Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.11.2023, Az. 1 BvR 2077/23

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2023, 8195

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde in einer Sozialsache wegen Subsidiarität sowie mangels hinreichender Begründung


Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Entscheidungsgründe

1

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig ist.

2

a) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen über den Antrag nach § 86b Abs. 2 [X.] richtet und eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG rügt, ist sie bereits unzulässig, weil der in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG angelegte Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 [X.]) nicht gewahrt worden ist.

3

aa) Nach dem Grundsatz der Subsidiarität aus § 90 Abs. 2 [X.] (vgl. [X.] 107, 395 <414>) müssen vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die jeweils geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Werden mit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Eilentscheidung ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt, die sich auf die Hauptsache beziehen, bietet das Verfahren der Hauptsache regelmäßig die Chance, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kommen daher als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nur in Betracht, soweit sie eine selbständige verfassungsrechtliche Beschwer enthalten, die sich nicht mit derjenigen durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache deckt (vgl. [X.] 77, 381 <400 f.>; 79, 275 <278 f.>; 104, 65 <70 f.>; stRspr). Der [X.] steht der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Eilentscheidung dann nicht entgegen, wenn der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung geltend macht, die sich gerade aus der Behandlung seines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz ergibt, in der Hauptsache nicht mehr ausgeräumt werden kann oder wenn die Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache unzumutbar wäre (vgl. für viele [X.] 59, 63 <84>; 86, 46 <49>; 104, 65 <70 f.>; stRspr).

4

bb) Das Vorbringen in der Verfassungsbeschwerde erschöpft sich insoweit in der Feststellung, dass Beschlüsse des [X.] unanfechtbar seien. Zur Frage der Subsidiarität finden sich in der Verfassungsbeschwerde keine Ausführungen. Umstände, wegen derer der Beschwerdeführer nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden darf, sind nicht hinreichend dargelegt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers lässt hinsichtlich einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG auch keine Rüge einer eigenständigen Beschwer durch die angegriffenen Entscheidungen erkennen. Sein Vorbringen bezieht sich insofern allein auf Rechts- und Tatsachenfragen, die sich in gleicher Weise im Hauptsacheverfahren stellen.

5

cc) Auf der Grundlage des Vortrags des Beschwerdeführers liegen auch die Voraussetzungen, unter denen nach § 90 Abs. 2 Satz 2 [X.] ausnahmsweise vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. [X.] 77, 381 <401 f.>; 78, 290 <301 f.>; 79, 275 <278 f.>; 104, 65 <70 f.>), nicht vor. Auch hier ist das [X.] auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die sachnäheren Fachgerichte angewiesen (vgl. [X.] 79, 1 <20>; 86, 382 <386 f.>; 114, 258 <279>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 21. Juli 2022 - 1 BvR 1147/22 -, Rn. 6). Dass ihm ein schwerwiegender und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er auf den Rechtsweg im Hauptsacheverfahren verwiesen würde, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan. Allein der Umstand, dass Grundsicherungsleistungen betroffen sind, genügt nicht, um generell einen unabwendbaren Nachteil im verfassungsprozessrechtlichen Sinn annehmen zu können (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. September 2017 - 1 BvR 1719/17 -, Rn. 8; Beschluss der [X.] des [X.] vom 21. Juli 2022 - 1 BvR 1147/22 -, Rn. 4, 6). Auch ist dem Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der Möglichkeiten einer Prozessvertretung nicht unzumutbar, das sozialgerichtliche Hauptsacheverfahren gegebenenfalls von seinem Heimatland aus weiter zu betreiben (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. September 1992 - 2 BvR 1546/92 -, Rn. 2; Beschluss der [X.] des [X.] vom 18. April 2023 - 1 BvR 1430/22 -, Rn. 5). Ein konkret für den Beschwerdeführer unabwendbarer und irreparabler Nachteil, der eine Vorabentscheidung des [X.]s rechtfertigen kann, bevor die Fachgerichte endgültig entschieden haben, ist nicht ersichtlich.

6

b) Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügt.

7

aa) Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. [X.] 89, 155 <171>; 108, 370 <386 f.>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer auch mit deren Gründen auseinandersetzen (vgl. [X.] 101, 331 <345>; 105, 252 <264>).

8

bb) Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

9

(1) Einen möglichen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert auf.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Vorbringen letztlich nur gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidungen, legt einen Gehörsverstoß aber nicht nachvollziehbar und substantiiert dar. Welches konkrete Vorbringen des Beschwerdeführers die Gerichte nicht zur Kenntnis genommen haben sollen, ergibt sich aus seinem Vortrag nicht. Anders als der Beschwerdeführer meint, haben sich die Gerichte auch mit der Vereinbarkeit von § 23 Abs. 3 [X.] mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auseinandergesetzt. Dies ergibt sich schon aus dem Hinweis auf die Ausführungen des [X.] in dessen Urteil vom 29. März 2022 (vgl. [X.], Urteil vom 29. März 2022 - [X.] [X.]/21 R -, Rn. 35 ff.).

(2) Auch soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] über die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe richtet, ist ihre Begründung unsubstantiiert.

Dass sich hier eine schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfrage stellt, die das [X.] in Überschreitung seines Entscheidungsspielraums bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der "hinreichenden Erfolgsaussicht" im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden hat (vgl. [X.] 81, 347 <357 ff.>), hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert dargetan. Er hat dies lediglich ohne weitere Begründung behauptet, ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl. [X.], Urteil vom 29. März 2022 - [X.] [X.]/21 R -, Rn. 35 ff.; Urteil vom 6. Juni 2023 - [X.] [X.]/22 R -, Rn. 27 f.). Es ist auch verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidungen über den Prozesskostenhilfe- und den [X.] zeitgleich in einem Beschluss ergehen und das Fachgericht zur Begründung der Ablehnung von Prozesskostenhilfe lediglich auf die Ausführungen zur Unbegründetheit des Antrags nach § 86b [X.] Bezug nimmt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, Rn. 13; Beschluss der [X.] des [X.] vom 14. Februar 2017 - 1 BvR 2507/16 -, Rn 17). Warum hier ausnahmsweise etwas Anderes gelten sollte, lässt sich der Verfassungsbeschwerde nicht entnehmen.

(3) Soweit sich der Beschwerdeführer schließlich gegen den Beschluss des [X.] vom 30. Oktober 2023, mit dem über seine Anhörungsrüge entschieden wurde, richtet, fehlt jedweder substantiierte Vortrag.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der in derselben Sache gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GO[X.]).

3. Mangels Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde sind zugleich die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren nach der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu verneinen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2077/23

17.11.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 30. Oktober 2023, Az: L 2 SO 2905/23 RG, Beschluss

§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.11.2023, Az. 1 BvR 2077/23 (REWIS RS 2023, 8195)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8195

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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