Bundessozialgericht, Urteil vom 26.11.2020, Az. B 14 AS 13/19 R

14. Senat | REWIS RS 2020, 2610

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Versagungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung - Überprüfung der Erwerbsfähigkeit im Verfahren nach § 44a SGB 2 - Nichterteilung einer Schweigepflichtsentbindung zur Weiterleitung des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes der BA an den Rentenversicherungsträger zur Erstellung der gutachterlichen Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit - erhebliche Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung - Kausalität)


Leitsatz

Aus dem Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und hilfebedürftiger Person ergeben sich auch Mitwirkungsobliegenheiten ihrerseits gegenüber dem Rentenversicherungsträger im Hinblick auf die von diesem abzugebende gutachterliche Stellungnahme zu ihrer Erwerbsfähigkeit.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden der Beschluss des [X.] vom 2. Mai 2018, das Urteil des [X.] vom 25. Februar 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 24. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2014 aufgehoben.

Der Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits für alle drei Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] steht die Versagung von Leistungen nach dem [X.] gegenüber der Klägerin seitens des beklagten Jobcenters für Februar bis Juli 2014 wegen ihrer fehlenden Mitwirkung an der Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit.

2

Die 1983 geborene Klägerin stand seit 2005 im Leistungsbezug nach dem [X.]. Der Ärztliche Dienst der [X.] verneinte nach beigezogenen ärztlichen Unterlagen im Teil [X.] eines Gutachtens nach Aktenlage vom [X.] ein ausreichendes Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt; es bestehe eine Ernährungsproblematik und es sei von einer psychischen Problematik auszugehen. Nach Widerspruch des Sozialhilfeträgers vom 12.12.2011 gegen diese [X.]eurteilung wurde die [X.] um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten (Schreiben vom 28.11.2012), wofür diese die vollständige Vorlage des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes als notwendig ansah. Die Klägerin übersandte ein Attest ihres Hausarztes und Unterlagen des [X.], stimmte aber einer [X.]eiziehung des vollständigen Gutachtens des Ärztlichen Dienstes nicht zu, weil das Gutachten falsch und ohne ihr Wissen erstellt worden sei.

3

Nach Eingang des Weiterbewilligungsantrags der Klägerin vom Februar 2014 forderte der [X.]eklagte sie - wie bereits zuvor mehrfach - unter Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung auf, in die Übermittlung des vollständigen Gutachtens einzuwilligen (Schreiben vom 20.3.2014) und versagte nach fruchtlosem Fristablauf die Leistungen - wie für vorangegangene [X.]ewilligungszeiträume - ab dem [X.] ganz ([X.]escheid vom 24.4.2014; Widerspruchsbescheid vom 23.5.2014).

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.2.2016), das L[X.] hat die [X.]erufung der Klägerin zurückgewiesen ([X.]eschluss vom [X.]): Die Voraussetzungen für eine Leistungsversagung seien gegeben. Die Klägerin sei der Aufforderung zur Weitergabe der erforderlichen Unterlagen nicht nachgekommen. Ohne Sanktionierung dessen hätte sie einen zeitlich unbegrenzten Anspruch nach § 44a Abs 1 Satz 7 [X.]. Auf die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung sei sie hingewiesen worden. Für krankheitsbedingte [X.] bestünden keine Anhaltspunkte.

5

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin ua die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des § 67 [X.][X.] X sowie von §§ 66, 60 [X.][X.] I. Das Gutachten des Ärztlichen Dienstes sei auf [X.]efundberichte gestützt, die ohne ihre Zustimmung aufgrund von Schweigepflichtentbindungserklärungen ihres damaligen [X.]etreuers beigezogen worden seien. Diese habe er nicht wirksam abgeben können, was die Unverwertbarkeit des Gutachtens zur Folge habe und dem Mitwirkungsverlangen, auf das sich die Versagungsentscheidung stütze, die Grundlage entziehe.

6

Die Klägerin beantragt,
den [X.]eschluss des Landessozialgerichts [X.]aden-Württemberg vom 2. Mai 2018, das Urteil des [X.] vom 25. Februar 2016 und den [X.]escheid des [X.]eklagten vom 24. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2014 aufzuheben.

7

Der [X.]eklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 [X.]G). Der [X.]eschluss des [X.] und das Urteil des [X.], die den [X.]escheid des beklagten [X.] als rechtmäßig angesehen haben, sind ebenso wie der [X.]escheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben. Denn die Voraussetzungen für eine Versagung der Leistungen nach § 66 [X.][X.] I lagen gegenüber der [X.]lägerin nicht vor.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der [X.]escheid vom 24.4.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.5.2014, durch den der [X.] die Gewährung von Leistungen nach dem [X.][X.] II mit Wirkung ab dem [X.] vollständig versagt hat, im Hinblick auf den für den Zeitraum ab dem [X.] gestellten Weiterbewilligungsantrag zeitlich begrenzt bis zum 31.7.2014 (vgl zur zeitlichen [X.]egrenzung des [X.] allgemein [X.][X.] vom [X.] AS 16/16 R - [X.][X.]E 123, 188 = [X.]-4200 § 9 [X.], Rd[X.]3 mwN; zur den streitigen Zeitraum begrenzenden Wirkung eines neuen Leistungsantrags [X.][X.] vom [X.] - [X.] 4 [X.]/11 R - [X.]-4200 § 12 [X.] Rd[X.]1).

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere hat sich das Verfahren nicht erledigt durch den Vergleich in dem Verfahren - L 12 AS 5185/13 - der [X.]eteiligten vor dem [X.], weil dieser keine endgültige Regelung enthielt, sondern wegen der Übermittlung des Gutachtens ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Einverständniserklärung der [X.]lägerin stand, weshalb ihre [X.]obliegenheit durch den Vergleich selbst nicht anerkannt ist und er dem [X.]lagebegehren nicht entgegensteht. Dieses verfolgt die [X.]lägerin im Revisionsverfahren zutreffend nur noch mit der (isolierten) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 [X.]G; vgl nur [X.][X.] vom 19.9.2008 - [X.] [X.]/07 R - [X.][X.]E 101, 260 = [X.]-1200 § 60 [X.], Rd[X.]2).

3. Rechtsgrundlage des umstrittenen [X.] ist § 66 Abs 1 Satz 1, Abs 3 [X.][X.] I in der Fassung, die das [X.][X.] I zuletzt durch das [X.] vom 19.10.2013 ([X.] 3836) erhalten hatte (Geltungszeitraumprinzip, vgl [X.][X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.]-4200 § 11 [X.] Rd[X.]4 f). § 66 Abs 1 Satz 1 [X.][X.] I lautet: "[X.]ommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen [X.]pflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 ([X.][X.] I) nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind." Leistungen können danach ua versagt werden, wenn Antragsteller dem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nicht nachkommen, der Vorlage von [X.] zuzustimmen (§ 60 Abs 1 Satz 1 [X.] 3 [X.][X.] I), soweit nicht Grenzen der Mitwirkung überschritten sind (§ 65 [X.][X.] I).

Aufgrund des Fehlens einer abweichenden Regelung (vgl § 37 [X.][X.] I) gelten diese Vorschriften auch für das Verfahren zur Feststellung von Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 bis 3 [X.][X.] II, wenn begründete Zweifel an der Erwerbsfähigkeit der hilfebedürftigen Person ohne deren Mitwirkung nicht auszuräumen sind. Dem steht die Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs 1 Satz 7 [X.][X.] II, wonach Leistungen nach dem [X.][X.] II bei Erfüllung der übrigen Leistungsvoraussetzungen bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu erbringen sind, nicht entgegen. Die Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung an der Aufklärung der Erwerbsfähigkeit ist von der materiellen Ablehnung von Leistungen zu unterscheiden, weil bei nachgeholter Mitwirkung die Leistungen nachgezahlt werden können (§ 67 [X.][X.] I; vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.][X.] I, 5. Aufl 2019, Rd[X.]8; Spellbrink in [X.] Sozialversicherungsrecht, § 66 [X.][X.] I Rd[X.] 31, Stand der Einzelkommentierung 8/2019). § 44a Abs 1 Satz 7 [X.][X.] II soll verhindern, dass Leistungsempfänger "zwischen zwei Stühlen sitzen", bis ihre Erwerbsfähigkeit geklärt ist, und einen Zuständigkeitsstreit zu Lasten des Leistungsempfängers vermeiden ([X.][X.] vom 7.11.2006 - [X.] 7b [X.]/06 R - [X.][X.]E 97, 231 = [X.]-4200 § 22 [X.], Rd[X.]9 f). Die Norm soll jedoch nicht die Erforderlichkeit von Ermittlungen, die Erheblichkeit von [X.]eweismitteln und die [X.] hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit aufheben.

4. Von den "strengen" (so die [X.]egründung des Gesetzentwurfs in [X.]T-Drucks 7/868 S 34) Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines [X.] nach § 66 Abs 1 Satz 1 [X.][X.] I ist zumindest die "erhebliche Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts" durch das Nichtmitwirken der [X.]lägerin, indem sie die [X.] zur vollständigen Vorlage des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes vom [X.] nicht abgab, nach den Feststellungen des [X.] nicht erfüllt.

Dass ein Nichtmitwirken der antragstellenden Person - und sei es nur hinsichtlich bestimmter Angaben oder Unterlagen - oftmals zu einer Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung führt, liegt auf der Hand. Dies verhindern sollen die [X.] in §§ 60 ff [X.][X.] I und die Pflicht der [X.]eteiligten in § 21 Abs 2 [X.][X.] X, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl zum grundsätzlichen [X.]estehen von [X.]"pflichten" nach §§ 60 ff [X.][X.] I, die keine Pflichten im klassischen Sinne, sondern nur Obliegenheiten sind, und den Ermittlungsbefugnissen der Leistungsträger [X.][X.] vom 17.2.2004 - [X.] 1 [X.]R 4/02 R - [X.]-1200 § 66 [X.] Rd[X.]3; zum [X.][X.] II [X.][X.] vom 19.9.2008 - [X.] [X.]/07 R - [X.][X.]E 101, 260 = [X.]-1200 § 60 [X.], Rd[X.]3 ff).

Die Nichterfüllung von [X.] allein rechtfertigt die sich aus § 66 [X.][X.] I ergebende Rechtsfolge "Versagung" nicht, vielmehr muss "hierdurch" die Aufklärung des Sachverhalts "erheblich" erschwert werden, wie dem Wortlaut dessen Abs 1 Satz 1 klar zu entnehmen ist. Erforderlich sind eine [X.]ausalität (vgl dazu schon die [X.]egründung des Gesetzentwurfs in [X.]T-Drucks 7/868 S 34; [X.] vom 17.1.1985 - 5 C 133/81 - [X.]E 71, 8, juris-Rd[X.]3; [X.][X.] vom 10.7.1986 - 11a RLw 3/85 - [X.] 5850 § 7 [X.] juris-Rd[X.]3) und ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen unterlassener Mitwirkung und den Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung (vgl zu einer Verzögerung seitens des [X.]lägers [X.][X.] vom 26.5.1983 - 10 [X.] 13/82 - [X.] 1200 § 66 [X.]0 juris-Rd[X.]3). Zudem muss die Erschwerung erheblich sein, was insbesondere gegeben ist, wenn der Leistungsträger den Sachverhalt ohne die [X.]handlung nur mit beträchtlichem zusätzlichen Verwaltungsaufwand an Zeit und/oder [X.]osten aufklären kann. Maßgeblich dafür sind die jeweilige Fallgestaltung und Umstände des Einzelfalls. Führt eine Verletzung der [X.]obliegenheit nicht zu einer erheblichen Erschwerung der Aufklärung, bleibt sie ohne [X.]onsequenzen (vgl zu alledem [X.] in [X.]/[X.], [X.][X.] I, 5. Aufl 2019, § 66 Rd[X.] f; Sichert in [X.]/[X.], [X.][X.] I, § 66 Rd[X.]3, Stand der Einzelkommentierung 11/2011; Spellbrink in [X.] Sozialversicherungsrecht, § 66 [X.][X.] I Rd[X.]4, Stand der Einzelkommentierung 8/2019; [X.] in jurisP[X.]-[X.][X.] I, 3 Aufl 2018, § 66 Rd[X.] 34, 37, Stand der Einzelkommentierung 30.10.2020). Eine erhebliche Erschwerung liegt zudem vor, wenn die Aufklärung des Sachverhalts durch die fehlende Mitwirkung unmöglich gemacht wird ([X.]T-Drucks 7/868 S 34; [X.][X.] vom 22.2.1995 - 4 RA 44/94 - [X.][X.]E 76, 16 = [X.] 3-1200 § 66 [X.] 3, juris-Rd[X.] 30).

5. Zweck der strittigen [X.]obliegenheit der [X.]lägerin ist ein Verfahren zur Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 bis 3 [X.][X.] II in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung des [X.][X.] II vom 13.5.2011 ([X.] 850).

a) Diese Regelung beinhaltet einen Streitbeilegungsmechanismus für Fälle, in denen bei ungeklärter Erwerbsfähigkeit (§ 8 Abs 1 [X.][X.] II) Streit über die Leistungszuständigkeit zwischen Leistungsträgern besteht. [X.]is die Frage der Erwerbsfähigkeit im Verfahren nach § 44a Abs 1 ff [X.][X.] II verbindlich geklärt ist, hat das Jobcenter trotz Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit einer Person dieser aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs 1 Satz 7 [X.][X.] II Leistungen nach dem [X.][X.] II zu erbringen (vgl grundlegend [X.][X.] vom 7.11.2006 - [X.] 7b [X.]/06 R - [X.][X.]E 97, 231 = [X.]-4200 § 22 [X.], Rd[X.]9 f).

Zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen dieses Verfahrens formell zuständig ist auch im Streitfall die [X.] (§ 44a Abs 1 Satz 1 [X.][X.] II), die dabei jedoch an die von ihr einzuholende "gutachterliche Stellungnahme" des Rentenversicherungsträgers - ebenso wie andere Leistungsträger - gebunden ist (§ 44a Abs 1a Satz 2, Abs 2 Halbsatz 1 [X.][X.] II). Anlass zur [X.]efassung des Rentenversicherungsträgers gibt der "Widerspruch" ua des bei voller Erwerbsminderung zuständigen Trägers (§ 44a Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.][X.] II) gegen die von der [X.] - auf der ersten Stufe - zunächst in eigener Verantwortung getroffene feststellende "Entscheidung" nach § 44a Abs 1 Satz 1 [X.][X.] II. Darauf hat der Rentenversicherungsträger - auf der zweiten Stufe - gemäß § 109a Abs 3 [X.][X.] VI eine eigenständige Prüfung vorzunehmen und eine gutachterliche Stellungnahme dazu abzugeben, "ob hilfebedürftige Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig im Sinne des § 8 des [X.] sind" (Satz 1). Ergibt dies, "dass Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 2 Satz 2 [X.][X.] II sind, ist ergänzend zu prüfen, ob es unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann" (Satz 2).

Aus diesem gesetzlich vorgegebenen Verfahrensablauf folgt, dass weder die Feststellung der Erwerbsfähigkeit durch die [X.] nach § 44a Abs 1 Satz 1 [X.][X.] II noch die gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers ein eigenständiges, mit einem gesonderten Feststellungsbescheid abzuschließendes Feststellungsverfahren erfordern, sondern als Vorfragen im Zusammenhang mit der für den [X.]ewilligungsbescheid zu prüfenden Leistungsgewährung geregelt sind (vgl [X.] in LP[X.]-[X.][X.] II, 7. Aufl 2021, § 44a Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.], [X.][X.] II, [X.] § 44a Rd[X.] 44, Stand der Einzelkommentierung 4/2019).

b) Erfordert im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit der hilfebedürftigen Person die Ermittlung des Sachverhalts (§ 20 [X.][X.] X) deren Mitwirkung oder die [X.]eiziehung von [X.]ehandlungsunterlagen, richten sich das Verfahren und die Folgen der Verletzung von [X.] nach den insoweit für das [X.][X.] II allgemein geltenden Vorschriften der §§ 60 ff [X.][X.] I (vgl nur [X.][X.] vom 19.9.2008 - [X.] [X.]/07 R - [X.][X.]E 101, 260 = [X.]-1200 § 60 [X.], Rd[X.]4 f mwN). Werden hiernach rechtmäßig begründete [X.] verletzt, kann das eine Versagung von existenzsichernden Leistungen nach dem [X.][X.] II rechtfertigen (zur Anwendbarkeit des § 66 [X.][X.] I im Rahmen des [X.][X.] II vgl [X.][X.] vom 19.9.2008 - [X.] [X.]/07 R - [X.][X.]E 101, 260 = [X.]-1200 § 60 [X.], Rd[X.]4).

c) Diese Obliegenheiten und die Folgen ihrer Verletzung gelten uneingeschränkt auch dann, wenn die Feststellung nach § 44a Abs 1 [X.][X.] II in das Gutachtenverfahren beim Rentenversicherungsträger nach § 44a Abs 1 Satz 5 [X.][X.] II übergegangen ist. Insoweit begründet das Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und [X.] zugleich [X.] im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger, soweit die abzugebende gutachterliche Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit die [X.]eiziehung ärztlicher Unterlagen nach § 60 Abs 1 Satz 1 [X.] 3 [X.][X.] I oder ärztliche oder psychologische Untersuchungen gemäß § 62 [X.][X.] I erfordert. [X.]ommt die Person den erforderlichen [X.]handlungen nicht nach, erschwert das die Aufklärung des Sachverhalts (§ 66 Abs 1 Satz 1 [X.][X.] I) für die von der [X.] auf der Grundlage der Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers zu treffende Feststellung nach § 44a Abs 1 Satz 1 [X.][X.] II und damit die Entscheidung über den Leistungsanspruch der Person unter [X.]erücksichtigung der gutachterlichen Feststellung zu ihrer - aktuell bestehenden oder fehlenden - Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 1 [X.][X.] II.

Hinsichtlich welcher Angaben, Unterlagen oder Untersuchungen die Mitwirkung der hilfebedürftigen Person gefordert werden darf, ist anhand der §§ 60 ff [X.][X.] I zu entscheiden. Zur Einwilligung in die [X.]eiziehung ärztlicher Unterlagen oder zur Duldung einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung für die Zwecke des Feststellungsverfahrens nach § 44a Abs 1 [X.][X.] II darf eine hilfebedürftige Person nur aufgefordert werden, soweit Zweifel an ihrer Erwerbsfähigkeit anders nicht auszuräumen sind. Leistet eine hilfebedürftige Person einem grundsätzlich berechtigten [X.]verlangen zur [X.]lärung ihrer Erwerbsfähigkeit keine Folge, dürfen existenzsichernde Leistungen nicht versagt werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass ihr die [X.]handlung krankheitsbedingt unmöglich ist, was insbesondere bei "psychischen Problematiken", die das Gutachten des Ärztlichen Dienstes vorliegend anführt, der Fall sein kann. Der bloße Umstand, dass der Rentenversicherungsträger eine Unterlage als notwendig ansieht, begründet keine derartige [X.]obliegenheit oder gar Pflicht der hilfebedürftigen Person, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 60 ff [X.][X.] I nicht erfüllt sind.

d) Ein möglicher verwaltungsinterner [X.]onflikt zwischen Arbeitsagentur und Rentenversicherungsträger ist im Zweifel mit Hilfe der Aufsichtsbehörden zu klären, ein gerichtliches Verfahren - wie z[X.] bei einem Streit um die Hilfebedürftigkeit nach § 44a Abs 4 ff [X.][X.] II - sieht das Verfahren zur [X.]lärung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 ff [X.][X.] II zwischen beiden [X.]ehörden nicht vor. Eine gerichtliche Entscheidung in einem Rechtsstreit zwischen Jobcenter und leistungsberechtigter Person - wie vorliegend - über die [X.]obliegenheit der letzteren ist entsprechend dem Regelungskonzept des § 44a Abs 1 ff [X.][X.] II auch für den Rentenversicherungsträger bindend.

6. Die Voraussetzung "erhebliche Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts" für einen Versagungsbescheid nach § 66 Abs 1 Satz 1 [X.][X.] I ist vorliegend nicht erfüllt. Das [X.] hat sich zwar mit dieser Voraussetzung nicht beschäftigt und keine ausdrücklichen Ausführungen dazu gemacht, wieso die Nichterteilung der [X.] seitens der [X.]lägerin zur vollständigen Vorlage des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes vom [X.] zu einer erheblichen Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung bezogen auf die Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 ff [X.][X.] II geführt hat. Dennoch können dem ausführlichen [X.]eschluss des [X.] hinreichende Feststellungen entnommen werden, sodass diese Voraussetzung ohne weitere Feststellungen vorliegend zu verneinen ist.

Ausgehend von den dargestellten Maßstäben zur [X.]eurteilung dieser Voraussetzung (siehe oben 4.) kann eine Zeitverzögerung hinsichtlich des Verfahrens zur [X.]lärung der Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin aufgrund ihrer Nichtmitwirkung, die zu einer erheblichen Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung geführt hat, angesichts der behördlichen Arbeitsweisen und Zeitabläufe nicht angenommen werden (zur gesetzlich angeordneten zügigen Durchführung von Verwaltungsverfahren § 9 Satz 2 [X.][X.] X): Das strittige Gutachten des Ärztlichen Dienstes datiert vom [X.], das Schreiben des Sozialhilfeträgers, in dem dieser der [X.]eurteilung des Gutachtens widersprach, datiert vom 12.12.2011 und der Auftrag des [X.]n an den Rentenversicherungsträger vom 28.11.2012. Zwischen jedem der behördlichen Verfahrensschritte lag demgemäß circa ein Jahr, selbst wenn die Neuregelung des § 44b [X.][X.] II zum 1.1.2011 in den [X.]lick genommen wird. Erstmals mit Schreiben vom [X.] forderte der [X.] die [X.]lägerin auf, innerhalb von zwei Wochen die beigefügte Entbindungserklärung unterschrieben zurückzusenden.

Angesichts dieser langen Zeit von September 2010 bis zu dieser ersten Aufforderung vom [X.] an die [X.]lägerin und später bis zu der Aufforderung vom 20.3.2014, die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegt, ist nicht zu erkennen, dass das Gutachten vom [X.] für die im Februar/März 2013 oder gar die im März/April 2014 zu treffende [X.]eurteilung der Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin von erheblicher [X.]edeutung für die Aufklärung des Sachverhalts hätte sein können. Nach den vom [X.] festgestellten Aussagen in dem vorliegenden Teil [X.] des Gutachtens lag ein ausreichendes Leistungsvermögen der [X.]lägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vor; es handele sich um eine dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit, das Leistungsvermögen liege dauerhaft unter drei Stunden täglich, es liege eine Ernährungsproblematik vor, die bereits mehrfach zu schwerwiegenden lebensbedrohlichen [X.]omplikationen geführt habe, darüber hinaus sei von einer psychischen Problematik auszugehen.

Dass ein Zeitabstand von annähernd bzw über drei Jahren von [X.]edeutung bei der [X.]eurteilung der Erwerbsfähigkeit nach §§ 8, 44a Abs 1 ff [X.][X.] II, die mit der Erwerbsminderung nach § 43 [X.][X.] VI korrespondiert, ist, folgt aus § 102 Abs 2 [X.][X.] VI über die [X.]efristung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Wird die abzugebende gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers über die Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin nach § 44a Abs 1 [X.][X.] II mit der Entscheidung über das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 [X.][X.] VI verglichen, so wird vollends deutlich, dass für eine solche medizinische [X.]eurteilung im Februar/März 2013 oder März/April 2014 die Vorlage des vollständigen Gutachtens des Ärztlichen Dienstes vom [X.] zwar wünschenswert, aber keinesfalls streitentscheidend wäre. Zur [X.]lärung der medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente wird im Verwaltungsverfahren in aller Regel ein Gutachten nach körperlicher Untersuchung eingeholt und in einem sich bei einem ablehnenden [X.]escheid anschließenden Gerichtsverfahren in aller Regel ebenfalls zumindest ein Gutachten, ggf nach stationärer Untersuchung. Auch wenn ein Gutachten oder eine gutachterliche Stellungnahme nach Untersuchung eine Erschwerung gegenüber einem Gutachten nach Aktenlage darstellt, ist ein solches für eine realistische [X.]eurteilung des Leistungsvermögens gerade bei einem [X.]rankheitsbild mit einer "psychischen Problematik" oft unentbehrlich. Unterlagen, die wie vorliegend über zwei oder gar drei Jahre alt sind, sind in der Regel für die [X.]eurteilung der aktuellen Erwerbsfähigkeit ohne [X.]edeutung. Von daher erschließt es sich nicht, wieso für die Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin im März/April 2014, im vorliegend maßgeblichen Zeitraum, das Gutachten des Ärztlichen Dienstes vom [X.] überhaupt (noch) von derartigem Gewicht war, dass die Aufklärung des Sachverhalts hinsichtlich der abzugebenden gutachterlichen Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers von dessen vollständiger Vorlage abhing.

7. Ob der [X.] das vor einer Versagungsentscheidung auszuübende Ermessen (vgl zur Ermessensausübung allgemein nur [X.][X.] vom 29.4.2015 - [X.] AS 19/14 R - [X.][X.]E 119, 17 = [X.]-4200 § 31a [X.], Rd[X.] 35 ff) zutreffend ausgeübt hat, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Zweifel bestehen jedoch insbesondere im Hinblick auf die aufgezeigten zeitlichen Verzögerungen auf [X.]ehördenseite und das beharrliche Festhalten des [X.] an der vollständigen Vorlage eines bestimmten ärztlichen Gutachtens nach Aktenlage, dessen [X.]edeutung für die zu treffende Entscheidung Zweifeln unterliegt, während es zahlreiche Möglichkeiten gab und gibt, die entscheidende Frage durch andere [X.]eweiserhebungen zu klären, wie insbesondere eine gutachterliche Untersuchung der [X.]lägerin. Ebenfalls dahingestellt bleiben kann eine Entscheidung über die im Mittelpunkt der Revisionsbegründung stehenden Fragen zum Datenschutz (vgl dazu letztens [X.][X.] vom 14.5.2020 - [X.] [X.]/19 R - vorgesehen für [X.][X.]E und [X.]).

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 13/19 R

26.11.2020

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Heilbronn, 25. Februar 2016, Az: S 3 AS 2232/14, Urteil

§ 66 Abs 1 S 1 SGB 1, § 66 Abs 3 SGB 1, § 60 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 1, § 65 Abs 1 SGB 1, § 44a Abs 1 S 1 SGB 2, § 44a Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, § 44a Abs 1 S 4 SGB 2, § 44a Abs 1 S 5 SGB 2, § 44a Abs 1 S 7 SGB 2, § 44a Abs 2 SGB 2, § 109a Abs 3 SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.11.2020, Az. B 14 AS 13/19 R (REWIS RS 2020, 2610)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2610

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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