Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.06.2010, Az. 8 B 114/09

8. Senat | REWIS RS 2010, 6122

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Gegenstand

Zuordnung eines Unternehmens zum Tätigkeitsbereich der Forstwirtschaft


Gründe

1

Die [X.]eschwerde, die sich auf die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und auf Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

2

1. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die [X.]isionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung zukommt ([X.]eschluss vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Daran fehlt es hier.

3

Die Frage,

ob die statistische Einordnung eines Unternehmens in die Klassifikation der Wirtschaftszweige als Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG einzuordnen ist,

wäre in einem [X.]isionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage zwar wegen der Annahme, es liege kein Verwaltungsakt vor, als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage für unstatthaft gehalten, ihre Zulässigkeit als allgemeine Leistungsklage aber bejaht und die Zurückweisung der [X.]erufung auf die Unbegründetheit der Klage gestützt. Ob diese Entscheidung nach § 144 Abs. 4 VwGO zumindest im Ergebnis der revisionsrechtlichen Prüfung Stand halten würde, hängt daher nicht von der Qualifikation der statistischen Einordnung als Verwaltungsakt ab, sondern davon, ob das Unternehmen zu Recht dem Wirtschaftszweig der Forstwirtschaft zugeordnet wurde.

4

Die darauf bezogene Frage,

ob ein [X.]etrieb der Forstwirtschaft (und Landwirtschaft) über Eigentum oder [X.]esitz an Grund und [X.]oden verfügen muss,

wäre in einem [X.]isionsverfahren nur erheblich, soweit sie forstwirtschaftliche [X.]etriebe betrifft. Insoweit kommt ihr aber keine grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil sie nicht klärungsbedürftig ist. Dass die Frage noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war, genügt dazu nicht. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein [X.]isionsverfahren durchgeführt werden. Daran fehlt es, wenn die Frage sich anhand der einschlägigen Vorschriften mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation unter [X.]erücksichtigung der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt (vgl. [X.]eschluss vom 24. August 1999 - [X.]VerwG 4 [X.] 72.99 - [X.]VerwGE 109, 268 <270> = [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13). Das ist hier der Fall.

5

Aus den [X.]en Grundlagen der Systematisierung der Wirtschaftszweige und der statistischen Einordnung von Unternehmen ergibt sich eindeutig, dass die unternehmerische Tätigkeit, und nicht das Eigentum oder der [X.]esitz an den dazu verwendeten Produktionsmitteln, für die Zuordnung maßgeblich ist. Die [X.] vorgegebene Systematik der Wirtschaftszweige zielt nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 3037/90 des Rates vom 9. Oktober 1990 ([X.] L 293 S. 1) darauf, eine gemeinsame statistische Systematik in der [X.] aufzustellen, um die Vergleichbarkeit der Systematiken und Statistiken zu gewährleisten und unter anderem den Gemeinschaftsorganen die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zu ermöglichen. Die für die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung verbindliche, im Anhang nach Art. 2 der Verordnung beigegebene und inzwischen durch die Verordnung ([X.]) Nr. 29/2002 der [X.] vom 19. Dezember 2001 ([X.] [X.]) und die Verordnung ([X.]) Nr. 1893/2006 des [X.] und des Rates vom 20. Dezember 2006 ([X.] L 393 S. 1) aktualisierte Systematik ([X.]. 1, [X.]. 1.1 und [X.]. 2) stellt jeweils auf die Art der unternehmerischen Tätigkeit, und nicht auf Eigentums- oder [X.]esitzverhältnisse ab. Dies entspricht auch der Verordnung ([X.]) Nr. 2186/93 des Rates vom 22. Juli 1993 ([X.] [X.]) über die innergemeinschaftliche Koordinierung des Aufbaus von Unternehmensregistern für statistische Verwendungszwecke, die zwischenzeitlich durch die Verordnung ([X.]) Nr. 177/2008 des [X.] und des Rates vom 20. Februar 2008 ([X.] [X.] S. 6) zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für Unternehmensregister für statistische Zwecke und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 2186/93 des Rates abgelöst wurde. Danach kommt es für die systematische Einordnung entscheidend auf die unternehmerische Tätigkeit, und nicht auf Eigentum oder [X.]esitz an Grund und [X.]oden an. [X.]ereits die Erwägungsgründe der Verordnung Nr. 2186/93 stellen klar, dass Gegenstand der Statistiken die Unternehmenstätigkeit ist; Art. 2 Abs. 2 knüpft für die [X.]estimmung des Anwendungsbereichs an die Produktionstätigkeit an. Nach Art. 3 sollen alle Unternehmen erfasst werden, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, die zum [X.]ruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen ([X.]IP) beiträgt. Die Maßgeblichkeit der zur Wertschöpfung beitragenden Tätigkeit, und nicht der Eigentums- oder [X.]esitzverhältnisse, dürfte sich daraus erklären, dass die Vergleichbarkeit der Unternehmenszuordnungen unabhängig von der unterschiedlichen Ausgestaltung der Wirtschaftsverfassung in den Mitgliedsländern gewährleistet sein muss. Die nationale Umsetzung der Systematisierung in [X.] 2003 und [X.] 2008 ist entsprechend diesen [X.]en Vorgaben zu verstehen.

6

Danach kommt es für die Zuordnung eines Unternehmens zum Tätigkeitsbereich der Forstwirtschaft weder auf dessen Eigentum am forstwirtschaftlich genutzten Grundstück noch darauf an, ob es bei seiner Tätigkeit Eigen- oder zumindest [X.] am Grund und [X.]oden des forstwirtschaftlich genutzten Grundstücks ausübt.

7

Sollte die [X.]eschwerde auch unabhängig von den Eigentums- und [X.]esitzverhältnissen für klärungsbedürftig halten, ob das Unternehmen zumindest an der Nutzung des Waldbodens zur Holzerzeugung teilhaben müsse, lässt sich dies aufgrund der [X.] vorgegebenen Systematik verneinen. Die Zuordnung zu einer systematischen Kategorie setzt nicht voraus, dass die unternehmerische [X.]etätigung das gesamte von dieser Kategorie erfasste Tätigkeitsspektrum abdeckt, sondern verlangt nur, dass die verrichteten Tätigkeiten - hier etwa der Holzeinschlag und das Holzrücken - in deren Spektrum fallen, und dass die ihm zuzuordnenden Tätigkeiten des Unternehmens den Schwerpunkt der unternehmerischen [X.]etätigung darstellen. [X.]eides hat das angegriffene Urteil bejaht.

8

2. Die dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen hat die [X.]eschwerde nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen. Ihrer [X.]egründung lässt sich die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO nicht entnehmen.

9

Das [X.]erufungsurteil ist nicht schon als unzulässige Überraschungsentscheidung einzuordnen, weil das Oberverwaltungsgericht den Kläger nicht ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen hat, zur Überprüfung der Zuordnung nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige auf das Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken des [X.] auch in der aktuellen Fassung von 2009 ([X.]) zurückzugreifen.

Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG wird in § 108 Abs. 2 VwGO konkretisiert und gewährleistet, dass die [X.]eteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Danach ist ein Hinweis erforderlich, wenn ein [X.]eteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter [X.]erücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 29. Mai 1991 - 1 [X.]vR 1383/90 - [X.]E 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 [X.]vR 1934/93 - [X.]E 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 [X.] 1/02 - [X.]E 107, 395 <409>).

Hier musste ein solcher Prozessbeteiligter bereits nach dem erstinstanzlichen Vorbringen des [X.]eklagten, der sich zur Rechtfertigung der Zuordnung ausdrücklich auf die damals geltende [X.] berufen hatte, damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht für seine Entscheidung die jeweils geltende Fassung des Güterverzeichnisses berücksichtigen könnte, zumal auch die einschlägige finanzgerichtliche Rechtsprechung die Heranziehung des Güterverzeichnisses zur Überprüfung der Einordnung nach Wirtschaftszweigen, insbesondere für die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes von der Urproduktion, für zulässig erklärt hat ([X.]FH, Urteil vom 10. Mai 2007 - [X.]/04 - [X.], 2146).

Der nicht näher konkretisierte Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe auf der Grundlage des veralteten Vorbringens im vorangegangenen finanzgerichtlichen Verfahren entschieden und aktuelles Vorbringen des [X.] nicht berücksichtigt, genügt nicht den Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die substantiierte Darlegung eines Übergehens entscheidungserheblichen Vortrags stellt. Außerdem verkennt die [X.]eschwerde, dass das [X.]erufungsgericht die Tatsachenfeststellungen des finanzgerichtlichen Urteils nicht ungeprüft übernommen hat. Wie aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils hervorgeht, war es vielmehr aufgrund eigener Nachfragen und der entsprechenden Angaben des [X.] davon überzeugt, dass der [X.] sich zwar vergrößert hatte, der Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit aber gleich geblieben war. Gegen diese Feststellung hat die [X.]eschwerde keine Verfahrensrügen erhoben.

3. Soweit sie sich für ihre Auslegung des [X.]egriffs der Forstwirtschaft auf planungsrechtliche Entscheidungen, nämlich das Urteil vom 19. April 1985 - [X.]VerwG 4 C 13.82 - ([X.] 406.11 § 35 [X.][X.]auG Nr. 225) sowie die [X.]eschlüsse vom 19. Februar 1996 - [X.]VerwG 4 [X.] 20.96 - ([X.] 406.11 § 35 [X.]auG[X.] Nr. 320) und vom 4. Oktober 2006 - [X.]VerwG 4 [X.] 64.06 - ([X.] 406.11 § 35 [X.]auG[X.] Nr. 373) beruft, arbeitet sie keine divergierenden abstrakten, die Frage der statistischen Zuordnung betreffenden Rechtssätze heraus. Außerdem übersieht sie, dass die statistische [X.]egriffsverwendung aufgrund der [X.]en Vorgaben nach deren Sinn und Zweck nicht mit der planungsrechtlichen [X.]egriffsbestimmung übereinstimmen muss. Schließlich bejaht der [X.]eschluss vom 19. Februar 1996 - [X.]VerwG 4 [X.] 20.96 - (a.a.[X.]) für einen [X.]etrieb, der unter anderem den Holzeinschlag, die Holzverwertung und bestimmte Waldpflegemaßnahmen auf dem forstwirtschaftlichen Grundstück eines Dritten übernimmt, ausdrücklich das Merkmal forstwirtschaftlicher Tätigkeit. Er verneint nur die zusätzlich zur Erfüllung des [X.] des § 35 Abs. 1 Nr. 1 [X.]auG[X.] geforderte planmäßige und eigenverantwortliche [X.]odennutzung. Diese planungsrechtliche Differenzierung ist für die [X.] vorgegebene, auf den Charakter der Tätigkeit abstellende statistische Systematik ohne [X.]elang. Dies zeigt sich auch darin, dass das im zitierten [X.]eschluss angenommene, nicht unter § 35 Abs. 1 Nr. 1 [X.]auG[X.] fallende Erbringen forstwirtschaftlicher Dienstleistungen nach Ziffer 02.40 [X.]. 2 noch in die statistische Abteilung der Forstwirtschaft und des Holzeinschlags fällt.

Von einer weiteren [X.]egründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO abgesehen.

Meta

8 B 114/09

08.06.2010

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 17. September 2009, Az: 2 L 228/08, Urteil

EWGV 3037/90

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.06.2010, Az. 8 B 114/09 (REWIS RS 2010, 6122)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6122

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