Bundespatentgericht, Beschluss vom 19.08.2022, Az. 25 W (pat) 29/20

25. Senat | REWIS RS 2022, 7380

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Gegenstand

Markenbeschwerdesache – Nichtigkeitsverfahren - "Щедро (Bildmarke)" – eintragungsfähig – keine Bösgläubigkeit – Erweiterung des Löschungsbegehrens – Zulässigkeit der Erweiterung – Sachdienlichkeit der Erweiterung


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2016 004 684

(hier: [X.]/16 Lösch)

hat der 25. Senat ([X.]) des [X.] am 19. August 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. Kortbein, des [X.] [X.], LL.M. [X.]., und der Richterin Dr. Rupp-Swienty, LL.M.,

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Inhabers der angegriffenen Marke wird der Beschluss des [X.], Markenabteilung 3.4, vom 30. Januar 2020 aufgehoben, soweit die Eintragung der Bildmarke 30 2016 004 684 für nicht erklärt sowie ihre Löschung angeordnet worden ist (Ziffer 1 des Tenors) und dem Inhaber der angegriffenen Marke die Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind (Ziffer 2 des Tenors).

2. Der Löschungsantrag wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag der Löschungsantragstellerin, dem Inhaber der angegriffenen Marke die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

4. Der Antrag des Inhabers der angegriffenen Marke, der Löschungsantragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 18. Februar 2016 angemeldete Bildmarke

Abbildung

2

ist am 30. März 2016 unter der Nummer 30 2016 004 684 für folgende Waren in das beim [X.] geführte Register eingetragen worden:

3

Klasse 29:

4

Fleisch; Fisch, Meeresfrüchte und Weichtiere; Molkereiprodukte und deren Ersatzprodukte; Vogeleier und Eierprodukte; Öle und Fette; verarbeitetes Obst und Gemüse [einschließlich Nüsse, Hülsenfrüchte] sowie verarbeitete Pilze; Fertiggerichte auf Basis der Waren in Klasse 29, Suppen und Brühen, Snacks und Desserts, nämlich [X.], Schmorgerichte und Aufläufe, kondensierte Tomaten, Dips, Fisch-Kräcker, Pollen, zubereitet für [X.], Snacks aus Schweinefleisch, Sojazubereitungen, Fertiggerichte vorwiegend aus Fleisch, Fisch, Meeresfrüchten oder Gemüse, Snacks und Beilagen aus Kartoffeln, Suppen und Zubereitungen hierfür, Eintöpfe, Fonds, Brühen, Yucca-Chips;

5

Klasse 30:

6

Fertiggerichte und pikante Snacks, nämlich Snacks auf der Basis von Mais, Getreide, Mehl und Sesam, Kekse und Kräcker, Klöße, Pfannkuchen, Pasta, [X.] und Getreidespeisen, Pasteten und Mehlspeisen, Sandwiches und Pizzas, Frühlings- und Seetangrollen, gedämpfte Brötchen, Tortillaspeisen; Speisesalz; Würzmittel, insbesondere pikante Saucen, Chutneys, Pasten und Mayonnaise, Gewürze; Aromastoffe für Getränke; Back- und Konditoreiwaren; Schokolade und Süßspeisen; Zucker, natürliche Süßungsmittel, süße Glasuren und Füllungen sowie Bienenprodukte zu Speisezwecken; Eis, Eiscreme, gefrorener Joghurt, Sorbets; Kaffee, Tee, Kakao und Ersatzstoffe hierfür; verarbeitetes Getreide und Stärken für Nahrungsmittel sowie Waren hieraus; Backzubereitungen und Hefe.

7

Mit am 18. Juli 2016 eingegangenem Formblatt hat die [X.]in beim [X.] die vollständige Löschung der Eintragung der Marke gemäß § 50 Abs. 1 [X.] a. F. i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 10 [X.] a. F. beantragt. Mit Schreiben vom 21. Juli 2016 hat sie ergänzend geltend gemacht, dass die Marke entgegen §§ 3, 7, 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 8 Abs. 2 Nr. 4 bis 9 [X.] a. F. eingetragen worden sei.

8

Der Antrag wurde den Verfahrensbevollmächtigten des Inhabers der angegriffenen Marke gegen [X.] am 12. August 2016 zugestellt. Mit am 22. August 2016 eingegangenem Schriftsatz haben sie der Löschung widersprochen.

9

[X.] [X.]s hat mit Beschluss vom 30. Januar 2020 die Eintragung der Bildmarke 30 2016 004 684 für nichtig erklärt und gelöscht, dem Inhaber der angegriffenen Marke die Kosten des Verfahrens auferlegt sowie den Gegenstandswert des [X.] auf…,- Euro festgesetzt. Zur Begründung wird ausgeführt, die Gesamtumstände legten es nahe, von einem [X.]en Verhalten des Inhabers der angegriffenen Marke auszugehen, denn er habe mit seiner Anmeldung nicht ein berechtigtes Ziel verfolgt, sondern vornehmlich eine rechtsmissbräuchliche Behinderung. Die Produkte, die von 2013 bis 2016 von der [X.]in im Inland vertrieben worden seien und künftig von der vom Inhaber der angegriffenen Marke vertretenen [X.] angeboten werden sollen, würden bereits von der [X.] Herstellerin mit der fraglichen Marke gekennzeichnet. Dieser stehe ein prioritätsälterer Besitzstand an der Kennzeichnung zu, da ihr die inländischen [X.] nach § 26 Abs. 2 [X.] zuzurechnen seien. Aufgrund der von der [X.]in vorgetragenen Absatzmengen könne von einem tatsächlich ausreichenden, im Markt hinreichend präsenten, prioritätsälteren Besitzstand zugunsten der [X.] Firma ausgegangen werden. Angesichts des Vertriebsnetzes der [X.]in sei auch ein bundesweiter Unterlassungsanspruch gemäß § 12 [X.] entstanden. In den Besitzstand habe der Inhaber der angegriffenen Marke durch die Anmeldung bewusst eingegriffen. Wegen seiner vertraglichen Beziehung zur Herstellerin liege seine Kenntnis von dem älteren Besitzstand auf der Hand. Der Eingriff sei auch nicht gerechtfertigt gewesen. § 11 [X.] zeige, dass die Anmeldung einer Marke durch einen Vertriebspartner ohne ausdrückliche Zustimmung des Geschäftsherrn markenrechtlich sanktioniert sei. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe nicht vorgetragen, dass er ermächtigt gewesen sei, sie im eigenen Namen anzumelden. Der nur in [X.] vorgelegte Vertrag enthalte keine solche Klausel. Die [X.] Herstellerin könne Vertriebspartner nur erschwert wechseln, wenn der Vertriebspartner die Markenrechte für sich geschützt habe. Es sei nicht glaubwürdig, wenn der Inhaber der angegriffenen Marke behaupte, er habe von der Vertragsbeziehung zur [X.]in nichts gewusst. Wesentlich naheliegender sei, dass er sich die Vertriebsrechte dauerhaft sichern wollte. Hierfür spreche auch die Anmeldung vor der Aufnahme der Vertriebstätigkeit. Ein berechtigtes eigenes Interesse, wie etwa eine eigene Vorbenutzung, sei nicht dargetan.

Hiergegen wendet sich der Inhaber der angegriffenen Marke mit seiner Beschwerde und macht geltend, die Anmeldung sei nicht [X.] erfolgt. Er sei Geschäftsführer der [X.], die im Bereich des [X.] in [X.] und [X.] (mit Ausnahme von [X.]) mit großen Abstand marktführend sei. Sie befinde sich laut Lebensmittelzeitung auf Platz 26 der 30 größten [X.] Lebensmittelunternehmen. Der Umsatz der Gruppe belaufe sich auf über … [X.]. Die [X.]in sei erst seit dem [X.] im osteuropäischen Lebensmittelmarkt tätig und versuche seitdem, insbesondere durch Markenanmeldungen für Waren, die die [X.]in selbst nicht vertreibe, aber kurz zuvor von Unternehmen der [X.] auf dem [X.] Markt eingeführt worden seien, deren Erfolg zu vereiteln. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe zum Zeitpunkt der Anmeldung der streitgegenständlichen Marke nicht gewusst, dass die [X.]in zuvor mit seinem Lieferanten in Geschäftsbeziehungen gestanden sei. Die Menge der Waren, die die [X.]in von der [X.] Herstellerin abgenommen habe, sei zu gering gewesen, als dass sie den Unternehmen der [X.] hätte auffallen müssen. Die 26,5 t bzw. 17 t Lebensmittel, die die [X.]in zuvor bezogen habe, stellten nur eine bzw. eine halbe [X.] dar. Der Inhaber der angegriffenen Marke sei durch den Vertragsschluss mit dem früheren Lieferanten der [X.]in auch nicht in eine intakte Vertragsbeziehung eingebrochen oder habe den Vertrieb der [X.]in gestört. Der Lieferant habe den [X.] gekündigt gehabt. Grund hierfür sei die geringe Abnahmemenge gewesen. Im letzten Jahr der Zusammenarbeit (2015) habe die [X.]in die letzte Lieferung im September erhalten. Die Produkte würden in aller Regel schnell verkauft, zumal da die Abnehmer der [X.]in über keine großen Lager verfügten. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe auch keine Produktbeschreibungen der [X.]in übernommen, sondern habe diese erst [X.]-tauglich machen müssen.

Das [X.] habe [X.] angenommen, dass der Inhaber der angegriffenen Marke keine lauteren und leicht nachvollziehbaren Gründe gehabt habe, die Marke anzumelden. In zwei Fällen habe die [X.]in die Bezeichnungen von Produkten, die die [X.] erfolgreich in [X.] eingeführt hatte, als Marken angemeldet und die [X.] abgemahnt. Dies betraf zum einen Sonnenblumenkerne mit dem transliterierten Namen „[X.]“, deren Import eingestellt worden sei. Bei einem zweiten Produkt mit dem transliterierten Namen „[X.]“ musste das Label geändert werden.

Am 21. Januar 2016 habe der Inhaber der angegriffenen Marke den Exklusivliefervertrag mit dem [X.] Unternehmen zwecks Lieferung von Waren mit der angegriffenen Marke (transliteriert „[X.]“) geschlossen. Dies sei der Tag vor der am 22. Januar 2016 anberaumten mündlichen Verhandlung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahren in der Sache „[X.]“ gewesen. Am 18. Februar 2016 habe er dann unter Eindruck dieser markenrechtlichen Streitigkeit die hier gegenständliche Marke angemeldet. Er habe die Bezeichnung „[X.]“ in kyrillischen Buchstaben rechtzeitig schützen wollen, um weitere Streitigkeiten mit der [X.]in zu vermeiden. Da der Vertrag ein Exklusivvertrag gewesen sei, habe er davon ausgehen können, dass es keine vertraglichen Beziehungen zu [X.] gebe. Auch habe er im Zeitpunkt der Markenanmeldung andere nicht behindern, sondern lediglich seine Vertragsstellung absichern wollen.

Der Inhaber der angegriffenen Marke führt weiter aus, ihm sei es nicht darum gegangen, den Vertrieb der Herstellerin in [X.] nach eventueller Beendigung des exklusiven Liefervertrages zu stören. Vielmehr sei sein Ziel gewesen, für die Dauer seines [X.] nicht durch Markenansprüche Dritter beeinträchtigt zu werden. Die ausländische Herstellerin habe keine Intention, eine Marke anzumelden, da sie den [X.] Markt nicht beliefere. Man habe sich deshalb darauf verständigt, dass der Inhaber der angegriffenen Marke die Marke anmelden solle. [X.] vorsorglich sei die Herstellerin darauf hingewiesen worden, dass an der angegriffenen Marke seitens ihres Inhabers oder anderer Unternehmen der [X.] kein Interesse bestehe, wenn die Vertragsbeziehung beendet sei. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe folglich ausschließlich eigene berechtigte Interessen bei der Markenanmeldung verfolgt.

Der in dem angegriffenen Beschluss angenommene Besitzstand nach § 12 [X.] läge nicht vor, da die in Rede stehende Marke in [X.] keine Verkehrsgeltung im Sinne von § 4 Nr. 2 [X.] gehabt habe. Hierfür sei die Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens notwendig, was jedoch nicht vorgelegt worden sei. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe vielmehr zum Zeitpunkt der Anmeldung einen eigenen schutzwürdigen Besitzstand gehabt, da er einen Exklusivliefervertrag abgeschlossen hatte, der ihm ein Anwartschaftsrecht auf die zukünftigen Importe und Gewinne verschafft habe. Tatsächlich habe das Unternehmen des Inhabers der angegriffenen Marke ausweislich der Artikelstatistik vom 12. Februar 2020 in den Jahren 2017 bis 2019 Umsätze mit der Marke in Höhe von jährlich … Euro erzielt. Die Herstellerin habe ein Interesse daran gehabt, dass ihre Waren von den Unternehmen der [X.] ungehindert von [X.] Dritter vertrieben werden können. Die Herstellerin sei zudem durch § 11 [X.] umfassend geschützt, wenn es zum Streit käme. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe der Herstellerin angeboten, Mitinhaberin der Marke zu werden. Dieses Angebot habe sie nicht angenommen.

Auch weitere Unlauterkeitsmerkmale lägen nicht vor. Allein die Kenntnis einer Vorbenutzung reiche für die Annahme einer Bösgläubigkeit nicht aus. Es müssten weitere Umstände hinzutreten, welche die Markenanmeldung als unlauter erscheinen lassen. Hieran fehle es hier. Vielmehr habe der Inhaber der angegriffenen Marke mit der Umsetzung des Exklusivliefervertrags einen sachlichen Grund für die Markenanmeldung gehabt.

Aufgrund der eindeutigen Sach- und Rechtslage sollten der [X.]in die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Der Erweiterung der Löschungsgründe werde nicht zugestimmt.

Die Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,

den Beschluss des [X.]s, Markenabteilung 3.4, vom 30. Januar 2020 aufzuheben und den Löschungsantrag zurückzuweisen

sowie

der [X.]in die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die [X.]in beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen

und

dem Inhaber der angegriffenen Marke die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Ihrer Ansicht nach sei die Anmeldung der Marke [X.] gewesen. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe aufgrund der Konkurrenzsituation und der gerichtlichen Auseinandersetzungen Kenntnis von den betroffenen Produkten und der Verwendung durch die [X.]in gehabt. Die Herstellerin habe mehrmals den Vertragspartner gewechselt. Unerheblich sei, ob die [X.]in aktuell noch ihre Exklusivvertragspartnerin sei. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe in Kenntnis des schutzwürdigen Besitzstandes des Vorbenutzers ohne zureichenden sachlichen Grund die Marke angemeldet. In den von ihm genannten Rechtsstreitigkeiten sei ausgeführt worden, dass das Warenangebot der [X.]in genau beobachtet werde. Auch aufgrund der Marktpräsenz der [X.] sei davon auszugehen, dass der Vertrieb der Produkte bekannt gewesen sei. Es werde bestritten, dass zum Zeitpunkt der Markenanmeldung im Februar 2016 keine Produkte der Herstellerin mehr im [X.] Handel gewesen seien. Die Markenanmeldung habe auch nicht der eigenen Absicherung gedient, sondern darauf abgezielt, die [X.]in in ihrer [X.] zu behindern. Es werde auch bestritten, dass die Beschwerdeführerin die Produktbeschreibungen [X.]-tauglich machen musste. Durch die jahrelange Verwendung als Unternehmenskennzeichen bestehe ein schutzwürdiger Besitzstand. Die [X.]in bestreitet allgemein die Ausführungen des Inhabers der angegriffenen Marke zur Marktmacht der [X.] sowie zu den Gebräuchen von Staatsunternehmen. Das [X.] habe zu Recht den Markenschutz aufgrund Verkehrsgeltung festgestellt. § 4 Nr. 2 [X.] verlange eine solche nur innerhalb beteiligter Verkehrskreise. Die Einholung eines Gutachtens sei nicht zwingend erforderlich. Eine Zustimmung der Herstellerin zur Eintragung habe nicht vorgelegen. Der Inhaber der angegriffenen Marke behaupte dies auch nicht.

2014 seien mit der Kennzeichnung 26,5 t und 2015 17 t Waren vertrieben worden. Die [X.]in vertreibe entsprechenden Produkte noch. Die Behauptung, der Vertrag sei gekündigt worden, sei falsch. Das Vorliegen eines Exklusivvertrags sei nicht dargelegt worden. Eine Auferlegung von Kosten sei nicht angezeigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenabteilung, die Schriftsätze der Beteiligten, den Hinweis des Senats vom 5. April 2022 sowie auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 [X.] statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Im Laufe des Verfahrens sind die hierauf anzuwendenden Vorschriften durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie ([X.]) 2015/2436 des [X.] und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Markenrechtsmodernisierungsgesetz – [X.], [X.] I 2018, Seite 2357) gemäß Art. 5 Abs. 1 [X.] teilweise mit Wirkung zum 14. Januar 2019, im Übrigen gemäß Art. 5 Abs. 3 [X.] mit Wirkung zum 1. Mai 2020 novelliert worden. Eine relevante Änderung der Rechtslage ergibt sich für den Streitfall hieraus jedoch nicht. Für den am 18. Juli 2016 gestellten Löschungsantrag ist gemäß der Übergangsregelung des § 158 Abs. 8 [X.] die Vorschrift des § 50 Abs. 2 [X.] in seiner bis 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden. Die Änderung der zum 1. Mai 2020 in [X.] getretenen Vorschriften betreffend das Verfalls- und [X.] vor dem [X.] gemäß §§ 53 und 54 [X.] berührt bereits abgeschlossene Verfahrenshandlungen nicht (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 13. Auflage 2021, § 53 Rn. 105), so dass sich der davor eingelegte Löschungsantrag als auch der dagegen erhobene Widerspruch des Inhabers der angegriffenen Marke weiterhin nach § 54 [X.] a. F. bestimmt. Zu berücksichtigen ist lediglich die aus Gründen der Anpassung an die Terminologie des Art. 45 der Richtlinie ([X.]) 2015/2436 mit Wirkung zum 14. Januar 2019 vorgenommene Umbenennung des [X.] wegen absoluter Schutzhindernisse in [X.] wegen absoluter Schutzhindernisse gemäß Art. 1 Nrn. 28 und 33 [X.] (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 50 Rn. 2, § 53 Rn. 2).

2. Der nach § 54 Abs. 1 [X.] a. F. zulässige Antrag auf Nichtigerklärung vom 18. Juli 2016 wurde den Verfahrensbevollmächtigten des Inhabers der angegriffenen Marke gegen [X.] am 12. August 2016 zugestellt. Sie haben der Löschung mit am 22. August 2016 beim [X.] eingegangenem Schriftsatz vom 18. August 2016, mithin innerhalb der 2-Monatsfrist des § 54 Abs. 2 Satz 2 [X.] a. F. widersprochen, so dass das [X.] durchzuführen war.

3. Die Voraussetzungen für die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke wegen Bösgläubigkeit des Inhabers der angegriffenen Marke im Anmeldezeitpunkt liegen nicht vor.

a) Bösgläubigkeit eines Anmelders im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 10 [X.] a. F. bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 14 [X.] liegt vor, wenn die Anmeldung rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig – insbesondere im Sinne wettbewerbsrechtlicher Unlauterkeit – erfolgt ist (vgl. [X.], 510, 511 – [X.]; BPatG 30 W (pat) 61/09 – [X.]; [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 8 Rn. 1025, 1034 ff.). Das Schutzhindernis soll Anmeldungen von Marken erfassen, die von vornherein nicht dazu bestimmt sind, im Interesse eines lauteren [X.] Waren und Dienstleistungen als solche eines bestimmten Unternehmens zu individualisieren, sondern Dritte im Wettbewerb zu behindern (Hacker, Markenrecht, 5. Auflage 2020, Rn. 184). Ein Anmelder handelt nicht allein deshalb unlauter, weil er weiß, dass ein anderer dasselbe Zeichen für dieselben Waren oder Dienstleistungen benutzt, ohne hierfür einen formalen Kennzeichenschutz erworben zu haben (vgl. [X.] Int. 2013, 792, Rn. 37 – [X.]). Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die das Verhalten des Anmelders als wettbewerbswidrig erscheinen lassen. Ausgehend hiervon kann ein [X.]er Markenerwerb nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] insbesondere darin liegen, dass der Anmelder in Kenntnis eines schutzwürdigen Besitzstandes eines Vorbenutzers ohne rechtfertigenden Grund die gleiche oder eine verwechselbar ähnliche Marke für gleiche oder ähnliche Waren und/oder Dienstleistungen anmeldet mit dem Ziel der Störung des Besitzstandes des Vorbenutzers oder in der Absicht, für diesen den weiteren Gebrauch der Marke zu sperren (vgl. [X.], 1034 – [X.]; [X.], 1032, 1034 – [X.] 2000; [X.], 621, 623, Rn. 21 – [X.]).

Darüber hinaus kann der Erwerb eines formalen Markenrechts, unabhängig vom Bestehen eines schutzwürdigen inländischen Besitzstandes eines [X.], aber auch dann [X.] sein, wenn sich die Anmeldung der Marke unter anderen Gesichtspunkten als wettbewerbs- oder sittenwidrig darstellt. Das wettbewerblich Verwerfliche kann insoweit insbesondere darin gesehen werden, dass ein [X.] die mit der Eintragung der Marke verbundene – an sich unbedenkliche – Sperrwirkung zweckfremd als Mittel des [X.]kampfes einsetzt (vgl. BGH [X.], 917, Rn. 20 – [X.]; [X.], 621, 623, Rn. 21 – [X.]; [X.], 160, Rn. 18 – [X.]; [X.], 581 – [X.]; [X.], 414 – [X.] Schaumgebäck; [X.], 510 – [X.]; [X.], 1032 – [X.] 2000; GRUR 1998, 1034 – [X.]; [X.], 110 – [X.]). Dabei ist die maßgebliche Grenze zur Bösgläubigkeit dann überschritten, wenn das Verhalten des [X.]s bei objektiver Würdigung aller Umstände in erster Linie auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung eines Mitbewerbers und nicht auf die Förderung des eigenen [X.] gerichtet ist (vgl. BGH [X.], 581, 582 – [X.]). Daher wird die Annahme einer Bösgläubigkeit nicht schon durch die Behauptung oder den Nachweis eines eigenen Benutzungswillens ausgeschlossen. Vielmehr ist eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich, wobei sich im Einzelfall bereits die Markenanmeldung als erster Teilakt eines zweckwidrigen Einsatzes darstellen, sich ein solcher aber auch erst aus der späteren Ausübung des Monopolrechts ergeben kann (vgl. [X.], 242, 243 f. – [X.]; [X.], 510 ff. – [X.]; [X.], 744, 746 f. – [X.]).

Die Annahme einer Bösgläubigkeit wegen Störung eines fremden [X.] setzt voraus, dass die Marke ohne hinreichenden sachlichen Grund angemeldet worden ist (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 8 Rn. 1096). Wenn der [X.] ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Eintragung der fraglichen Marke hat, also nicht die Störung eines fremden Besitzstandes, sondern die Förderung der eigenen [X.]situation im Vordergrund steht, handelt er nicht [X.] (vgl. [X.] 2009, 763, Rn. 48 - [X.]/[X.]; [X.], 581, 582 - [X.]). Ein solch berechtigtes Eigeninteresse liegt vor, wenn der Anmelder selbst in beachtlichem Umfang die Kennzeichnung benutzt und im Hinblick darauf deren markenrechtliche Absicherung gegenüber [X.] für erforderlich hält (vgl. [X.] 2009, 763, Rn. 49 und 53 - [X.]/[X.]; [X.], 431, 434 - Flasche mit Grashalm; [X.], 6, 8 - [X.]). Im Übrigen gilt grundsätzlich die Vermutung einer regelmäßig nicht [X.]en Anmeldung, deren Widerlegung im Einzelfall besondere Feststellungen der Bösgläubigkeit verlangt (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 8 Rn. 1030, 1100).

b) Der Inhaber der angegriffenen Marke hatte zum Zeitpunkt der Markenanmeldung ein eigenes legitimes Interesse an der Nutzung der angegriffenen Marke.

Dieses ergab sich aus dem am 21. Januar 2016 geschlossenen Liefervertrag zwischen der [X.] Herstellerin [X.] und der [X.], dessen Geschäftsführer der Inhaber der angegriffenen Marke bis zum 10. März 2021 war. Durch die Markenanmeldung wollte er den Vertrieb der aus der [X.] gelieferten Waren in [X.] absichern. Dieses Interesse bestand unabhängig davon, ob es sich bei dem Liefervertrag um einen Exklusivvertrag handelt, was bis zuletzt unter den Beteiligten streitig war. Die [X.] hat auch tatsächlich nach der Anmeldung Produkte in [X.] vertrieben, die unter das Warenverzeichnis der angegriffenen Marke fallen und mit ihr gekennzeichnet waren. So wurde ausweislich der eingereichten Artikelstatistik vom 12. Februar 2020 mit Soßen und Mayonnaisen ein Umsatz im Jahr 2017 in Höhe von … [X.]R, im Jahr 2018 in Höhe von … [X.]R und im Jahr 2019 in Höhe von … [X.]R erzielt.

Die [X.] und die [X.]in hatten vor der Anmeldung der angegriffenen Marke Rechtsstreitigkeiten geführt. Sie betrafen Markenanmeldungen der [X.]in, die eingereicht wurden, nachdem die [X.] kurz zuvor Waren unter der jeweils angemeldeten Marke auf den Markt gebracht hatte. Aus diesen Marken ging die [X.]in dann gegen den Vertrieb der Waren durch die [X.] vor. Um solchen Angriffen Dritter vorzubeugen, ist die Anmeldung der streitgegenständlichen Marke ein sachgerechtes Mittel. Damit wurde bereits vor der Lieferung der Waren seitens des [X.] Herstellers deren Vertrieb in [X.] markenrechtlich abgesichert. Dass die Markenanmeldung im Zusammenhang mit dem Abschluss des [X.] am 21. Januar 2016 stand, wird auch daran deutlich, dass sie am 18. Februar 2016, also bereits knapp einen Monat nach Vertragsunterzeichnung eingereicht worden ist.

Es liegen überdies keinerlei Hinweise vor, dass der Inhaber der angegriffenen Marke aus der Marke Ansprüche gegen die [X.]in oder Dritte geltend gemacht hat.

Ob der Inhaber der angegriffenen Marke bereits vor ihrer Anmeldung von dem Bestehen des [X.] mit der [X.]in oder von dem Vertrieb mit der angegriffenen Marke gekennzeichneter Waren Kenntnis gehabt hat, kommt es vorliegend nicht an. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, so wird sein berechtigtes Interesse dadurch nicht in Frage gestellt. Mit der Markenanmeldung wollte er vorrangig seine eigene [X.]situation fördern und nicht einen etwaigen Besitzstand der [X.]in oder des [X.] Lieferanten stören. Insofern kann auch nicht von einem zweckfremden Einsatz der angegriffenen Marke im [X.]kampf ausgegangen werden, der ebenfalls die Bösgläubigkeit des [X.]s begründen würde (vgl. hierzu [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 8, Rn. 1105).

c) Weitere Fallgruppen einer [X.]en Markenanmeldung sind nicht erkennbar und auch nicht geltend gemacht worden.

4. Mit Schreiben vom 21. Juli 2016 hat die [X.]in nachträglich den Löschungsantrag erweitert und ergänzend geltend gemacht, dass die Marke entgegen §§ 3, 7, 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 8 Abs. 2 Nr. 4 bis 9 [X.] a. F. eingetragen worden sei.

Nach der Rechtsprechung des [X.] bilden die einzelnen in §§ 3, 7 und 8 [X.] enthaltenen [X.] bzw. [X.] jeweils eigene Streitgegenstände (zuletzt [X.], 1089, 1090 Rn. 10 - Quadratische Schokoladenverpackung II). Die Zulässigkeit der Erweiterung des [X.] im Verfahren vor dem [X.] und im Beschwerdeverfahren vor dem [X.] richtet sich deshalb nach den Bestimmungen der §§ 263 ff. ZPO i. V. m. § 82 Abs. 1 [X.] (vgl. auch [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 53, Rn. 76). Eine Änderung oder Erweiterung des Löschungsantrags ist danach zulässig, wenn der Inhaber der angegriffenen Marke einwilligt oder das [X.] bzw. das [X.] sie für sachdienlich erachtet.

Der Inhaber der angegriffenen Marke hat in die Erweiterung des Löschungsantrags nicht eingewilligt.

Die Erweiterung ist auch nicht sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO i. V. m. § 82 Abs. 1 [X.]. Durch sie würde völlig neuer Streitstoff eingeführt werden, der vorliegendes Verfahren umfassend verändern würde (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 43. Auflage, § 263, Rn. 9). Zudem haben zu den später eingeführten [X.] weder die [X.]in selbst noch der Inhaber der angegriffenen Marke im Einzelnen Stellung genommen.

5. Für die von den Beteiligten beantragte Kostenauferlegung gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] besteht keine Veranlassung.

Da der Inhaber der angegriffenen Marke nicht [X.] war, entspricht es nicht der Billigkeit, ihm die Kosten des Verfahrens vor dem [X.] oder des Verfahrens vor dem [X.] aufzuerlegen. Die gegenteilige auf § 63 Abs. 1 Satz 1 [X.] gestützte Kostenentscheidung der Markenabteilung 3.4 in dem Beschluss vom 30. Januar 2020 war somit aufzuheben.

Auch die Erfolglosigkeit eines Löschungsantrags wegen Bösgläubigkeit ist kein Grund, der [X.]in die Kosten aufzuerlegen. Lediglich, wenn der Löschungsantrag auf Gründe gestützt wird, für die es weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur auch nur ansatzweise eine Bestätigung gibt, sind die Kosten dem [X.] aufzuerlegen. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Es verbleibt somit bei der gesetzlichen Regelung, dass jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst trägt (§ 63 Abs. 1 Satz 3 [X.] und § 71 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

6. Die Gegenstandswertentscheidung in dem Beschluss vom 30. Januar 2020 wurde mit der Beschwerde nicht angegriffen, so dass hierüber nicht zu befinden war.

Meta

25 W (pat) 29/20

19.08.2022

Bundespatentgericht 25. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 8 Abs 2 Nr 14 MarkenG, § 53 MarkenG, § 71 Abs 1 S 1 MarkenG, § 263 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 19.08.2022, Az. 25 W (pat) 29/20 (REWIS RS 2022, 7380)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7380

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