Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2020, Az. IV ZB 19/19

4. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1390

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Abweisung einer Deckungsklage gegen die Krankentagegeldversicherung: Inhaltliche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] - 8. Zivilsenat - vom 10. Juli 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[X.]: 40.646,77 €

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig. Er nimmt die Beklagte aus einer Krankentagegeldversicherung in Anspruch. Der Vertrag sieht für den Fall, dass der Kläger seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und auch keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 1 Abs. 3 der einbezogenen Versicherungsbedingungen, nachfolgend: [X.]), nach 182 Karenztagen die Zahlung eines [X.] von 127,82 € je Kalendertag vor. Sollte [X.] Berufsunfähigkeit eintreten, der Kläger mithin nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare [X.] mehr als 50% erwerbsunfähig sein, sollte das Versicherungsverhältnis nach Ablauf von drei Monaten enden (§ 15 Buchst. b [X.]).

2

Nachdem der Kläger am 14. April 2014 einen Hirnschaden erlitten hatte, zahlte die Beklagte Krankentagegeld. Unter Berufung auf [X.] Berufsunfähigkeit stellte sie ihre Leistungen zum 8. Mai 2016 ein. [X.] hat der Kläger zuletzt 49.338,52 € Krankentagegeld für die [X.] vom 8. Mai 2016 bis zum 30. Juni 2017 begehrt. Das [X.] hat der Klage in Höhe von 8.691,76 € für die [X.] bis zum 14. Juli 2016 stattgegeben. Einen weitergehenden Anspruch hat es abgelehnt, weil zum 14. April 2016 Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Mit der Berufung hat der Kläger die Zahlung weiteren [X.] in Höhe von 40.646,77 € begehrt. Zur Begründung hat er ausgeführt, das [X.] habe zu Unrecht Berufsunfähigkeit angenommen.

3

Mit dem hier angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Es fehle an einem ausreichenden Berufungsangriff, mit dem die Erheblichkeit des behaupteten Rechtsfehlers dargestellt werde. Der Kläger hätte auch zu den Voraussetzungen von § 1 Abs. 3 [X.] vortragen müssen, dass er in dem von der Berufung betroffenen [X.]raum vom 15. Juli 2016 bis zum 30. Juni 2017 vollständig arbeitsunfähig gewesen und keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Dies habe er nicht getan. Sein Vortrag sei sogar unschlüssig, soweit er behaupte, bereits in den Jahren 2016 und 2017 wieder eine berufliche Tätigkeit ausgeübt und diese gesteigert zu haben.

4

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise verwehrt.

7

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juli 2016 - [X.], [X.], 557 Rn. 10; [X.], Beschluss vom 11. Februar 2020 - [X.]/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 5; jeweils m.w.[X.]).

8

b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Berufung des [X.]. Sie richtet sich gegen die das Urteil des [X.]s tragende Feststellung, der Kläger sei seit 14. April 2016 bedingungsgemäß berufsunfähig. Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, unterliegt der Deckungsanspruch des [X.] zwar nach § 1 Abs. 3 [X.] weiteren Voraussetzungen. Auf diese musste die Berufungsbegründung aber nicht eingehen. Das [X.] hat sein Urteil, soweit es zulasten des [X.] entschieden hat, auf § 15 Buchst. b [X.] und die Frage der Berufsunfähigkeit gestützt, nicht aber auf § 1 Abs. 3 [X.] und die Fragen, ob der Kläger in dem von der Berufung betroffenen [X.]raum vollständig arbeitsunfähig war und keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Zu Umständen, die eine abweisende Entscheidung möglicherweise auch stützen würden, die in der Begründung des angefochtenen Urteils aber nicht angeführt werden, muss die Berufungsbegründung nicht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung auch nicht zur Darlegung der Erheblichkeit des behaupteten Rechtsfehlers - Stellung nehmen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Januar 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 509 Rn. 14; Versäumnisurteil vom 14. November 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 499 unter [X.] [juris Rn. 9]; Urteil vom 20. Februar 1975 - [X.], NJW 1975, 1032 unter [X.] [juris Rn. 13]). Ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind, ist für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juli 2016 aaO; [X.], Beschluss vom 11. Februar 2020 aaO; jeweils m.w.[X.]).

[X.]     

      

Prof. Dr. Karczewski     

      

Dr. Brockmöller

      

Dr. Bußmann     

      

Dr. Götz     

      

Meta

IV ZB 19/19

20.05.2020

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Nürnberg, 10. Juli 2019, Az: 8 U 456/19

§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2020, Az. IV ZB 19/19 (REWIS RS 2020, 1390)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1390

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZB 19/19 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 23/17 (Bundesgerichtshof)

Krankentagegeldversicherung: Auslegung einer Karenzzeitregelung


IV ZR 163/09 (Bundesgerichtshof)

Krankentagegeldversicherung: Beweislast des Versicherungsnehmers für Eintritt und Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit und Beweislast des Versicherers für …


9 U 32/18 (Oberlandesgericht Köln)


IV ZR 137/10 (Bundesgerichtshof)

Krankentagegeldversicherung: Bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit bei Erkrankung durch sog. Mobbing


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.