Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.03.2022, Az. 1 StR 425/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 2536

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Gegenstand

Strafzumessung: Berücksichtigung eines Widerrufs einer Strafaussetzung zur Bewährung in anderer Sache


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. August 2021 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2

Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

3

1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch, zu der Einziehungsentscheidung und, soweit das [X.] von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

4

2. Demgegenüber hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand.

5

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des [X.] gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. In die [X.] des Tatgerichts kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 10. April 1987 – [X.] Rn. 17, [X.]St 34, 345, 349).

6

Bei der Darstellung seiner Strafzumessungserwägung im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die [X.] relevanten Gesichtspunkte ist dagegen weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 14. März 2018 – 2 [X.] Rn. 19 und vom 2. August 2012 – 3 [X.] Rn. 3). Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt jedoch dann vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 9. September 2020 – 2 [X.] Rn. 5; Urteile vom 27. Februar 2020 – 4 StR 552/19 Rn. 10 und vom 4. April 2019 – 3 StR 31/19 Rn. 15).

7

b) Diesen Anforderungen wird die [X.] des angefochtenen Urteils nicht in jeder Hinsicht gerecht. Sie erweist sich als lückenhaft.

8

aa) Die Strafkammer hat bei der Prüfung eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG, der nach der Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 30a Abs. 3 BtMG im Hinblick auf die Sperrwirkung der höheren Mindeststrafe des von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verdrängten Tatbestandes in Betracht zu ziehen war (vgl. [X.], Beschluss vom 1. September 2020 – 3 [X.] Rn. 5 mwN), und im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne rechtsfehlerfrei zum Nachteil des Angeklagten die „einschlägigen, nicht allzu lange zurückliegenden Vorstrafen“ berücksichtigt ([X.]). Zudem hat es – ohne Rechtsfehler – die Begehung der neuerlichen Tat während laufender Bewährungszeiten aus den Urteilen des [X.] vom 21. Februar 2017 und vom 24. September 2019 eingestellt.

9

bb) Das [X.] hätte indes mit Rücksicht auf die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Angeklagten zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), angesichts des mit Beschluss vom 25. März 2021 angeordneten Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung der mit dem Urteil des [X.] vom 24. September 2019 verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch das den Angeklagten treffende Gesamtstrafübel in den Blick nehmen und erörtern müssen (vgl. zu einem drohenden [X.] [X.], Beschlüsse vom 12. November 2020 – 1 [X.] Rn. 3; vom 9. September 2020 – 2 [X.] Rn. 8; vom 21. Oktober 2014 – 5 [X.] Rn. 3; vom 20. Juli 2009 – 5 [X.] Rn. 8 und vom 9. November 1995 – 4 [X.] Rn. 12, [X.]St 41, 310, 314; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 740; [X.]/[X.], § 267 Rn. 395).

Offenbleiben kann im vorliegenden Zusammenhang, ob der Senat hinsichtlich der strafmildernden Berücksichtigung eines drohenden [X.]s in anderer Sache der Auffassung des 2. Strafsenats folgen könnte, dass ein drohender [X.] vor dem Hintergrund, dass dieser gemäß § 56f Abs. 2 StGB keine zwingende gesetzliche Folge darstellt, im Rahmen der Strafzumessung von vornherein nur ein geringeres Gewicht hat (vgl. [X.], Urteil vom 17. Februar 2021 – 2 [X.] Rn. 25). Denn anders als in dieser Entscheidung ist die Bewährung bereits widerrufen worden.

Nach den Urteilsfeststellungen wird die Strafe von einem Jahr und zehn Monaten aus dem Urteil des [X.] vom 24. September 2019 seit dem 18. Juni 2021 in der [X.]     vollstreckt. Im Zeitpunkt der Urteilsverkündung im vorliegenden Verfahren waren daher von dieser Strafe noch ein Jahr und acht Monate offen, so dass die [X.] durch den [X.] erheblich verlängert wird (vgl. zu dem Erfordernis eines beträchtlichen Übersteigens der gesamten Länge der zu verbüßenden Haft gegenüber derjenigen der neu verhängten Strafe bei einem drohenden [X.] auch [X.], Urteil vom 17. Februar 2021 – 2 [X.] Rn. 26 mwN). Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

3. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das [X.] kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Raum     

      

Bellay     

      

Hohoff

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 425/21

22.03.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Konstanz, 18. August 2021, Az: 4 KLs 63 Js 4374/21

§ 46 Abs 1 S 2 StGB, § 56f Abs 2 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.03.2022, Az. 1 StR 425/21 (REWIS RS 2022, 2536)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2536

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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