Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.05.2023, Az. 1 StR 340/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4260

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Gegenstand

Verjährung einer Abgabenhinterziehung


Tenor

1. Der Beschluss des [X.] vom 19. April 2022, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2021 als unzulässig verworfen worden ist, wird aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2021 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte und der Mitangeklagte H.

aa) wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer 2012 und

bb) wegen Abgabenhinterziehung in den Fällen 1 bis 43 und 91 bis 105 der Urteilsgründe

verurteilt wurden; die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen insoweit der Staatskasse zur Last;

b) das vorgenannte Urteil

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in sechs Fällen, der Abgabenhinterziehung in 100 Fällen und der Untreue in 41 Fällen, der Mitangeklagte H.     der Steuerhinterziehung in sechs Fällen und der Abgabenhinterziehung in 100 Fällen schuldig ist und

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafen aufgehoben.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen, Abgabenhinterziehung in 158 Fällen und Untreue in 42 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Des Weiteren hat es den Wert von Taterträgen aus 41 Untreuetaten in Höhe von 1.590.000 Euro eingezogen. Den nicht revidierenden Mitangeklagten [X.]     hat es wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen und Abgabenhinterziehung in 158 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, deren Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch mit Blick auf die Beanstandung des Schuldumfangs unwirksam ist, hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

2

1. Der Beschluss des [X.]s Essen vom 19. April 2022, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, ist aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom Senat in eigener Zuständigkeit aufzuheben. Zwar hat das [X.] zutreffend erkannt, dass die Revision nach der Rechtsprechung des [X.] (vgl. Beschluss vom 3. Mai 2022 – 3 StR 89/22) zulässig war. Die Aufhebung des eigenen Beschlusses durch das [X.] selbst ist allerdings unzulässig, ein entsprechender Beschluss unwirksam ([X.]/[X.] in [X.], 1. Aufl., § 346 Rn. 15; [X.]/[X.], [X.], 66. Aufl., § 346 [X.] Rn. 8).

3

2. Das Verfahren gegen den Angeklagten ist unter Erstreckung auf den nicht revidierenden Mitangeklagten [X.]     (§ 357 Satz 1 [X.]; vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 11. Februar 2014 – 1 StR 355/13 Rn. 39) wegen eines Teils der abgeurteilten Taten einzustellen (§ 206a Abs. 1 i.V.m. § 354 Abs. 1 [X.]), weil insoweit bei Erlass des angefochtenen Urteils bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war (§ 78 Abs. 1 StGB).

4

a) Dies betrifft nicht nur die Hinterziehung von Umsatzsteuer 2012 – wie vom [X.] in seiner Zuschrift zutreffend beantragt –, sondern auch die Abgabenhinterziehungen zum Nachteil der Stadt [X.].       (§ 16 des [X.] – [X.]) für die Monate März 2012 bis September 2015 (Taten 1 bis 43 der Urteilsgründe) und zum Nachteil der [X.]    (§ 17 des Kommunalabgabengesetzes für das [X.] – [X.]) für die Monate Januar 2012 bis September 2015 (Taten 91 bis 105 der Urteilsgründe).

5

aa) Die Verjährungsfrist bei Abgabenhinterziehung (§ 16 [X.], § 17 [X.]) bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln (§ 78 Abs. 3 StGB), so dass die Verjährung grundsätzlich fünf Jahre nach [X.] eintritt. Zwar gilt § 376 [X.], dessen Absatz 1 eine 15-jährige Verjährungsfrist vorsieht, in der jeweiligen Fassung nach § 16 Abs. 3 [X.] und § 17 Abs. 1 Satz 2 [X.] entsprechend. § 376 Abs. 1 Halbsatz 1 [X.] setzt aber bereits nach dem Wortlaut das Vorliegen eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 [X.] voraus. Derartige besonders schwere Fälle sind in § 16 [X.], § 17 [X.] weder unmittelbar noch durch – eine nicht statuierte – Verweisung auch auf § 370 Abs. 3 [X.] geregelt. Insofern fehlt für eine entsprechende Anwendung des § 376 Abs. 1 Halbsatz 1 [X.] der tatbestandliche Anknüpfungspunkt (so auch [X.] in [X.], [X.], 170. Ergänzungslieferung, § 376 Rn. 35 f.; a.A. ohne nähere Begründung [X.], [X.] in [X.]den-Württemberg, 78. Ergänzungslieferung, § 7 Rn. 5). Die Verweisungen auf § 376 [X.] gehen gleichwohl nicht ins Leere, weil mit der entsprechenden Anwendung des § 376 Abs. 2 [X.] ein sinnvoller Anwendungsbereich verbleibt.

6

bb) Die Verjährungsfrist beträgt mithin fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Sie ist hinsichtlich der vorgenannten Abgabenhinterziehungen erstmals durch den Durchsuchungsbeschluss vom 20. Oktober 2020 unterbrochen worden (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Zu diesem Zeitpunkt waren diese Taten schon mehr als fünf Jahre beendet.

7

b) Die Verjährung ist als Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen auch zu prüfen, wenn nur der Rechtsfolgenspruch angefochten wurde (sog. horizontale Teilrechtskraft; [X.], Beschluss vom 23. Februar 2017 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 404 Abs. 1 Antragstellung 10 Rn. 5), so dass es insoweit unbeachtlich ist, ob eine Revisionsbeschränkung wirksam wäre.

8

3. Die [X.] zieht die Änderung des Schuldspruchs nach sich. Der Senat berichtigt dabei die Anzahl der vom Angeklagten B.    begangenen Untreuetaten hinsichtlich des vom [X.] aufgezeigten [X.]. Die Aufhebung einer Einzelstrafe ist insoweit nicht veranlasst, weil das [X.] keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen und weder eine Einzelstrafe festgesetzt noch eine Einziehung angeordnet hat.

9

4. Der Wegfall der für die verjährten Taten verhängten Einzelstrafen bedingt für den Angeklagten und den Mitangeklagten [X.]     jeweils die Aufhebung der Gesamtstrafen. Auch unabhängig davon könnten die Gesamtstrafen wegen der von der Revision und vom [X.] aufgezeigten Additionsfehler bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der verkürzten Abgaben keinen Bestand haben. Die für die nicht verjährten Taten festgesetzten Einzelstrafen sind von dem Rechenfehler jedoch nicht betroffen. Sie beruhen auf [X.] Feststellungen und Berechnungen und können daher bestehen bleiben. Die Angriffe der Revision gegen die von der [X.] übernommene Schätzung der Finanzermittlerin dringen im Ergebnis nicht durch. Zwar hat die [X.] lediglich die Schätzungsmethode nachvollziehbar dargelegt, nicht aber die nicht erfassten Gelder als quantitative (zahlenmäßige) Schätzungsgrundlage (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. November 2009 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 4 Rn. 12 und vom 7. September 2022 – 1 [X.] Rn. 9 mwN). Die [X.] hat den Feststellungen in der Sache allerdings ohne Rechtsfehler die „separierten Geldbeträge“ in der von dem Angeklagten selbst eingeräumten Höhe zugrunde gelegt (insbesondere [X.], 55). Daraus und aus der Finanzbuchhaltung ([X.]) konnte sie unabhängig von der Schätzung auf die tatsächlichen Einnahmen („Summe Brutto-Erlöse“) schließen.

5. [X.] ist rechtsfehlerfrei. Er beruht ausschließlich auf den Untreuehandlungen des Angeklagten und bleibt daher von der [X.] wegen Steuer- und Abgabenhinterziehung unberührt. Die [X.] hat auch nur die tatsächlich veruntreuten Beträge eingestellt, so dass sich der vom [X.] aufgezeigte [X.] nicht auswirkt.

6. Der Senat weist darauf hin, dass der nicht revidierende Mitangeklagte [X.]     im Tenor für die 44 Taten der Abgabenhinterziehung zum Nachteil der Stadt [X.]        verurteilt wurde, obwohl insofern weder strafbare Sachverhalte festgestellt noch Einzelstrafen verhängt wurden. Da insofern jedoch kein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten B.    vorliegt, kann der Senat den Schuldspruch nicht im Wege der Erstreckung (§ 357 Satz 1 [X.]) ändern. Das [X.] wird die Berichtigung eines etwaigen Versehens in eigener Zuständigkeit zu prüfen haben.

Jäger     

  

Bellay     

  

Fischer

  

Wimmer     

  

Allgayer     

  

Meta

1 StR 340/22

31.05.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 9. Dezember 2021, Az: 21 KLs 14/21

§ 370 Abs 3 S 2 AO, § 376 Abs 1 Halbs 1 AO 1977, § 16 Abs 3 KAG ND, § 17 Abs 1 S 2 KAG NW, § 78 Abs 3 Nr 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.05.2023, Az. 1 StR 340/22 (REWIS RS 2023, 4260)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4260

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