Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.12.2018, Az. B 10 ÜG 1/18 R

10. Senat | REWIS RS 2018, 197

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionseinlegung - Fristwahrung per Fax - rechtzeitiger Beginn mit der Übermittlung - absehbare Übertragungsdauer - zusätzlicher Sicherheitszuschlag von 20 Minuten - keine Unterscheidung nach Fehlerrisiko - überlanges Gerichtsverfahren - mögliche Vererbbarkeit des Entschädigungsanspruchs - Entschädigungsklage durch Rechtsnachfolger


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 5. April 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2500 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung für ein Kostenfestsetzungsverfahren vor dem [X.] Hamburg.

2

Der Kläger ist Enkel und testamentarisch bestimmter Alleinerbe der am 6.3.2018 verstorbenen Klägerin des Ausgangsverfahrens. Mit dem angefochtenen Urteil vom [X.] hat das [X.] als Entschädigungsgericht eine Verzögerung des Ausgangsverfahrens der Kostenfestsetzung um 26 Monate festgestellt und die auf Geldentschädigung gerichtete Klage im Übrigen abgewiesen. Der Klägerin des Ausgangsverfahrens sei durch dessen unangemessener Dauer allenfalls ein sehr geringer Schaden entstanden. Für sie selbst sei das Verfahren um die Festsetzung eines Streitwerts ohne Bedeutung gewesen bzw sogar entgegen ihrer Interessen durchgeführt worden. Es sei ihrem Prozessbevollmächtigten erkennbar nur darum gegangen, nach dem Streitwert anstatt nach Betragsrahmengebühren abzurechnen.

3

Gegen das am [X.] zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 29.6.2018 die vom [X.] zugelassene Revision eingelegt.

4

Die Revisionsbegründung ist am 1.8.2018 per Fax beim [X.] eingegangen. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er habe die 15-seitige Revisionsschrift nebst sechs Seiten Anlagen am [X.] um ca 23:40 Uhr zum [X.] auf das Fax gelegt. Beim Einzug der Anlagen sei ein Fehler aufgetreten. Die Übermittlung habe nach seinem [X.] 18 Minuten 12 Sekunden, die ergänzende Übermittlung der Anlagen vier Minuten 54 Sekunden gedauert. Diese lange Übertragungszeit sei ihm unverständlich. Er habe mit einer wesentlich kürzeren [X.] gerechnet. Die in dem von ihm übersandten [X.] angegebene Startzeit von 00:02 Uhr sei nicht korrekt. Die Uhr seines Faxgeräts sei nicht richtig eingestellt gewesen, wie er während der Übermittlung durch einen Blick auf sein Handy festgestellt habe.

5

Der Senat hat eine Auskunft der Posteingangsstelle des [X.] eingeholt. Danach sind Störungen des Faxempfangs beim [X.] in der betreffenden [X.] nicht festgestellt worden. Der Beginn des Faxeingangs mit der Revisionsbegründung ist am 1.8.2018 um 00:02:52 Uhr verzeichnet.

6

II. 1. Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Der Kläger hat sie entgegen § 164 Abs 2 S 1 SGG nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des [X.]-Urteils begründet. Dessen Zustellung erfolgte am [X.]. Die Frist zur Begründung der Revision endete deshalb nach § 64 Abs 2 S 1 SGG am [X.] um 24 Uhr. Eingegangen ist die Revisionsbegründung beim [X.] aber erst am 1.8.2018 ab 00:02:52 Uhr.

7

Die vom Kläger beantragte Wiedereinsetzung in die [X.] ist abzulehnen, weil er einen Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat und auch sonst nicht ersichtlich ist, dass er ohne Verschulden an der Fristwahrung gehindert war (§ 67 Abs 1 SGG). Vielmehr hat sein Prozessbevollmächtigter die in der konkreten Verfahrenslage erforderliche Sorgfalt außer [X.] gelassen, weil er nicht rechtzeitig mit der Übersendung der Revisionsbegründung begonnen hat.

8

Die gesetzlich eingeräumten [X.] dürfen nach ständiger Rechtsprechung des [X.] voll, und zwar bis zum letzten Tag und in diesem Rahmen bis zur äußersten Grenze, ausgeschöpft werden (vgl [X.]E 40, 42, 44; 45, 360, 362; 51, 352, 355; 74, 220, 224). Der Rechtsmittelführer darf die Bearbeitung auch noch für den letzten [X.] vorsehen, wenn er die fristwahrende Handlung noch rechtzeitig vornehmen kann ([X.] SozR Nr 36 zu § 67 SGG). Allerdings trifft ihn bei voller Ausschöpfung der Frist eine erhöhte Sorgfaltspflicht, darauf zu achten, dass die Übermittlung noch rechtzeitig und wirksam innerhalb der Frist erfolgt (vgl [X.], 2670; [X.], 2393; BVerwG [X.] 310 § 60 VwGO [X.] 12).

9

Der Nutzer eines Faxgeräts leistet das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung, wenn er ein anerkanntes Übermittlungsmedium wählt und ein funktionsfähiges Sendegerät richtig nutzt. Dabei muss er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnen, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24 Uhr zu rechnen ist. Dafür ist - zusätzlich zu der absehbaren Übermittlungsdauer des zu faxenden Schriftsatzes samt Anlagen - in jedem Fall ein zeitlicher Sicherheitszuschlag von 20 Minuten einzuhalten. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des [X.] ([X.] - Kammer - Beschluss vom 23.12.2016 - 1 BvR 3511/13 - Juris RdNr 3 mwN) für das verfassungsrechtliche Verfahren (Senatsbeschluss vom [X.] ÜG 30/17 C - Juris RdNr 8; die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss wurde vom [X.] nicht zur Entscheidung angenommen <[X.] - Kammer - Beschluss vom 11.9.2018 - 1 BvR 1066/18>; vgl ebenso BVerwG Beschluss vom 29.1.2015 - 9 [X.]; [X.] Beschluss vom 27.11.2014 - [X.]; [X.] Beschluss vom 8.10.2015 - [X.]/14 - Juris RdNr 4). Maßgebliche Unterschiede zum Sozialgerichtsprozess, die dort geringere Sorgfaltsanforderungen rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.

Nach diesen Vorgaben hat der Prozessbevollmächtigte des [X.] nicht glaubhaft gemacht, rechtzeitig mit der Übermittlung der Revisionsbegründung begonnen und damit alles in der konkreten Verfahrenssituation Erforderliche unternommen zu haben. Zwar gibt er an, er habe bereits um ca 23:40 Uhr am [X.] begonnen zu faxen. Indes weist der von ihm vorgelegte Sendebericht seines Faxgeräts einen Übermittlungsbeginn für die Faxübermittlung erst am 1.8.2018 um 00:02 Uhr aus. Dies lässt sich widerspruchsfrei mit dem [X.] des [X.] in Übereinstimmung bringen. Danach ist beim [X.] die erste Seite des Faxes am 1.8.2018 52 Sekunden nach dem Übertragungsbeginn eingegangen, den der Sendebericht des [X.] dokumentiert. Die Mutmaßung des Prozessbevollmächtigten, die Uhr seines Faxgeräts sei falsch eingestellt gewesen, widerspricht dieser zuverlässigen [X.]angabe im [X.] des [X.] und ist deshalb nicht hinreichend glaubhaft gemacht (vgl Senatsbeschluss vom [X.] ÜG 30/17 C - Juris RdNr 7, 11 f). Ist somit bereits kein rechtzeitiger Beginn der Faxübermittlung glaubhaft gemacht, kommt es auf die vom Prozessbevollmächtigten des [X.] diskutierte Frage der erwartbaren gewöhnlichen Übertragungsdauer nicht an.

Unabhängig davon würde selbst der vom Prozessbevollmächtigten behauptete früheste Übermittlungsbeginn um 23:40 Uhr nicht der erforderlichen Sorgfalt eines umsichtigen Prozessbeteiligten genügen, weil er jedenfalls den erforderlichen Sicherheitszuschlag von 20 Minuten zu der erwarteten Übertragungsdauer vermissen ließe. Dieser Sicherheitszuschlag gilt entgegen der Ansicht des [X.] unabhängig davon, welches Fehlerrisiko sich im Einzelfall verwirklicht hat.

Die genannten Versäumnisse seines Bevollmächtigten muss sich der Kläger nach § 73 Abs 6 [X.] SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO zurechnen lassen.

Ist die Revision somit als unzulässig zu verwerfen, kann dahinstehen, ob der Entschädigungsanspruch der verstorbenen Klägerin des Ausgangsverfahrens trotz § 198 Abs 5 S 3 GVG vor seiner rechtskräftigen Feststellung überhaupt vererblich war (bejahend [X.], Urteil vom 20.8.2014 - X K 9/13 - Juris RdNr 42 mwN) und deshalb im Wege der Erbfolge auf den Kläger übergehen und von ihm eingeklagt werden konnte.

2. Die nicht fristgemäß begründete Revision ist daher nach § 169 S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen.

3. [X.] ergibt sich aus § 183 S 6 SGG, § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 47 Abs 1 S 1, § 52 Abs 3 S 1, § 63 Abs 2 S 1 GKG. Der Streitwert entspricht der geltend gemachten Entschädigungssumme.

Meta

B 10 ÜG 1/18 R

19.12.2018

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Landessozialgericht Hamburg, 31. August 2015, Az: L 3 SF 30/15 AB, Beschluss

§ 164 Abs 2 S 1 SGG, § 64 Abs 2 S 1 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 67 Abs 2 S 2 SGG, § 198 Abs 5 S 3 GVG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 1922 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.12.2018, Az. B 10 ÜG 1/18 R (REWIS RS 2018, 197)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 197

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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X K 9/13

1 BvR 3511/13

9 BN 2/14

III ZB 24/14

VII B 147/14

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