Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.03.2010, Az. VI ZR 327/08

6. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 8182

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Gegenstand

Anspruch des Krankenversicherers auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation aus übergegangenem Recht des Heimbewohners


Leitsatz

1. Liegt eine Einwilligung des Heimbewohners oder seines gesetzlichen Betreuers vor, kann dem Krankenversicherer aus übergegangenem Recht gemäß § 116 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation gegen Kostenerstattung zustehen (vgl. Senatsurteil vom 23. März 2010, VI ZR 249/08, BGHZ 185, 74) .

2. § 294a SGB V ist nicht entsprechend auf die Einsicht in Pflegedokumentationen anwendbar .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 15. Zivilkammer des [X.] vom 28. Oktober 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt als gesetzlicher Krankenversicherer den Beklagten zum Zweck der Prüfung von Schadensersatzansprüchen auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation einer bei ihr versicherten Heimbewohnerin in Anspruch.

2

Die Versicherte erhält seit Jahren vollstationäre Pflegeleistungen in einem Seniorenzentrum, dessen Träger der Beklagte ist. Sie ist schwerstpflegebedürftig und kann insbesondere Lageveränderungen im Bett nur mit personeller Hilfe vornehmen.

3

Die Versicherte wurde am 21. November 2006 wegen eines Sakraldekubitus stationär in eine Klinik aufgenommen und operiert. Die infolge des [X.] entstandenen Aufwendungen hat die Klägerin getragen. [X.] haben der Beklagte und sein Haftpflichtversicherer die Übermittlung der Pflegedokumentation abgelehnt.

4

Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, die (im Einzelnen aufgelistete) Pflegedokumentation betreffend den Aufenthalt der Versicherten im [X.] vom 1. August 2006 bis einschließlich 30. November 2006 zur Einsichtnahme in Kopie zu übermitteln. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Übermittlung einer Kopie der Pflegedokumentation für die [X.] vom 1. August 2006 bis einschließlich 30. November 2006 weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die Versicherte den Beklagten ausdrücklich von der Schweigepflicht entbunden habe, bedeute nicht, dass sie ihn ermächtigt habe, das ihr zustehende Einsichtsrecht auszuüben. An der Wirksamkeit einer solchen Ermächtigung bestünden auch Zweifel, weil die Versicherte unwidersprochen hinsichtlich Ort, Zeit und Person desorientiert sei.

6

Ein Einsichtsrecht der Klägerin ergebe sich nicht aus § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit §§ 401, 412 [X.]. Nach diesen Vorschriften gingen Auskunftsansprüche zu einem eventuell übergegangenen Schadensersatzanspruch der Versicherten wegen schlechter Pflegeleistungen zwar grundsätzlich als [X.] mit über, soweit sie zur Durchsetzung der Forderung benötigt würden. Das sei hier indes nicht der Fall, weil es sich bei dem Einsichtsrecht des Pflegeheimbewohners in die Pflegedokumentation um einen aus dem Selbstbestimmungsrecht und der personalen Würde des Betroffenen resultierenden persönlichen Anspruch handle, für den ein Übergang nach § 399 [X.] ausgeschlossen sei.

7

§ 294a [X.] scheide als unmittelbare Anspruchsgrundlage für ein Einsichtsrecht der Klägerin in die Pflegedokumentation aus, weil diese Vorschrift nicht für das Seniorenzentrum gelte. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf Pflegeheime komme nicht in Betracht. Krankenkassen hätten zwar gegenüber den Pflegeeinrichtungen anders als gegenüber ärztlichen Einrichtungen keinen [X.]; insoweit sei aber nicht von einer dem Gesetzgeber unbewussten oder versteckten Gesetzeslücke auszugehen.

II.

8

Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

9

1. Wie der erkennende Senat in dem Parallelurteil vom heutigen Tag - VI ZR 249/08, vorgesehen zur Veröffentlichung in [X.] - entschieden hat, steht dem Krankenversicherer entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts grundsätzlich ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation aus übergegangenem Recht gemäß § 116 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 [X.] wegen eines möglichen Schadensersatzanspruchs der Versicherten aus einer Verletzung des [X.] bzw. § 823 Abs. 1 [X.] zu.

a) Ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens geht nach § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] auf den Versicherungsträger über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. Nach dieser Vorschrift ist auch beim Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger Gegenstand der Ersatzpflicht nur der Schaden des Verletzten. Der Sozialversicherungsträger nimmt den [X.] nicht auf Ersatz eines eigenen "Schadens" in Gestalt seiner durch den Versicherungsfall ausgelösten, vom Gesetzgeber angeordneten Leistungspflichten in Anspruch, sondern verlangt eine Erstattung seiner Aufwendungen insoweit, als ein Schadensersatzanspruch des Versicherten gegen einen Dritten besteht.

b) Im Streitfall stellen das Berufungsgericht und die Revisionserwiderung nicht in Frage, dass der geschädigten Heimbewohnerin ein Schadensersatzanspruch wegen schlechter Pflegeleistungen zustehen kann, der auf die Klägerin nach § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] übergegangen wäre. Das Berufungsgericht geht auch davon aus, dass dem Heimbewohner grundsätzlich ein eigenes Einsichtsrecht in die über ihn geführte Pflegedokumentation entsprechend dem Einsichtsrecht des Patienten in die Krankenunterlagen als Nebenanspruch aus dem Behandlungs- bzw. Heimvertrag zusteht (vgl. [X.] 1999, 252 ff.). Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats und des [X.] hat der Patient gegenüber Arzt und Krankenhaus auch außerhalb eines Rechtsstreits als Ausfluss seines Rechts auf Selbstbestimmung und personale Würde grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen, ohne dafür ein besonderes rechtliches Interesse darlegen zu müssen (vgl. Senat, [X.] 85, 327, 332; 106, 146, 148; Urteil vom 31. Mai 1983 - [X.]/81 - [X.], 834, 835; [X.] NJW 1999, 1777; 2006, 1116, 1117). Die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte gelten auch für das Recht des Heimbewohners auf Einsichtnahme in seine Pflegedokumentationen. Auch diese enthalten höchstpersönliche Angaben über den Bewohner und berühren in starkem Maße dessen Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG). Die Pflegedokumentation ist eine unverzichtbare Informationsquelle für alle am Pflegeprozess Beteiligten und dient auch dem Nachweis, dass der Heimbewohner die ihm nach dem Inhalt des [X.] zustehenden Leistungen vom [X.] erhalten und letzterer seinen Verpflichtungen ihm gegenüber nachgekommen ist. Insoweit hat sie dem Heimbewohner gegenüber auch eine wichtige Schutzfunktion (vgl. [X.] 1999, 252 f.; [X.]/Krahmer-[X.], [X.], 3. Aufl., § 113 Rn. 7a).

Soweit für eine Einsichtnahme in die Pflegedokumentationen die Darlegung eines sachlichen Interesses gefordert wird (so [X.], aaO, 253, 256), gibt der Streitfall keinen Anlass, dies abschließend zu klären. Ein sachliches Interesse der geschädigten Versicherten für eine Einsichtnahme in die über sie geführte Pflegedokumentation ist nämlich schon wegen des erlittenen Sakraldekubitus mit der deshalb notwendigen Krankenhausbehandlung gegeben.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnte das Einsichtsrecht der Geschädigten bzw. deren Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation im Streitfall grundsätzlich auch auf die Klägerin übergehen. Ein solcher Übergang auf den gesetzlichen Krankenversicherer ist grundsätzlich gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 [X.] möglich.

a) Nach § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] wären etwaige Schadensersatzansprüche der Geschädigten auf die Klägerin übergegangen. Mit dem Übergang der Hauptforderung gehen nach §§ 401 Abs. 1 analog, 412 [X.] auch solche Nebenrechte auf den neuen Gläubiger über, die zwar nicht in § 401 [X.] ausdrücklich genannt sind, aber gleichwohl der Verwirklichung und Sicherung einer Forderung dienen. Die Vorschrift des § 401 [X.] ist nämlich ihrem Zweck entsprechend auf alle der Verstärkung der Forderung dienenden Nebenrechte auszudehnen, soweit nicht besondere Rechtsgrundsätze dem entgegen stehen. Dies gilt insbesondere auch für [X.], die zur Durchsetzung der Forderung erforderlich sind oder der leichteren Verwirklichung des [X.]s dienen, wie Ansprüche auf Auskunftserteilung oder Einsichtnahme. Solche Rechte können nicht selbständig abgetreten werden, sondern gehen grundsätzlich mit dem [X.] auf den neuen Gläubiger über (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. Juni 2000 - [X.] - [X.], 1444; vom 18. Juli 2003 - [X.] 148/03 - NJW-RR 2003, 1555, 1556; [X.], 142 Rn. 14; [X.] VersR 1985, 846; [X.]/[X.], § 401 Rn. 8; [X.]/[X.], [X.], 69. Aufl., § 401 Rn. 4; [X.]/Busche, [X.], Neubearbeitung 2005, § 401 Rn. 28, 34 m.w.[X.]; [X.] ZfS 2002, 461 f.). Dieser Übergang der verstärkenden Nebenrechte erfolgt gemäß § 412 [X.] auch bei einem Übergang der Hauptforderung kraft Gesetzes (vgl. [X.] 19, 177, 179; 46, 14 f.; [X.]/Kater, [X.], § 116 Rn. 141).

b) Ein solcher Übergang konnte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch im Streitfall erfolgen.

aa) Zwar wird die grundsätzlich bestehende Nebenpflicht, Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen oder Pflegedokumentationen zu gewähren, aus dem Selbstbestimmungsrecht und der personalen Würde des Patienten oder Heimbewohners abgeleitet. Das besagt aber noch nicht, dass dieser Vertragsanspruch damit in vollem Umfang ein "höchstpersönlicher" sei, der gemäß §§ 399, 412 [X.] nicht ganz oder teilweise auf andere übergehen könnte. Vielmehr darf der vertragliche Nebenanspruch auch legitimen wirtschaftlichen Belangen dienstbar gemacht werden, wie etwa der Klärung von Schadensersatzansprüchen sowohl gegen andere Ärzte als auch gegen den auf Einsichtsgewährung in Anspruch genommenen Arzt selbst. Jedenfalls insoweit hat der [X.] auch eine vermögensrechtliche Komponente, so dass sein Übergang auf die Erben als möglich angesehen wurde (§ 1922 [X.]), soweit nicht das Wesen des Anspruchs aus besonderen Gründen einem [X.] entgegen steht (vgl. Senat, Urteil vom 31. Mai 1983 - [X.]/81 - aaO; [X.] VersR 2009, 982; [X.], 1050 ff.). Solche Gründe wurden bei der Prüfung eines auf die Erben übergegangenen [X.]s in dem [X.] gesehen, die grundsätzlich nur durch Entbindung seitens des [X.] gelöst werden dürfe. Die Pflicht des Arztes zur Verschwiegenheit gelte im Grundsatz auch im Verhältnis zu nahen Angehörigen des Patienten und dürfe ihnen gegenüber nur ausnahmsweise und nur im vermuteten Einverständnis des Patienten gebrochen werden, soweit einer ausdrücklichen Befreiung Hindernisse entgegen stünden (vgl. Senat, Urteil vom 31. Mai 1983 - [X.]/81 - aaO; [X.], aaO, 983).

In diesem Zusammenhang ist bei der Einsicht in eine Pflegedokumentation das Grundrecht des Heimbewohners auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten, das die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. [X.]E 65, 1, 43; 78, 77, 84; 80, 367, 373; [X.] NJW 2006, 1116, 1117), also auch die Freiheit, persönliche Daten zu offenbaren (vgl. [X.] VersR 2006, 1669, 1671). Hieraus folgt, dass das Einsichtsrecht in eine Pflegedokumentation nach § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.], §§ 401 Abs. 1 analog, 412 [X.] nur dann auf den gesetzlichen Krankenversicherer übergehen kann, wenn eine Einwilligung des Heimbewohners vorliegt oder zumindest von seinem vermuteten Einverständnis auszugehen ist, soweit einer ausdrücklichen Befreiung Hindernisse entgegen stehen (vgl. [X.], aaO, 1051 ff.).

bb) Das Berufungsgericht hat die vorstehend geschilderte Rechtsprechung zur Prüfung eines auf die Erben übergegangenen [X.]s gesehen, jedoch gemeint, diese sei auf das begehrte Einsichtsrecht einer Krankenkasse nicht übertragbar. Für dieses Einsichtsrecht bedürfe es vielmehr einer gesetzlichen Regelung. Dies trifft indes bei Beachtung der vorstehend dargelegten Voraussetzungen für einen Übergang des Einsichtsrechts in Krankenunterlagen oder Pflegedokumentationen auf den gesetzlichen Krankenversicherer nicht zu.

Soweit gegen die Übergangsfähigkeit des [X.] auf Einsicht bei einer begehrten Einsicht in Krankenunterlagen eingewendet wird, die Rechte der Krankenkassen auf Information und Auskunft zur Prüfung der Regressmöglichkeit nach § 116 [X.] seien im [X.], insbesondere in § 294a, genauestens geregelt und eine Umgehung dieser datenschutzrechtlich ausgerichteten Bestimmungen durch zivilrechtliche Regelungen würde die gesamte Systematik des Sozialrechts konterkarieren (so [X.], 825, 830), beachtet diese Argumentation nicht den grundsätzlichen Unterschied zwischen den sozialrechtlichen und den zivilrechtlichen Bestimmungen.

Die sozialrechtliche Regelung in § 294a [X.] dient dazu, durch Schaffung einer gesetzlichen Übermittlungs- und Offenbarungsbefugnis den gesetzlichen Krankenkassen einen eigenen Anspruch auf Mitteilung von Krankheitsursachen und drittverursachten Gesundheitsschäden zu geben und den damit verbundenen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Patienten und die korrespondierende ärztliche Schweigepflicht zu rechtfertigen. Sie verpflichtet u.a. Vertragsärzte, unaufgefordert den Krankenkassen Angaben über Ursachen und mögliche Verursacher mitzuteilen, wenn aus ihrer Sicht Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden vorliegen. Der verpflichtete Leistungserbringer muss also von sich aus oder gegebenenfalls auf Anforderung der Krankenkassen die erforderlichen Daten mitteilen, ohne dass eine Zustimmung oder Schweigepflichtentbindungserklärung des Versicherten erforderlich ist (vgl. [X.]/[X.], [X.], Stand: März 2007, § 294a Rn. 1 f.; [X.]/Schneider, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand: Februar 2009, § 294a [X.] Rn. 2 f., 8 f., 12; [X.], aaO, 1053). Diese sozialrechtliche Mitteilungspflicht ist von dem nach § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.], §§ 401 Abs. 1 analog, 412 [X.] übergehenden zivilrechtlichen Einsichtsrecht zu unterscheiden, bei dem es sich nicht um ein eigenes Recht der Krankenkassen handelt, sondern um ein Einsichtsrecht, das nur dem Zweck dient, als Hilfsrecht eine Prüfung des eventuellen, auf die Krankenkassen übergegangenen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten zu ermöglichen. Insoweit wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch die nach den vorstehenden Ausführungen erforderliche tatsächliche oder mutmaßliche Einwilligung des Versicherten gewahrt. Die bei § 294a [X.] maßgebliche Erwägung des Gesetzgebers, für die Verpflichtung zur Übermittlung personenbezogener Daten eine gesetzliche Grundlage zu schaffen (vgl. BT-Drucks. 15/1525, [X.]), gilt hier nicht.

3. Nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen steht allerdings nicht fest, dass eine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht und Einwilligung in die Einsicht in die Pflegedokumentationen durch die Klägerin vorliegt. Für das Berufungsgericht ist nämlich zweifelhaft, ob die Entbindung der Beklagten von der Schweigepflicht durch die bei der Klägerin versicherte Heimbewohnerin wirksam ist, weil diese hinsichtlich Ort, Zeit und Person desorientiert ist. Von seiner Rechtsauffassung her folgerichtig hat es darüber hinaus keine weiteren Feststellungen hinsichtlich der für eine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht und Einwilligung in die Einsichtnahme erforderlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Versicherten (vgl. [X.]/[X.], § 203 Rn. 57; [X.]/[X.]/Lenckner, StGB, 27. Auf., § 203 Rn. 24 und [X.]. §§ 32 ff. Rn. 39 ff. m.w.[X.]) getroffen. Eine abschließende Entscheidung ist dem erkennenden Senat somit hinsichtlich eines möglicherweise auf die Klägerin übergegangenen Anspruchs auf Einsichtnahme gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 [X.] nicht möglich, weil das Berufungsgericht weitere Feststellungen zur Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Versicherten oder gegebenenfalls zu einer Schweigepflichtentbindungserklärung und Herausgabegenehmigung seitens eines gesetzlichen Betreuers nachholen muss.

4. Eine solche wirksame Einwilligung des betroffenen Heimbewohners oder seines gesetzlichen Betreuers ist nicht entbehrlich, weil entgegen der Auffassung der Klägerin keine gesetzliche Grundlage für einen eigenen, originären Anspruch einer Krankenkasse auf Übermittlung der erforderlichen Unterlagen gegeben ist. § 294a [X.] scheidet als unmittelbare Anspruchsgrundlage aus, weil Pflegeeinrichtungen von dieser Vorschrift nicht erfasst sind. Eine im Schrifttum teilweise befürwortete analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Einsicht in Pflegedokumentationen (vgl. zum [X.] 2008, 825; [X.] [X.] 2005, 128; [X.], 85; [X.], Die Leistungen 2007, 129; [X.]/[X.] VersR 2007, 467; [X.], 1050; [X.] VersR 2008, 465) kommt unabhängig von dem in erster Linie von den Sozialgerichten zu klärenden Ermächtigungsumfang dieser Vorschrift nicht in Betracht. Auch bei der Prüfung einer analogen Anwendung des § 294a [X.] ist das Grundrecht des Heimbewohners auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten, das die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. [X.]E 65, 1, 43; 78, 77, 84; 80, 367, 373; [X.] NJW 2006, 1116, 1117). Dies erfordert eine gesetzliche Ermächtigung der Krankenkasse zur Einsicht in die in einer Pflegedokumentation vorhandenen, für den betroffenen Heimbewohner sensiblen Sozialdaten (vgl. § 67 Abs. 1 [X.]; [X.], 825, 826; [X.], 85, 86), wenn keine wirksame Einwilligung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Betreuers vorliegt. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber durch das [X.] der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.] - [X.]) vom 14. November 2003 ([X.]l. I 2003, 2190) die Vorschrift des § 294a [X.] in das [X.] - Gesetzliche Krankenversicherung - eingefügt, um für die Verpflichtung zur Übermittlung personenbezogener Daten an den Krankenversicherer ohne Zustimmung des Patienten eine gesetzliche Grundlage zu schaffen (vgl. BT-Drucks. 15/1525, [X.]). Eine entsprechende Mitteilungspflicht für Pflegeeinrichtungen wurde bisher nicht in das Sozialgesetzbuch aufgenommen, obwohl im Schrifttum auf die für Pflegeeinrichtungen bestehende Gesetzeslücke hingewiesen und dem Gesetzgeber zur Schließung dieser Lücke ein Gesetzesvorschlag unterbreitet worden ist (vgl. [X.]/[X.] VersR 2007, 467, 470).

Mithin kommt für die Klägerin nur ein möglicher Anspruch auf Einsicht in die Pflegedokumentation aus § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 [X.] in Betracht, für dessen Vorliegen weitere Feststellungen durch das Berufungsgericht erforderlich sind.

[X.]                           Wellner                          [X.]

                 Pauge                             [X.]

Meta

VI ZR 327/08

23.03.2010

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Essen, 28. Oktober 2008, Az: 15 S 120/08, Urteil

§ 401 Abs 1 BGB, § 412 BGB, § 294a SGB 5, § 116 Abs 1 S 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.03.2010, Az. VI ZR 327/08 (REWIS RS 2010, 8182)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8182

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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