Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.04.2014, Az. II B 71/13

2. Senat | REWIS RS 2014, 6307

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Gegenstand

Kein berechtigtes Interesse an Aussetzung der Vollziehung eines Einheitswertbescheids wegen der Belastung mit Grundsteuer


Leitsatz

1. NV: Mängel im System der Einheitsbewertung des Grundbesitzes können nur mit einem Rechtsbehelf gegen den Einheitswertbescheid und nicht im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Grundsteuermessbescheid geltend gemacht werden .

2. NV: Die Aussetzung der Vollziehung eines Einheitswertbescheids wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihm zugrunde liegenden Vorschriften setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht .

3. NV: Das Interesse an der Aussetzung eines Einheitswertbescheids im Hinblick auf die Belastung mit Grundsteuer muss hinter das Interesse an einer geordneten (gemeindlichen) Haushaltswirtschaft zurücktreten .

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erwarb 2008 einen Miteigentumsanteil an einem zunächst unbebauten und in der Folgezeit mit einer Eigentumswohnanlage bebauten Grundstück. Durch Bescheid vom 20. Dezember 2012 stellte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) den Einheitswert für die Eigentumswohnung im Wege der Wert- und Artfortschreibung auf den 1. Januar 2011 auf 12.731 € sowie die [X.] fest; durch Grundsteuermessbescheid vom 20. Dezember 2012 setzte das [X.] den Grundsteuermessbetrag zum 1. Januar 2011 auf 44,55 € fest. Beide Bescheide ergingen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung ([X.]) vorläufig hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften über die Einheitsbewertung des [X.] verfassungsgemäß sind. Gegen diese Bescheide legte der Antragsteller Einspruch ein; die Einspruchsverfahren ruhen gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 [X.].

2

Der Antragsteller beantragte zugleich mit der Einlegung der Einsprüche die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Einheitswert- sowie des Grundsteuermessbescheids. Diesen Antrag lehnte das [X.] ab. Der hiergegen erhobene Einspruch sowie die nachfolgend beim Finanzgericht ([X.]) gestellten Anträge auf AdV hatten keinen Erfolg. Nach Auffassung des [X.] überwiege auch unter Berücksichtigung der möglichen Verfassungswidrigkeit der die Grundbesitzbewertung betreffenden Vorschriften des Bewertungsgesetzes ([X.]) das besondere Aussetzungsinteresse des Antragstellers nicht das Vollzugsinteresse des Staates.

3

Mit der vom [X.] zugelassenen Beschwerde macht der Antragsteller die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundbesitzes geltend. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass ein dauerhafter Eingriff in die Vermögensphäre vorliege.

4

Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des [X.] die Vollziehung des Einheitswert- sowie des Grundsteuermessbescheids vom 20. Dezember 2012 auszusetzen.

5

Das [X.] beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

7

1. Das [X.] hat den auf [X.] des Grundsteuermessbescheids gerichteten Antrag zutreffend als unzulässig verworfen. Der Einheitswertbescheid (§ 180 Abs. 1 Nr. [X.] i.V.m. § 19 [X.]) ist als Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. [X.]) für den Grundsteuermessbescheid gemäß § 182 Abs. [X.] bindend. Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid können gemäß § 351 Abs. [X.] nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des [X.] angegriffen werden. Demgemäß können die hier vom Antragsteller allein gerügten Mängel im System der Einheitsbewertung des Grundbesitzes nur mit einem Rechtsbehelf gegen den Einheitswertbescheid geltend gemacht werden (Kammerbeschluss des [X.] vom 18. Februar 2009  1 BvR 1334/07, [X.], 89). Der mit ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Grundlagenbescheids begründete Antrag auf [X.] des [X.] ist demgemäß unzulässig (Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 55 "Folgebescheide", m.w.N.).

8

2. Die beantragte [X.] des Einheitswertbescheids hat das [X.] zu Recht abgelehnt.

9

a) Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.

b) Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 3. April 2013 V B 125/12, [X.], 447, [X.], 973, m.w.N.; vom 11. Juli 2013 XI B 41/13, [X.], 1647, m.w.N.).

c) Die [X.] eines Einheitswertbescheids wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihm zugrunde liegenden Vorschriften setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt ([X.] vom 21. November 2013 II B 46/13, [X.], 162, [X.], 263). Bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der [X.] eines Steuerbescheids vorliegt, ist das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Hierbei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer [X.] auf den Gesetzesvollzug und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an (z.B. [X.] vom 1. April 2010 II B 168/09, [X.], 149, [X.], 558; vom 9. März 2012 VII B 171/11, [X.], 206, [X.], 418; vom 9. Mai 2012 I B 18/12, [X.], 1489).

3. Im Streitfall bestehen zwar ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einheitswertbescheids. Das Interesse des Antragstellers an der [X.] ist jedoch gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Vorschriften über die Grundbesitzbewertung nicht vorrangig.

a) Der [X.] ([X.]-Urteile vom 30. Juni 2010 II R 60/08, [X.], 78, [X.], 897, und vom 30. Juni 2010 II R 12/09, [X.], 93, [X.], 48) hat zwar entschieden, dass die Vorschriften über die Einheitsbewertung des [X.] trotz der verfassungsrechtlichen Zweifel, die sich aus den lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkten des 1. Januar 1964 bzw. --im [X.] des 1. Januar 1935 und darauf beruhenden Wertverzerrungen ergeben, jedenfalls für Stichtage bis zum 1. Januar 2007 noch verfassungsgemäß sind. In diesen Entscheidungen hat der [X.] jedoch ferner ausgeführt, dass das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des [X.] für Zwecke der Grundsteuer mit verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--), nicht vereinbar ist. Hiervon ausgehend ist die Rechtmäßigkeit des hier angefochtenen Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 2010 ernstlich zweifelhaft.

b) Der Antragsteller hat aber kein besonderes berechtigtes Interesse an der [X.].

Das [X.] des Antragstellers muss schon angesichts der Höhe der sich auf der Grundlage des angefochtenen Einheitswertbescheids ergebenden, vom [X.] mit 155,75 € bezifferten jährlichen Grundsteuer hinter das Interesse an einer geordneten öffentlichen (gemeindlichen) Haushaltswirtschaft zurücktreten. Diese finanzielle Belastung ist dem Antragsteller auch deshalb zuzumuten, weil die Grundsteuer aufgrund ihres Charakters als Realsteuer (§ 3 Abs. [X.]) grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse und die persönliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers erhoben wird ([X.]-Urteil vom 18. April 2012  II R 36/10, [X.], 169, [X.], 867; [X.]-Beschluss in BVerfK 15, 89).

Vorliegend ist auch keine der Fallgruppen gegeben, in denen der [X.] dem [X.] des Steuerpflichtigen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die einem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschriften den Vorrang vor den öffentlichen Interessen einräumt (vgl. [X.] in [X.], 149, [X.], 558, m.w.N.). Insbesondere hat der [X.] die die Grundbesitzbewertung betreffenden Vorschriften des [X.] bislang nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem [X.] zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt.

Da Gegenstand des [X.] nur der hier angefochtene Einheitswertbescheid ist, müssen bei der Aussetzungsentscheidung die vom Antragsteller angeführten Grundsteuerrückstände in Bezug auf seinen anderweitigen Grundbesitz unberücksichtigt bleiben.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

II B 71/13

15.04.2014

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 26. Juni 2013, Az: 1 V 1075/13, Beschluss

§ 171 Abs 10 AO, § 180 Abs 1 Nr 1 AO, § 182 Abs 1 AO, § 351 Abs 2 AO, § 69 Abs 3 S 1 FGO, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 19 BewG 1991, § 69 Abs 2 S 2 FGO, §§ 19ff BewG 1991

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.04.2014, Az. II B 71/13 (REWIS RS 2014, 6307)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6307

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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