Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.01.2011, Az. B 2 U 268/10 B

2. Senat | REWIS RS 2011, 10401

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Überraschungsentscheidung


Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten werden das Urteil des [X.] vom 18. August 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für eine selbstbeschaffte Sehhilfe. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, einen Betrag von 150,11 € zu zahlen und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]).

2

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Beklagte ua die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das [X.] habe sich auf ein Einverständnis zur Kostenerstattung in analoger Anwendung des § 13 Abs 3 [X.] gestützt und damit eine Überraschungsentscheidung getroffen. Es sei weder über einen Anspruch nach § 13 Abs 3 [X.] gestritten noch ein Einverständnis abgegeben worden.

3

II. [X.] ist zulässig und begründet.

4

[X.]begründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergibt. [X.]begründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.

5

Das Berufungsgericht hat den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und das angegriffene Urteil des [X.] vom [X.] kann auf diesem Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] SGG beruhen.

6

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl [X.]-1500 § 153 [X.] mwN; [X.] 84, 188, 190). Er soll sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird ([X.] 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Art 103 Abs 1 GG gebietet zwar nicht, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist ([X.] vom 27.11.2008 - 2 BvR 1012/08 - Juris Rd[X.]; [X.] 86, 133, 145, jeweils mwN). Auch aus § 62 SGG ergibt sich keine Pflicht des [X.], vor einer Entscheidung die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte mit den Beteiligten zu erörtern, soweit sie bereits aus dem Verfahrensstand ersichtlich sind (vgl [X.]-1500 § 112 [X.]). Eine Überraschungsentscheidung liegt dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine [X.] gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht rechnen musste ([X.]-2500 § 103 [X.] Rd[X.]7). Das ist hier der Fall.

7

Das [X.] hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils festgestellt, dass sich die Beklagte in analoger Anwendung des § 13 Abs 3 [X.] mit der Kostenerstattung einverstanden erklärt habe und sich daher nicht nachträglich auf Höchstbeträge berufen könne. Die Beklagte musste zwar davon ausgehen, dass das [X.] die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs umfassend prüft. Sie konnte aber ohne vorherigen Hinweis nicht damit rechnen, dass sich das [X.] zur Begründung seiner Entscheidung auf ein Einverständnis zur Kostenerstattung stützt und dies rechtlich wie ein Anerkenntnis behandelt. Die Abgabe eines solches Einverständnisses ist weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils festgestellt. Auch ist nicht zu erkennen, dass ein ausdrücklich oder konkludent erklärtes Einverständnis während des Rechtsstreits erörtert worden wäre.

8

Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] ohne den Gehörsverstoß zu einer für die Beklagte günstigeren Entscheidung gelangt wäre.

9

Angesichts dieses [X.] können die von der Beklagten außerdem erhobenen [X.] dahingestellt bleiben.

Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] SGG vor, kann das [X.] auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 268/10 B

18.01.2011

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Leipzig, 29. Juli 2009, Az: S 5 U 153/08, Urteil

§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 31 SGB 7, § 13 Abs 3 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.01.2011, Az. B 2 U 268/10 B (REWIS RS 2011, 10401)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10401

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