Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.05.2023, Az. 1 BvR 2124/21

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2023, 4325

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Verurteilung wegen Volksverhetzung - Unzulässigkeit wegen Subsidiarität sowie mangels hinreichender Substantiierung der Verfassungsbeschwerde


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsgründe

1

Die [X.]beschwerde betrifft eine strafrechtliche Verurteilung wegen Volksverhetzung. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob ein selbst gestalteter Aufkleber, der einen Zusammenhang zwischen der [X.] [X.]/[X.] (im Folgenden: die/den [X.]) und Pädophilie herstellt, von der Meinungs- beziehungsweise Kunstfreiheit gedeckt ist.

2

1. Der Beschwerdeführer hatte einen Aufkleber entworfen, auf dem vor einem grünen Hintergrund verschiedene Symbole und Text dargestellt werden. Oben rechts befindet sich ein weißer Text in Versform, der lautet: "Wir ficken Kinder bei jeder Gelegenheit - egal, ob ihr dafür oder ob ihr dagegen seid." Darunter befindet sich eine gelbe Sonnenblume, die zu ihrer linken Seite unvollständig ist. Links neben der Sonnenblume befindet sich ein weißer großgeschriebener Text, der lautet: "[X.]?". Auf der linken Hälfte des Aufklebers sind zwei Strichmännchen, ein weißes und ein schwarzes, dargestellt. Das weiße Strichmännchen ist kleiner, liegt auf dem Rücken auf einer weißen Unterlage und streckt Arme und Beine nach oben. Es soll sich augenscheinlich um ein Kind handeln, das auf einem Wickeltisch liegt. Direkt rechts daneben steht das schwarze größere Strichmännchen, das augenscheinlich eine erwachsene Person darstellen soll. Der Wickeltisch und das Kind befinden sich ungefähr auf [X.] der Person. Die Person hält ihre Hände am Gesäß des Kindes und beugt sich mit dem Oberkörper nach hinten. Unter den beiden Strichmännchen befindet sich ein weißer großgeschriebener Text mit blauem Unterstrich, der lautet: "[X.] 90 DIE [X.]".

3

Diesen Aufkleber ließ der Beschwerdeführer in Auflage von mindestens 100 Stück drucken. Im Mai 2019 verteilte er die Aufkleber sodann auf einer Gegendemonstration gegen eine Veranstaltung der [X.] Alternative für [X.] in [X.] an mehrere Personen, unter anderem an einen Minderjährigen und eine Frau mittleren Alters auf einem Fahrrad, an dem eine Fahne der [X.] befestigt war.

4

2. Wegen der Verteilung der Aufkleber verurteilte das Amtsgericht [X.] den Beschwerdeführer mit angegriffenem Urteil wegen Volksverhetzung. Der Beschwerdeführer habe sich gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe c StGB strafbar gemacht, weil er eine Schrift verbreitet beziehungsweise einem Minderjährigen ausgehändigt habe, die die Menschenwürde eines Teils der Bevölkerung - der [X.]mitglieder der [X.] - dadurch angreife, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet würden.

5

Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf die Meinungsfreiheit stützen und der Aufkleber unterliege auch nicht etwa als Satire dem Schutz der Kunstfreiheit. Zwar habe der Beschwerdeführer hier ausgeführt, dass es sein Ziel gewesen sei, mit dem Verteilen des Aufklebers auf die seiner Ansicht nach nicht ausreichend geführte Debatte über Pädophilie-Fälle bei den [X.] aufmerksam machen zu wollen. Auch müssten die [X.] vor dem Hintergrund der historischen und aktuellen Ereignisse in diesem Kontext in erhöhtem Maße Kritik erdulden. Zudem möge die Aufschrift "[X.] 90 DIE [X.]" für sich genommen einen satirischen Charakter haben. Der Aufkleber stelle aber in der Gesamtschau die persönliche Kränkung der [X.]mitglieder der [X.] in den Vordergrund, indem bildlich und sprachlich unwahr und in hohem Maße ehrverletzend behauptet werde, [X.]mitglieder seien aktuell und in einer Vielzahl von Fällen Täter schweren sexuellen Kindesmissbrauchs.

6

Berufung und Revision blieben vor dem [X.] und dem [X.] ohne Erfolg. Nach der vom [X.] im Berufungsurteil geteilten Deutung des Amtsgerichts stellt der Aufkleber die Penetration eines ([X.] durch einen Erwachsenen stilisiert dar.

7

3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen und trägt im Wesentlichen vor, die Gerichte hätten den satirischen Charakter des Aufklebers verkannt.

8

Die [X.]beschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil keine zwingenden Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 [X.] vorliegen und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist. Die [X.]beschwerde ist unzulässig.

9

1. Der Beschwerdeführer hat den in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG angelegten und in § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität nicht gewahrt.

a) Die Subsidiarität der [X.]beschwerde verlangt, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung einer [X.]beschwerde alle zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten [X.]verletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. [X.] 123, 148 <172>; 134, 242 <285 Rn. 150>; stRspr). Das gilt auch, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. [X.] 70, 180 <185>; 91, 93 <106>).

b) Das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs nach § 90 Abs. 2 [X.] und der daran anknüpfende Grundsatz der materiellen Subsidiarität fordern zwar nicht, dass ein Beschwerdeführer das fachgerichtliche Verfahren bereits als "[X.]prozess" führt, also von Beginn des fachgerichtlichen Verfahrens an verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken geltend macht (vgl. [X.] 112, 50 <60 f.>). Etwas anderes gilt aber in den Fällen, in denen bei verständiger Einschätzung der Rechtslage und der jeweiligen verfahrensrechtlichen Situation ein Begehren nur dann Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Ausgang des Verfahrens von der [X.]widrigkeit einer Vorschrift abhängt oder eine bestimmte Normauslegung angestrebt wird, die ohne verfassungsrechtliche Erwägungen nicht begründbar ist (vgl. [X.] 112, 50 <62>). [X.]rechtliche Darlegungen sind zudem veranlasst, wenn nach dem fachgerichtlichen Verfahrensrecht der Antrag auf Zulassung eines Rechtsmittels oder das Rechtsmittel selbst auf die Verletzung von [X.]recht zu stützen sind (vgl. [X.] 112, 50 <62>). In solchen Fällen hat ein Beschwerdeführer, um dem Gebot der Rechtswegerschöpfung und dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität zu genügen, die Fachgerichte in geeigneter Weise mit der verfassungsrechtlichen Frage zu befassen, bevor sich das [X.] im Rahmen einer [X.]beschwerde mit der Behauptung des Beschwerdeführers befasst, er sei durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen und durch die darin angewandten Vorschriften in seinen Grundrechten verletzt (vgl. [X.] 112, 50 <62 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 30. März 2011 - 1 BvR 1146/08 -, Rn. 12).

c) Die [X.]beschwerde genügt dem Subsidiaritätsgrundsatz nicht.

aa) Der Beschwerdeführer hat ausweislich der Entscheidung des [X.]s eine statthafte Verfahrensrüge nicht zulässig erhoben. Daher war das [X.] an den vom [X.] festgestellten Inhalt des [X.] mit der stilisierten Darstellung der Penetration eines ([X.] durch einen Erwachsenen gebunden. Auf dieser Feststellung beruht die rechtliche Würdigung des Sachverhalts. Da der Beschwerdeführer die [X.] nicht vorgelegt und auch deren wesentlichen Inhalt nicht mitgeteilt hat, ist nicht ersichtlich, dass er alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen hat, um die gerügte Grundrechtsverletzung aus der Welt zu schaffen. Insbesondere kann er nicht mit dem Einwand gehört werden, der Aufkleber zeige nicht die Penetration eines Kindes. Darüber hinaus ist offen, ob eine zulässig erhobene Verfahrensrüge nicht möglicherweise zur Aufhebung des Urteils des [X.]s und somit zum Wegfall der Beschwer geführt hätte.

bb) Weiter ist nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer vor dem [X.] in einer den Anforderungen der materiellen Subsidiarität genügenden Weise auf einen möglichen Einfluss der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG hingewiesen hat. Da die [X.] nicht vorliegt und das [X.] sich zwar ausführlich mit der Meinungsfreiheit, aber nur sehr kurz mit der Kunstfreiheit auseinandergesetzt hat, ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Revisionsverfahren auch insoweit schon die verfassungsrechtlichen Implikationen geltend gemacht hat, die er in der [X.]beschwerde anführt.

2. Die [X.]beschwerde genügt zudem nicht den Substantiierungsanforderungen, die aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.] folgen.

a) Die Begründung der [X.]beschwerde soll dem [X.] eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. [X.] 15, 288 <292>). Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Es ist alles darzutun, was dem Gericht eine Entscheidung der verfassungsrechtlichen Fragen ermöglicht ([X.] 131, 66 <82>). Es ist nicht Aufgabe des [X.]s aus Sachverhaltsfragmenten und angegriffenen Entscheidungen Relevantes für die verfassungsrechtliche Prüfung herauszusuchen (vgl. [X.] 80, 257 <263>; 83, 216 <228>).

Insoweit muss sich die [X.]beschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. [X.] 89, 155 <171>; 108, 370 <386 f.>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>).

Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer auch mit deren Gründen auseinandersetzen (vgl. [X.] 101, 331 <345>; 105, 252 <264>). Werden fachgerichtliche Entscheidungen auf mehrere je selbständig tragende Gründe gestützt, bedarf es einer Auseinandersetzung mit jeder dieser Begründungen ([X.] 105, 252 <264>).

Soweit das [X.] für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. [X.] 99, 84 <87>; 101, 331 <346>; 102, 147 <164>; 140, 232 <232 Rn. 9>). Der behauptete [X.] ist in Auseinandersetzung mit den vom [X.] entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>; 130, 1 <21>; 142, 234 <251 Rn. 28>; 149, 86 <108 f. Rn. 61>).

b) Diesen Anforderungen genügt die [X.]beschwerde nicht.

aa) Der Beschwerdeführer setzt sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidungen nicht hinreichend auseinander. Er weist zwar abstrakt auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung von Meinungen und von Kunstwerken hin, legt aber nicht konkret und substantiiert dar, weshalb die Auslegung in den angegriffenen Entscheidungen nicht eine den Schutzbereich der Meinungsfreiheit oder der Kunstfreiheit beachtende Interpretation des Aufklebers darstellt. Zwar mögen die strafgerichtlichen Feststellungen nicht die einzigen denkbaren Interpretationen des Sinngehalts des Aufklebers sein. Inwieweit von [X.] wegen aber anderweitige Feststellungen hätten getroffen oder berücksichtigt werden müssen, wird nicht in Auseinandersetzung mit den konkreten Feststellungen der strafgerichtlichen Entscheidungen dargelegt.

bb) Schließlich wird auch das Gebot der kontextabhängigen Auslegung von Meinungen und Kunstwerken zwar genannt, aber nicht konkret dessen Konsequenzen für den vorliegenden Fall dargelegt.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2124/21

23.05.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Celle, 15. Juli 2021, Az: 2 Ss 40/21, Beschluss

Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 3 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 130 Abs 2 Nr 1 Buchst c StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.05.2023, Az. 1 BvR 2124/21 (REWIS RS 2023, 4325)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4325

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 BvR 1602/23

1 BvR 1601/23

Zitiert

1 BvR 1146/08

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