Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2019, Az. 10 AZR 531/18

10. Senat | REWIS RS 2019, 3318

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Gegenstand

Beitragspflichten zu dem Sozialkassensystem der Bauwirtschaft - Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. August 2018 - 18 [X.] 1425/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Beiträge nach den Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ([X.]) vom 20. Dezember 1999 in der Fassung vom 5. Dezember 2007 ([X.] 2007 II) und vom 18. Dezember 2009 ([X.] 2009).

2

Der Kläger ist die Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft, eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den [X.] verpflichtet. Der Kläger begehrt von der Beklagten auf der Grundlage des [X.] 2007 II und des [X.] 2009 zuletzt noch die Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer für die Monate Oktober und November 2008, Januar bis April 2009 und Juni 2010 bis Mai 2011. Der Senat hat mit Beschluss vom 21. September 2016 festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen des [X.] 2007 II und des [X.] 2009 unwirksam sind (- 10 ABR 33/15 - [X.] 156, 213).

3

Die Beklagte gehört keinem der tarifvertragsschließenden Verbände an. Sie unterhält im Ostteil des [X.] einen Stahlbiege- und -flechtbetrieb zur Erbringung von Armierungsarbeiten. Das [X.]) hat ihren früheren Geschäftsführer im Jahr 2015 rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Er hat seinen Arbeitnehmern im Streitzeitraum Nettovergütungen in Höhe von insgesamt 714.879,79 [X.] gezahlt und den zuständigen Einzugsstellen die Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten.

4

Der Kläger hat die Beklagte für verpflichtet gehalten, an ihn die auf die Nettolöhne entfallenden Sozialkassenbeiträge in - rechnerisch nicht umstrittener - Höhe von 119.039,51 [X.] zu zahlen. Die Beklagte schulde die Beiträge aufgrund von § 7 Abs. 7 und Abs. 8 SokaSiG.

5

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 119.039,51 [X.] zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung verletzt § 7 SokaSiG das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden. Zudem verstoße die Norm gegen Art. 9 Abs. 3 GG.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage, mit der ursprünglich auf der Grundlage der hochgerechneten Bruttolöhne ermittelte Beiträge für einen längeren Zeitraum geltend gemacht worden waren, mit Versäumnisurteil vom 17. März 2016 stattgegeben. Nach Rücknahme der Klage hinsichtlich der im Revisionsverfahren nicht mehr erheblichen Zeiträume hat es das Versäumnisurteil in Höhe von 184.725,38 [X.] aufrechterhalten. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das Versäumnisurteil - unter Abweisung der weiter gehenden Klage - insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger mehr als die auf der Grundlage der Nettolöhne ermittelten Beiträge von 119.039,51 [X.] zu zahlen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die weiter gehende Berufung der [X.] zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist, soweit sie Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, zulässig und begründet.

9

I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Antrag hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

1. Der Kläger hat schriftsätzlich vorgetragen, für welche Kalendermonate er welche Beiträge verlangt. Er hat für jeden Kalendermonat gesondert die Summe der Nettolöhne, den jeweils maßgeblichen tariflichen Beitragssatz für gewerbliche Arbeitnehmer und den sich daraus ergebenden Beitragsanspruch dargelegt. Die Summe der [X.] entspricht der Klageforderung. Damit sind die Angaben zu Gegenstand und Grund des erhobenen Anspruchs so bestimmt, dass der Umfang der Rechtskraft des Urteils nach § 322 Abs. 1 ZPO ermittelt werden kann.

2. Der Kläger hat die zulässige Klage nicht geändert, indem er die Beitragsforderungen zunächst allein auf die Allgemeinverbindlicherklärungen des [X.] 2007 II sowie des [X.] 2009 und später auch auf § 7 [X.] gestützt hat. [X.] aus den [X.], für deren Geltungserstreckung sowohl eine Allgemeinverbindlicherklärung als auch § 7 [X.] in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst ([X.] 28. August 2019 - 10 [X.] - Rn. 16 [X.]).

II. Die Klage ist begründet.

1. Der Kläger hat Anspruch auf die geltend gemachten Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer aus § 7 Abs. 7 und Abs. 8 iVm. den Anlagen 32 und 33 [X.] Die Anlagen 32 und 33 enthalten den vollständigen Text der [X.] in den im Streitzeitraum geltenden Fassungen (vgl. den Anlageband zum [X.]. I Nr. 29 vom 24. Mai 2017 S. 337 bis 365). Die Beitragspflicht der [X.] folgt für die [X.]räume vom 1. Oktober bis 30. November 2008 und vom 1. Januar bis 30. April 2009 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. V Nr. 30, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2007 II. Für die [X.] vom 1. Juni 2010 bis 31. Mai 2011 ergibt sich die Beitragspflicht der [X.] aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. V Nr. 30, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2009. Die Voraussetzungen für eine Beitragspflicht der [X.] nach den inhaltlich deckungsgleichen Bestimmungen der beiden [X.] sind erfüllt.

a) Der im Ostteil des [X.] gelegene Betrieb der [X.] unterfällt nach § 1 Abs. 1 der [X.] ihrem räumlichen Geltungsbereich. Die bei der [X.] beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer werden nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der [X.] von ihrem persönlichen Geltungsbereich erfasst.

b) Der betriebliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 30 der [X.] eröffnet. Danach unterfallen Stahlbiege- und -flechtarbeiten den [X.], soweit sie zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebs ausgeführt werden. Nach den Feststellungen des [X.]s hat die Beklagte im Streitzeitraum Stahlbiege- und -flechtarbeiten ausgeführt, um durch ihren Betrieb Armierungsarbeiten zu erbringen. Armierungsarbeiten sind bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 5 der [X.].

c) Der vom Kläger für die einzelnen Kalendermonate jeweils in Ansatz gebrachte Beitragssatz entspricht den tariflichen Bestimmungen (vgl. § 22 Abs.1 Satz 1 [X.] 2007 II und § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2009). In Bezug auf die vom [X.] festgestellte Höhe der monatlichen [X.] hat die Beklagte keine [X.] erhoben.

2. Gegen die Geltungserstreckung der [X.] auf die nicht originär tarifgebundene Beklagte durch § 7 Abs. 7 und Abs. 8 [X.] bestehen aus Sicht des Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken ([X.] 24. September 2019 - 10 [X.] - Rn. 20 ff.; 28. August 2019 - 10 [X.] - Rn. 84 ff.; 28. August 2019 - 10 [X.] - Rn. 23 ff.; 3. Juli 2019 - 10 [X.] - Rn. 39 ff.; 3. Juli 2019 - 10 [X.] - Rn. 81 ff.; 8. Mai 2019 - 10 [X.] - Rn. 29 ff.; 27. März 2019 - 10 [X.] - Rn. 32 ff.; 20. November 2018 - 10 [X.] - Rn. 42 ff., [X.]E 164, 201).

a) § 7 [X.] ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar ([X.] 24. September 2019 - 10 [X.] - Rn. 21 [X.]). Etwaige Eingriffe in die Tarifautonomie wären jedenfalls gerechtfertigt. Sie erwiesen sich als verhältnismäßig. Dem Gesetzgeber steht ein Prognose- und Beurteilungsspielraum zu. Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit den Erwägungen, die dem [X.] zugrunde liegen, den ihm eröffneten Spielraum nicht überschritten ([X.] 3. Juli 2019 - 10 [X.] - Rn. 41 [X.]).

b) § 7 [X.] verletzt nach Auffassung des Senats nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden ([X.] 24. September 2019 - 10 [X.] - Rn. 23 ff. [X.]). Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärungen durch eine gesetzliche Regelung sei nicht vorhersehbar gewesen. Dem Gesetzgeber steht die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 [X.] geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei. Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Ein Vertrauen darauf, nur aufgrund einer wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung in Anspruch genommen zu werden, ist daher nicht schutzwürdig ([X.] 3. Juli 2019 - 10 [X.] - Rn. 47 [X.]).

c) § 7 [X.] „kassiert“ nicht unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte - letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit - statt anfechtbaren Rechts [X.] Recht gesetzt werden. Dies hält der Senat für verfassungsrechtlich zulässig ([X.] 3. Juli 2019 - 10 [X.] - Rn. 48 [X.]).

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Gallner    

        

    Pulz    

        

    Brune    

        

        

        

    Petri    

        

    Schurkus    

                 

Meta

10 AZR 531/18

24.09.2019

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 17. März 2016, Az: 62 Ca 61164/15, Versäumnisurteil

§ 7 Abs 7 SokaSiG, § 7 Abs 8 SokaSiG, Anl 32 SokaSiG, Anl 33 SokaSiG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 9 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2019, Az. 10 AZR 531/18 (REWIS RS 2019, 3318)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3318

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