Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.06.2011, Az. V ZB 16/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5868

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V ZB
16/11

vom

9. Juni
2011

in der Abschiebungshaftsache

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 9. Juni
2011
durch den Vor-sitzenden [X.] Dr. Krüger, die Richter
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und [X.] und die Richterinnen Dr. [X.] und Weinland

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts [X.] vom 10. Dezem-ber
2010 und der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 20. Januar 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen wer-den dem
Beteiligten zu 2
auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:

I.
Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, hält sich seit
1990 mit Unterbrechungen im [X.] auf. Seine Anträge auf Gewährung von Asyl blieben ohne Erfolg. Während er eine mehrjährige Jugendstrafe verbüßte, wies ihn der
Beteiligte zu 2 mit Verfügung vom 3. September 2008 aus dem [X.] aus und verfügte zugleich seine Abschiebung nach [X.]. Im Juni 1
-
3
-
2009 wurde er aus der Strafhaft entlassen, war von Juli 2009 bis Oktober 2009 erneut inhaftiert
und wurde am 9. Dezember 2010 festgenommen.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht die Haft zur Sicherung der [X.] für die Dauer von längstens drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] ohne persönliche Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen. Mit
der Rechtsbeschwerde will er die Rechtswidrigkeit der Beschlüsse der Vo-rinstanzen feststellen lassen.
II.
Das Beschwerdegericht meint, neben dem Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz
1 Nr.
2 [X.] sei auch der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] gegeben, weil der Betroffene unmittelbar nach der Haftentlassung unbekannten Aufenthalts gewesen sei.
Er sei untergetaucht, indem er seinen Wohnort ohne Mitteilung an die Ausländerbehörde gewechselt habe. Unter der bei der Haftentlassung angegebenen Adresse bei seinem Vater habe er sich weder angemeldet noch habe er dort gewohnt. Eine
persönliche Anhörung ha-be es
unterlassen, weil keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Die Haftanordnung durch das Amtsgericht, die
neben der [X.] Gegenstand des [X.] sein kann (Se-nat, Beschluss vom 4.
März 2010 -
V
ZB
184/09, [X.] 2010, 152
Rn. 14), hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
Dabei kann offen bleiben, ob der Haftantrag in Amtshilfe gestellt
werden durfte. Ebenso wenig kommt es da-2
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4
-
4
-
rauf an,
ob -
wie es das Beschwerdegericht angenommen hat
-
der
Haftantrag zunächst
mangels zureichender Begründung unzulässig war. Denn die Fest-stellungen tragen nicht den angenommenen Haftgrund nach §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr. 2 [X.].
a) Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der [X.] in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der [X.] seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine An-schrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Der nicht angezeigte [X.] begründet in diesem Fall die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird.
Wegen dieser einschnei-denden Folge muss die Ausländerbehörde in der Regel auf die Anzeigepflicht nach §
50 Abs. 5 [X.] und die mit einem Unterlassen der Anzeige des Aufenthaltswechsels verbundenen Folgen hinweisen. Bei der Anwendung der Vorschrift ist zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der in Ausnahmefällen dazu führen kann, dass die Vermutung widerlegt werden kann (näher Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 -
V
ZB 36/11 mwN).
b) Der Betroffene hat dem Beteiligten zu 2 seinen Aufenthaltsort im [X.] zwar nicht mitgeteilt. Dass er auf seine Pflicht zur Mitteilung seines Aufenthalts an die Ausländerbehörde hingewiesen worden ist, lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts
aber nicht entnehmen.
Sein [X.], die Gründe hierfür und die Anzeigepflicht sind nicht Gegenstand der per-sönlichen Anhörung gewesen.
2. Ebenso
wenig hat das
Beschwerdegericht
Feststellungen zu der er-forderlichen Belehrung getroffen. Zudem hätte
es
-
wie von der Rechtsbe-schwerde gerügt
-
den
Betroffenen persönlich anhören
müssen.
Die persönli-che Anhörung des Betroffenen ist nach §
68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. §
420 Abs.
1 5
6
7
-
5
-
Satz
1 FamFG, Art.
104 Abs. 1 Satz
1 und Abs. 3 Satz 1 GG auch im Be-schwerdeverfahren grundsätzlich zwingend vorgeschrieben. Hiervon darf das Beschwerdegericht nach §
68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nur absehen, wenn eine ordnungsgemäße persönliche Anhörung des Betroffenen in erster Instanz er-folgt
ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (Senat, Beschluss vom 17.
Juni 2010 -
V
ZB
3/10, [X.] 2010, 261
Rn. 8; Beschluss vom 4.
März 2010 -
V
ZB
222/09, [X.], 323
Rn.
13; Beschluss vom 28.
Januar 2010 -
V
ZB
2/10, [X.] 2010, 163
Rn. 7). An die-sen Voraussetzungen fehlte es. Der Betroffene hat in dem
Beschwerdeverfah-ren vorgetragen, er habe nach der Haftentlassung tatsächlich bei seinem Vater gewohnt und versucht, sich unter dieser Anschrift anzumelden, was
ihm mit dem Hinweis, seine Aufenthaltserlaubnis sei erloschen, verwehrt worden sei. Dieses
Vorbringen durfte das Beschwerdegericht nicht ohne persönliche Anhö-rung als "vage und nicht nachvollziehbar"
abtun.

3.
Ob beide
Entscheidungen
zudem
als verhältnismäßig angesehen werden können, obwohl nahe liegt, dass eine Abschiebung aus der mehrjähri-gen Strafhaft heraus bei der erforderlichen Abstimmung der beteiligten [X.] ohne eine zusätzliche Inhaftierung nur wenige Wochen nach der Haftent-lassung zu erreichen gewesen wäre (vgl. [X.],
[X.] 1998, 463
f.; 2007, 356; [X.], [X.], 764; [X.], [X.] 2006, 281), bedarf danach keiner Entscheidung.
III.
1. Die Sache ist ohne weitere Ermittlungen zur Entscheidung reif, §
74 Abs.
6 Satz 1 FamFG. Das Unterlassen der notwendigen persönlichen Anhö-rung im Beschwerdeverfahren drückt wegen ihrer
grundlegenden
Bedeutung der gleichwohl aufrechterhaltenen Sicherungshaft den Makel einer rechtswidri-8
9
-
6
-
gen Freiheitsentziehung auf, der durch die Nachholung der Maßnahme -
jedenfalls im Fall der Erledigung der Hauptsache
-
rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (Senat, Beschluss vom 21.
Oktober 2010 -
V
ZB
176/10, juris Rn. 12; Beschluss vom 4.
März 2010 -
V
ZB 184/09, [X.] 2010, 152 Rn. 12).
Ebenso
wenig lässt sich beheben, dass das Amtsgericht den zentralen Grund für die Haftanordnung
in der persönlichen Anhörung nicht erörtert hat.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
83 Abs. 2, 81 Abs. 1, 430
FamFG; unter Berücksichtigung der Regelung in Art.
5
Abs. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, den
Beteiligten
zu 2 zur Erstattung der zur [X.] Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu [X.] (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 -
V
ZB
28/10, juris Rn.
18). Die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs. 2 KostO i.V.m. §
30 Abs. 2 KostO.

Krüger

Schmidt-Räntsch

Roth

[X.]

Weinland

Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 10.12.2010 -
11 [X.] B -

LG Koblenz, Entscheidung vom 20.01.2011 -
2 [X.]/10 -

10

Meta

V ZB 16/11

09.06.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.06.2011, Az. V ZB 16/11 (REWIS RS 2011, 5868)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5868

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V ZB 261/10

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V ZB 3/10

V ZB 120/10

V ZB 184/09

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