Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.08.2013, Az. 9 B 13/13

9. Senat | REWIS RS 2013, 3237

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Abgabenerhebung muss zeitlich begrenzt sein; Verfahrensrüge; Richterwechsel; Gerichtsbesetzung; Beweisaufnahme


Gründe

1

Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte [X.]eschwerde kann keinen Erfolg haben.

2

1. Eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher [X.]edeutung kommt nicht in [X.]etracht. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von [X.]edeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der [X.]eschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Vorraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3

Der Kläger möchte geklärt wissen:

"ob es dem [X.]eklagten unter Verstoß des aus dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Willkürverbotes erlaubt sein kann, durch fortlaufende Satzungsneuerlasse die Festsetzungsverjährung ins Unermessliche zu verschieben und unter den gleichen Voraussetzungen die [X.]eitragspflichtigen durch nicht mehr anfechtbare [X.]escheide zu Unrecht heranzuziehen, da über die [X.]emessungsgrundlagen in tatsächlicher Hinsicht bewusst getäuscht wird."

4

Die Frage verfehlt bereits die maßgeblichen Erwägungen des [X.]. Rechtsfragen, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt haben oder auf die sie nicht entscheidend abgehoben hat, können regelmäßig nicht zur Zulassung der Revision führen ([X.]eschluss vom 5. Oktober 2009 - [X.]VerwG 6 [X.] - [X.] 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 7 m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht ist, anders als es die Frage nahelegt, nicht davon ausgegangen, dass die Festsetzungsverjährung durch fortlaufende Satzungsänderungen hinausgeschoben worden ist. Es hat vielmehr darauf abgestellt, dass die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist erst mit der vollständigen Fertigstellung der Abwasserbeseitigungsanlage durch den [X.] zu laufen begonnen hat, so dass der [X.]eitragsbescheid vom 21. August 2007 noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen ist. Abgesehen davon ist die Frage, die die [X.]eschwerde der Sache nach aufwirft, durch die neueste Rechtsprechung des [X.] geklärt. Hiernach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von [X.] kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendem Gebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht vereinbar ([X.], [X.]eschluss vom 5. März 2013 - 1 [X.]vR 2457/08 - NVwZ 2013, 1004).

5

Auch die weitere in diesem Zusammenhang von der [X.]eschwerde für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,

"inwieweit der beklagte Verband berechtigt war, wiederkehrende Gebühren und [X.]eiträge vom Kläger einzuziehen, die kalkulatorisch für einen bestehenden [X.] an das zentrale Abwasserbeseitigungssystem berechnet waren und somit viel höher lagen als der [X.]eitrag für einen nicht vorhandenen [X.]",

geht von einem Sachverhalt aus, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Das Oberverwaltungsgericht ist aufgrund der vorliegenden Akten und der von ihm durchgeführten [X.]eweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass das auf dem Grundstück des [X.] anfallende Abwasser vor dem Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes für das [X.] ([X.] - LSA) am 15. Juni 1991 nicht in das vorhandene Klärwerk geleitet worden ist und das zum Klärwerk führende Trennsystem im [X.]ereich der Straßen [X.], [X.] und [X.] erst im Jahre 2004 vollständig fertig gestellt wurde. Eine Feststellung, dass das Grundstück des [X.] nach dem 15. Juni 1991 bis zur endgültigen Herstellung überhaupt nicht an das zentrale Abwasserbeseitigungssystem angeschlossen war, findet sich in dem angegriffenen Urteil nicht. Für die Entstehung des allgemeinen Herstellungsbeitrags war jedoch nicht der [X.] des Grundstücks des [X.] an den vor dessen Grundstück verlaufenden [X.] und der [X.] dieses Kanals an die zentrale Abwasserentsorgung ausschlaggebend, sondern die vollständige Herstellung des Trennsystems, die nach den mit der [X.]eschwerde nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] erst im Jahr 2004 erfolgte.

6

Die Frage,

"ob mit dem [X.]etreiben eines auch heute noch in der gesamten [X.] gängigen Verfahrens eines Abschlagsbauwerkes eine Entsorgung von Wasser und Abwasser als zentrale Anlage in dauerhaftem Zustand gegeben ist oder nicht",

rechtfertigt wörtlich verstanden die Zulassung wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache schon deswegen nicht, weil sie nicht auf die Klärung einer Rechtsfrage abzielt, sondern auf die Klärung tatsächlicher Verhältnisse gerichtet ist. Aber auch wenn man die Frage so versteht, dass die [X.]eschwerde mit ihr in einem Revisionsverfahren geklärt wissen will, ob dem Grundstück des [X.] bereits mit der Errichtung des Abschlagsbauwerkes die nach dem [X.] - LSA und der [X.] des [X.]eklagten erforderliche dauerhafte Entsorgungsmöglichkeit geboten wurde, vermag sie die Zulassung nicht zu rechtfertigen, weil sich die so verstandene Frage nach irrevisiblem Landesrecht beantwortet und daher in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden könnte (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO).

7

2. Auch die gemäß § 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO erhobene Verfahrensrüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

8

Einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Unmittelbarkeit der [X.]eweisaufnahme (§ 96 VwGO) und die [X.]esetzung des Gerichts (§ 112 VwGO), sieht die [X.]eschwerde darin, dass an der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 15. Januar 2013 nur zwei [X.]erufsrichter und kein ehrenamtlicher [X.] teilgenommen haben, die auch an der vorangegangen mündlichen Verhandlung mit [X.]eweisaufnahme am 4. September 2012 mitgewirkt hatten. Diese Rüge greift nicht durch. § 112 VwGO schreibt zwar vor, dass das Urteil nur von den [X.]n und ehrenamtlichen [X.]n gefällt werden darf, die an der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung teilgenommen haben. Damit ist jedoch die letzte mündliche Verhandlung gemeint (vgl. [X.]eschlüsse vom 19. September 1973 - [X.]VerwG 6 C 123.73 - [X.] 448.0 § 34 [X.] Nr. 21 und vom 14. März 2011 - [X.]VerwG 8 [X.] - [X.] 2011, 123 Rn. 23). Weder im Verwaltungs- noch im Zivilprozess besteht eine Regelung des Inhalts, die einmal in mündlicher Verhandlung und [X.]eweisaufnahme mit einer Sache befasst gewesenen [X.] müssten auch bis zur Entscheidung mit dieser Sache befasst bleiben (vgl. Urteil vom 23. September 1983 - [X.]VerwG 6 C 13.83 - [X.] 310 § 112 VwGO Nr. 5 ; [X.]eschluss vom 12. Juli 1985 - [X.]VerwG 9 [X.] 104.84 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 56 S. 32).

9

Wegen des eingetretenen [X.]wechsels brauchte entgegen der Ansicht der [X.]eschwerde die [X.]eweisaufnahme nicht wiederholt zu werden. Das Prinzip der Unmittelbarkeit der [X.]eweisaufnahme verlangt dies grundsätzlich nicht; vielmehr steht eine Wiederholung der [X.]eweisaufnahme im Ermessen des Gerichts. Lediglich dann, wenn es entscheidend auf persönliche Eindrücke ankommt, muss je nach den Umständen des Falles eine Wiederholung der Anhörung oder Zeugenvernehmung in Erwägung gezogen werden (vgl. [X.]eschlüsse vom 12. Juli 1985 a.a.[X.] 32 m.w.N. und vom 1. Juni 2007 - [X.]VerwG 8 [X.] 85.06 - juris Rn. 11). Im vorliegenden Fall ist das [X.]erufungsgericht dem Zeugen V. und nicht dem Zeugen [X.] deswegen gefolgt, weil der Zeuge [X.] bestimmt und zielgerichtet mit der Erfassung des Leitungsbestandes des [X.]eklagten beauftragt war und daher in einem "sachnäheren Zusammenhang zu dem vorliegend streitigen Sachverhalt" ([X.]) stand als der Zeuge [X.], der seine Wahrnehmungen aus der Mitte der 70er Jahre gleichsam "bei Gelegenheit" gemacht hat und primär daran interessiert war zu erfahren, wann sein Hausgrundstück angeschlossen wird. Dass der Zeuge V. "im Verhandlungstermin durch seine sachlichen und präzisen Schilderungen überzeugte", war mithin nicht der letztlich ausschlaggebende Grund für das [X.]erufungsgericht, ihm und nicht den Angaben des Zeugen [X.] zu folgen.

Auch der Umstand, dass die Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung vom 4. September 2012 ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 15. Januar 2013 nicht durch Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Akten oder durch Verlesung der Sitzungsprotokolle in das Verfahren eingeführt worden sind, führt nicht auf einen erheblichen [X.]. Wesentlich ist, dass die zur Entscheidung berufenen [X.] auch ohne Verlesung der Sitzungsprotokolle in der mündlichen Verhandlung ihre Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens bilden konnten, weil sie auf anderem Wege, insbesondere während der [X.]eratung, über alle entscheidungserheblichen Umstände informiert worden sind. Das ist regelmäßig und auch hier anzunehmen. In gleicher Weise wie davon auszugehen ist, dass ein Gericht das Vorbringen der [X.]eteiligten grundsätzlich zur Kenntnis nimmt, spricht aufgrund der [X.]indung des [X.]s an Gesetz und Recht eine Vermutung dafür, dass in ähnlicher Weise wie im Falle der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung allen [X.]n im Rahmen der [X.]eratung eine vollständige Unterrichtung über den Sach- und Streitstoff zuteil wird ([X.]eschlüsse vom 12. Juli 1985 a.a.[X.] 33 und vom 14. März 2011 a.a.[X.] Rn. 24). [X.]esondere sich aus der angefochtenen Entscheidung selbst ergebende, zu Zweifeln Anlass bietende Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, dass dies im vorliegenden Falle nicht geschehen sei, lassen sich der [X.]eschwerde nicht entnehmen.

Meta

9 B 13/13

26.08.2013

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 15. Januar 2013, Az: 4 L 180/10, Urteil

§ 96 VwGO, § 112 VwGO, Art 3 Abs 1 GG, § 132 Abs 1 Nr 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.08.2013, Az. 9 B 13/13 (REWIS RS 2013, 3237)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3237

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1 BvR 2457/08

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