Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.06.2011, Az. 1 ABR 110/09

1. Senat | REWIS RS 2011, 6012

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Gegenstand

Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung nach Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten


Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 11. März 2009 - 5 TaBV 6/08 - aufgehoben.

2. Das Verfahren wird zur neuen Anhörung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Geltung einer Betriebsvereinbarung.

2

Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen, das Finanzprodukte der [X.] und Dienstleistungen des Konzerns der [X.] vermittelt und vertreibt.

3

Zur [X.] gehörte im Jahre 1997 ua. die Niederlassung [X.], für die ein eigener Betriebsrat gewählt war. Am 12. November 1997 schlossen die [X.], Niederlassung [X.], und der bei der Niederlassung Postfilialen [X.] gebildete Betriebsrat die Betriebsvereinbarung zum [X.] ([X.]) ab, die in der Fassung vom 22. Januar 2001 bis heute ungekündigt ist. Darin ist für einzelne Filialen die Einführung von Gruppenarbeit mit einer eigenverantwortlichen Planung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer geregelt (§§ 1, 3 [X.]). In der Anlage 3 der [X.] ist vorgesehen, dass zur Festlegung des Personalbedarfs für die Koordination innerhalb der Gruppe und für die Wahrnehmung der dem Gruppensprecher obliegenden Aufgaben Zeitzuschläge zugrunde gelegt werden.

4

Die Arbeitgeberin ist nach zahlreichen Unternehmensspaltungen, Verschmelzungen und Umfirmierungen innerhalb des Konzerns der [X.] entstanden. Mehrere vormals selbständige Betriebe einzelner konzernangehöriger Unternehmen wurden dabei durch einen Tarifvertrag nach § 3 [X.] zu zehn regionalen Betrieben - unter ihnen auch der Betrieb [X.] - zusammengefasst.

5

Der Betriebsrat ist der Auffassung, die [X.] gelte in den näher bezeichneten Filialen weiterhin normativ. Von den Umstrukturierungen sei allein die Unternehmensebene betroffen gewesen. Hingegen seien die Organisation auf [X.] und der [X.] nicht verändert worden.

6

Der Betriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Bedeutung - beantragt:

        

festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung zum [X.] vom 12. November 1997 in ihrer Fassung vom 22. Januar 2001 in den Filialen München 1, München 15, München 33, München 40, München 44, München 45, München 70, München 701, München 71, München 801, München 81, München 83, München 90, München 60, [X.], [X.] 1, [X.] 1, Füssen 1, [X.] 1 Anwendung findet.

7

Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.

8

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen, das [X.] hat ihm entsprochen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

9

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ( § 562 Abs. 1 ZPO ) und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung ( § 563 Abs. 1 ZPO ). Auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen ist dem Senat eine eigene Sachentscheidung nicht möglich.

I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. Der Antrag bedarf zunächst der Auslegung. Mit der vom Betriebsrat begehrten Feststellung, dass die [X.] in den in seinem Antrag im Einzelnen bezeichneten Filialen „Anwendung findet“ geht es dem Betriebsrat - wie er in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat - um die Feststellung, dass diese Betriebsvereinbarung auch nach den erfolgten Umstrukturierungen in den bezeichneten Filialen unmittelbar und zwingend gilt.

2. Der so verstandene Antrag ist zulässig. Er ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da der Betriebsrat die Filialen, in denen die [X.] normativ Anwendung finden soll, im Einzelnen konkret benannt hat. Damit bestehen keine Unklarheiten darüber, auf welche betrieblichen Strukturen sich der Antrag bezieht. Er ist auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Die von ihm begehrte Feststellung der normativen (Fort-)Geltung der [X.] betrifft das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis der Beteiligten. Der Betriebsrat hat auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten gerichtlichen Feststellung. Die Arbeitgeberin hat die unmittelbare und zwingende Geltung der [X.] in den im Antrag aufgeführten Filialen in Abrede gestellt. Mit dem Feststellungsantrag ist eine umfassende Klärung des zwischen den Beteiligten bestehenden Streits über die Anwendbarkeit der Betriebsvereinbarung möglich.

II. Das [X.] hat dem Antrag des Betriebsrats zu Unrecht entsprochen.

1. Nach der Senatsrechtsprechung lässt die bloße Zusammenfassung von Betrieben mit bis dahin eigener Arbeitnehmervertretung zu einer größeren betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b [X.] die betriebsverfassungsrechtliche Identität der zusammengefassten Einheiten unberührt. Tatsächliche Veränderungen der bisherigen Betriebsorganisation gehen mit einer solchen Zusammenfassung nicht notwendig einher. Dementsprechend bleiben, sofern nicht der Arbeitgeber den Abschluss des [X.] zum Anlass nimmt, durch zusätzliche Maßnahmen die Organisations- und Leitungsstruktur der betroffenen Betriebe auch tatsächlich zu ändern, die tariflich zusammengefassten Betriebe als organisatorisch getrennte Teileinheiten der tariflich geschaffenen größeren Organisationseinheit bestehen. Auch wenn die Betriebe nach der ersten Betriebsratswahl in der neuen Einheit keine eigenständigen Arbeitnehmervertretungen mehr haben, behalten sie doch ihre Leitungs- und Organisationsstruktur bei. Sie sind dann organisatorisch klar abgegrenzte Teile des nach § 3 Abs. 5 [X.] fingierten [X.]. Der Fortbestand der betrieblichen Einheiten hat deshalb zur Folge, dass die in ihnen geltenden Betriebsvereinbarungen im fingierten Einheitsbetrieb normativ fortwirken. Ihre Geltung ist auf den Betriebsteil des [X.] beschränkt, der ihrem bisherigen Geltungsbereich entspricht ([X.] 18. März 2008 - 1 [X.] - Rn. 27 ff., [X.]E 126, 161).

2. Das [X.] hat danach zu Unrecht angenommen, die Zuordnung des vormaligen betriebsratsfähigen Betriebs zu einer neuen Organisationseinheit durch einen Tarifvertrag nach § 3 [X.] habe an der normativen Fortgeltung der [X.] nichts geändert, weil der bisherige Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung unabhängig davon, ob die Identität des ursprünglichen Betriebs „Niederlassung Postfilialen [X.]“ erhalten geblieben sei, nach wie vor räumlich und organisatorisch abgegrenzt werden könne. Für die Fortgeltung der [X.] kommt es hierauf nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, ob trotz der erfolgten Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten die betriebsverfassungsrechtliche Identität der zusammengefassten Einheiten unberührt geblieben ist. Die räumliche und organisatorische Abgrenzbarkeit des bisherigen Geltungsbereichs innerhalb der neuen Organisationseinheit allein ist kein taugliches Abgrenzungskriterium. Damit wird nicht genügend beachtet, dass eine Fortgeltung der Betriebsvereinbarung in diesen Fallkonstellationen nur gerechtfertigt ist, wenn die ursprüngliche organisatorische (Teil-)Einheit als betriebsverfassungsrechtlicher Bezugspunkt fortbesteht. Entscheidend ist daher, ob die [X.], der [X.] und die Leitungsstruktur, welche die [X.] prägen, nach der erfolgten Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten unverändert geblieben sind.

3. Auf der Grundlage des vom [X.] festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden. Der Rechtsstreit war deshalb nach Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 562 Abs. 1 ZPO) an das Beschwerdegericht zur neuen Anhörung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dem bisherigen Vortrag der Beteiligten ist nicht zu entnehmen, welche Organisations- und Leitungsstruktur in dem Betrieb der Niederlassung [X.] beim Abschluss der [X.] im Jahre 1997 bestand und welche [X.]e dort verfolgt wurden. Das [X.] hat zu etwaigen Veränderungen keine Feststellungen getroffen. Es hat zwar im Hinweisbeschluss vom 31. Oktober 2008 darauf hingewiesen, dass nicht nachvollzogen werden könne, aufgrund welcher organisatorischen Veränderungen auf [X.] die Umstrukturierungen zum 1. Januar 2005 zum Untergang des bisherigen Betriebs [X.], Vertriebsdirektion [X.], Betrieb [X.] geführt haben. Diese Hinweise greifen jedoch zu kurz. Es hätte vielmehr weitergehend aufgeklärt werden müssen, inwieweit sich die [X.] seit dem Abschluss der Betriebsvereinbarung bis heute geändert hat. Der Betriebsrat hat hierzu lediglich pauschal vorgetragen, die Organisationsstruktur sei unverändert geblieben, an der Spitze des Betriebs habe ein Vertriebsdirektor gestanden. Wie sich die Organisation und Leitung allerdings konkret dargestellt haben, ist vom Betriebsrat nicht näher ausgeführt worden.

        

        [X.]        

                

        Koch        

                

        Spelge        

                

                

        Für den aus dem Amt
ausgeschiedenen ehrenamtlichen
Richter Dr. Münzer
[X.]        

                

        [X.]        

                

                

        

Meta

1 ABR 110/09

07.06.2011

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG München, 5. Dezember 2007, Az: 4a BV 233/07, Beschluss

§ 3 Abs 1 Nr 1 Buchst b BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.06.2011, Az. 1 ABR 110/09 (REWIS RS 2011, 6012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6012

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

6 Sa 444/17

3 TaBV 27/18

7 TaBV 15/13

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