Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.05.2017, Az. 2 B 51/16

2. Senat | REWIS RS 2017, 10510

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Bindungswirkung des Strafurteils mit Blick auf die Schuldebene


Gründe

1

1. Der im Jahr 1968 geborene [X.] stand seit Oktober 1989, zuletzt im Rang eines [X.], im Dienst des klagenden [X.], bis er mit Ablauf des 31. Oktober 2010 wegen Polizei- und allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde.

2

Mit rechtskräftig gewordenem amtsgerichtlichen Urteil vom 9. Juli 2009 wurden der [X.] und sein mitangeklagter Kollege [X.] wegen jeweils gemeinschaftlich mit dem anderweitig verfolgten Kollegen [X.] begangener Untreue in zwölf Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von je 11 Monaten und 2 Wochen verurteilt, die zur [X.]ewährung ausgesetzt wurden. Grundlage der Verurteilung war, dass die beiden Angeklagten nach ihren geständigen Einlassungen von Verkehrsteilnehmern wegen Geschwindigkeitsübertretungen [X.] in Höhe von insgesamt 275 € in bar entgegengenommen, das Geld nicht an den Dienstherrn abgeführt, sondern für sich behalten und verwendet sowie Anlagen zu den gefertigten Messprotokollen inhaltlich unzutreffend mit Hinweisen auf Fehlmessungen oder mündlich erteilte Verwarnungen ausgefüllt hatten.

3

Auf die dieselben Tatvorwürfe betreffende [X.] hin hat das Verwaltungsgericht dem [X.]n das Ruhegehalt aberkannt. Gegen das ihm am 18. August 2014 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte des [X.]n am selben Tag beim Verwaltungsgericht [X.]erufung eingelegt und am 1. September 2014 unmittelbar beim Oberverwaltungsgericht eine [X.]egründung der [X.]erufung eingereicht. Mit dem angegriffenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht die [X.]erufung als unzulässig verworfen und im Wesentlichen ausgeführt: Der [X.] habe die [X.]erufungsbegründungsfrist versäumt. Die unmittelbar beim [X.]erufungsgericht eingereichte [X.]egründung wahre diese Frist nicht. Unabhängig davon wäre die [X.]erufung auch unbegründet. Der [X.] habe ein schwerwiegendes einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen begangen, indem er die von den Verkehrsteilnehmern in bar bezahlten [X.] für sich behalten habe, daran mitgewirkt habe, dass sein Kollege [X.] in bar bezahlte [X.] für sich behalten habe, und unzutreffende Angaben in den polizeilichen Aufzeichnungen dazu gemacht habe. Dabei ist das Oberverwaltungsgericht von den tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Strafurteils ausgegangen. Hinsichtlich einer vom [X.]n geltend gemachten eingeschränkten Schuldfähigkeit greife die [X.]indungswirkung des amtsgerichtlichen Urteils zwar nicht; doch fehlten hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der [X.] im Tatzeitraum an einer seelischen [X.]eeinträchtigung gelitten habe, die zu einer erheblichen Minderung seiner Schuldfähigkeit geführt habe.

4

2. Die [X.]eschwerde kann keinen Erfolg haben. Sie genügt in mehrfacher Hinsicht nicht den Darlegungsanforderungen für die Geltendmachung eines [X.]es (§ 67 Satz 1 [X.] NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

5

a) Eine solche Darlegung setzt im Hinblick auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung bestehen soll ([X.], [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91>, stRspr). Eine solche Klärungsbedürftigkeit liegt nicht vor, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage eindeutig bereits anhand des Gesetzes in Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden aufgrund der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet werden kann.

6

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann [X.]. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.] oder eines anderen divergenzfähigen Gerichts aufgestellten und diese Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26. S. 14).

7

[X.]ei einem [X.]erufungsurteil, das auf mehrere selbstständig tragende [X.]egründungen gestützt ist, kommt als weitere Voraussetzung hinzu, dass eine Zulassung der Revision nur dann möglich ist, wenn die [X.]eschwerde hinsichtlich jeder der selbstständig tragenden [X.]egründungen einen durchgreifenden [X.] vorträgt (vgl. etwa [X.], [X.]eschlüsse vom 15. Juni 1990 - 1 [X.] - [X.] 11 Art. 116 GG Nr. 20 S. 11 f. und vom 2. März 2016 - 2 [X.] - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 62 Rn. 6).

8

b) Dem genügt das [X.]eschwerdevorbringen nicht.

9

Ohne Erfolg sieht die [X.]eschwerde eine grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache sowie eine Divergenz zur Rechtsprechung des [X.] darin, dass das [X.]erufungsgericht im Streitfall die [X.]erufungsbegründungsfrist als nicht gewahrt angesehen und deshalb die [X.]erufung für unzulässig gehalten hat.

aa) Der [X.]eschwerdebegründung, die selbst - entgegen den vorbezeichneten Anforderungen - keine Rechtsfrage formuliert, kann bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung entnommen werden, dass sie mit [X.]lick auf § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.] NRW sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig hält,

ob in einem durch [X.] eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren die [X.]erufungsbegründung fristwahrend auch beim [X.]erufungsgericht eingereicht werden kann.

Die Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts im Sinne des [X.]erufungsurteils zu beantworten ist.

Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.] NRW (wortgleich mit § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.]) ist die [X.]erufung gegen ein Urteil des [X.] über eine [X.] bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die [X.]erufung unzulässig (§ 64 Abs. 1 Satz 5 [X.] NRW/[X.]). Der Wortlaut des Gesetzes ("einzulegen und zu begründen") ist insoweit eindeutig, als er sowohl die Einlegung als auch die [X.]egründung der [X.]erufung einer [X.] hinsichtlich Frist und Ort denselben Anforderungen unterwirft, nämlich der Einreichung beim Verwaltungsgericht. Lediglich für die Fallkonstellation eines rechtzeitig gestellten Fristverlängerungsantrags gemäß § 64 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW/[X.] hat die Rechtsprechung eine Ausnahme von dem Erfordernis des Satzes 2 entwickelt (dazu sogleich unter [X.]). Die von der [X.]eschwerde geforderte (generelle) Möglichkeit einer fristwahrenden Einlegung der [X.]erufungsbegründung auch beim [X.]erufungsgericht sieht das Gesetz lediglich in den von § 64 Abs. 2 [X.] NRW/[X.] erfassten anderen ("im Übrigen") disziplinargerichtlichen Verfahren vor, etwa bei der Klage gegen eine Disziplinarverfügung, in denen die [X.]erufung der Zulassung entweder durch das Verwaltungsgericht oder durch das Oberverwaltungsgericht bedarf und in denen durch die in [X.]ezug genommenen Vorschriften des § 124a Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 5 VwGO die fristwahrende Einreichung der [X.]erufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht möglich ist. Dass die [X.]eschwerde eine Einreichung der [X.]erufungsbegründung beim Verwaltungsgericht offenbar für "unsinnig" oder "unzweckmäßig" hält, weil dem Verwaltungsgericht eine inhaltliche [X.]efassung mit der [X.]erufung (oder gar Abhilfe) verwehrt ist, führt nicht dazu, dass das Rechtsmittelgericht diese gesetzliche Zulässigkeitsanforderung missachten dürfte.

[X.]) Eine Zulassung der Revision aus Gründen der Divergenz scheidet insoweit ebenfalls aus. Abgesehen davon, dass die [X.]eschwerde weder einen abstrakten Rechtssatz des [X.] noch einen diesem widersprechenden abstrakten Rechtssatz des [X.] bezeichnet, liegt eine solche Abweichung auch in der Sache nicht vor. Die in der [X.]eschwerdebegründung angeführte Entscheidung des [X.] betraf die Fallkonstellation des § 64 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW/[X.], in der die [X.]erufungsbegründungsfrist aufgrund eines vor ihrem Ablauf gestellten Antrags vom Vorsitzenden des Disziplinarsenats des [X.] verlängert worden war; in dieser Situation wird die [X.]erufungsbegründungsfrist (auch) durch Einreichung beim [X.]erufungsgericht gewahrt ([X.], [X.]eschluss vom 30. Dezember 2010 - 2 [X.] - [X.] 235.2 LDisziplinarG Nr. 15 Rn. 7 ff.). Diese Fallkonstellation liegt hier aber nicht vor; eine Verlängerung der [X.]erufungsbegründungsfrist wurde weder beantragt noch bewilligt.

cc) Soweit die [X.]eschwerde es für "unzutreffend" und "verfahrensrechtlich fehlerhaft" hält, dass das Oberverwaltungsgericht wegen der [X.]indungswirkung des amtsgerichtlichen Strafurteils eine (schon vom Verwaltungsgericht abgelehnte) Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der Schuldfähigkeit des [X.]n für nicht möglich gehalten habe, vermag dies einen Verfahrensmangel [X.]. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht zu begründen, weil dieser Vorwurf an der [X.]egründung des [X.]erufungsurteils vorbei geht.

Das Oberverwaltungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Strafurteil lediglich [X.]indungswirkung hinsichtlich der Frage entfaltet, ob der [X.]etreffende schuldfähig oder schuldunfähig [X.]. § 20 StG[X.] ist, dass es aber Sache des [X.] bleibt und dessen Aufgabe ist, für die [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme festzustellen, ob bei Vorliegen einer der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StG[X.] ein Fall verminderter Schuldfähigkeit [X.]. § 21 StG[X.] gegeben ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des [X.] (vgl. etwa [X.], Urteil vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - und [X.]eschluss vom 9. Februar 2016 - 2 [X.] 84.14 - [X.] 235.2 LDisziplinarG Nr. 41 Rn. 20). Dementsprechend hat sich das Oberverwaltungsgericht im Streitfall ([X.] oben) - in ausdrücklicher Abgrenzung zu der von der [X.]eschwerde kritisierten Formulierung im Strafurteil des Amtsgerichts, wonach [X.] nicht ersichtlich seien - nicht an der Prüfung gehindert gesehen, ob im Tatzeitraum hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Eingangsmerkmals [X.]. § 20 StG[X.] beim [X.]n gegeben waren. Das Oberverwaltungsgericht hat aber sodann unter Auswertung der vorliegenden [X.] das Vorliegen von Anknüpfungstatsachen, die Anlass zu einer weitergehenden Sachaufklärung böten, verneint ([X.] Mitte bis [X.] unten). Diese Würdigung liegt im tatrichterlichen Wertungsrahmen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 9. Februar 2016 - 2 [X.] 84.14 - [X.] 235.2 LDisziplinarG Nr. 41 Rn. 23 f.). Hiergegen trägt die [X.]eschwerde nichts Substanziiertes vor.

dd) Schließlich scheitert die [X.]eschwerde auch daran, dass das [X.]erufungsurteil selbstständig tragend sowohl auf die Unzulässigkeit der [X.]erufung als auch darauf gestützt ist, dass die [X.]erufung auch in der Sache unbegründet gewesen wäre. Daher hätte die [X.]eschwerde nur dann eine Zulassung der Revision erreichen können, wenn sie gegen jede dieser tragenden [X.]egründungen einen durchgreifenden [X.] vorgetragen hätte. Dies ist ihr - nach dem Vorstehenden - indes hinsichtlich keiner der beiden [X.]egründungen gelungen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes bedarf es nicht, weil die Höhe der Gerichtsgebühren streitwertunabhängig bestimmt werden (§ 75 Satz 1 [X.] NRW i.V.m. Nr. 11 und 62 des [X.] zu § 75 [X.] NRW).

Meta

2 B 51/16

23.05.2017

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 26. April 2016, Az: 3d A 1785/14.O, Urteil

§ 64 BDG, § 20 StGB, § 21 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.05.2017, Az. 2 B 51/16 (REWIS RS 2017, 10510)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10510

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 B 79/18 (Bundesverwaltungsgericht)

Erfolglose Beschwerde in einem Disziplinargerichtsverfahren; unterlassene Aufklärung der Frage einer verminderten Schuldfähigkeit des Beamten; Bindung …


2 B 25/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Einreichung der Berufungsbegründung im Disziplinargerichtsverfahren beim Berufungsgericht; unzureichende Beschwerdebegründung bei mehrfacher selbstständig tragender Begründung des …


2 B 20/23 (Bundesverwaltungsgericht)


2 C 6/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Entfernung eines Polizeibeamten aus dem Beamtenverhältnis wegen vorsätzlich unerlaubtem Fernbleiben vom Dienst


2 C 1/23 (Bundesverwaltungsgericht)

Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch Senatsvorsitzenden am Berufungsgericht; Vorlage der Berufungsbegründung beim Berufungsgericht


Referenzen
Wird zitiert von

AN 13b D 17.1237

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.