Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.01.2017, Az. B 8 SO 55/16 B

8. Senat | REWIS RS 2017, 17528

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - Ermessensentscheidung - Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 MRK - Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht - Darlegung der Erforderlichkeit einer erneuten mündlichen Verhandlung)


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 13. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Beschluss Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt [X.] beizuordnen, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit sind Leistungen der Grundsicherung im [X.]lter und bei Erwerbsminderung des verstorbenen Ehemanns der Klägerin nach dem [X.] - ([X.]) für die [X.] von Juli 2010 bis Januar 2011.

2

Der 1941 geborene und am 13.4.2016 verstorbene . ([X.]) lebte mit der Klägerin und der 1994 geborenen Tochter in einer gemeinsamen Wohnung. [X.] bezog eine monatliche [X.]ltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine Betriebsrente, die jährlich Ende Januar ausgezahlt wurde. Die Beklagte lehnte die von [X.] beantragten Leistungen ab, weil sein Einkommen nach den vorgelegten Unterlagen seinen Bedarf übersteige; weitere Unterlagen, aus denen sich eine Bedürftigkeit ergebe, seien nicht vorgelegt worden (Bescheid vom 6.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 30.8.2012). Das Sozialgericht ([X.]) [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das [X.] ([X.]) [X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom 13.6.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der nachgewiesene monatliche Bedarf des [X.] (520,67 Euro) sei schon durch die [X.]ltersrente in Höhe von 786,07 Euro gedeckt gewesen.

3

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des [X.] Verfahrensfehler sowie eine Divergenz. § 153 [X.]bs 4 Sozialgerichtsgesetz ([X.]) sei verletzt, weil sich eine mündliche Verhandlung "aus dem Sozialstaatsprinzip und der '(richterlichen)' Fürsorgepflicht aufgedrängt" habe. [X.] selbst habe zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] gesundheitsbedingt nicht erscheinen können. Das Verfahren habe aber für [X.] eine ganz wesentliche Bedeutung gehabt; es stünden existenzsichernde Sozialleistungen von sieben Monaten in Frage. Die Entscheidung des [X.] verletze zudem [X.]rt 103 [X.]bs 1, [X.]rt 19 [X.]bs 4 Satz 1 und [X.]rt 2 [X.]bs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), weil im Verlaufe des Verfahrens nicht klar geworden sei, welche Mitwirkungshandlung das [X.] von [X.] erwartet habe und das Ergebnis deshalb überraschend gewesen sei. Eine Divergenz liege vor, weil das [X.] im Ergebnis ausführe, es sei iS des § 82 [X.] unerheblich, ob eine [X.] vor [X.]ntragstellung verbraucht sei. Es stelle die Rechtssätze auf, eine einmalige Einnahme sei gemäß § 8 [X.]bs 1 Satz 2 und 3 der Verordnung zu § 82 [X.] von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie anfalle, und dann auf einen angemessenen [X.]raum aufzuteilen; Wertzuwächse vor [X.]ntragstellung seien unabhängig vom Vorhandensein bei [X.]ntragstellung zu verteilen. Dies widerspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B[X.]) im Urteil vom 19.5.2009 ([X.] [X.] 35/07 R), wonach Mittel, die der Hilfesuchende früher als Einkommen erhalten habe, soweit sie in der aktuellen Bedarfszeit noch vorhanden seien, Vermögen seien. [X.] habe die Betriebsrente viele Monate vor Beantragung von Leistungen erhalten. Die Klägerin beantragt zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ([X.]) für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt P.

4

II. Die Beschwerde, deren Begründung als fristgerecht behandelt wird, ist unzulässig, weil die gel-tend gemachten Zulassungsgründe des [X.] (§ 160 [X.]bs 2 [X.] [X.]) und der Divergenz (§ 160 [X.]bs 2 [X.] [X.]) nicht in der nach § 160a [X.]bs 2 Satz 3 [X.] gebotenen Weise bezeichnet worden sind. Der [X.] konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung [X.] nach § 160a [X.]bs 4 Satz 1 Halbsatz 2 [X.] iVm § 169 Satz 3 [X.] entscheiden.

5

Der Vorwurf, das [X.] habe fehlerhaft durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschie-den, genügt nicht den gesetzlichen [X.]nforderungen an eine Beschwerdebegründung. Die Ent-scheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 [X.]bs 4 Satz 1 [X.] zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung, überprüft werden (B[X.] [X.] 3-1500 § 153 [X.]; [X.] 4-1500 § 153 [X.]). Zwar ist § 153 [X.]bs 4 [X.] unter Beachtung des nach [X.]rt 6 [X.]bs 1 Europäische Menschenrechtskonvention anerkannten Rechts auf (mindestens) eine mündliche Verhandlung eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Wenn allerdings - wie hier - erstinstanzlich schon eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist, muss ein Beschwerdeführer zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des [X.] im Einzelnen darlegen, weshalb auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153 [X.]bs 4 Satz 1 [X.] eine erneute mündliche Verhandlung vor dem [X.] zwingend durchzuführen ist (vgl B[X.], Beschluss vom 14.4.2010 - [X.] [X.] 22/09 B). Hierzu hat die Klägerin nichts Näheres aufgezeigt. Weder genügt der nicht weiter erläuterte Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip oder eine richterliche Fürsorgepflicht noch der pauschale Verweis auf die Streitbefangenheit existenzsichernder Leistungen bzw der Vortrag, dass in erster Instanz nur ihr Prozessbevollmächtigter zur mündlichen Verhandlung habe erscheinen können.

6

Das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung (Verstoß gegen [X.]rt 103 [X.]bs 1, [X.]rt 19 [X.]bs 4 Satz 1 und [X.]rt 2 [X.]bs 2 Satz 1 GG) legt die Klägerin ebenfalls nicht schlüssig dar. Ihre [X.]usfüh-rungen hierzu sind offensichtlich wahrheitswidrig. Ihr Vorbringen, auf die entscheidungserheb-lichen [X.]spekte durch das [X.] nicht hingewiesen worden zu sein, widerspricht der eindeutigen [X.]ktenlage (vgl hierzu die Verfügungen des [X.] vom 15.2.2016 und 13.4.2016).

7

Soweit die Klägerin eine Divergenz im Zusammenhang mit der Berücksichtigung einer erhalte-nen Einmalzahlung bei der Bedürftigkeitsprüfung rügt (§ 160 [X.]bs 2 [X.] [X.]), zeigt sie [X.] nicht auf, dass die Entscheidung des [X.] auf der behaupteten [X.]bweichung beruht. Sie setzt sich an keiner Stelle damit auseinander, dass das [X.] schon wegen der laufenden [X.]ltersrentenzahlungen an [X.] dessen Bedürftigkeit verneint und ausgeführt hat, auf den Verbrauch der Zahlung aus Januar 2010 komme es entscheidungserheblich nicht an. Es kann daher dahinstehen, ob es dem Vortrag der Klägerin nicht schon an der erforderlichen Strukturiertheit und Klarheit mangelt (vgl dazu nur B[X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]6), weil die Beschwerdebegründungen zweier unterschiedlicher Beschwerdeführer in zwei unterschiedlichen Beschwerdeverfahren in einem gemeinsamen Text zusammengefasst worden sind. Ebenso kann offen bleiben, ob mit dem Vortrag der Klägerin die Vererbbarkeit des behaupteten [X.]nspruchs (dazu B[X.]E 116, 210 ff RdNr 12 = [X.] 4-3500 § 28 [X.]) überhaupt ausreichend dargestellt ist.

8

Ein Hinweis darauf, dass die Beschwerdebegründung den gesetzlichen Darlegungsanforderun-gen nicht genügt, war nicht erforderlich. Die Einhaltung der Darlegungserfordernisse obliegt dem postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Im Übrigen wäre eine nachgeschobene Begründung ohnehin nicht innerhalb der Begründungsfrist beim B[X.] eingegangen 160a [X.]bs 2 Satz 1 und 2 [X.]), und eine Erweiterung der Begründung in der [X.] des § 67 [X.]bs 2 [X.] müsste keinesfalls ermöglicht werden.

9

Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende [X.]us-sicht auf Erfolg (§ 73a [X.]bs 1 [X.], § 114 [X.]bs 1 Zivilprozessordnung ) bietet, ist der Klägerin auch keine [X.] zu bewilligen. Mit der [X.]blehnung von [X.] entfällt auch die Beiordnung des Rechtsanwalts (§ 121 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden [X.]nwendung des § 193 [X.].

Meta

B 8 SO 55/16 B

12.01.2017

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Braunschweig, 4. Juni 2014, Az: S 32 SO 174/12, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.01.2017, Az. B 8 SO 55/16 B (REWIS RS 2017, 17528)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17528

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