Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.09.2015, Az. V B 5/15

5. Senat | REWIS RS 2015, 5760

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Gegenstand

Festsetzungsfrist von Zinsbescheiden - Verschulden des FA - Aussetzung des Beschwerdeverfahrens


Leitsatz

1. NV: Ein Verschulden der Finanzbehörde führt im Regelfall nicht dazu, einen Zinsbescheid nach Ablauf der Festsetzungsfrist zu ändern .

2. NV: Die für Prozesszinsen geltende Festsetzungsfrist des § 239 Abs. 1 Nr. 4 AO verstößt weder gegen den Äquivalenz- noch gegen den Effektivitätsgrundsatz .

3. NV: Eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens kommt nicht in Betracht .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 13. November 2014  5 K 5137/12 wird als unbegründet zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet.

2

1. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, "ob die kurze, einjährige Verjährungsfrist des § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 [X.] angewandt werden darf, wenn die Behörde falsch gehandelt hat", hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

3

a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O, wenn ihre Beantwortung durch den [X.] ([X.]) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtsklarheit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig, d.h. entscheidungserheblich ist. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich --wie hier-- anhand des Gesetzes und der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den [X.] geboten erscheinen lassen (vgl. [X.]-Beschluss vom 1. April 2011 XI B 75/10, [X.]/NV 2011, 1372, m.w.N.).

4

b) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 der Abgabenordnung --[X.]--). Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag nach § 236 Abs. 1 [X.] vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Absatz 1 ist entsprechend anzuwenden, wenn sich der Rechtsstreit --wie im [X.] durch Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes erledigt hat. Auf Zinsen und damit auch Prozesszinsen sind die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, jedoch beträgt die Festsetzungsfrist ein Jahr (§ 239 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Die Festsetzungsfrist beginnt in den Fällen des § 236 [X.] mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer erstattet worden ist (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 [X.]). Im Streitfall ist daher, wie das [X.] in dem angefochtenen Urteil zu Recht festgestellt hat, der Anspruch auf Prozesszinsen im Kalenderjahr 2006 entstanden und mit Ablauf des 31. Dezember 2007 durch Verjährung erloschen (§ 47 [X.]).

5

c) Durch die Rechtsprechung des [X.] ist bereits geklärt, dass die Festsetzungsverjährung auch dann eintritt, wenn die Behörde "falsch" (im Sinne von verschuldet) gehandelt hat.

6

aa) Ein Verschulden des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) führt im Regelfall nicht dazu, dass ein Steuerbescheid nach Eintritt der Festsetzungsverjährung noch zugunsten des Steuerpflichtigen zu ändern ist ([X.]-Urteil vom 19. August 1999 III R 57/98, [X.]E 191, 198, [X.], 330). Der Sinn und Zweck von Verjährungsvorschriften liegt gerade darin, Rechtsfrieden unabhängig davon eintreten zu lassen, ob die Behörde eine Entscheidung rechtsfehlerhaft getroffen oder unterlassen hat. Ob dies ausnahmsweise anders sein kann, wenn das [X.] durch [X.] einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, konnte in dem [X.]-Urteil in [X.]E 191, 198, [X.], 330, Rz 12 a.E. offen bleiben, da ein solcher Fall nicht vorlag.

7

bb) Da auf Zinsen die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind (§ 239 Abs. 1 Satz 1 [X.]), führt auch ein Verschulden des [X.] bei der Nichtfestsetzung von Zinsen grundsätzlich nicht dazu, dass zugunsten des Steuerpflichtigen nach Ablauf der Festsetzungsverjährung noch ein Zinsbescheid zu erlassen ist. Ein Ausnahmefall im Sinne der o.g. [X.]-Rechtsprechung ist vorliegend ausgeschlossen, da die Finanzverwaltung nicht durch [X.] einen Vertrauenstatbestand beim Steuerpflichtigen geschaffen hat, dass rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Zinsbescheid erlassen werde. Vielmehr ist die Festsetzungsfrist abgelaufen, weil das [X.] überhaupt nicht "aktiv" tätig geworden ist. Anhaltspunkte dafür, dass es vor Ablauf der Festsetzungsfrist Zinsen festsetzen werde, sind weder von der Klägerin dargelegt worden noch aus den Akten ersichtlich.

8

d) Ob die unterlassene Festsetzung von Prozesszinsen im Hinblick auf die --eine Festsetzung von Amts wegen regelnde-- Verwaltungsanweisung in § 236 Nr. 6 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung einen Anspruch der Klägerin aus Amtshaftung wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) i.V.m. Art. 34 des Grundgesetzes (GG) begründet, wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärbar. Abgesehen davon, dass für die Geltendmachung eines derartigen Anspruchs nicht die Finanzgerichtsbarkeit, sondern die ordentlichen Gerichte (Landgerichte) zuständig sind (Art. 34 Satz 3 GG i.V.m. § 71 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes), ist ein Amtshaftungsanspruch als eine auf den Staat übergeleitete Beamtenhaftung nur auf Geldersatz gerichtet und nicht auf Naturalrestitution durch Vornahme oder Unterlassen einer Amtshandlung ([X.]-Beschluss vom 19. September 2008 IX B 108/08, juris unter Hinweis auf das Urteil des [X.] vom 22. Mai 2003 [X.], Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2003, 1285). Die Bejahung eines Amtshaftungsanspruchs hätte somit nicht zur Folge, dass die gesetzlichen Vorschriften zur Festsetzungsverjährung außer [X.] gesetzt werden und ein Zinsbescheid zu erlassen wäre. Im Übrigen wäre zu berücksichtigen, dass die Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines "Rechtsmittels" abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Rechtsmittel in diesem Sinne sind nicht nur die Rechtsmittel im technischen Sinne. Der Begriff der Rechtsmittel ist hier vielmehr weit zu fassen, es sind alle Rechtsbehelfe darunter zu verstehen, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder ihr Unterlassen richten und die ihre Beseitigung bezwecken und ermöglichen. Demgemäß ist auch schon die einfache Nachfrage bei der zuständigen Behörde oder bei Unterlassungen --ein Antrag auf Tätigwerden der [X.] ein "Rechtsmittel" im Sinne der erläuterten Vorschrift (vgl. [X.], Urteil vom 2. Dezember 1993 18 U 92/93, Neue Juristische [X.] Zivilrecht 1995, 13). Für einen Antrag oder eine Nachfrage bei der zuständigen Finanzbehörde besteht jedenfalls dann Anlass, wenn diese auch mehrere Monate nach Erlass der Änderungsbescheide und Erstattung der Umsatzsteuer noch keine Festsetzung von Prozesszinsen vornimmt.

9

2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt auch nicht insoweit in Betracht, als die Klägerin die Frage aufwirft, "ob diese Frist auf einen unionsrechtlichen Erstattungsanspruch angewendet werden darf".

a) Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, da sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist und nicht (erst) in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Beschlüsse vom 22. Juli 2011 V B 88/10, [X.]/NV 2011, 1919; vom 6. Mai 2004 V B 101/03, [X.]E 205, 416, [X.] 2004, 748, sowie vom 3. April 2012 V B 130/11, [X.]/NV 2012, 1136).

b) Der Vorschrift über die Festsetzung der Zinsen in § 239 [X.] kommt rein verfahrensrechtliche Bedeutung zu (vgl. Rüsken in [X.], Kommentar zur [X.], § 239 Rz 1; [X.] in [X.], [X.]/[X.]O, § 239 Rz 6.1.). Auf dem Gebiet des Verfahrensrechts fehlen unionsrechtliche Vorschriften, sodass die Ausgestaltung des Verfahrensrechts grundsätzlich Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist (Grundsatz der Verfahrensautonomie). Diese haben dabei allerdings den [X.] sowie das Äquivalenzprinzip zu beachten (vgl. zuletzt Urteil des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- vom 12. Februar 2015 [X.]/13, [X.]/[X.], [X.] 2015, 422, Rz 26, m.w.N.). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Ausgestaltung der Festsetzungsfrist für Prozesszinsen in § 239 [X.] nicht gegen diese unionsrechtlichen Grundsätze verstößt:

aa) Ein Verstoß der nationalen Verjährungsvorschrift gegen den Äquivalenzgrundsatz (vgl. hierzu [X.]-Urteil vom 19. Juli 2012, [X.]/10, [X.], [X.]:[X.], [X.], 772, Rz 31) liegt schon deshalb nicht vor, weil § 239 [X.] in gleicher Weise für Erstattungsansprüche gilt, die sich aus nationalem Recht ergeben wie auch für Erstattungsansprüche, die sich --wie im [X.] unter Berufung auf das Unionsrecht ergeben.

bb) Zum [X.] hat der [X.] entschieden, dass die Festlegung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, und dass solche Fristen nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren ([X.]-Urteil vom 15. Dezember 2011 C-427/10, [X.], [X.]:C:2011:844, [X.], 184, Rz 24). Dem entsprechend hat der Senat im Urteil vom 28. August 2014 V R 8/14 ([X.]E 247, 21, [X.] 2015, 3) erkannt, dass die für [X.] geltende Verjährungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 1 [X.] vorgesehene Festsetzungsfrist nicht gegen das Effektivitätsprinzip verstößt.

cc) Der Streitfall betrifft nicht die Verjährung von [X.]n, da es sich bei den Prozesszinsen lediglich um steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 [X.]) handelt. Es ist daher bereits fraglich, ob es sich bei diesen um "durch die Unionsordnung verliehene Rechte" handelt. Jedenfalls ist weder von der Klägerin dargelegt worden noch für den Senat ersichtlich, dass die Geltendmachung von Prozesszinsen durch eine Verjährungsfrist von einem Jahr, die zudem erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuer erstattet oder ausgezahlt worden ist (§ 239 Abs. 1 Nr. 4 [X.]), praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde.

3. Der Senat ist nicht durch den --vorsorglich gestellten-- Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 74 [X.]O an einer Entscheidung über die Beschwerde gehindert. Eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens entsprechend § 74 [X.]O zur Durchführung eines [X.] vor dem [X.] kommt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] nicht in Betracht ([X.]-Beschlüsse vom 6. Juni 2003 III B 98/02, [X.]/NV 2003, 1214; vom 14. Mai 2002 VII B 76/01, nicht veröffentlicht, sowie vom 29. Oktober 1998 V B 87/98, [X.]/NV 1999, 681). Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist nur über den Zugang zum [X.] zu entscheiden, erst in einem anschließenden Revisionsverfahren wird dann über die Vorlagepflicht nach den dafür maßgebenden Kriterien entschieden.

4. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 5/15

08.09.2015

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 13. November 2014, Az: 5 K 5137/12, Urteil

§ 74 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 233 AO, § 236 AO, § 239 AO, Art 34 GG, § 839 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.09.2015, Az. V B 5/15 (REWIS RS 2015, 5760)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5760

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