Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.07.2017, Az. 2 B 35/17

2. Senat | REWIS RS 2017, 8060

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Gegenstand

Keine Anwendung der besonderen Altersgrenze für Polizeivollzugs- und Feuerwehrbeamte auch auf Gerichtsvollzieher; Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung


Gründe

1

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

2

1. Der 1953 geborene Kläger stand als Obergerichtsvollzieher im Dienst des Beklagten. Auf seinen Antrag hin wurde er mit Ablauf des Juli 2014 im Hinblick auf seine Schwerbehinderung in den Ruhestand versetzt. Unter Hinweis darauf, dass der Kläger die für ihn maßgebliche Regelaltersgrenze erst mit 63 Jahren und zwei Monaten erreicht hätte, reduzierte der Beklagte den [X.] wegen des zu berücksichtigenden Zeitraums vom 1. August 2014 bis zum 31. Januar 2017 um insgesamt 9 v.H. (2,5 Jahre x 3,6 v.H.). Hiergegen erhob der Kläger mit der Begründung Widerspruch, auf ihn müsse die besondere Altersgrenze angewendet werden, die für Beamte des [X.] und des [X.] der Feuerwehr gelte. Dementsprechend sei der [X.] nicht zu reduzieren. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:

3

Der Kläger gehöre als Gerichtsvollzieher nicht zum Kreis von Beamten, für die § 36 Abs. 3 [X.] die Reduzierung der Altersgrenze vorsehe. Dementsprechend sei für ihn die Regelaltersgrenze des § 36 Abs. 1 [X.] maßgeblich. Denn die besondere Altersgrenze gelte lediglich für Beamte des [X.], des allgemeinen Vollzugsdienstes und des Werkdienstes bei den [X.] sowie des [X.] der Feuerwehr. Eine analoge Anwendung der Sonderregelung des § 36 Abs. 3 [X.] auf die Gruppe der Gerichtsvollzieher scheide aus. Sonderregelungen seien grundsätzlich nicht analogiefähig und zudem fehle es hier an der für eine analoge Anwendung erforderlichen Gesetzeslücke. Ob die Regelung des § 36 [X.] wegen willkürlicher Ungleichbehandlung zulasten der Gerichtsvollzieher verfassungswidrig sei, könne dahingestellt bleiben. Denn selbst bei einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könne das [X.] der nicht berücksichtigten Beamtengruppe die Begünstigung grundsätzlich nicht zusprechen. Das [X.] könnte auf eine Richtervorlage allenfalls die begünstigende Vorschrift für nichtig erklären oder feststellen, dass die Nichtberücksichtigung einzelner Gruppen verfassungswidrig sei. Eine Erstreckung der Begünstigung auf eine ausgeschlossene Gruppe komme allenfalls dann in Betracht, wenn mit Sicherheit anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber bei Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG eine solche Regelung getroffen hätte. Hier spreche die Gesetzessystematik gerade dafür, dass der Gesetzgeber ganz bewusst nur die in den § 36 Abs. 2 bis 4 sowie §§ 37 und 38 [X.] genannten Berufsgruppen habe regeln wollen. Zudem bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber seinen weiten politischen Gestaltungsspielraum dadurch überschritten habe, dass er die Gruppe der Gerichtsvollzieher nicht in den Anwendungsbereich von § 36 Abs. 3 [X.] einbezogen habe.

4

2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde des Klägers beimisst.

5

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des [X.] erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>).

6

Die in der Beschwerde formulierte Frage,

"ob ein Fachgericht aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet ist, einen Rechtsstreit gemäß § 94 VwGO auszusetzen und die Verfassungsgemäßheit einer Norm im Wege einer konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG durch das [X.] oder ggf. durch ein Landesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, wenn der Kläger auch bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Norm die begehrte Leistung nicht direkt erhält, sondern zunächst noch ein Handeln des Gesetzgebers erforderlich ist",

vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen. Die Frage kann aufgrund des Wortlauts des Grundgesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des [X.]s auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.

7

Wie sich der Beschwerdebegründung entnehmen lässt, zielt die Fragestellung auf eine denkbare Sachlage für eine Einholung einer Entscheidung des [X.]s über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ab, die nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aber gerade ausgeschlossen ist.

8

Im angestrebten Revisionsverfahren soll nach der Beschwerdebegründung geklärt werden, ob der Grundsatz des fairen Verfahrens ein Fachgericht dazu verpflichtet, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes durch eine Vorlage an das [X.], wenn gewichtige Anhaltspunkte für dessen Verfassungswidrigkeit bestehen. Aus dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist aber unmittelbar zu schließen, dass das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes überzeugt sein muss. Denn das Gericht muss das Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für "verfassungswidrig halten". Damit setzt Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen gesetzlichen Regelung voraus. Das vorlegende Gericht muss die für diese Überzeugung maßgeblichen Erwägungen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.]G im Vorlagebeschluss nachvollziehbar und erschöpfend darlegen ([X.], Beschlüsse vom 7. Mai 1963 - 2 BvL 8/63 - [X.]E 16, 82 <88>, vom 10. Mai 1988 - 1 BvL 8/82, 1 [X.] - [X.]E 78, 165 <171 f.> und vom 1. April 2014 - 2 BvL 2/09 - [X.]E 136, 127 Rn. 45 m.w.N.). Das Berufungsgericht geht aber gerade davon aus, dass der Landesgesetzgeber bei der Entscheidung, die Gruppe der Gerichtsvollzieher nicht in den Anwendungsbereich des § 36 Abs. 3 [X.] einzubeziehen, die Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht überschritten hat.

9

Mit diesen Vorgaben des Grundgesetzes ist es unvereinbar, das Fachgericht bereits dann zur Aussetzung des Verfahrens und zur Vorlage an das [X.] nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG als verpflichtet oder auch nur als berechtigt anzusehen, wenn es selbst von der Verfassungsmäßigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes ausgeht und die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes lediglich von einem Beteiligten im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG (dreifacher Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistung).

Meta

2 B 35/17

13.07.2017

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 22. März 2017, Az: 4 S 791/16, Urteil

§ 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, Art 100 Abs 1 S 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.07.2017, Az. 2 B 35/17 (REWIS RS 2017, 8060)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8060

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2 BvL 2/09

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