Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.06.2016, Az. 8 AZN 205/16

8. Senat | REWIS RS 2016, 9430

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Gegenstand

Absoluter Revisionsgrund - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - Vergleichsverhandlungen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - zeitweise Abwesenheit eines ehrenamtlichen Richters


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 28. Januar 2016 - 18 Sa 1738/15 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Der Wert des [X.] wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG) gestützt wird, wurde die Beschwerde nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form begründet.

2

1. Nach § 72a Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat, obwohl dessen Urteil eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Das ist dann der Fall, wenn die [X.]lärung der Rechtsfrage entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (vgl. [X.] 26. September 2000 - 3 [X.] 181/00 - zu II 2 der Gründe, [X.]E 95, 372). Dabei ist eine Rechtsfrage eine Frage, welche die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat (vgl. [X.] 20. Mai 2008 - 9 [X.] 1258/07 - Rn. 5, [X.]E 126, 346).

3

Der Beschwerdeführer hat die nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG von ihm darzulegende entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu benennen und regelmäßig so präzise und konkret zu formulieren, dass sie bejaht oder verneint werden kann. Das schließt zwar im Einzelfall eine differenzierte Formulierung nicht aus, unzulässig ist aber eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt und damit auf die Antwort „[X.]ann sein“ hinausläuft ([X.] 18. September 2012 - 3 [X.] 952/12 - Rn. 5). Darüber hinaus sind die [X.]lärungsbedürftigkeit, Entscheidungserheblichkeit und allgemeine Bedeutung für die Rechtsordnung und ihre Auswirkungen auf die Interessen jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit aufzuzeigen (vgl. etwa [X.] 5. November 2008 - 5 [X.] 842/08 - Rn. 7; 23. Januar 2007 - 9 [X.] 792/06 - Rn. 6, [X.]E 121, 52).

4

2. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

5

Die [X.]lägerin hat mit den von ihr auf den Seiten 3 und 6 der Beschwerdebegründung als „Rechtssätze“ bezeichneten Fragen keine Rechtsfragen iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG dargetan. Die Fragen betreffen weder die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit noch den Inhalt einer Norm, sondern ausschließlich die Subsumtion des zugrundeliegenden Sachverhaltes unter die Bestimmungen, die dem Schutz des Persönlichkeitsrechts dienen (ua. § 823 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Die [X.]lägerin hat ihre Fragen vielmehr nach dem Ergebnis der konkreten Rechtsanwendung im Einzelfall formuliert. Eine Beantwortung dieser „Rechtsfragen“ durch das Beschwerdegericht würde darauf hinauslaufen, das Urteil des [X.] im Ergebnis als richtig oder falsch zu bewerten. Eine solche Bewertung kann allerdings nicht im Rahmen eines [X.]s, sondern könnte nur im Rahmen einer zugelassenen Revision erfolgen.

6

II. Hingegen ist die Besetzungsrüge der [X.]lägerin begründet. Der von ihr geltend gemachte absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des [X.] liegt vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Dies führt zur Aufhebung des anzufechtenden Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung (zur analogen Anwendung von § 72a Abs. 7 ArbGG bei einem Verstoß gegen § 547 Nr. 1 ZPO vgl. [X.] 5. Juni 2014 - 6 [X.] 267/14 - Rn. 35, [X.]E 148, 206).

7

1. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 309 ZPO kann das Urteil nur von denjenigen [X.]n gefällt werden, die der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung beigewohnt haben (vgl. dazu auch [X.] März 2012 - III ZR 84/11 - Rn. 9). Nur wenn jeder [X.] die wesentlichen Vorgänge der mündlichen Verhandlung in sich aufgenommen hat, ist er in der Lage, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung (§ 286 Abs. 1 ZPO) selbstständig und ohne wesentliche Hilfe der anderen [X.] zu urteilen und so an einer sachgerechten Entscheidung mitzuwirken (vgl. ua. [X.] 19. Juli 2007 - 5 [X.]/06 - Rn. 2 mwN; 24. Januar 1986 - 6 [X.]/82 -; 16. Dezember 1980 - 6 [X.]/79 -; BFH 28. August 1986 - [X.] - zu II a der Gründe, BFHE 147, 402). Hat ein [X.] der Verhandlung nicht ununterbrochen beigewohnt, so darf er an dem Urteil nicht mitwirken. Wirkt er gleichwohl mit, so ist das Urteil von einem nicht vorschriftsmäßig besetzten Gericht erlassen ([X.] 31. Januar 1958 - 1 [X.] - [X.]E 5, 170).

8

2. Danach ist die Besetzungsrüge der [X.]lägerin begründet. Der ehrenamtliche [X.] [X.] war infolge zeitweiliger Abwesenheit nicht in der Lage, wesentliche Vorgänge der mündlichen Verhandlung in sich aufzunehmen. Er konnte demzufolge nicht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung (§ 286 Abs. 1 ZPO) selbstständig und ohne wesentliche Hilfe der anderen [X.] urteilen. Da er im [X.]raum von 09:45 Uhr bis 10:15 Uhr, als das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien erörtert wurde, nicht im Sitzungssaal anwesend war, hatte er nicht den gleichen Erkenntnisstand wie die anderen [X.]/innen der [X.]ammer.

9

a) Zwar wird gemäß § 137 Abs. 1 ZPO die mündliche Verhandlung dadurch eingeleitet, dass die Parteien ihre Anträge stellen. Zu diesem [X.]punkt war der ehrenamtliche [X.] [X.] ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vom 28. Januar 2016 anwesend. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vom 28. Januar 2016 sowie aus dem Vortrag der Parteien im [X.] ergibt sich ferner, dass das Gericht nach dem Stellen der Anträge das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien nicht erörtert hat.

Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien hat eine Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses allerdings in der [X.] von 09:45 Uhr bis 10:15 Uhr und damit in Abwesenheit des ehrenamtlichen [X.]s [X.] stattgefunden. Die [X.]lägerin hat dies konkret unter Angabe einzelner Umstände dargestellt. Die Beklagte hat dies dadurch bestätigt, dass sie ausgeführt hat, der [X.]lägerin sei nach dem Stellen der Anträge Gelegenheit gegeben worden, „zu der Berufung auszuführen, und zwar nunmehr auch in Anwesenheit des ehrenamtlichen [X.]s“. Dass die Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses in der [X.] von 09:45 Uhr bis 10:15 Uhr ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines „[X.]onfliktlösungs- und Vergleichsgesprächs“ stattfand und damit dem Zweck einer gütlichen Einigung diente, ist unerheblich. Im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ist ausdrücklich festgehalten, dass die Sitzung um 09:45 Uhr - wenn auch ohne den ehrenamtlichen [X.] [X.] - begonnen wurde. Auch Vergleichsverhandlungen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht sind Bestandteil der Verhandlung selbst. Auch bei ihnen muss deshalb, wenn nicht ausnahmsweise durch besonderen Beschluss ein Mitglied der [X.]ammer mit der Führung der Vergleichsverhandlungen beauftragt ist, das [X.] in seiner vollen Besetzung tätig sein ([X.] 31. Januar 1958 - 1 [X.] - [X.]E 5, 170).

b) Ebenso führt es nicht zu einer anderen Bewertung, dass der [X.]lägerin nach dem Eintreffen des ehrenamtlichen [X.]s [X.] um 10:15 Uhr und dem Stellen der Anträge angeboten wurde, ihre zuvor gemachten Ausführungen zu wiederholen und sie dies abgelehnt hat. Nach dem Stellen der Anträge genügte es nicht, allein der [X.]lägerin Gelegenheit zur Wiederholung ihres Vortrags vor dem hinzugekommenen ehrenamtlichen [X.] zu geben. Vielmehr hätte das gesamte Sach- und Streitverhältnis, einschließlich der Ausführungen der Gegenseite, der Erörterungen der Vorsitzenden und eventueller Beiträge und Fragen anderer Mitglieder der [X.]ammer erneut in Anwesenheit des ehrenamtlichen [X.]s [X.] erörtert werden müssen.

III. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen. Weitergehende Ausführungen sind auch von [X.] wegen nicht geboten (vgl. [X.] 8. Dezember 2010 - 1 BvR 1382/10 - [X.][X.] 18, 301).

IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 G[X.]G.

        

    Schlewing    

        

    Winter    

        

    Roloff    

        

        

        

    Bloesinger    

        

    Wankel    

                 

Meta

8 AZN 205/16

23.06.2016

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Berlin, 2. September 2015, Az: 21 Ca 9616/15, Urteil

§ 57 Abs 2 ArbGG, § 64 Abs 6 S 1 ArbGG, § 72 Abs 2 Nr 1 ArbGG, § 72 Abs 2 Nr 3 ArbGG, § 72a Abs 1 ArbGG, § 72a Abs 3 S 2 Nr 1 ArbGG, § 72a Abs 3 S 2 Nr 3 Alt 1 ArbGG, § 72a Abs 5 ArbGG, § 72a Abs 7 ArbGG, § 137 Abs 1 ZPO, § 286 Abs 1 ZPO, § 309 ZPO, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.06.2016, Az. 8 AZN 205/16 (REWIS RS 2016, 9430)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9430

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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