. Tatbeteiligten bezogen werden müssen, war keine Erstreckung vorzunehmen (dazu [X.], Beschlüsse vom 29. Juni 1994 - 2 StR 265/94, [X.]R StPO § 357 Erstreckung 4; vom 4. September 1998 - 2 StR 390/98, [X.], 15; vom 16. April 2003 - 2 StR 60/03, juris Rn. 8 [jeweils zu § 64 StGB]; [X.], Beschluss vom 24. November 2009 - 4 [X.] Rz. 8 [zu § 67 Abs. 2 StGB]).

4. Das Rechtsmittel hat einen so geringen Teilerfolg, dass es nicht unbillig ist, den Angeklagten auch mit den darauf entfallenden Kosten zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

Rothfuß                           Graf                                  Jäger

                    [X.]

Meta

1 StR 233/14

04.11.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 12. Dezember 2013, Az: 1 KLs 303 Js 101501/13

§ 69 Abs 1 StGB, § 357 StPO, § 30 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.11.2014, Az. 1 StR 233/14 (REWIS RS 2014, 1675)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1675

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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