Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21.03.2018, Az. 1 BvL 1/14

1. Senat | REWIS RS 2018, 11884

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Richtervorlage zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 6c Abs 1 S 1 SGB II (juris: SGB 2) unzulässig - Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm, insb Anwendbarkeit im Ausgangsverfahren, nicht hinreichend dargelegt - Zur Berücksichtigung des konkret-funktionalen Amtes bei Personalüberleitungen im öffentlichen Dienst


Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 6c Abs. 1 Satz 1 des [X.] ([X.]) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der [X.] vom 3. August 2010 ([X.] 1112) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

2

I. Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der [X.] wurde die Erledigung bestimmter Verwaltungsaufgaben neu geregelt. In § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] ist ein Personalübergang von der [X.] auf kommunale Träger normiert.

3

Die Norm lautete - soweit hier von Bedeutung -:

"§ 6c Personalübergang bei Zulassung weiterer kommunaler Träger und bei Beendigung der Trägerschaft

(1)

4

II. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens wendet sich gegen einen solchen Personalübergang.

5

1. Die Klägerin ist langjährig bei der [X.] angestellt und wurde zum November 2008 erprobungsweise und ab Mai 2009 förmlich in eine Agentur für Arbeit versetzt und dort zunächst mit Leitungsaufgaben im Bereich des [X.] und später mit der Führung eines "gemeinsamen Arbeitgeberserviceteams" betraut, das in den Aufgabenbereichen des [X.] und [X.] ([X.] und [X.]) tätig war. Im Zuge einer Verwaltungsreform wurden die Zuständigkeiten verändert. Ab Januar 2011 war nur noch der Landkreis für die Erfüllung der Aufgaben nach dem [X.] Buch zugelassen. Daher teilten die [X.] und der Landkreis der Klägerin mit, dass sie ab 1. Januar 2011 nach dem Gesetz zur Weiterentwicklung der [X.] in den Dienst des [X.] übertrete. Die Klägerin widersprach dem und klagte auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und Fortbeschäftigung bei der [X.].

6

2. Das Arbeitsgericht und das [X.] haben angenommen, die Klägerin sei von der gesetzlichen Regelung des [X.] nicht betroffen. § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass nur Beschäftigte erfasst würden, die im maßgeblichen Zeitraum ausschließlich Aufgaben nach dem [X.] Buch Sozialgesetzbuch wahrgenommen hätten.

7

3. Der 8. Senat des [X.] hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem [X.] die Frage vorgelegt,

"ob § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] in der Fassung vom 3. August 2010 bezüglich des Übertritts von Arbeitnehmern auf weitere kommunale Träger wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nichtig ist."

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Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Klärung dieser Frage ab. Die Klägerin habe seit mindestens 24 Monaten vor Zulassung des [X.] Tätigkeiten aus dem Bereich des [X.] wahrgenommen. Sie selbst gehe zwar davon aus, nur zu etwa 20 % Tätigkeiten in diesem Bereich ausgeübt zu haben, während die [X.] mehr als 50 % annehme. Da § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] nur verlange, dass die betreffenden Arbeitnehmer Aufgaben der [X.] als Träger nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 wahrgenommen hätten, [X.] die Klägerin nach dem Gesetzeswortlaut aber unabhängig vom zeitlichen Umfang ihrer "[X.]" dem Geltungsbereich des § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] (Rn. 17 des Vorlagebeschlusses).

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Die vorgelegte Norm sei verfassungswidrig, denn sie verletze die mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG auch im öffentlichen Dienst garantierte freie Wahl des Vertragspartners. Es fehle ein Mitspracherecht der Betroffenen. Sie könnten Nachteile im beruflichen Fortkommen und auch im Einkommen erleiden.

[X.]. Zu dem Verfahren Stellung genommen haben die Bundesregierung, der [X.], die [X.], der Dachverband [X.] und [X.], der [X.], der [X.], die [X.] und die [X.] sowie die Klägerin des Ausgangsverfahrens.

IV. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung wurden - abgesehen vom Vorlagebeschluss - keine Zweifel an der Vereinbarkeit der vorgelegten Norm mit dem Grundgesetz geäußert. Der 6. Senat des [X.] hat - ohne dass die Wirksamkeit von [X.] in Streit stand - die vorgelegte Norm so verstanden, dass sie eine besondere personelle Kontinuität absichere und daher auf tatsächlich vorhandene Erfahrungen und Kompetenzen abstelle. Vom Übergang erfasst werde daher nur gründlich eingearbeitetes, fachlich qualifiziertes Personal, nicht jedoch Personal, das im Referenzzeitraum keine einschlägigen Tätigkeiten ausübte (vgl. [X.], Urteil vom 16. April 2015 - 6 [X.] -, juris, Rn. 42 f.; Urteil vom 17. März 2016 - 6 [X.]/15 -, juris, Rn. 13; zuvor etwa [X.], Urteil vom 8. Oktober 2012 - 1 Sa 22/12 -, juris, Rn. 40 ff.).

Die Vorlage ist unzulässig. Der Vorlagebeschluss erfüllt nicht die Begründungserfordernisse aus Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.].

I. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] muss ein vorlegendes Gericht darlegen, aus welchen Gründen es von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt ist und dass und weshalb es im Falle der Gültigkeit der Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Fall ihrer Ungültigkeit ([X.] 141, 143 <160 Rn. 34>). Die Ausführungen müssen erkennen lassen, dass die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift sorgfältig geprüft worden ist (vgl. [X.] 136, 127 <141 Rn. 43>). Die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit richtet sich grundsätzlich nach der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts. Doch darf diese nicht offensichtlich unhaltbar sein (vgl. [X.] 143, 38 <51 Rn. 28>; stRpr). Die Norm muss unter Auseinandersetzung mit der Rechtslage und den in Literatur sowie Rechtsprechung entwickelten Auffassungen ausgelegt werden (vgl. [X.] 105, 48 <56>; 136, 127 <142 Rn. 44>). Insgesamt sind zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit alle naheliegenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. [X.] 80, 68 <71>; 86, 71 <78>). Fehlen insoweit nähere Erläuterungen, kann das [X.] diese nicht durch eigene Erwägungen ersetzen (vgl. [X.] 97, 49 <62>; 105, 61 <67>).

II. Die Vorlage wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Gericht legt zwar dar, dass bei einer Personalüberleitung durch Gesetz die grundrechtlich geschützten Belange der Beschäftigten zu berücksichtigen sind (zum Fall der Vollprivatisierung [X.] 128, 157 <179 ff.>). Doch ist nicht hinreichend nachvollziehbar ausgeführt, dass die vorgelegte Norm im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist. Das gilt unabhängig davon, ob § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] hier unmittelbar anzuwenden ist oder mittelbar Anwendung findet (vgl. § 6a Abs. 7, § 6c Abs. 1 Satz 6 [X.]). Entscheidend ist vielmehr, dass nicht plausibel dargelegt ist, ob die Klägerin tatsächlich unter die Norm fällt. Im Ausgangsfall kommt es nach § 6c Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 [X.] unter anderem darauf an, ob die Klägerin "Aufgaben der [X.] [für Arbeit] als Träger nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 [[X.]] in dem Gebiet des kommunalen Trägers wahrgenommen" hat. Das ist Voraussetzung der Anwendbarkeit der Norm. Das [X.] hat nicht geklärt, ob § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] mit Blick auf den zwischen den Parteien streitigen Umfang der von der Klägerin wahrgenommenen Tätigkeit im Bereich des [X.] Anwendung findet. Wenn es im Vorlagebeschluss dazu ohne weitere Auseinandersetzung mit dem Gehalt des § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] heißt, dass die Norm nach dem Wortlaut unabhängig vom zeitlichen Umfang einschlägiger Tätigkeiten Anwendung finde, weil nur verlangt sei, dass die Klägerin überhaupt solche Aufgaben wahrgenommen habe (Rn. 17, 44), genügt das nicht, um die Entscheidungserheblichkeit der Norm zu begründen. Die Annahme, es komme für die Anwendung des § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht auf den zeitlichen Umfang der konkret wahrgenommenen Tätigkeit an, widerspricht offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers und kann deshalb der verfassungsgerichtlichen Beurteilung der Erheblichkeit der Vorlagefrage in einem Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht zugrunde gelegt werden. Das gesetzgeberische Ziel der Überleitung war es, durch eingearbeitetes Personal die Qualität der Aufgabenerfüllung zu sichern und nicht zu viele Personen mit nur geringer einschlägiger Vorerfahrung überzuleiten (vgl. [X.], Ausschuss für Arbeit und Soziales, Protokoll 17/20, 17. Wahlperiode, S. 255 <273>; BTDrucks 17/10327, S. 3 f.). Auch bei anderen Personalüberleitungen im öffentlichen Dienst orientieren sich sowohl die Arbeitsgerichte (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juli 2004 - 5 Sa 64/04 -, juris, Rn. 63 zu § 128 Abs. 4 BRRG) als auch die Verwaltungsgerichte (vgl. [X.], Urteile vom 12. November 2013 - 1 L 9/13 - und - 1 L 15/13 -, juris, Rn. 55 und 56; s.a. [X.], Beschluss vom 26. Februar 2015 - 2 C 1/14 -, juris, Rn. 23 zu § 6c Abs. 1 Satz 1 [X.]) regelmäßig am [X.]. Insofern bedürfen Personalüberleitungsbestimmungen jedenfalls der Auslegung, auf welche Aufgaben und auf welchen Aufgabenumfang es ankommt. Das vorlegende Gericht hat nicht dargelegt, warum dies hier anders sein sollte.

Meta

1 BvL 1/14

21.03.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend BAG, 26. September 2013, Az: 8 AZR 775/12 (A), Vorlagebeschluss

Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 6c Abs 1 S 1 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21.03.2018, Az. 1 BvL 1/14 (REWIS RS 2018, 11884)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11884 BVerfGE 148, 64-69 REWIS RS 2018, 11884

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