Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.10.2023, Az. B 1 KR 33/22 B

1. Senat | REWIS RS 2023, 8143

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Beweisantrag - Beweisaufnahme - schriftliche Zeugenvernehmung


Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 22. Februar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation.

2

Der Kläger zu 1) ist Vater des [X.] zu 2) (geb 18.9.2002) und der Klägerin zu 3) (geb 22.9.2005). Die Kläger sind bei der Beklagten krankenversichert.

3

Die Beklagte gewährte den Klägern in den Jahren 2010, 2013, 2015 und 2017 stationäre Vorsorgeleistungen in der [X.]. Am [X.] beantragte der Kläger zu 1) für sich und die Kläger zu 2) und zu 3) erneut eine Vater-Kind-Maßnahme bzw eine stationäre Vorsorgeleistung in der [X.] für die Pfingstferien 2019. Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung ([X.]) lehnte die Beklagte diese Anträge ab (Bescheid vom 6.9.2018). Nachdem der Kläger zu 1) die Widerspruchsfrist versäumt hatte, beantragte er die begehrten Maßnahmen am [X.] erneut. Die Beklagte lehnte den Antrag nach erneuter Einschaltung des [X.] ab (Bescheide vom [X.] und - bezüglich des [X.] zu 2) - vom [X.], Widerspruchsbescheide vom 23.7.2019).

4

Das [X.] hat die Klage nach schriftlicher Vernehmung des behandelnden Arztes [X.] als sachverständigen Zeugen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 20.8.2020). Das L[X.] hat die Berufung nach erneuter schriftlicher Befragung des [X.] zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch der Kläger auf eine stationäre Vater-Kind-Maßnahme nach § 24 [X.]B V, auf eine Vorsorgemaßnahme nach § 23 [X.]B V oder auf eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation für Väter nach § 41 [X.]B V. Originäre Ansprüche der Kläger zu 2) und 3) auf Grundlage des § 24 [X.]B V schieden schon aus, weil der Anspruch nur dem gesetzlich krankenversicherten Elternteil zustehe. Auch der Kläger zu 1) habe keinen Anspruch auf eine stationäre Vater-Kind-Maßnahme. Hinsichtlich des [X.] zu 2) scheide dies aus, weil dieser volljährig sei und nicht mehr der elterlichen Sorge des [X.] zu 1) unterliege. Hinsichtlich der Klägerin zu 3) sei weder vorgetragen noch im Hinblick auf deren Alter ersichtlich, dass [X.] in der [X.] bestünden oder eine Vorsorgemaßnahme ohne Begleitung durch die Klägerin zu 3) nicht zumutbar durchzuführen sei. Im Übrigen seien die begehrten Leistungen aus medizinischen Gründen nicht erforderlich. Vorsorgeleistungen nach § 24 [X.]B V zielten auf gesundheitliche Belastungen, die in wesentlicher Hinsicht aus der Stellung des Versicherten als Vater eines oder mehrerer Kinder resultierten. Solche Belastungen seien mit Blick auf das Alter der Kläger zu 2) und 3) weder typisierend zu erwarten noch vorgetragen. Schließlich könne das Versorgungsziel mit ambulanten Maßnahmen erreicht werden. Die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 41 Abs 1 Satz 1 [X.]B V lägen nicht vor. Eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation für Väter in einer spezifischen Einrichtung iS des § 111a [X.]B V sei jedenfalls aus medizinischen Gründen nicht notwendig und erforderlich. Den Erkrankungen fehle es erkennbar an einem Zusammenhang mit elternspezifischen Belastungen. Auch reiche eine ambulante Krankenbehandlung aus. Ein Anspruch auf eine stationäre medizinische Vorsorgeleistung nach § 23 [X.]B V scheitere ebenfalls daran, dass die ambulanten Möglichkeiten bei Weitem nicht ausgeschöpft seien (Urteil vom [X.]).

5

Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im L[X.]-Urteil.

6

II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels.

7

1. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.]G und § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB B[X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.]6 mwN; B[X.] vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]0 Rd[X.] 16 mwN). Daran fehlt es.

8

a) Wer sich - wie hier die Kläger - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 [X.]G stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des L[X.] wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB B[X.] vom 26.5.2020 - B 1 KR 7/19 B - juris Rd[X.] 11; B[X.] vom 12.12.2003 - [X.] RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 5 mwN). Dazu muss bei einem anwaltlich oder ähnlich rechtskundig vertretenen Beteiligten aufgezeigt werden, dass er zu Protokoll einen formellen Beweisantrag iS von §§ 373, 404 ZPO iVm § 118 [X.]G bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt. Der Tatsacheninstanz soll durch einen Beweisantrag vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (stRspr; vgl B[X.] vom 26.5.2020 - B 1 KR 7/19 B - juris Rd[X.] 11; B[X.] vom 24.11.1988 - 9 BV 39/88 - [X.] 1500 § 160 [X.] 73 f = juris Rd[X.] 4; B[X.] vom [X.] - [X.]a [X.]/06 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.] 11 mwN). Das Berufungsgericht ist einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung dann nicht gefolgt, wenn es objektiv im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu weiterer Sachaufklärung gehalten war, wenn es sich also von seinem Rechtsstandpunkt aus zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; vgl nur B[X.] vom 18.6.2020 - B 3 KR 19/19 B - juris Rd[X.] 7; B[X.] vom [X.] - B 5 R 208/09 B - juris Rd[X.] 5; B[X.] vom 7.4.2011 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.] 14).

9

b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Kläger rügen, das L[X.] habe ihren (Hilfs-)Beweisanträgen auf persönliche Anhörung des sachverständigen Zeugen [X.] und der Einholung eines externen Gutachtens zum Streitgegenstand nicht entsprochen.

Die nach dem Vorbringen der Kläger in ihrem [X.] vom [X.] in der mündlichen Verhandlung am [X.] gestellten Beweisanträge erfüllen bereits die Voraussetzungen an einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag nicht (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm §§ 373, 403 ZPO). Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl zB B[X.] vom 9.7.2015 - [X.] SB 19/15 B - juris Rd[X.] 12; B[X.] vom 12.12.2003 - [X.] RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ausreichend zu begründen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], BeckOGK [X.]G, Stand 1.8.2023, § 160a Rd[X.] 105 mwN). Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl B[X.] vom 19.11.2009 - [X.] R 303/09 B - juris Rd[X.] 12). Die Kläger haben hier nach ihren Angaben im [X.] vom [X.] nur beantragt, "den sachverständigen Zeugen [X.] persönlich durch das Gericht zum Streitgegenstand anzuhören" sowie "ein externes Gutachten zum Streitgegenstand einzuholen". Um in der aktuellen Prozesssituation ein Beweisthema für das L[X.] hinreichend genau zu bezeichnen, hätten die Kläger substantiiert und präzise in ihrem Antrag angeben müssen, welche konkreten entscheidungserheblichen Punkte durch die beantragte Beweiserhebung hätten geklärt werden sollen. Der von den Klägern dargelegte Antrag enthält keine Angabe konkreter Sachverhalte, die zu ermitteln sind, um bestimmte konkrete Behauptungen zu belegen.

c) Auch eine Verletzung der in § 117 [X.]G geregelten Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch die lediglich schriftliche Anhörung des [X.] als sachverständiger Zeuge ist nicht dargetan. Als Ausnahme von der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung sieht die Prozessordnung schriftliche Zeugenvernehmungen vor (§ 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 377 Abs 3 ZPO). Die Würdigung solcher schriftlich vorliegenden Beweismittel durch das erkennende Gericht in der mündlichen Verhandlung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl B[X.] vom 7.8.2015 - [X.] R 172/15 B - juris Rd[X.] 16; B[X.] vom 21.8.2017 - [X.] V 13/17 B - juris Rd[X.] 9). Es sind keine Gründe vorgetragen, aus denen das L[X.] unter Beachtung pflichtgemäßen Ermessens im Hinblick auf den Inhalt der [X.] und die Person des Zeugen gehalten gewesen wäre, eine unmittelbare Vernehmung des Zeugen in mündlicher Verhandlung vorzunehmen. [X.] konkrete Anträge der Kläger, die auf eine unmittelbare Vernehmung gerichtet waren, trägt die Beschwerde nicht vor.

d) Soweit die Kläger der Sache nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in seiner Ausprägung als Fragerecht nach durchgeführter Beweisaufnahme mittels schriftlicher Zeugenbefragung (§ 116 Satz 2 [X.]G, § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm §§ 414, 397 ZPO) rügen (vgl B[X.] vom 7.8.2015 - [X.] R 172/15 B - juris Rd[X.] 16), genügt ihr Vorbringen auch insoweit nicht den [X.]. Das Beschwerdevorbringen legt nicht dar, warum die vom Gesetz ausdrücklich eröffnete Möglichkeit der schriftlichen Beantwortung der [X.] nicht ausreichend gewesen sein soll (vgl hierzu [X.] vom 5.4.2017 - 15 Ta 1522/16 - juris Rd[X.] 42 ff mwN). Die Kläger zeigen insbesondere nicht auf, welche bislang nicht bekannten Tatsachen der Zeuge bei einer Befragung in der mündlichen Verhandlung bekundet hätte, weshalb hierfür seine schriftliche Befragung mit von den Klägern zu stellenden Fragen nicht ausgereicht hätte und inwiefern die Entscheidung des L[X.] deshalb auf dessen unterbliebener Befragung beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] Teilsatz 1 [X.]G).

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

        

Schlegel

Estelmann

Geiger

Meta

B 1 KR 33/22 B

20.10.2023

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Heilbronn, 20. August 2020, Az: S 14 KR 2723/19, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 103 SGG, § 116 S 2 SGG, § 117 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 373 ZPO, § 377 Abs 3 ZPO, § 397 ZPO, § 403 ZPO, § 414 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.10.2023, Az. B 1 KR 33/22 B (REWIS RS 2023, 8143)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8143

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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