Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.11.2021, Az. 9 B 7/21

9. Senat | REWIS RS 2021, 772

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erschließungsbeitragsrecht in Bayern; Ersetzung fortgeltenden Bundesrechts


Leitsatz

Die nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fortgeltenden Regelungen der §§ 127 bis 135 BauGB zum Erschließungsbeitrag sind in Bayern spätestens durch Art. 5a des bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 8. März 2016 (GVBl S. 36) gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt worden.

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 14. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 24 708,50 € festgesetzt.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

2

Die Revision ist nicht, wie die Beklagte allein geltend macht, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

3

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

4

Die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen,

wie der Verlauf einer Hauptstraße erschließungsbeitragsrechtlich beim Zusammentreffen mehrerer gemeindlicher Erschließungsanlagen zu bewerten ist,

ob der Verlauf zwingend so zu bewerten ist, dass die abknickende Straße als Nebenstraße bewertet wird, und

nach welchen Kriterien festzulegen ist, ob einer Erschließungsstraße die Funktion einer Verlängerung der Hauptstraße zukommt oder sie zwingend als von der Hauptstraße abzweigende Nebenstraße zu bewerten ist,

betreffen mit Art. 5a Abs. 1 und 2 Nr. 1 und Abs. 9 des [X.] ([X.]) in der Fassung des Gesetzes vom 8. März 2016 ([X.] 36 - [X.] 2016 -) in Verbindung mit § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB die Auslegung und Anwendung nicht revisiblen Landesrechts.

5

Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG in der Fassung des [X.] ([X.]) erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des [X.] nicht mehr auf das [X.], das daher nach Art. 70 Abs. 1 GG in die alleinige Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt. Zwar gelten die erschließungsbeitragsrechtlichen Bestimmungen der §§ 127 bis 135 BauGB, die nicht mehr als [X.]recht erlassen werden könnten, nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als [X.]recht fort. Sie können aber nach Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden. Nach der Rechtsprechung des [X.] hat der [X.] Landesgesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die §§ 127 bis 135 BauGB durch Art. 5a [X.] ersetzt und - soweit sie entsprechend anwendbar bleiben - in Landesrecht überführt (stRspr, vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 19. April 2002 - 6 B 00.755 - juris Rn. 2 f., vom 26. April 2002 - 6 [X.] - BayVBl 2003, 21, vom 9. August 2016 - 6 CS 16.1032 - juris Rn. 12 und vom 25. März 2019 - 6 [X.] 18.1416 - juris Rn. 18). An diese Auslegung des Landesrechts ist das [X.]verwaltungsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 560 ZPO gebunden (BVerwG, Beschluss vom 9. August 2013 - 9 B 31.13 - juris Rn. 2).

6

Sie steht auch mit Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG im Einklang. Diese Regelung ermächtigt die Länder, das nach Wegfall der Gesetzgebungskompetenz des [X.] als [X.]recht fortbestehende Recht durch Landesrecht zu ersetzen. Nach der Rechtsprechung des [X.]verfassungsgerichts ist es den Ländern aber verwehrt, bei Fortbestand der bundesrechtlichen Regelung einzelne Vorschriften zu ändern. Denn die andernfalls entstehende Mischlage aus [X.]- und Landesrecht für ein und denselben Regelungsgegenstand im selben Anwendungsbereich wäre im bestehenden System der Gesetzgebung ein Fremdkörper. Eine Ersetzung des [X.]rechts erfordert vielmehr, dass der Landesgesetzgeber die Materie, gegebenenfalls auch nur einen abgegrenzten Teilbereich, in eigener Verantwortung regelt. Dabei ist er nicht gehindert, ein mit dem bisherigen [X.]recht weitgehend gleichlautendes Landesrecht zu erlassen ([X.], [X.] vom 7. Oktober 2015 - 2 BvR 568/15 - juris Rn. 11 unter Bezugnahme auf [X.], Urteil vom 9. Juni 2004 - 1 BvR 636/02 - [X.]E 111, 10 <29 f.>). Erforderlich ist insoweit ein eindeutig bekundeter [X.], der nach außen deutlich macht, dass es sich bei den bisher als [X.]recht fortgeltenden Bestimmungen künftig um Landesrecht handeln soll (BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2017 - 9 [X.] - [X.] 406.11 § 128 BauGB Nr. 56 Rn. 4).

7

Dies zugrunde gelegt, geht der Verwaltungsgerichtshof im Einklang mit Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG davon aus, dass der [X.] Landesgesetzgeber die bundesrechtlichen Regelungen der §§ 127 bis 135 BauGB durch Landesrecht ersetzt hat. Soweit das [X.]verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 9. August 2013 - 9 B 31.13 - (juris Rn. 3) Zweifel daran geäußert haben sollte, ob Art. 5a [X.] in der Fassung der Gesetze vom 27. Dezember 1996 ([X.] 541) und vom 25. Juli 2002 ([X.] 322) die Anforderungen erfüllte, die an ein die §§ 127 bis 135 BauGB ersetzendes Landesgesetz von Verfassungs wegen zu stellen sind (vgl. dazu [X.]/[X.], Das [X.] in Theorie und Praxis, Stand April 2021, Rn. 8; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], BauGB, Stand Mai 2021, vor §§ 127 ff. Rn. 3), bestehen solche Zweifel für den hier einschlägigen Art. 5a [X.] 2016 nicht, so dass die §§ 127 bis 135 BauGB spätestens mit dessen Inkrafttreten durch Landesrecht ersetzt worden sind.

8

Der [X.] Landesgesetzgeber hat das [X.] durch Art. 5a [X.] 2016 vollständig in eigener Verantwortung geregelt. Bereits nach dem Wortlaut von Art. 5a Abs. 1 [X.] 2016, wonach die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die in Art. 5a Abs. 2 [X.] 2016 genannten Erschließungsanlagen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und damit der übrigen Absätze der Regelung Erschließungsbeiträge erheben, enthält Art. 5a [X.] 2016 eine abschließende Regelung des [X.]s. Dass eine solche, das fortgeltende [X.]recht ersetzende landesrechtliche Regelung bezweckt ist, betont die Gesetzesbegründung ausdrücklich ([X.]. 17/8225 S. 17). Es wird darüber hinaus nach außen daran deutlich, dass in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] in der Fassung des Gesetzes vom 8. März 2016 ([X.] 36) als Grundlage für die Erhebung von [X.] nicht mehr das Baugesetzbuch, sondern Art. 5a [X.] genannt wird und dass die zur Anwendung kommenden erschließungsbeitragsrechtlichen Regelungen des Baugesetzbuchs nach Art. 5a Abs. 9 [X.] 2016 ausdrücklich nur noch entsprechend gelten.

9

Der Ersetzung des [X.]rechts steht auch nicht entgegen, dass der Wortlaut der zu übernehmenden Regelungen des Baugesetzbuchs in Art. 5a [X.] 2016 nicht wiedergegeben wird, sondern diese Vorschriften stattdessen durch Art. 5a Abs. 9 [X.] 2016 für entsprechend anwendbar erklärt werden (a.[X.], NVwZ 2016, 1290 <1293>). Der Landesgesetzgeber ist, wie ausgeführt, nicht gehindert, im Rahmen der Ersetzung des [X.]rechts ein mit dem bisherigen [X.]recht weitgehend gleichlautendes Landesrecht zu erlassen ([X.], [X.] vom 7. Oktober 2015 - 2 BvR 568/15 - juris Rn. 11). Ob dies durch die Aufnahme der mit bisherigem [X.]recht übereinstimmenden Regelungen in den Gesetzestext oder durch eine Verweisung auf die betreffenden bundesrechtlichen Vorschriften geschieht, ist lediglich eine Frage der Gesetzgebungstechnik.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Meta

9 B 7/21

29.11.2021

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 14. Dezember 2020, Az: 6 B 20.1619, Beschluss

§ 130 Abs 2 BauGB, Art 125a Abs 1 S 1 GG, Art 125a Abs 1 S 2 GG, Art 5a KAG BY

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.11.2021, Az. 9 B 7/21 (REWIS RS 2021, 772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 772

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 B 31/13 (Bundesverwaltungsgericht)

Grunderwerb als Herstellungsmerkmal; Erschließungsbeitragssatzung


9 B 61/16 (Bundesverwaltungsgericht)

Erschließungsaufwand: Wert von der Gemeinde bereitgestellter Flächen; Ersetzung von Bundesrecht durch Landesrecht


8 B 39/18 (Bundesverwaltungsgericht)

Niedersächsischer Erlaubnisvorbehalt für den Betrieb von Spielhallen mit Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG …


8 B 41/18 (Bundesverwaltungsgericht)


8 B 40/18 (Bundesverwaltungsgericht)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvR 568/15

1 BvR 636/02

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.