Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.06.2020, Az. 1 C 37/19

1. Senat | REWIS RS 2020, 4013

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Gegenstand

Zuständigkeitsübergang bei fehlendem Aufnahmegesuch nach Art. 21 Abs. 1 EUV 2013/604


Leitsatz

1. Art. 20 Abs. 3 Satz 1 und 2 Dublin III-VO, wonach die Situation von Kindern eines Asylantragstellers, die nach dessen Ankunft im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, untrennbar mit der Situation dieses Elternteils verbunden ist und in die Zuständigkeit desjenigen Mitgliedstaats fällt, der für die Prüfung des Antrags des Elternteils auf internationalen Schutz zuständig ist, kann auf den Asylantrag eines im Bundesgebiet nachgeborenen Kindes, dessen Eltern zuvor bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationalen Schutz erhalten haben, jedenfalls nicht in der Weise analog angewendet werden, dass es in dieser Fallkonstellation auch nicht der Einleitung eines eigenen Zuständigkeitsverfahrens für das Kind gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbsatz Dublin III-VO bedarf.

2. Der Mitgliedstaat, in dem ein nachgeborenes Kind seinen Asylantrag gestellt hat, ist deshalb jedenfalls dann für dessen Prüfung zuständig, wenn er den Mitgliedstaat, der den Eltern internationalen Schutz gewährt hat, nicht binnen der in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO genannten Fristen um die Aufnahme des Kindes ersucht hat (vgl. Art. 21 Abs. 3 Dublin III-VO).

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] für das [X.] vom 7. November 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine [X.] Staatsangehörige, wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig und die Androhung ihrer Abschiebung nach [X.].

2

Die Klägerin wurde im Juni 2018 im [X.] geboren. Ihren Eltern war im Rahmen eines in [X.] durchgeführten Asylverfahrens dort internationaler Schutz gewährt worden. Sie reisten nach eigenen Angaben im Mai 2018 in das [X.] ein und stellten am 13. August 2018 für sich und die Klägerin Asylanträge. Der Asylantrag der Eltern der Klägerin wurde mit Bescheid des [X.] ([X.]) vom 29. November 2018 gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.] als unzulässig abgelehnt; ferner wurde ihnen die Abschiebung nach [X.] angedroht.

3

Mit Bescheid vom 29. November 2018 lehnte das [X.] den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 [X.] nicht vorliegen (Ziffer 2), forderte die Klägerin auf, die [X.] innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls sie nach [X.] abgeschoben werde (Ziffer 3), und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem [X.] (Ziffer 4). Der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1. Buchst. a) [X.] unzulässig, da nach Maßgabe der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 des [X.] und des Rates ([X.]) [X.] für die Prüfung des Asylantrags zuständig sei. Es bedürfe nicht der Einleitung eines Zuständigkeitsverfahrens für das nachgeborene Kind, weil Art. 20 Abs. 3 [X.] über eine erweiternde Auslegung bzw. analog Anwendung finde. Hiernach sei die Situation des Kindes untrennbar mit der Situation seiner Eltern verbunden und die Zuständigkeit desjenigen Mitgliedstaates gegeben, der für die Prüfung des Asylantrages der Eltern zuständig sei.

4

Das Verwaltungsgericht hob den Bescheid des [X.]es mit Gerichtsbescheid vom 2. September 2019 auf.

5

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 7. November 2019 zurückgewiesen. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig sei rechtswidrig. Aus der [X.] folge nicht die Zuständigkeit [X.]s für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin als eines sogenannten nachgeborenen, d.h. in der [X.] nach Abschluss des Asylverfahrens seiner Eltern in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] geborenen Kindes. Art. 20 Abs. 3 [X.] begründe weder in direkter Anwendung noch in erweiternder Auslegung bzw. analoger Anwendung eine Zuständigkeit [X.]s. Im Übrigen wäre die Zuständigkeit selbst bei analoger Anwendung nach Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 [X.] auf [X.] übergegangen, weil es die Beklagte versäumt habe, binnen 3 Monaten nach der Asylantragstellung der Klägerin ein Aufnahmegesuch an [X.] zu richten.

6

Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, dass in analoger bzw. erweiternder Anwendung des Art. 20 Abs. 3 [X.] der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin als zuständig anzusehen sei, der bereits ihren Eltern internationalen Schutz zuerkannt habe. Es bestehe eine unionsrechtliche Regelungslücke, da es an einer Vorschrift fehle, die - wie Art. 20 Abs. 3 [X.] - eine Akzessorietät zwischen dem Verfahren des Minderjährigen und dem Verfahren seiner bereits in einem anderen Mitgliedstaat anerkannten Familienangehörigen regele. Die Anwendbarkeit des Art. 20 Abs. 3 [X.] habe zur Folge, dass von der Beklagten kein neues Zuständigkeitsverfahren für das Kind eingeleitet werden müsse und folglich auch die Aufnahmegesuchfristen des (insoweit teleologisch reduzierten) Art. 21 Abs. 1 [X.]-[X.] nicht anwendbar seien.

7

Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.

8

Der Vertreter des [X.] beim [X.] beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten, über die der [X.] mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündli[X.]he Verhandlung ents[X.]heidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen, unter denen ein Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit unzulässig ist, liegen ni[X.]ht vor. Der [X.] brau[X.]ht ni[X.]ht abs[X.]hließend zu ents[X.]heiden, ob die Re[X.]htsauffassung des Berufungsgeri[X.]hts zutrifft, dass im Falle eines Asylantrags eines im [X.] na[X.]hgeborenen Kindes von Drittstaatsangehörigen, denen bereits zuvor in einem anderen Mitgliedstaat internationaler S[X.]hutz zuerkannt worden ist, Art. 20 Abs. 3 [X.] [X.] weder erweiternd ausgelegt no[X.]h analog angewendet werden kann und daher für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin [X.] als derjenige Mitgliedstaat zuständig ist, in dem die Klägerin ihren Antrag auf internationalen S[X.]hutz gestellt hat (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 [X.] [X.]). Im Einklang mit Bundesre[X.]ht (§ 137 Abs. 1 VwGO) steht jedenfalls die das Urteil selbstständig tragende Annahme des Berufungsgeri[X.]hts, dass das Fehlen eines fristgere[X.]hten Aufnahmegesu[X.]hs na[X.]h Art. 21 Abs. 1 [X.] [X.] die Re[X.]htswidrigkeit der [X.] na[X.]h § 29 Abs. 1 Nr. 1. Bu[X.]hst. a) Asylgesetz zur Folge hat, auf die si[X.]h die Klägerin au[X.]h berufen kann (1.). Zu Re[X.]ht hat das Berufungsgeri[X.]ht au[X.]h die Aufhebung der Folgeents[X.]heidungen über das Ni[X.]htbestehen von [X.] betreffend [X.], die Abs[X.]hiebungsandrohung und ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot bestätigt (2.)

Maßgebli[X.]h für die re[X.]htli[X.]he Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntma[X.]hung vom 2. September 2008 ([X.]), zuletzt geändert dur[X.]h das am 26. November 2019 in [X.] getretene Zweite Gesetz zur Anpassung des Datens[X.]hutzre[X.]hts an die Verordnung ([X.]) 2016/679 und zur Umsetzung der Ri[X.]htlinie ([X.]) 2016/680 vom 20. November 2019 ([X.] 1626) - [X.] - sowie die Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen S[X.]hutz zuständig ist (ABl. [X.] - [X.] [X.]).

Na[X.]h ständiger Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] sind Re[X.]htsänderungen, die na[X.]h der letzten mündli[X.]hen Verhandlung oder Ents[X.]heidung des [X.]s eintreten, im Revisionsverfahren zu berü[X.]ksi[X.]htigen, wenn das [X.] - ents[X.]hiede es anstelle des [X.] - sie seinerseits zu berü[X.]ksi[X.]htigen hätte ([X.], Urteil vom 11. September 2007 - 10 [X.] 8.07 - [X.]E 129, 251 Rn. 19). Da es si[X.]h vorliegend um eine asylre[X.]htli[X.]he Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgeri[X.]ht na[X.]h § 77 Abs. 1 [X.] regelmäßig auf die Sa[X.]h- und Re[X.]htslage im Zeitpunkt der letzten mündli[X.]hen Verhandlung abzustellen hat, müsste es seiner Ents[X.]heidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Re[X.]htsgrundlage zugrunde legen, soweit ni[X.]ht hiervon eine Abwei[X.]hung aus Gründen des materiellen Re[X.]hts geboten ist (stRspr, vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 [X.] 23.12 - [X.]E 146, 67 Rn. 12).

1.1 Die Klage ist, soweit sie si[X.]h gegen die [X.] in Ziffer 1 des Bes[X.]heides des [X.] ri[X.]htet, als Anfe[X.]htungsklage statthaft ([X.], Urteile vom 27. Oktober 2015 - 1 [X.] 32.14 - [X.]E 153, 162 Rn. 13 f. und vom 26. Februar 2019 - 1 [X.] 30.17 - [X.] 402.251 § 29 [X.] Nr. 6 Rn. 12) und au[X.]h im Übrigen zulässig.

1.2 Die Klage ist insoweit au[X.]h begründet. Das Berufungsgeri[X.]ht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig re[X.]htswidrig ist und die Klägerin in ihren Re[X.]hten verletzt.

a) Die Voraussetzungen des als Re[X.]htsgrundlage herangezogenen § 29 Abs. 1 Nr. 1. Bu[X.]hst. a) [X.] liegen ni[X.]ht vor. Na[X.]h dieser Vors[X.]hrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat na[X.]h Maßgabe der [X.] [X.] für die Dur[X.]hführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist hier ni[X.]ht der Fall, vielmehr ist die Bundesrepublik [X.] für das Asylverfahren der Klägerin zuständig.

aa) Es bedarf keiner Ents[X.]heidung, ob si[X.]h die Zuständigkeit der Bundesrepublik [X.] vorliegend s[X.]hon daraus ergibt, dass es si[X.]h im Sinne der Auffangnorm des Art. 3 Abs. 2 [X.] [X.] um den ersten Mitgliedstaat handelt, in dem der Antrag des Kindes auf internationalen S[X.]hutz gestellt wurde. Dies würde voraussetzen, dass - wie vom Berufungsgeri[X.]ht angenommen - die in Art. 20 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 [X.] [X.] normierte verfahrensmäßige Anlehnung an die Zuständigkeit für das Verfahren der Eltern auf die vorliegende Fallkonstellation s[X.]hon im Ansatz weder unmittelbar no[X.]h analog anzuwenden ist und dass si[X.]h au[X.]h anhand der dann in den Bli[X.]k zu nehmenden primären Zuständigkeitskriterien na[X.]h Kapitel III der [X.] [X.] der zuständige Mitgliedstaat ni[X.]ht bestimmen lässt. Das Berufungsgeri[X.]ht ([X.] ff.) hat insoweit zutreffend herausgearbeitet, dass zumindest eine unmittelbare Anwendung der in Art. 20 Abs. 3 [X.] [X.] geregelten Verfahrensakzessorietät auf die Klägerin auss[X.]heidet. Dana[X.]h ist für die Zwe[X.]ke dieser Verordnung die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspri[X.]ht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen S[X.]hutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, au[X.]h wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient (Satz 1). Ebenso wird bei Kindern verfahren, die na[X.]h der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss (Satz 2). Die Klägerin ist zwar na[X.]h der Ankunft ihrer Eltern im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren; ihre Eltern sind aber keine Antragsteller (mehr), deren aktuell in [X.] gestellte Asylanträge ein [X.]-Verfahren in Gang gesetzt haben, in das die Klägerin einbezogen werden könnte. Denn wie si[X.]h aus Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Bu[X.]hst. d) [X.] [X.] ergibt, kann ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen der in dieser Verordnung festgelegten Verfahren ni[X.]ht wirksam um Wiederaufnahme eines Drittstaatsangehörigen ersu[X.]hen, der im erstgenannten Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen S[X.]hutz gestellt hat, na[X.]hdem ihm dur[X.]h den letztgenannten Mitgliedstaat internationaler S[X.]hutz gewährt wurde (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 5. April 2017 - [X.]-36/17 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2017:273], [X.] - Rn. 41; siehe au[X.]h Art. 2 Bu[X.]hst. [X.]) und f) sowie Art. 20 Abs. 1 [X.] [X.]). Ob das unionsre[X.]htli[X.]he Anliegen einer Vermeidung von Sekundärmigration und gegebenenfalls der in der [X.] [X.] zum Ausdru[X.]k kommende allgemeine Grundsatz der Familieneinheit (insbesondere Erwägungsgrund 16) eine analoge Anwendung des Art. 20 Abs. 3 [X.] [X.] auf na[X.]hgeborene Kinder von international S[X.]hutzbere[X.]htigten in Bezug auf die Zuständigkeitsbestimmung re[X.]htfertigen können (so etwa [X.], Bes[X.]hluss vom 14. März 2018 - [X.]/18 -; [X.], Bes[X.]hluss vom 26. Februar 2019 - 10 LA 218/18 -; OVG [X.], Bes[X.]hluss vom 29. November 2019 - 2 A 283/19 -; VG [X.]ottbus, Bes[X.]hluss vom 11. Juli 2014 - 5 L 190/14.A -; [X.], Urteil vom 22. Mai 2017 - 4 A 1526/16 As HGW -; [X.], Urteil vom 14. Februar 2018 - 4 A 491/17 - ; [X.], Bes[X.]hluss vom 23. August 2018 - 23 K 367.18 A -; VG S[X.]hwerin, Urteil vom 30. April 2019 - 3 A 1851/18 [X.] -; VG Würzburg, Bes[X.]hluss vom 18. September 2019 - [X.] 19.50614 -; im Ergebnis s.a. OVG Bautzen, Bes[X.]hluss vom 5. August 2019 - 5 A 593/19. A -; VG [X.], Urteil vom 29. Juli 2019 - 3 K 678/18 -; a.A. etwa [X.], Urteil vom 24. Mai 2016 - 5 A 194/14 -; VG Düsseldorf, Bes[X.]hluss vom 2. Juni 2017 - 22 L 1290/17.A -; [X.], Urteil vom 20. März 2018 - 9 A 7382/16 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Juni 2018 - 28 K 1506/17.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. August 2018 - 12 K 16165/17.A -; [X.], Urteil vom 31. Juli 2018 - 14 K 4762/18.A - § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.], Art. 33 Abs. 2 Bu[X.]hst. a RL 2013/32/[X.]>; [X.], Geri[X.]htsbes[X.]heid vom 11. September 2018 - RN 14 K 17.33302 -; [X.] (Oder), Urteil vom 3. März 2020 - 2 K 538/15.A -; wohl au[X.]h [X.], Urteil vom 22. Januar 2019 - [X.] K 1357/16 -; s.a. Bros[X.]heit. Die Unzulässigkeit von Asylanträgen der in [X.] geborenen Kindern im [X.]-Ausland anerkannter S[X.]hutzbere[X.]htigter, [X.] 2018, 41), was s[X.]hwerli[X.]h ohne eine Vorlage an den Geri[X.]htshof der [X.]äis[X.]hen Union ([X.]) bejaht werden könnte, kann der [X.] offenlassen.

bb) Eine etwaige Zuständigkeit [X.]s wäre jedenfalls gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 [X.] [X.] dadur[X.]h auf die Bundesrepublik [X.] übergegangen, dass die Beklagte [X.] ni[X.]ht innerhalb der in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 [X.] [X.] genannten Fristen ein Gesu[X.]h um Aufnahme der Klägerin unterbreitet hat. Diese selbstständig tragende Begründung des Berufungsurteils ([X.] ff.) steht im Einklang mit Bundesre[X.]ht. Die Sonderregelung in Art. 20 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbsatz [X.] [X.], wona[X.]h es der Einleitung eines "neuen Zuständigkeitsverfahrens" für das Kind ni[X.]ht bedarf, ma[X.]ht ein sol[X.]hes Aufnahmegesu[X.]h hier au[X.]h dann ni[X.]ht entbehrli[X.]h, wenn es im Grundsatz mögli[X.]h wäre, die Zuständigkeit für das na[X.]hgeborene Kind [X.] s[X.]hutzbere[X.]htigter Eltern aus einer analogen Anwendung dieser Verfahrensvors[X.]hrift herzuleiten. Denn zumindest diese Sonderregelung ist auf die hier vorliegende Konstellation eines Kindes bereits s[X.]hutzbere[X.]htigter Eltern ni[X.]ht analog anwendbar (ebenso etwa Bros[X.]heit, [X.] 2018, 41 <44>).

Die analoge Anwendung einer Re[X.]htsvors[X.]hrift setzt neben einer planwidrigen Lü[X.]ke au[X.]h eine verglei[X.]hbare Interessenlage zwis[X.]hen untersu[X.]htem und geregeltem Fall voraus (vgl. Generalanwalt [X.]ruz Villalón, S[X.]hlussanträge vom 29. April 2014 im Verfahren [X.]-399/12, Rn. 103 m.w.N.). Für eine analoge Anwendung des in Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 [X.] [X.] geregelten [X.] von einem neuen Zuständigkeitsverfahren für minderjährige Familienangehörige au[X.]h auf Asylanträge von Kindern, deren Eltern in einem anderen Mitgliedstaat bereits internationaler S[X.]hutz zuerkannt wurde, fehlt es indes an der Wertungsglei[X.]hheit bzw. Verglei[X.]hbarkeit von geregeltem und ungeregeltem Sa[X.]hverhalt.

Bereits aus der systematis[X.]hen Stellung der Verfahrensakzessorietät na[X.]h Art. 20 Abs. 3 [X.] [X.] als einleitende Vors[X.]hrift des [X.] - Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren - ergibt si[X.]h, dass diese zunä[X.]hst nur für no[X.]h ni[X.]ht abges[X.]hlossene Verfahren gilt. Art. 20 [X.] [X.] regelt in Abs. 1 die Einleitung des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens und sieht in Abs. 3 für Minderjährige die Zuständigkeit des Mitgliedstaates vor, der (au[X.]h) für die Prüfung des Antrages auf internationalen S[X.]hutz des Familienangehörigen zuständig ist. Solange ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren für den S[X.]hutzantrag der Eltern no[X.]h ni[X.]ht abges[X.]hlossen ist, unterfällt dieser dem Anwendungsberei[X.]h der Verordnung, der (erst) mit dem Abs[X.]hluss des Verfahrens endet. In ein so laufendes Verfahren ist der S[X.]hutzantrag des Kindes einzubeziehen. Wird den Eltern dagegen internationaler S[X.]hutz dur[X.]h einen Mitgliedstaat gewährt, können sie na[X.]h (illegaler) Sekundärmigration und einem erneuten Antrag in einem anderen Mitgliedstaat ni[X.]ht mehr im Rahmen des [X.]-Regimes, sondern nur auf anderer Re[X.]htsgrundlage (z.B. bilaterale Rü[X.]kführungsabkommen) in den S[X.]hutz gewährenden Mitgliedstaat zurü[X.]kgeführt werden.

Bedürfte es in dieser Situation ni[X.]ht der Dur[X.]hführung eines Zuständigkeitsverfahrens, wäre eine Überstellung im Rahmen des [X.]-Systems vorgesehen, ohne dass der Aufnahmemitgliedstaat Kenntnis von einer mögli[X.]hen Aufnahmesituation - und sei es im Rahmen eines Aufnahmeverfahrens in Bezug auf die Eltern - erlangt hätte. Es entfiele der S[X.]hutz dur[X.]h das Fristenregime des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens des [X.]-Systems. Das Kind könnte anders als jeder andere dem [X.]-Verfahren unterworfene Asylbewerber ohne die dort vorgesehenen zeitli[X.]hen Grenzen an den anderen Mitgliedstaat überstellt werden. Zudem entfiele die Stufung zwis[X.]hen dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahren (Kapitel VI [X.] [X.]) und der Überstellung (Kapitel VI [X.] [X.]), bei der au[X.]h zwis[X.]hen den Mitgliedstaaten die internationale Zuständigkeit als bereits geklärt vorausgesetzt wird. Ohne ein Aufnahmeverfahren bestünde erst im Überstellungsverfahren Gelegenheit, für das na[X.]hgeborene Kind zu klären, ob der Mitgliedstaat, der den Eltern internationalen S[X.]hutz gewährt hat, seine Zuständigkeit für das Asylverfahren des Kindes analog Art. 20 Abs. 3 [X.] [X.] anerkennt und zu dessen Aufnahme bereit ist. Lehnt der ersu[X.]hte Mitgliedstaat die Aufnahme eines na[X.]hgeborenen Kindes ab, kann der ersu[X.]hende Mitgliedstaat das in Art. 37 [X.] [X.] geregelte S[X.]hli[X.]htungsverfahren in Anspru[X.]h nehmen.

Der Verzi[X.]ht auf die Dur[X.]hführung des Aufnahmeverfahrens würde demgegenüber die Gefahr einer "refugee in orbit"-Situation begründen, in der si[X.]h kein Mitgliedstaat für die sa[X.]hli[X.]he Prüfung des Asylantrags als zuständig ansieht. Dies liefe dem zentralen Anliegen des [X.]-Regimes zuwider, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährleistung internationalen S[X.]hutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen S[X.]hutz ni[X.]ht zu gefährden (Erwägungsgrund 5 der [X.] [X.]; [X.], Urteile vom 9. August 2016 - 1 [X.] 6.16 - [X.]E 156, 9 Rn. 23 und vom 27. April 2016 - 1 [X.] 24.15 - [X.] 451.902 [X.]. Ausländer- und Asylre[X.]ht Nr. 82 Rn. 20). Na[X.]h alledem sieht der [X.] jedenfalls keinen Raum für eine analoge Anwendung des Art. 20 Abs. 3 [X.] [X.], die si[X.]h au[X.]h auf den Verzi[X.]ht auf ein gesondertes Zuständigkeitsbestimmungsverfahren na[X.]h Satz 2 letzter Halbsatz dieser Vors[X.]hrift erstre[X.]kte. Au[X.]h eine Staatspraxis, dass dies in einem oder gar mehreren anderen Mitgliedstaaten so praktiziert werde, ist weder vorgetragen no[X.]h dem [X.] ersi[X.]htli[X.]h. Der [X.] sieht in Bezug auf die unionsre[X.]htli[X.]he Notwendigkeit eines Aufnahmeverfahrens in der vorliegenden Fallkonstellation keinen Anlass zu Zweifeln und daher na[X.]h der "a[X.]te-[X.]lair"-Doktrin keine Veranlassung zu einer Vorlage an den Geri[X.]htshof der [X.]äis[X.]hen Union.

[X.][X.]) Na[X.]h den den [X.] bindenden tatri[X.]hterli[X.]hen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat die Beklagte an [X.] weder ein Aufnahmegesu[X.]h geri[X.]htet no[X.]h [X.] über die Geburt der Klägerin unterri[X.]htet. Die in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 bzw. 2 [X.] [X.] vorgesehenen Fristen für das Aufnahmegesu[X.]h sind seit langem verstri[X.]hen. Das Berufungsgeri[X.]ht hat daher ohne Verletzung von Bundesre[X.]ht angenommen, dass die Bundesrepublik [X.] selbst im Falle einer ursprüngli[X.]hen Zuständigkeit [X.]s jedenfalls na[X.]h Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 [X.] [X.] für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig geworden wäre. Auf den Ablauf dieser Frist kann si[X.]h die Klägerin na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] im Rahmen ihrer hier zur Ents[X.]heidung stehenden Klage gegen die Überstellungsents[X.]heidung au[X.]h berufen (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juli 2017 - [X.]-670/16 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2017:587], [X.] - Rn. 41 ff., 62).

b) Ziffer 1 des angefo[X.]htenen Bes[X.]heides kann au[X.]h ni[X.]ht als [X.] na[X.]h § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.] aufre[X.]hterhalten oder in eine sol[X.]he Ents[X.]heidung umgedeutet werden. Dies s[X.]heitert jedenfalls daran, dass die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ni[X.]ht vorliegen. Na[X.]h dieser Vors[X.]hrift, die Art. 33 Abs. 2 Bu[X.]hst. a RL 2013/32/[X.] umsetzt, ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der [X.]äis[X.]hen Union dem Ausländer bereits internationalen S[X.]hutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gewährt hat. Dies ist bei der in [X.] geborenen Klägerin, die im [X.] erstmals einen Asylantrag gestellt hat, ni[X.]ht der Fall. Na[X.]h der zutreffenden Re[X.]htsauffassung des Berufungsgeri[X.]hts kann die Regelung au[X.]h ni[X.]ht deshalb auf die Klägerin analog angewandt werden, weil ihre Eltern Begünstigte internationalen S[X.]hutzes sind. Auf die dortigen Ausführungen ([X.] ff.) wird Bezug genommen. Der [X.] hat im Übrigen mehrfa[X.]h betont, dass Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/[X.] die Situationen, in denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen S[X.]hutz als unzulässig betra[X.]hten können, abs[X.]hließend aufzählt (vgl. [X.], Urteile vom 19. März 2019 - [X.]-297/17 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2019:219], [X.] u.a. - Rn. 76 und vom 19. März 2020 - [X.]-564/18 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2020:218], [X.] - Rn. 29 f.).

2. Da si[X.]h die [X.] na[X.]h dem oben Aufgeführten als re[X.]htswidrig erweist, hat das Berufungsgeri[X.]ht zu Re[X.]ht au[X.]h die Aufhebung der - damit ebenfalls re[X.]htswidrigen - Folgeents[X.]heidungen über das Ni[X.]htbestehen von [X.] in Bezug auf [X.], die Abs[X.]hiebungsandrohung und ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot bestätigt.

3. Die Kostenents[X.]heidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Geri[X.]htskosten werden gemäß § [X.] [X.] ni[X.]ht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt si[X.]h aus § 30 [X.]. Gründe für eine Abwei[X.]hung gemäß § 30 Abs. 2 [X.] liegen ni[X.]ht vor.

Meta

1 C 37/19

23.06.2020

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 7. November 2019, Az: 1 LB 5/19, Urteil

§ 29 Abs 1 Nr 1 Buchst a AsylVfG 1992, § 34a Abs 1 S 4 AsylVfG 1992, § 77 Abs 1 AsylVfG 1992, Art 20 Abs 3 S 2 EUV 604/2013, Art 20 Abs 3 S 1 EUV 604/2013, Art 21 Abs 1 UAbs 2 EUV 604/2013, Art 21 Abs 1 UAbs 1 EUV 604/2013, Art 21 Abs 3 EUV 604/2013, Art 3 EUV 604/2013

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.06.2020, Az. 1 C 37/19 (REWIS RS 2020, 4013)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4013

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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