Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2010, Az. XII ZB 133/09

12. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 6050

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Gegenstand

Beginn der Berufungsfrist bei unterbliebener Zustellung der Urteilsausfertigung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 8. [X.] des [X.] vom 1. Juli 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 5.044 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um Abänderung eines Urteils zum nachehelichen Unterhalt aus der geschiedenen zweiten Ehe des [X.]. Das Urteil des Amtsgerichts vom 5. Februar 2009 ist dem Kläger nicht in Ausfertigung, sondern in beglaubigter Abschrift am 27. März 2009 zugestellt worden. Die Berufung des [X.] gegen dieses Urteil ist am (Mittwoch) 29. April 2009 beim [X.] eingegangen, die Berufungsbegründung am 27. Mai 2009.

2

Das [X.] hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist des § 517 ZPO eingegangen sei. Die Berufungsfrist habe mit Zustellung der beglaubigten Abschrift des Urteils begonnen.

3

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.], mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begehrt.

II.

4

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - [X.]/08 - FamRZ 2010, 357 [X.]. 7 m.w.N.).

5

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Sie ist auch begründet.

6

1. Die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung beginnt nach § 517 ZPO mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Die Zustellung erfolgt nach § 317 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen. Freilich bleibt das Original des Urteils stets bei den Akten. Stattdessen ist eine Ausfertigung zuzustellen ([X.]/Schütze/[X.] ZPO 3. Aufl. § 317 Rdn. 7).

7

a) Eine Ausfertigung ist eine in gesetzlich bestimmter Form gefertigte Abschrift, die dem Zweck dient, die bei den Akten verbleibende Urschrift nach außen zu vertreten (Senatsbeschluss vom 30. Mai 1990 - [X.] - FamRZ 1990, 1227). Durch die Ausfertigung soll dem Zustellungsempfänger die Gewähr der Übereinstimmung mit der bei den Akten verbleibenden Urteilsurschrift geboten werden ([X.], 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N. sowie [X.] Beschlüsse vom 20. Juni 1989 - [X.] und vom 28. November 2006 - [X.] – jeweils veröffentlicht bei juris). Der Ausfertigungsvermerk bezeugt als eine besondere Art der Beurkundung, dass die Ausfertigung mit der Urschrift des Urteils übereinstimmt. Wegen dieser Besonderheit verlangt das Gesetz, dass die Ausfertigung von einem [X.]n der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen ist (§ 317 Abs. 4 ZPO).

8

Mit der Unterschrift erklärt der [X.], dass die in der Ausfertigung wiedergegebenen Teile des Urteils gleich lautend mit denen der Urschrift sind. Diese Erklärung braucht nicht wörtlich in dem Ausfertigungsvermerk enthalten zu sein. Das Gesetz sieht eine bestimmte äußere Form für den Ausfertigungsvermerk nicht vor ([X.] Urteil vom 13. März 1969 - [X.] - VersR 1969, 709, 710). Die [X.] muss aber zumindest durch die Unterschrift des [X.]n, das Gerichtssiegel oder den Dienststempel und Worte wie "Ausfertigung" oder "ausgefertigt" erkennen lassen, dass es sich um eine Ausfertigung im Sinne des § 317 Abs. 4 ZPO handeln soll ([X.] Urteil vom 18. Mai 1994 - [X.] - [X.], 1495). Der [X.] hat deswegen bereits mehrfach die Zustellung beglaubigter Abschriften, die den [X.] nicht enthielten oder ihn unvollständig wiedergaben, für unwirksam gehalten, weil es damit für den Zustellungsempfänger an der Gewähr fehle, dass das ihm zugestellte Schriftstück der Urschrift entsprach (vgl. [X.], 234, 237 f. = NJW 1987, 2868).

9

b) Ob an Stelle einer Urteilsausfertigung auch eine beglaubigte [X.] die Zustellungswirkung des § 517 ZPO begründen kann, ist in der Literatur umstritten (vgl. [X.] Urteil vom 18. Mai 1994 - [X.] - [X.], 1495).

aa) Teilweise wird vertreten, dass die in § 517 ZPO vorausgesetzte Amtszustellung statt in der Form einer vollständigen Urteilsausfertigung auch durch eine beglaubigte Abschrift des Urteils erfolgen kann ([X.]/[X.]/[X.] ZPO 30. Aufl. § 517 Rdn. 2; Hk-ZPO/[X.] 3. Aufl. § 517 Rdn. 2 und [X.][X.]. § 517 Rdn. 9).

Überwiegend wird allerdings unter Hinweis auf die Bedeutung einer Ausfertigung und die Vorschrift des § 317 Abs. 1 und 4 ZPO vertreten, dass nur die Zustellung einer Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung die Berufungsfrist nach § 517 ZPO in Lauf setzen kann ([X.]/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 317 Rdn. 4; Musielak/Musielak ZPO 7. Aufl. § 317 Rdn. 3; [X.]/Schütze/[X.] ZPO 3. Aufl. § 317 Rdn. 7 und [X.]/[X.] ZPO § 517 Rdn. 5).

bb) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

Die nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden. Dabei ist die Zustellung einer beglaubigten Abschrift stets dann ausreichend, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält ([X.]/[X.] ZPO 28. Aufl. § 166 Rdn. 5). Denn eine besondere Form der Zustellung hat der Gesetzgeber ausdrücklich speziellen [X.] oder prozessrechtlichen Vorschriften vorbehalten (BT-Drucks. 14/4554 S. 15). Eine solche spezielle Vorschrift enthält das Gesetz in § 317 ZPO für die Zustellung von Urteilen.

Dass die Übergabe einer bloßen Abschrift des Urteils nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße und wirksame Zustellung erfüllt, hat der [X.] bereits entschieden ([X.] Beschluss vom 20. Juni 1989 - [X.] - veröffentlicht bei juris). Soweit die Zustellung einer beglaubigten Abschrift für ausreichend erachtet wird, geht dies auf das frühere Recht zurück, das bis Juni 1977 eine Zustellung im Parteibetrieb vorsah. Die darauf beruhende Rechtsprechung beschränkt sich deswegen auf Fälle, in denen eine beglaubigte Abschrift einer bereits vorliegenden Urteilsausfertigung zugestellt wurde ([X.] Urteil vom 10. Juni 1964 - [X.] - [X.] 1964, 916 und Beschlüsse vom 1. Juli 1974 - [X.] - [X.]Warn 1974, 475 und vom 29. September 1959 - [X.] - NJW 1959, 2117, 2118 m.w.N.). Auf die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils ohne vorliegende Ausfertigung des Urteils ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar. Solange keine Ausfertigung der in den Akten verbleibenden Urschrift des Urteils erstellt ist, ist der Zweck, das Urteil nach außen zu vertreten, nicht erreicht (vgl. [X.] Beschluss vom 28. November 2006 - [X.] - veröffentlicht bei juris). Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.]s entspricht die Form der Ausfertigung der besonderen Bedeutung und Wichtigkeit der kundzugebenden Entscheidung. Erst der Ausfertigungsvermerk verleiht der Ausfertigung die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde und bezeugt deren Übereinstimmung mit der in den Akten verbleibenden Urschrift ([X.], 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N.; vgl. auch § 47 BeurkG). Entsprechend lautet die amtliche Überschrift des § 317 ZPO auch "Urteilszustellung und -ausfertigung" und für schriftlich vorliegende Urteile sieht § 317 Abs. 4 ZPO lediglich die Erstellung von Ausfertigungen und Auszügen vor.

Für die Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist kommt es entscheidend auf äußere Form und Inhalt der zur Zustellung verwendeten Ausfertigung an; bei Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung ist allein die Ausfertigung maßgeblich, weil allein sie nach außen in Erscheinung tritt und die [X.] ihre Rechte nur anhand der Ausfertigung wahrnehmen kann und muss (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2001 - [X.]/00 - NJW 2001, 1653, 1654 und [X.] Beschluss vom 25. Mai 2006 - [X.]/05 - FamRZ 2006, 1114, 1115).

2. Die danach für den Beginn der Berufungsfrist nach §§ 517, 317 ZPO notwendige Ausfertigung des angefochtenen Urteils ist dem Kläger nicht bereits am 27. März 2009 zugestellt worden.

a) Allerdings mangelt es nicht schon deshalb an einer wirksamen Zustellung des Urteils, weil - wie die Rechtsbeschwerde meint - die Unterschrift der mitwirkenden [X.]in in der zugestellten beglaubigten Abschrift nicht ordnungsgemäß wiedergegeben sei. Das ist nach der Rechtsprechung des [X.]s der Fall, wenn die Unterschrift in Klammern gesetzt und kein weiterer Hinweis (etwa „gez.“) hinzugefügt ist, dass der [X.] das Urteil unterschrieben hat. Nach der Rechtsprechung des [X.]s reicht es allerdings aus, wenn in der Ausfertigung die Namen der beteiligten [X.] in [X.] ohne Klammern angegeben sind. Dann ist im Allgemeinen ein weiterer auf die Unterzeichnung hinweisender Zusatz nicht erforderlich (Senatsbeschluss vom 30. Mai 1990 - [X.] - FamRZ 1990, 1227; [X.] Urteil vom 18. Mai 1994 - [X.] - [X.], 1495 und Beschluss vom 1. April 1981 - [X.] - VersR 1981, 576).

b) Bei der dem Kläger zugestellten Abschrift handelt es sich jedoch nicht um eine Ausfertigung des Urteils. Denn dieser Abschrift fehlt ein Ausfertigungsvermerk, der - wie ausgeführt - nicht durch den vorhandenen [X.] ersetzt werden kann.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s beginnt der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist aus § 517 ZPO nicht, wenn den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Ausfertigung und Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu stellen sind, nicht Genüge getan ist ([X.] Urteil vom 18. Mai 1994 - [X.] - [X.], 1495). Das ist auch hier der Fall.

Im Zeitpunkt der Zustellung am 27. März 2009 war entgegen der zwingenden Vorschrift des § 317 ZPO noch keine Ausfertigung des angefochtenen Urteils erteilt. Die Zustellung der beglaubigten Abschrift des Urteils hat die Berufungsfrist deswegen noch nicht in Lauf gesetzt. Der Kläger hat folglich mit der am 29. April 2009 eingegangenen Berufungsschrift die Berufungsfrist des § 517 ZPO und mit der am 27. Mai 2009 eingegangenen Berufungsbegründung die Begründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO gewahrt. Das Berufungsgericht hat die Berufung deswegen zu Unrecht verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] ist der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur weiteren Veranlassung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[X.]                                          Vézina

                        Dose                                              [X.]

Meta

XII ZB 133/09

09.06.2010

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 1. Juli 2009, Az: II-8 UF 82/09, Beschluss

§ 317 Abs 1 ZPO, § 317 Abs 4 ZPO, § 517 ZPO, § 522 ZPO, § 574 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2010, Az. XII ZB 133/09 (REWIS RS 2010, 6050)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6050

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