Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.06.2019, Az. IX ZB 5/19

9. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 6015

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Gegenstand

Aussetzung eines Rechtsstreits bei getrennter Geltendmachung von Teilen einer einheitlichen Forderung


Leitsatz

Eine Aussetzung des Rechtsstreits kommt bei der getrennten Geltendmachung von Teilen einer einheitlichen Forderung nicht in Betracht, auch wenn sie auf demselben Klagegrund beruhen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 30. Zivilkammer des [X.] - Einzelrichter - vom 21. Dezember 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 800 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der klagende Rechtsanwalt wurde von den Beklagten zu 1 und 2 beauftragt, die Freigabe von zwei Grundschulden gegenüber der [X.] und der [X.] zu erwirken. Für seine Tätigkeit stellte der Kläger ausgehend von einem Gegenstandswert über 658.000 € den Beklagten am 23. Dezember 2016 Gebühren von [X.] in Rechnung. Die Beklagten hatten an den Kläger einen Gebührenvorschuss von 7.181,65 € entrichtet.

2

In einem zwischen den Parteien seit dem [X.] zunächst vor dem Amtsgericht, jetzt vor dem [X.] anhängigen Rechtsstreit verlangt der Beklagte zu 1 Erstattung des dem Kläger in dieser Angelegenheit geleisteten [X.] in Höhe eines Betrages von 4.151,55 €. Insoweit beruft er sich darauf, mit dem Kläger eine Vereinbarung getroffen zu haben, nach deren Inhalt sich sein Honorar auf den Betrag von 3.030,10 € beschränke. Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 1 und die Beklagte zu 2 als Drittwiderbeklagte Widerklage auf Zahlung von 3.030,10 € erhoben und gegenüber der Beklagten zu 2 die Feststellung beantragt, dass ihr keine Ansprüche in Höhe von 4.151,55 € zustehen. Die Aufrechnung gegen die Klageforderung und die Widerklage stützt der Kläger auf einen Teilbetrag von insgesamt 7.181,65 € aus seiner Vergütungsforderung von [X.].

3

Den nach der Aufrechnung verbleibenden, zuletzt mit 4.162,03 € bezifferten Restbetrag verlangt der Kläger in dem vorliegenden, am 31. Dezember 2016 vor dem [X.] eingeleiteten Rechtsstreit. Das Amtsgericht hat das Verfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt. Die dagegen eingelegte Beschwerde des [X.] ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Beschwerdegericht - Einzelrichter - zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren, dem Verfahren Fortgang zu geben, weiter.

II.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat. Der angefochtene Beschluss unterliegt indes der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen [X.]s (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist.

5

Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. [X.] er - wie hier - mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen [X.]s, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr., vgl. [X.], Beschluss vom 22. November 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 125 Rn. 9 mwN; vom 18. September 2018 - [X.]/17, NJW-RR 2018, 1460 Rn. 5; vom 19. Dezember 2018 - [X.]/18, [X.], 271 Rn. 7 ff).

6

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass nach jetzigem Sach- und Streitstand eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO nicht in Betracht kommen dürfte, weil die hier gegebene getrennte Geltendmachung von [X.] aus demselben Klagegrund keine [X.] bewirkt.

7

a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit [X.] der in dem anderen Rechtstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus ([X.], Beschluss vom 30. März 2005 - [X.], [X.]Z 162, 373, 375). [X.] ist insbesondere gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Februar 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 575 Rn. 6). Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Januar 2006 - [X.] 36/03, Rn. 2; vom 25. November 2013 - [X.] ([X.]) 11/13, [X.], 810 Rn. 13). Andernfalls würde das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozessparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in [X.] beeinträchtigt ([X.], Beschluss vom 25. November 2013, aaO). Eine Aussetzung allein aus [X.] sieht das Gesetz nicht vor ([X.], Urteil vom 21. Februar 1983 - [X.], NJW 1983, 2496 unter II 2 a).

8

b) Nach diesen Maßstäben ist im Streitfall eine [X.] nicht gegeben, weil der vorliegende Rechtsstreit und das vor dem [X.] schwebende Verfahren voneinander abtrennbare Teile einer einheitlichen Forderung betreffen.

9

aa) Rechnet der Beklagte mit einer in einem anderen Verfahren bereits aufgerechneten Gegenforderung in einem weiteren Prozess erneut auf, so hat das mit der Zweitaufrechnung befasste Gericht - soweit es auf die Einwendung ankommt - zu prüfen, ob die Gegenforderung (noch) besteht. Das mit der zweiten Aufrechnung befasste Gericht hat selbst sachlich zu untersuchen, ob die mit der Zweitaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung besteht oder möglicherweise bereits durch die Erstaufrechnung verbraucht ist. Regelmäßig wird sich die Aussetzung des [X.] empfehlen, bis dasjenige Verfahren erledigt ist, in dem zuerst aufgerechnet wurde. Mit Rücksicht auf die [X.] des § 322 Abs. 2 ZPO ist eine [X.] des anderen Verfahrens gegeben ([X.], Versäumnisurteil vom 8. Januar 2004 - [X.], [X.], 2324, 2325).

bb) Vorliegend klagt der Kläger eine Teilforderung vor dem Amtsgericht ein, während er mit dem übrigen Teil der Forderung in dem Verfahren vor dem [X.] die Aufrechnung erklärt. In dieser Gestaltung ist § 148 ZPO nicht anwendbar.

Eine Aussetzung der Verhandlung nach § 148 ZPO ist bei der getrennten Geltendmachung von [X.] aus demselben Klagegrund nicht zulässig. Dabei ist es bedeutungslos, in welcher Weise die Teile einer einheitlichen Forderung in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten zur Prüfung gestellt werden, etwa im Wege der Klage und Widerklage oder durch Klage einerseits und Aufrechnung andererseits. Der abtrennbare Teil der vorliegend verfolgten Vergütungsforderung ist nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem [X.]. Bei dieser Sachlage sind die Voraussetzungen der Aussetzung mangels einer Rechtskrafterstreckung nicht erfüllt. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass durch die Aufspaltung der Vergütungsforderung auf zwei Prozesse die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht. [X.] rechtfertigen eine Aussetzung jedoch nicht. Der Gefahr widersprechender Entscheidungen kann zudem nicht durch eine Aussetzung zuverlässig begegnet werden, weil die Entscheidung in dem vor dem [X.] geführten Prozess mangels identischer Streitgegenstände keine [X.] für den vorliegenden Rechtsstreit erzeugt. Die [X.] beider Verfahren sind verpflichtet, den jeweils anhängigen Rechtsstreit selbständig und nach eigener Überzeugung zu entscheiden ([X.], [X.]. 1908 Nr. 400; [X.], NJW 1958, 106; [X.], [X.] 1963, 507; [X.], [X.] 1983, 848; [X.], [X.] 1996, 197; [X.], [X.], 39; [X.], ZPO, 23. Aufl., § 148 Rn. 25; [X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 148 Rn. 5a; Hk-ZPO/[X.], 8. Aufl., § 148 Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 77. Aufl., § 148 Rn. 26 "Teilforderung"; Prütting/Gehrlein/[X.], ZPO, 10. Aufl., § 148 Rn. 11; [X.] 2009, 957). Allenfalls käme in Betracht, das Ruhen eines der Verfahren auf gemeinsamen Antrag der Parteien (§ 251 ZPO) anzuordnen ([X.], aaO).

Kayser     

      

Gehrlein     

      

Grupp 

      

Möhring     

      

Schoppmeyer     

      

Meta

IX ZB 5/19

27.06.2019

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG München I, 21. Dezember 2018, Az: 30 T 10033/18

§ 148 ZPO, § 568 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.06.2019, Az. IX ZB 5/19 (REWIS RS 2019, 6015)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 1367-1368 WM2019,1461 NJW 2019, 3235 REWIS RS 2019, 6015

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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