Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2019, Az. B 5 R 312/18 B

5. Senat | REWIS RS 2019, 8007

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Grundsatzrüge - Verfassungsmäßigkeit der Abschläge bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 18. Oktober 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 18.10.2018 hat das [X.] einen Anspruch des [X.] auf Gewährung einer höheren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 anstelle eines gekürzten Zugangsfaktors verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim [X.] eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.].

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

4

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

-       

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]),

-       

das Urteil von einer Entscheidung des [X.], des [X.] oder des [X.] abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO [X.]) oder

-       

ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO [X.]).

5

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 [X.] [X.] dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 [X.] iVm § 169 [X.] zu verwerfen.

6

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl [X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]4 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, [X.], 2. Aufl 2014, § 160a Rd[X.]2 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

7
        

Der Kläger formuliert als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung:

        

"Ist die Regelung des § 77 Abs. 2 [X.] im Hinblick auf die versicherungsmathematischen Abschläge (Erniedrigung des Zugangsfaktors) durch das zum 01.07.2014 in [X.] getretene [X.] wegen Verstoßes gegen Art. 14 [X.] und Art. 3 [X.] verfassungswidrig geworden?"

8

Er hat allerdings deren Klärungsbedürftigkeit nicht schlüssig dargetan.

9

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das [X.] diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl [X.] [X.] 3-1500 § 160 Nr 8 [X.]7). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des [X.] bzw des [X.] zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem [X.] noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl [X.]/[X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, [X.] Rd[X.]83 mwN).

1. Der Kläger selbst verweist auf den Beschluss des [X.] vom 11.1.2011 (1 BvR 3588/08, 555/09 - [X.]E 128, 138 = [X.] 4-2600 § 77 [X.]), nach dem die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung mit dem [X.] vereinbar ist. Er führt dazu aus, das [X.] habe entschieden, dass § 77 Abs 2 [X.] nur dann mit Art 14 [X.] vereinbar sei, "wenn nur durch diesen Eingriff das Gesamtsystem konsolidiert werden kann." Mit der Einführung des [X.]es sei bewiesen, dass dies nicht mehr der Fall sei. Der Rentenversicherung seien Mehrbelastungen in einem Umfang von 6 Milliarden Euro auferlegt worden. Damit sei die finanzielle Notlage weggefallen und der geschmälerte Zugangsfaktor "automatisch verfassungswidrig" geworden.

Den Anforderungen an einen hinreichend substantiierten Vortrag zur Begründung dafür, dass die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage durch das [X.] noch nicht beantwortet ist, genügt dieses Vorbringen nicht. Das [X.] hat nämlich in dem vom Kläger nicht vollständig zitierten Beschluss betont, dass das Ziel der Verbesserung der Finanzierungssituation der gesetzlichen Rentenversicherung für sich allein zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art 14 [X.] nicht genügt (vgl [X.] aaO RdNr 40). § 77 Abs 2 [X.] ist nach den Ausführungen des [X.] aber deshalb verfassungsgemäß, weil mit der Absenkung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten auf die Inanspruchnahme der Rente vor Eintritt des Regelalters für die Altersrente und damit auf eine Verlängerung der Rentenbezugszeit reagiert wurde ([X.] aaO RdNr 41). Aus welchen Gründen dies nach Inkrafttreten des [X.]es nicht mehr gelten soll, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Allein der Hinweis des [X.], vom [X.] sei zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] "noch nichts bekannt" gewesen, ist zur Erfüllung der Anforderungen des § 160a Abs 2 [X.] [X.] an eine hinreichende Begründung nicht ausreichend.

2. Ebenso wenig setzt sich der Kläger mit der Rechtsprechung des [X.] zu Art 3 Abs 1 [X.] auseinander. Nach dem Verständnis des Senats sieht die Beschwerdebegründung eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes insbesondere darin, dass der Gesetzgeber mit dem [X.] eine abschlagsfreie vorzeitige Rente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b [X.] idF vom [X.]) und die sog "Mütterrente" (§ 249 Abs 1, § 307d [X.] idF vom [X.]) eingeführt hat, ohne die Abschläge bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente nach § 77 Abs 2 [X.] [X.] [X.] abzuschaffen.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 [X.] gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl [X.]E 136, 152, 180 RdNr 66). Auch aus dem Vortrag, es handele sich "um dieselben Beitragszahler" erschließt sich nicht, woraus sich im Sinne der Rechtsprechung des [X.] eine Vergleichbarkeit der vom Kläger in Bezug genommenen Versichertengruppen ergibt. Zudem nimmt die Beschwerdebegründung keinerlei Bezug auf die bereits ergangenen Ausführungen des [X.] zum gekürzten Zugangsfaktor bei Erwerbsminderungsrenten, wonach sich die Inhalts- und Schrankenbestimmung (wegen der Verlängerung der Rentenbezugszeit) als sachgerecht erweist und auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 [X.] verstößt (vgl [X.] aaO RdNr 53). Aus welchen Gründen diese Entscheidung nicht mehr gelten sollen, lässt die Beschwerdebegründung offen.

Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung darin sieht, dass die durch das [X.] verursachten finanziellen Mehrbelastungen der Rentenversicherung durch die Kürzung der Rentenanwartschaften der [X.] finanziert würden, geht er nicht darauf ein, dass die Renten aus den laufenden Einnahmen der Rentenversicherungsträger, dh insbesondere den Beitragsleistungen der Erwerbstätigen und den aus Steuermitteln finanzierten Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung, gezahlt werden (vgl dazu zB [X.]E 76, 256, 301, 302 f). In diesem Zusammenhang ist auch auf die in der Beschwerdebegründung nicht berücksichtigte ständige Rechtsprechung des [X.] zu verweisen, wonach dem Gesetzgeber nicht vorgegeben werden kann, in welchen Bereichen des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung Einsparungen erzielt werden sollen (vgl zB [X.]E 116, 96, 127; 117, 272, 298; [X.] Beschluss vom 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 - [X.]E 122, 151 - Juris RdNr 84).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]).

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 [X.].

Meta

B 5 R 312/18 B

17.04.2019

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 21. Juni 2016, Az: S 22 R 4794/15

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 77 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 6, § 236b SGB 6, § 249 Abs 1 SGB 6, § 307d SGB 6, RVLVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2019, Az. B 5 R 312/18 B (REWIS RS 2019, 8007)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8007

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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