Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.04.2019, Az. 2 WNB 1/19

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2019, 7838

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Gegenstand

Neufassung der Disziplinarformel durch das Truppendienstgericht


Leitsatz

Das Truppendienstgericht kann auch im Falle der Zurückweisung der weiteren Beschwerde den Tenor einer Disziplinarbuße entsprechend seinen Tatsachenfeststellungen neu fassen.

Tatbestand

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft eine [X.] in Höhe von 800 €. Dem Beschwerdeführer, einem Stabsfeldwebel der Reserve, wurde vorgehalten, in Bezug auf einen Obergefreiten während eines Zeitraums von vier Wochen, in dem der Beschwerdeführer Reservedienst leistete, mehrfach die Worte "Schwarzer" und "Neger" verwendet zu haben. Durch diese Wortwahl habe er das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Obergefreiten verletzt, zumindest den Eindruck eines diskriminierenden Verhaltens erweckt und gegen seine Pflichten als Vorgesetzter und Kamerad verstoßen. Das [X.] hat mit Beschluss vom 4. September 2018 die Disziplinarformel neu gefasst und die weitere Beschwerde zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen.

2

Mit der dagegen gerichteten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer, dass der Tenor der [X.] vom [X.] ohne vorherige Anhörung wesentlich geändert worden sei. Er sieht darin einen Verfahrensfehler und hält es für grundsätzlich bedeutsam, ob das [X.] im Verfahren der weiteren Beschwerde berechtigt ist, Änderungen am Tenor einer Disziplinarmaßnahme vorzunehmen, ohne gleichzeitig das Disziplinarmaß herabzusetzen oder die Disziplinarmaßnahme neu zu verhängen. Grundsätzlich bedeutsam sei auch die Frage, ob in einem solchen Fall vor der beabsichtigten Entscheidung rechtliches Gehör zur Änderung des Tenors gewährt werden müsse.

Entscheidungsgründe

3

Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwerde hat weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung noch liegt der behauptete Verfahrensfehler einer Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

4

1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - [X.]E 13, 90 <91 f.>). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Januar 2017 - 8 B 16.16 - [X.] 451.622 [X.] Nr. 3 Rn. 16).

5

a) Nach diesen Maßstäben hat der Beschwerdeführer zwar die abstrakte Rechtsfrage aufgeworfen, ob ein [X.] im Verfahren der weiteren Beschwerde nach § 42 Nr. 4 Satz 4 [X.] befugt ist, den Tenor einer [X.] neu zu fassen. Diese Frage bedarf jedoch keiner grundsätzlichen Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren. Denn es ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass die angefochtene Disziplinarmaßnahme "in vollem Umfang" der wehrdienstgerichtlichen Prüfung unterliegt und dass das Gericht "zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft". Demnach kann das [X.] - wie zur wortgleichen Vorgängerregelung des § 38 Nr. 3 Satz 3 [X.] a.F. bereits entschieden - die angefochtene Maßnahme bestätigen, sie in ihrer Höhe oder Art mildern oder auch ganz aufheben. Die Entscheidung des Gerichts beschränkt sich nicht auf eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der verhängten Maßnahme. Vielmehr übt es selbst Disziplinargewalt aus; daran ändert nichts, dass es wegen des auch hier geltenden Verschlechterungsverbots die Maßnahme nicht verschärfen darf ([X.], Beschluss vom 14. Mai 1975 - 2 [X.] 23.74 - [X.]E 53, 43 <44 f.>). Aus dem klaren Wortlaut der Regelung und der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt sich damit, dass das [X.] auch befugt ist, den im Tenor einer [X.] enthaltenen Tatvorwurf durch eine neue Fassung zu präzisieren und an seine Tatsachenfeststellungen anzupassen (ebenso Dau/[X.], [X.], 7. Aufl. 2017, § 42 Rn. 87).

6

b) Keine grundsätzliche Bedeutung hat auch die vorgelegte Frage, ob das [X.] verpflichtet ist, die Disziplinarmaßnahme abzumildern oder die gesamte Disziplinarmaßnahme neu zu verhängen, wenn es - wie hier - einzelne im Beschwerdebescheid vorgeworfene Verfehlungen ausscheidet oder abschwächt. Da das [X.] selbst die Disziplinargewalt ausübt und "die in der Sache erforderliche Entscheidung" trifft, kann es auch trotz Feststellung einer geringeren Zahl oder eines geringeren Umfangs der Pflichtverletzungen die vom [X.] verhängte [X.] im Ergebnis aufrechterhalten, wenn es diese Pflichtverletzungen nach seiner eigenen disziplinarischen Bewertung für hinreichend schwerwiegend hält. Dies widerspricht § 42 Nr. 4 Satz 4 [X.] nicht und verletzt auch nicht das Verschlechterungsverbot des § 42 Nr. 6 [X.] (vgl. Dau/[X.], [X.], 7. Aufl. 2017, § 42 Rn. 87). Ein rechtlicher Grund, warum das [X.] in einem solchen Fall verpflichtet sein sollte, die gesamte Disziplinarmaßnahme neu zu verhängen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

7

Eine Verletzung des Verschlechterungsverbots könnte nur vorliegen, wenn das [X.] eine bislang nicht oder nicht wirksam angeschuldigte Pflichtverletzung in seine Bemessungserwägungen einbeziehen würde (vgl. [X.], Beschluss vom 25. November 1993 - [X.] [X.] 5/93 - [X.] 1994, 257 <258>). Soweit die Beschwerde dies andeutet und insbesondere die zeitliche Bestimmtheit der vorgeworfenen Pflichtverletzungen in Zweifel zieht, ist der für die Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche grundsätzliche Klärungsbedarf bei der Auslegung des § 37 Abs. 3 Satz 2 [X.] oder des § 42 Nr. 6 [X.] weder ordnungsgemäß dargelegt noch ersichtlich. Denn bei der Festlegung der Tatzeit nach § 37 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist ähnlich wie bei der Anschuldigung in § 99 Abs. 1 Satz 2 [X.] eine zeitliche Eingrenzung durch Angabe einer Zeitspanne zulässig, wenn eine genauere Bestimmung der Tatzeit nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht möglich ist (vgl. Dau/[X.], [X.], 7. Aufl. 2017, § 37 Rn. 24 und [X.], Urteil vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - juris Rn. 62).

8

c) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob das [X.] vor einer Neufassung des Tenors der Disziplinarmaßnahme dazu rechtliches Gehör gewähren muss, kann gleichfalls keinen Erfolg haben. Diese Grundsatzrüge genügt schon nicht den Anforderungen des § 22b Abs. 2 Satz 2 [X.] an die ordnungsgemäße Darlegung. Die Beschwerde führt nicht aus, ob sich die von ihr angenommene vorherige Hinweispflicht aus einer und gegebenenfalls aus welcher Bestimmung des einfachen Rechts ergeben soll. Ebenso wenig wird dargelegt, aus welchen Gründen sich bei der Auslegung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ein grundsätzlicher Klärungsbedarf in Bezug auf die verfassungsrechtlichen Maßstäbe ergeben könnte. Vielmehr rügt die Beschwerde der Sache nach lediglich eine Missachtung dieses grundrechtsgleichen Rechts im Einzelfall. Darauf kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht gestützt werden.

9

2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 [X.]) liegt im Übrigen nicht vor. Der Grundsatz der Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 23a Abs. 2 [X.] i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - [X.]E 96, 205 <216 f.> m.w.N.). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt indessen keine umfassende Hinweis- und Informationspflicht des Gerichts ([X.], Beschluss vom 20. Juni 2017 - 2 [X.] 1.17 - juris Rn. 6 m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht grundsätzlich nicht, die Prozessbeteiligten schon vor der abschließenden Entscheidung auf das Ergebnis seiner Beweiswürdigung oder auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Dementsprechend muss ein [X.] die Beteiligten auch nicht vor seiner Entscheidung über die weitere Beschwerde darüber informieren, welche Vorwürfe es in welchem Umfang für erwiesen und welche Korrektur des Tenors der vorangegangenen Beschwerdeentscheidung es für erforderlich hält.

Es kann zwar im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrages gleichkommen und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - [X.]E 84, 188 <190> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - [X.]E 86, 133 <144 f.>). Für eine solche unzulässige Überraschungsentscheidung ist im vorliegenden Fall jedoch nichts ersichtlich. Dem Beschwerdeführer waren die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen seit langem bekannt und er hatte Gelegenheit, in die in der Verfahrensakte befindlichen Zeugenaussagen Einsicht zu nehmen. Er musste damit rechnen, dass das [X.] den ihn belastenden Zeugenaussagen ganz oder teilweise folgen würde. Er konnte auch damit rechnen, dass selbst im Falle einer teilweisen Freistellung von den erhobenen Vorwürfen die [X.] in Höhe von 800 € im Hinblick auf die erwiesenen Vorwürfe aufrechterhalten bleiben würde. Denn ein entsprechendes Vorgehen wurde in der einschlägigen Kommentarliteratur für zulässig erachtet (vgl. Dau/[X.], [X.], 7. Aufl. 2017, § 42 Rn. 87).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 42 Satz 1 [X.] i.V.m. § 23a Abs. 2 [X.] i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

2 WNB 1/19

25.04.2019

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WNB

vorgehend Truppendienstgericht Nord, 4. September 2018, Az: N 1 BLc 4/17 und N 1 RL 3/18, Beschluss

§ 22a Abs 2 Nr 1 WBO, § 22a Abs 2 Nr 3 WBO, § 22b Abs 2 S 2 WBO, Art 103 Abs 1 GG, § 37 Abs 3 S 2 WDO 2002, § 42 Nr 4 S 4 WDO 2002, § 42 Nr 6 WDO 2002

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.04.2019, Az. 2 WNB 1/19 (REWIS RS 2019, 7838)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7838

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1621/94

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