Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2003, Az. 1 StR 481/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2003, 692

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[X.]/03vom18. November 2003in der Strafsachegegenwegen Mordes- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 18. November 2003 be-schlossen:Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 15. Mai 2003 wird verworfen.Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendi-gen Auslagen zu tragen.Gründe:[X.] Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger [X.]. Er hatte seine Freundin am 24. April 2002 erwürgt, um sie zu —be-strafenfi, weil —sie sich seinem Willen widersetztefi. Er hatte, wie mehrere [X.] bestätigt haben, schon länger angekündigt, sie —im Streitfi zu erwürgen undnach der Strafe für eine —[X.] gefragt, wie er sie nach der [X.] vergeblich vorzutäuschen versuchte.Seine auf Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrügegestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).- 3 -II.Mit den Verfahrensrügen macht die Revision Rechtsverletzungen [X.] mit der Verteidigung des Angeklagten geltend, insbesonderehätte der bestellte Verteidiger Rechtsanwalt [X.]von diesem [X.] an seiner Stelle Rechtsanwalt [X.]bestellt werden müssen.1. Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:Am 14. Mai 2002 legte Rechtsanwalt [X.]gegenüber der [X.] eine Vollmacht des Angeklagten vor und beantragte, Pflichtver-teidiger zu werden. Der Angeklagte (der nicht arbeitete) könne keinen [X.] bezahlen. Diesem Antrag kam der Vorsitzende am 16. Mai 2002 nach.Am gleichen Tag zeigten unabhängig voneinander die Rechtsanwälte [X.]und [X.]gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Vollmachten die Verteidi-gung des Angeklagten an.Am 29. Januar 2003 wurden alle drei Verteidiger zu der für vier Tagegeplanten Hauptverhandlung im Mai 2003 geladen. Rechtsanwalt [X.] ist,ohne dies zuvor mitzuteilen, nicht erschienen und hat sich auch sonst nichterkennbar am Verfahren beteiligt. Rechtsanwalt [X.] ließ dem [X.] fernmündlich mitteilen, er werde an der Hauptverhandlungnicht teilnehmen. Rechtsanwalt [X.]teilte mit Schreiben vom 11. März 2003mit, er sei an den beiden ersten Verhandlungstagen wegen unaufschiebbareranderer Hauptverhandlungen verhindert. Er schlage für diese Tage (seinenSozius) Rechtsanwalt [X.] ausweislich des [X.] ebenso wie er Fach-anwalt für Strafrecht [X.] als Verteidiger vor. Rechtsanwalt [X.]sei hierzu [X.] -Am ersten Hauptverhandlungstag am 5. Mai 2003 beantragte Rechtsan-walt [X.]sofort seine Beiordnung; daraufhin bestellte der Vorsitzende ihn anStelle von Rechtsanwalt [X.]zum Pflichtverteidiger. Sodann verlas der [X.] einen vorformulierten Antrag, ihm an Stelle von Rechtsanwalt [X.]Rechtsanwalt [X.]beizuordnen. Er habe kein Vertrauen mehr zu Rechts-anwalt [X.], weil nicht er, sondern Rechtsanwalt [X.]erschienen sei. [X.] ihn Rechtsanwalt [X.]nicht selbst unterrichtet, sondern er habe es [X.] 29. April 2003 bei einem Besuch von Rechtsanwalt [X.]im Gefängnis er-fahren. Bei diesem einzigen Besuch durch Rechtsanwalt [X.]habe seine [X.] nicht ordnungsgemäß besprochen werden können, so daß er zu [X.] kein Vertrauen habe. Vertrauen habe er zu Rechtsanwalt [X.], mitdem er in ständigem Kontakt stehe, allerdings könne er ihn nicht bezahlen.Daraufhin hob der Vorsitzende die Entpflichtung von Rechtsanwalt[X.] auf, da sie auf der unzutreffenden Annahme beruht habe, der [X.] sei mit einer Verteidigung durch Rechtsanwalt [X.]einverstanden.Zu sonstigem [X.] kam es an diesem Tag nicht.Am nächsten Verhandlungstag erschien Rechtsanwalt [X.]. Der [X.] hielt den Antrag auf dessen Entpflichtung aufrecht, dieser gab eine Er-klärung ab. Auch wenn sich dies [X.] ebenso wie der Inhalt der Erklärung vonRechtsanwalt [X.]- nicht aus dem Protokoll ergibt, hat der Angeklagte offen-bar inhaltlich ergänzend vorgetragen. Jedenfalls lehnte die Schwurgerichts-kammer den Antrag ab und führte dabei aus, der Angeklagte behaupte,Rechtsanwalt [X.]habe ihn —nur 2 oder 3 [X.] besucht. Rechtsanwalt [X.]- 5 -habe demgegenüber genaue Termine genannt, an denen sich der [X.] habe, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen.Sodann wurde die Hauptverhandlung mit Rechtsanwalt [X.]als [X.] durchgeführt.2. Dieser Verfahrensgang gefährdet den Bestand des Urteils nicht.a) Allerdings haben etwa gleichzeitig mit der Bestellung des vom [X.]n bevollmächtigten Rechtsanwalts [X.]noch weitere Verteidiger [X.] Angeklagten vorgelegt; deshalb war die Bestellung von Rechtsan-walt [X.]aber nicht gemäß § 143 StPO rückgängig zu machen. Angesichts [X.] des Angeklagten war ohne weiteres absehbar, dassauch andere Verteidiger (ebenso wie Rechtsanwalt [X.]) ihr [X.] nie-derlegen und ihre Beiordnung beantragen würden (vgl. [X.], 207, 208; [X.] in [X.]. § 143 Rdn. 3 m. [X.]).b) Bei den Entscheidungen vom ersten Verhandlungstag handelt es [X.] Hinblick auf das Schreiben von Rechtsanwalt [X.]vom 11. März 2003 [X.] um eine Vertreterbestellung für den vorübergehend verhindertenRechtsanwalt [X.](vgl. [X.], 46. Aufl. § 142 Rdn. 15 m. [X.])und um deren Rücknahme. Nachdem der Angeklagte im Ergebnis zu keinemZeitpunkt von Rechtsanwalt [X.]verteidigt worden ist, kann das auf Rechtsan-walt [X.]und seine Bestellung bezogene Vorbringen auf sich beruhen.c) Die Entscheidung vom zweiten Verhandlungstag, Rechtsanwalt [X.]nicht als Verteidiger zu entpflichten, hält rechtlicher Überprüfung stand.- 6 -aa) Allerdings hat entgegen § 141 Abs. 4 StPO die gesamte [X.] und nicht allein der Vorsitzende entschieden. Ohne dass es [X.] ankäme, hält dies der [X.] angesichts der Bedeutung einer ord-nungsgemäßen Verteidigung für unschädlich (im Ergebnis ebenso BVerwG NJW 1969, 2029; [X.], auch für die gegentei-lige Auffassung, b. [X.] 46. Aufl. § 141 Rdn. 6; in vergleichba-rem Sinne auch [X.], Beschluss vom 27. August 2003 [X.] 1 StR 324/03 m. w.N.). Außerdem macht die Revision eine Verletzung gerichtsinterner [X.] nicht geltend (zur Notwendigkeit einer Verfahrensrüge als Voraus-setzung der Prüfung etwaiger Zuständigkeitsmängel vgl. allgemein [X.]St 43,47, 53 m. [X.]).bb) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn [X.] zwischen ihm und dem Angeklagten endgültig und nach-haltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektivnicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann ([X.]St 39, 310, 314 f m. [X.]).Maßstab hierfür ist, insoweit vergleichbar der Ablehnung eines Richters wegenBesorgnis der Befangenheit, die Sicht eines verständigen Angeklagten [X.] in [X.] § 141 Rdn. 20 m. [X.]).Hieran gemessen erweist sich, zumal angesichts der hier gegebenenBeweislage, der Vorschlag von Rechtsanwalt [X.], vorübergehend seinen So-zius Rechtsanwalt [X.]mit seiner Vertretung zu beauftragen, nicht als geeig-net, das Verhältnis zwischen Angeklagten und Verteidiger zu erschüttern.Rechtsanwalt [X.]konnte die persönliche und fachliche Qualifikation vonRechtsanwalt [X.]zuverlässig beurteilen; die Gefahr, dass durch die vorge-schlagene Vorgehensweise für die Verteidigung wesentliche Erkenntnisse [X.] 7 -gesamt unbeachtet bleiben könnten, ist hier nicht erkennbar. Ebensowenig istdie Grundlage der von der Revision aufgezeigten Besorgnis erkennbar, ausdem gesamten Ablauf ergäbe sich, dass sich Rechtsanwalt [X.]insgesamtnicht hinlänglich vorbereitet hätte.cc) Ob die Art der Information über die ins Auge gefasste zeitweiligeVertretung oder, was offenbar ebenfalls geltend gemacht worden ist, [X.] die Anzahl der Besuche von Rechtsanwalt [X.]im Gefängnis [X.] könnte, dessen Entpflichtung zu rechtfertigen, kann der [X.] nicht prü-fen. Ob das Verhalten eines Verteidigers geeignet ist, das Vertrauen des [X.] zu zerstören, kann regelmäßig ohne Kenntnis von Erklärungen [X.] hierzu nicht beurteilt werden. Auch insoweit gilt vergleichbares wiebei der Ablehnung eines Richters, dessen dienstliche Erklärung je nach ihremInhalt zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ausräumen kann (vgl.[X.]St 4, 264, 269, 270; [X.] wistra 2002, 267 m. [X.]). [X.] solche Erklärungen eines Verteidigers, ebenso wie dienstliche Erklärun-gen eines Richters (vgl. [X.] StV 1996, 2 m. [X.]), bei einer entsprechendenVerfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mitzuteilen. Die Revision be-schränkt sich dagegen auf die [X.] zutreffende [X.] Feststellung, dass sich der Inhaltder von Rechtsanwalt [X.]in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungnicht aus dem Protokoll ergibt. Dies genügt nicht. Ist, wie hier, für die Beurtei-lung einer Verfahrensrüge die Kenntnis von [X.] erforderlich,für das die absolute Beweiskraft des Protokolls nicht gilt, macht dies entspre-chenden Tatsachenvortrag der Revision nicht entbehrlich. Vielmehr ist [X.] die tatsächliche Grundlage des [X.] zu überprüfen, insbesondere an Hand dienstlicher Äußerungen,- 8 -auf deren Abgabe die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Gegenerklärung (§347 Abs. 1 Satz 2 StPO) hinzuwirken hat (vgl. Nr. 162 Abs. 2 Satz 7 RiStBV).dd) Selbst wenn hier aber der [X.] als ausreichend zu [X.] wäre, weil sich aus dem Beschluss, mit dem die Entpflichtung von Rechts-anwalt [X.]abgelehnt wurde, der Inhalt von dessen Erklärung genügend ergibt(für den Fall der [X.] vgl. [X.] in [X.]. § 344 Rdn. 47 m.[X.]), könnte dies am Ergebnis nichts ändern. Nach dem unbestrittenen Vor-trag von Rechtsanwalt [X.]hat sich der Angeklagte wiederholt ohne erkennba-ren Grund geweigert, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen. Unterdiesen Umständen kann sich der Angeklagte bei verständiger Würdigung of-fensichtlich nicht darauf berufen, er könne Rechtsanwalt [X.]deshalb nichtmehr vertrauen, weil ihn dieser nicht genügend informiert oder besucht [X.] -III.Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.[X.]Wahl Schluckebier Kolz Elf

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1 StR 481/03

18.11.2003

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2003, Az. 1 StR 481/03 (REWIS RS 2003, 692)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 692

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